Die Vielfalt der Ökosysteme, die Artenvielfalt und die Vielfalt der genetischen Informationen, die in den Arten enthalten sind, werden unter dem Begriff der biologischen Vielfalt oder Biodiversität zusammengefasst. Vielfalt ist ein entscheidendes Merkmal des Lebens und des Bioplaneten Erde. Man kann einen dramatischen Rückgang der Biodiversität beobachten, der auf Aktivitäten des Menschen zurückzuführen ist. Diese Entwicklung wird als eine ernsthafte Gefahr für die Biosphäre angesehen. Um jedoch einen sinnvollen Schutz der Artenvielfalt zu bewirken, ist eine genaue Kenntnis der ökosystemaren Wechselwirkungen wichtig.
Biologische Vielfalt muss auch ein wichtiges Unterrichtsziel sein.
Die Pflasterfugen in unserem Gartenweg, die im Winter vor allem vom Purpur-Hornzahnmoos begrünt sind, zeigen jetzt im Frühjahr einen ganz besonderen Blütenflor. Tausende winziger Hungerblümchen machen sie zu richtigen Blumenrabatten. Sehr schnell bilden die Zwerge Aus der Familie der Kreuzblütler Früchte und Samen und nach wenigen Wochen sind sie verschwunden. Aber ihre Samen bleiben in den Pflasterfugen und im nächsten Frühjahr, oft schon Ende Februar, treiben sie neue Blütenstände.
In Städten und Siedlungen gibt es viele Ritzen und Fugen. Oft kann man beobachten, wie sie von Anwohnern mühsam ausgekratzt werden. Teilweise kommt es auch zum Einsatz von Herbiziden. Hier könnte man in vielen Fällen Begrünung zulassen und dadurch nicht nur die Biodiversität sondern auch – wie Botaniker der Universität von Santiago de Compostela auch wissenschaftlich bewiesen haben – das Mikroklima verbessern.
An unserem Gartenteich wächst schon seit einigen Jahren eine Schwarz-Erle, die wir regelmäßig sehr stark zurückschneiden, sodass sie nicht höher wird als die krautige Vegetation.
Heute Morgen (11.9.2023) entdeckte ich an den Blättern eines Zweiges sehr viele Raupen. Die oberen Blätter hatten sie schon ganz kahl gefressen. Sie fraßen die Blätter vor allem vom Rand aus an und bei Störung nahmen sie plötzlich eine auffällige Schrägstellung ein: Sie krümmten ihren Körper bis auf das Hinterende s-förmig nach hinten.
Mithilfe des Internets ließen sich die Raupen eindeutig der Breitfüßigen Erlenblattwespe (Nematus septentrionalis, syn. Craesus septendrionalis) zuordnen, die in ganz Europa vorkommt, aber vor allem in Mittel- und Nordeuropa weit verbreitet ist.
Die Weibchen der Blattwespe legen ihre Eier in die Mittelrippen von Blättern, vor allem von Birken, Schwarz-Erlen, Eschen, Ahorn, Weiden und Pappeln. Die die Larven fressen gemeinsam am Blattrand und zwar systematisch bis das Blatt bis zur Mittelrippe und wenigen Seitenrippen abgefressen ist. Laut Wikipedia sollen meist drei Generationen vorkommen, die erste fliegt von Mai bis Juni, die zweite von Juli bis September. Die Puppen der dritten Generation überwintern.
Ein sicheres Unterscheidungsmerkmal zwischen Schmetterlingsraupen und Blattwespenraupen ist die Anzahl der Beinpaare. Schmetterlingsraupen haben maximal acht Beinpaare. Nach den Brustsegmenten folgen bei Schmetterlingsraupen mindestens zwei Segmente ohne Beine. Bei den Raupen der Blattwespen folgt hinter den drei Beinpaaren der Brustsegmente nur ein beinfreies Segment. Alle übrigen Segmente tragen Beinpaare.
Nektarraub
Schon seit Jahrzehnten gedeiht bei mir die afrikanische Aloe aristata. Ich überwintere sie im Zimmer, in der frostfreien Zeit stehen die Pflanzen im Garten.
Ich habe auch schon versucht, sie im Freien zu überwintern und einige Male ist es geglückt. Den Freilandaufenthalt danken die Pflanzen mit besonders reichlichen Blüten. Die traubigen Blütenstände können bis zu einem halben Meter lang werden. Oft bilden sie ein bis drei Seitentrauben.
Die mehrere Zentimeter langen, schmalen, orangeroten Blütenkronen sind verwachsen und für heimische Insekten ist der Nektar an der Blütenröhrenbasis kaum zugänglich. In ihrer Heimat werden sie vermutlich von langrüsseligen Nachtfaltern oder sogar von Nektarvögeln bestäubt. In unserem Garten kommt es nur sehr selten vor, dass sich aus einer Blüte eine Frucht entwickelt. Aber der Nektar der Blüten wandert trotzdem in einen Insektenmagen: Wespen, vor allem Feldwespen, knabbern regelmäßig an der Blütenbasis Löcher in die Kronröhre und saugen den Nektar aus.
Nektarraub kann man auch an einheimischen Blütenpfflanzen beobachten, besonders häufig am Akelei, bei dem der Nektar in den Spornern der Blütenblätter gespeichert wird.
Der Stachel-Lattich (Lactuca serriola) trägt wechselständige, stachelige Blätter, die mit ihrer Spreite meist senkrecht stehen und häufig nach Norden bzw. Süden zeigen. Deshalb wird die Pflanze auch „Kompass-Lattich“ genannt. Diese Blattstellung wird als Strahlenschutz gedeutet, da die Pflanze häufig an sehr sonnigen Standorten zu finden ist. Ihr Verbreitungsgebiet reicht von Nordafrika bis in die gemäßigten Zonen.
Die kleinen Fallschirmfrüchte sorgen für eine effektive Windverbreitung. Es handelt sich um eine ausgesprochene Pionierpflanze, die häufig an sonnigen Wegrändern und in lückigen Unkrautfluren zu finden ist.
In unserem Garten war sie zu Anfang sehr häufig, vor allem auf einem großen Erdhaufen vom Bauaushub. Später verschwand sie fast vollständig. Zur Zeit keimen ihre Samen vor allem zwischen den Kieseln, die den Plattenweg von der Hauswand trennen.
Nach Ellenberg handelt es sich um eine Volllichtpflanze (L 9) mit geringem Feuchtigkeitsanspruch (F 4) und mäßigem Stickstoffbedarf (N 4)
Der Grüne Salat (Lactuca sativa) mit den Züchtungen „Kopfsalat“ und „Römischer Salat“ stammt vermutlich vom Stachel-Lattich ab.
Wilde Möhre (Daucus carota) – Fam. Apiaceae
Nach dem Kompass-Lattich möchte ich noch eine einheimische Wildpflanze vorstellen, die Ursprungsart für eine wichtige Kulturpflanze ist: die Wilde Möhre (Daucus carota). Die Pflanze blüht bei uns von Mai bis Anfang August. Dieses Jahr mit seinen vielen warmen Sonnentagen ließ die Möhrenbestände sehr gut gedeihen. Die charakteristischen weißen Doppeldolden, meist mit einer schwarzen „Mohrenblüte“ in der Mitte, bilden an vielen Wegrändern – wie im Bild am Bodensee bei Manzell – große Bestände.
Dadurch, dass in den letzten Jahren die Wegränder und Straßenränder weniger häufig gemäht werden, haben sich die Bestände dieser Pflanze erheblich vermehrt.
Innerhalb der Doldenblütengewächse sind weiße Doppeldolden als Blütenstände weit verbreitet. Sie sehen bei den verschiedenen Arten sehr ähnlich aus, aber die Mohrenblüte ist ein Alleinstellungsmerkmal der Wilden Möhre. Über die biologische Bedeutung dieser durch Anthocyane sehr dunkel gefärbten Blüte findet man in der Literatur die Vermutung, dass es sich dabei um eine Fliegenattrappe handelt, die andere Fliegen anlockt.
Man könnte vermuten, dass der Name „Möhre“ oder „Mohrrübe“ mit der dunklen Mittelblüte zu tun hat. Aber das stimmt nicht . Der Name kommt vom mittelhochdeutschen „morche“, „morhe“ oder „more“ für „Rübe“ oder „dicke Pfahlwurzel“. Bis heute werden Möhren in Norddeutschland ja auch „Wurzeln“ genannt. Andere Namen sind Karotte oder Gelbe Rübe. Sie beziehen sich auf die von Carotin verurachte orangegelbe Farbe der Kultur-Möhre. Die Wurzeln der Wilden Möhre sind weißlich oder schwach crremefarben, aber sie schmecken und riechen nach Karotte.
Möhren sind zweijährig. Im ersten Jahr bildet sich eine Blattrosette mit einer dicken Pfahlwurzel. Kultur-Möhren werden in diesem Zustand geerntet. Im zweiten Jahr werden die in der Pfahlwurzel gespeicherten Reservestoffe zum Aufbau der Blütenstände genutzt, die bis über 1 m hoch werden können. Im Gegensatz zu vielen anderen Doldenblütlern sind die Dolden der Möhre vor dem Aufblühen kugelig geschlossen und nach dem Verblühen neigen sich die Doldenäste ebenfalls wieder zu einer Kugel zusammen (an ein Vogelnest erinnernd). Auf den Früchten entwickeln sich hakenförmige Härchen, die der Tierverbreitung dienen.
Der Wasserdost ist eine ausgesprochene Schmetterlingspflanze. In unserem Garten in Flensburg wurde die Staude regelmäßig von vielen Faltern besucht. In unserem Garten in Oberteuringen hat sich der Wasserdost von selbst am Teichufer eingefunden. Die leichten Flugfrüchte werden weit verbreitet. Allerdings ist die Schmetterlingsfauna in den letzten zwei Jahrzehnten sehr viel ärmer geworden, meistens konnten wir deshalb nur einzelne Falterbesuche beobachten.
Wasserdost-Arten stammen aus Afrika, Asien, Nord- und Südamerika, nur wenige sind in Europa heimisch. Für die Gartenkultur werden aber mehrere Arten angeboten, zum Beispiel die Hochstaude Eupatorium fistulosum (Purpur-Wasserdost, Röhriger Wasserdost) aus Nordamerika, von dem es eine Reihe von Zuchtformen gibt.
„Dost“ bedeutet im Mittelhochdeutschen „etwas buschiges, etwas, das in Büschen wächst“. Ohne Zusatz „Wasser“ bezeichnet Dost die Pflanzengattung Origanum aus der Familie der Lippenblütler. Dazu gehören Majoran (Origanum majoranum) und Echter oder Gewöhnlicher Dost, italienisch Oregano (Origanum vulgare), der mit dem Wasserdost nur die violette Blütenfarbe gemeinsam hat. Dies gilt auch für den Lippenblütler Wirbeldost (Clinopodium vulgare).
Die Blätter des Gewöhnlichen Wasserdosts sind drei geteilt und erinnern entfernt an Hanfblätter (Cannabis), daher das Art-Epitheton „cannabinum“.
Seerosen-Honig
Auf den Seerosenblättern in meinem Teich kann man ziemlich regelmäßig jedes Jahr zwei Insektenarten beobachten.
Zum einen ist das der Seerosen-Blattkäfer (Galerucella nymphaeae). Alle Lebensstadien, Eier, Larven, Puppen und Imagines des Käfers leben auf den Blättern von Seerosen. Außerdem kommen die Käfer auf Gelber Teichrose, Wasser-Knöterich und Pfeilkraut, eigenartigerweise auch auf Erdbeerpflanzen vor. Die unregelmäßigen Rillen, die Larven und Käfer in die obere Blattschicht fressen, können bei Massenbefall sehr auffällig sein und die Blätter auch zu frühem Absterben bringen, untergehen tun sie allerdings nicht so schnell, da die untere Epidermis nicht angefressen wird.
Die zweite Insektenart, die auf den Seerosenblättern zum Teil massenhaft auftreten kann, ist die Seerosen-Blattlaus (Rhopalosiphum nymphaea). Ihr Honigtau kann die Spaltöffnungen auf der Seerosenblattoberseite verstopfen und deshalb die Blätter zum vorzeitigen Absterben bringen. Außerdem lockt der süße Saft auch Insekten, Fliegen und vor allem Bienen, an. Sie verwandeln die süßen Ausscheidungen in Honig, Seerosen-Honig.
Auch 2023 gibt es wieder einen Spontanzugang an unserem Kompost- und Mülleimer-Stellplatz: Es hat sich eine prächtige fast 2 m hohe Staude des Färber-Waids (Isatis tinctoria) entwickelt. Mir fiel schon letztes Jahr die große, grundständige Blattrosette auf, aber ich konnte sie nicht zuordnen.
Diese schon seit vorgeschichtlichen Zeiten genutzte Kulturpflanze aus der Familie der Kreuzblütler (Brassicaceae) war bis ins 16. Jahrhundert wichtiger Lieferant für den blauen Farbstoff Indigo, der vor allem für das Färben von Leinenstoffen aber auch für Holzanstriche verwendet wurde. Erst nachdem der Echte Indigo (Indigofera tinctoria) aus Indien, China und Afrika eingeführt wurde, verlor Färber-Waid schnell an Bedeutung.
Nun findet man die Pflanze in Mitteleuropa immer noch, vor allem an kalkreichen, relativ trockenen Standorten. Aber wie er in unseren Garten gekommen ist, bleibt eine offene Frage, denn in der näheren Nachbarschaft kenne ich keine Standorte.
Allerdings werden Färber-Waid-Samen auch vom Gartenversandhandel angeboten. Die Pflanze gilt als gutes Bienenfutter: Die Samen entwickeln sich in einsamigen „Schötchen“, die sich aber – im Gegensatz zu den für die übrige Kreuzblütler typischen Schoten und Schötchen – nicht öffnen, botanisch gesehen also eigentlich Nüsse sind.
Der Himmel über Oberteuringen
Am 5. November 2022, während in Sharm-EL-Sheikh die 27. UN-Klimakonferenz tagte, hatten wir in Oberteuringen einen wunderschönen Sonnentag mit strahlendblauem Himmel. So sah dieser Himmel aus, als ich morgens um neun auf unserer Terrasse rollte: Alle erkennbaren Wolkenbildungen auf diesem Foto gehen auf Kondensstreifen von Flugzeugen zurück. Für jedes Wassermoleküle, dass diese Kondensstreifen verursacht, wird auch ein Kohlenstoffdioxidmolekül ausgestoßen. Die Treibhausgasemissionen des Luftverkehrs werden dadurch indirekt sichtbar.
Das Schildblatt (Darmera peltata) stammt aus dem Westen der Vereinigten Staaten von Amerika. Es gedeiht an Bach- und Flussufern in den Staaten Kalifornien und Oregon. Nach unserem Einzug in Oberteuringen erhielten wir einige Pflanzen von unserer Nachbarin. Sie wuchsen zunächst an einigen Stellen in unserem Garten aber dauerhaft hielten sie sich nur am Rand unseres Gartenteiches.
Natürlich, es handelt sich um einen Exoten und strenge Verfechter der Naturgartenidee plädieren dafür, nur Einheimische im Garten wachsen zu lassen. Ich gehöre nicht dazu. Exotische Pflanzen, die mich faszinieren und die im Garten gut gedeihen dürfen dort auch gerne wachsen. In unserem Garten gehört das Schilfblatt dazu.
Schon im April, vor den Blättern, erscheinen die kugeligen rosa Blütenstände an einem Stiel, der bis 30 cm hoch werden kann. Erst im Mai entfalten sich dann die großen Schildblätter. Die Blütenstände strecken sich bis zur Fruchtreife noch einmal auf doppelte Länge, insbesondere die Achsen zwischen den einzelnen Blüten verlängern sich und in jeder Blüte entwickeln sich 2-3 der für Steinbrechergewächse typischen Bälgchen.
Vom Lebensformentyp ähnelt das Schildblatt unserer Gewöhnlichen Pestwurz (Petasites hybridus), die ebenfalls bevorzugt an Bach- und Flussufern und auf teilweise überfluteten Kiesbänken gedeiht und die im zeitigen Frühjahr ihre violetten Blütenstände treibt, bevor sich die riesigen rhabarberartigen Blätter entwickeln. Allerdings würde sich die Pestwurz an unserem nur mit Regenwasser gespeisten und deshalb sehr nährmineralarmen Teich vermutlich nicht gut entwickeln. Auch das Schildblatt erreicht hier keine maximalen Größen – ich sehe das im Vergleich zu den Exemplaren bei unserer Nachbarin, die einen sehr eutrophen Teich mit sehr vielen Fischen pflegt. Trotzdem spenden auch bei uns die Schildblätter den Sommer über sehr viel Schatten. Darunter gedeihen fast nur noch Moose.
Im Herbst erhöht das Schildblatt noch einmal seine Attraktivität durch eine ausgezeichnete Herbstfärbung. Im Winter zieht sich die Pflanze ganz in das kräftige unterirdische Rhizom zurück.
Minen, die nicht explodieren
Ich beobachte eigenartige Linien und Muster, mäandererartig verschlungene Pfade, auf Akeleiblättern. Wenn ich die Blätter gegen das Licht halte, wird deutlich, dass die Blätter an diesen Pfaden sehr durchscheinend sind. Sie bestehen nur aus den chlorophyllfreien Epidermen, den einzellschichtigen Häutchen, die das Blatt nach außen abschließen. Das Blattinnere, das grüne Mesophyll, fehlt. Es wurde von kleinen Insektenlarven aufgefressen, die sich durch das Blattinnere bohren.
Man nennt diese durch Fraß entstandenen Gänge „Minen“ oder „Hyponomien“. Es gibt eine sehr große Anzahl unterschiedlicher Blattminen, die von Mücken-, Fliegen-, Kleinschmetterlings-, Käfer- und Blattwespenlaven erzeugt werden können.
Bei den abgebildeten Akeleiblättern ist der Verursacher die Akelei-Minierfliege Phytomyza aquilegivora. Den Minentyp, bei dem sich die Insektenlarven einen Gang entlang fressen, dessen Durchmesser mit dem Wachstum der Larve immer breiter wird, nennt man „Gangminen“. Eine nahe verwandte Minierfliegen-Art, Phytomyza aquilegiae, frisst sich flächig durch das Blatt und bildet „Platzminen“.
Als Pionier der Pflanzenminen-Forschung gilt Erich Martin Hering und sein Werk „Die Blattminen Mittel- und Nordeuropas einschließlich Englands“. Die Bestimmung ist mit dieser umfassenden Monographie sehr gut möglich, da die Minen nach ihren Wirtspflanzen sortiert sind.
Die Minen an Akeleiblättern sind verhältnismäßig häufig, andere Pflanzen, die oft von Minierern befallen werden, sind zum Beispiel Geißblatt bzw. Heckenkirsche, Springkraut, Gänsedistel und Klette.
Orchideen am Gartenteich
An unserem Gartenteich haben sich „freiwillig“ zwei Orchideenarten eingefunden. 2016 konnte ich am Teichufer zum ersten Mal eine blühende Fleischfarbene Fingerwurz (Dactylorhiza incarnata) entdecken. Die Art kommt in einem etwa 1 km entfernten Naturschutzgebiet (Altweiherwiese) vor. In den Folgejahren hat sich die Anzahl der Orchideenpflanzen langsam aber kontinuierlich erhöht.
Zu Dactylorhiza incarnata kam noch die Breitblättrige Fingerwurz (Dactyloriza majalis), die ebenfalls im NSG Altweiherwiese zu finden ist. 2022 konnte ich 14 PflanzenDieser beiden Arten zählen, dieses Jahr (2023) ging die Anzahl auf 11 zurück. Dabei hat eventuell Schneckenfraß eine Rolle gespielt.
Unser Teich wird immer wieder mit Regenwasser aus einer Zisterne aufgefüllt und ist sehr mineralstoffarm. Die Pflanzen am Teichufer – zum Beispiel Blutweiderich und Wasserdost – bleiben ziemlich klein. Dazwischen gedeihen Moose sehr gut, insbesondere das Spießmoos (Calliergonella cuspidata). Aus diesen Moosrasen sprießen die Orchideen.
Binsen-Schmuckzikade (Cicadella viridis)
Im Oktober 2022 beobachtete ich an den schon fast abgestorbenen Stängeln einer Wald-Engelwurz (Angelica silvestris) am Rand meines Gartenteiches etwa 0.7cm lange, hell türkisgrünliche Zikaden. Mithilfe des Internets konnte ich sie als Binsen-Schmuckzikade (Cicadella viridis) identifizieren. Bei den von mir beobachteten Tieren handelte es sich um Weibchen, die Männchen haben laut Wikipedia blaue Flügeldecken. Charakteristisch sind zwei ziemlich große schwarze Flecken zwischen den Komplexaugen.
Wie der Name schon sagt, soll die kleine Zikate vorwiegend an Binsen saugen, aber sie nimmt auch den Xylemsaft von vielen anderen Pflanzenarten auf. Um genügend Nährstoffe zu erhalten, müssen die kleinen Zikaden ziemlich große Mengen des sehr wässrigen sie Xylemsaftes einsaugen, die überflüssige Flüssigkeit wird dann – wie im Foto zu sehen – in großen Tropfen abgeschieden.
In Mitteleuropa sollen die Binsen-Schmuckzikaden pro Jahr ein bis zwei in Südeuropa drei und mehr Generationen bilden. Imagines der hemimetabolen Zikaden kann man bei uns von Mai bis Oktober beobachten.
Schmuckzikaden (Cicadellinae) sind eine Unterfamilie der Zwergzikaden (Familie Cicadellidae). Die wegen ihrem auffällig schaumigen Larvenschutz („Kuckucksspeichel“) bekannten Schaumzikaden (Familie Cercopidae) sind eine Schwestergruppe der Schmuckzikaden.
Vom Menschen unberührte Natur macht derzeit weniger als ein Viertel der Erdoberfläche aus. Den Forderungen, solche Flächen zur Stabilisierung des Bioplaneten zu vergrößern, steht die wachsende Weltbevölkerung und die auf Wachstum begründete Weltwirtschaft entgegen. Gibt es trotzdem Möglichkeiten, natürliche Funktionsabläufe zu vermehren?
Wildnis und Naturschutz
Die vom Menschen noch kaum veränderten Gebiet der Erdoberfläche machen gegenwärtig weniger als ein Viertel aus. 77% der Landfläche (ohne Antarktika) und 87% der Meere sind bis heute durch menschliche Aktivitäten verändert worden, der größte Teil davon in den letzten 50 Jahren (Watson, Allen u.a. 2018). Dies wird von vielen Ökologen als ein großes Problem angesehen, denn vom Menschen bisher kaum beeinflussten Wildnis-Gebiete gelten als wichtigster Puffer gegen den Verlust der biologischen Vielfalt und die Klimaveränderungen. Wildnisgebiete regulieren Wasserkreisläufe und Klimazyklen und schützen damit vor extremen Wetterereignissen. Außerdem stellen sie wichtige Referenzflächen für die Regeneration und Renaturierung degradierter Landflächen und Meeresgebiete dar. Die Degradation und Fragmentaktion naturnaher Restflächen verstärken die nachteiligen Auswirkungen der Klimaerwärmung auf die Biodiversität (Mantyka-Pringle u. a. 2012).
Den Erhalt von Wildnis ist deshalb ein wichtiges Naturschutzziel.
Aber was ist Wildnis? Ist es im Sinne Aldo Leopolds von Menschen unberührte Natur? Oder sind mit domestizierten Rindern und Pferden beweidete „halboffene Weidelandschaften“ ebenso Wildnis, wie dies Jan Haft in seinem Buch „Wildnis“ darstellt? Welche Rolle spielt Wildnis für die Biodiversität, für den Klimaschutz und für den Erhalt natürlicher Ressourcen? Haben Aufforstungsprogramme etwas mit Wildnis zu tun? Inwiefern ist der Naturschutz mit Wildnis-Vorstellungen verknüpft?
Viele Fragen. Ein Versuch, sie zu beantworten, lässt schnell erkennen, dass es recht unterschiedliche menschliche Vorstellungen von „wilder Natur“ und den Beziehungen der Menschen zu solcher Wildnis gibt.
Europäische Wildnis?
Die in Mitteleuropa seit der letzten Kaltzeit in etwa 12 000 Jahren – also einer erdgeschichtlich sehr kurzen Zeitspanne – entstandenen Landschaften waren von Anfang an vom Menschen beeinflusst. Die menschliche Nutzung hat ein kleinräumiges Mosaik von Lebensräumen geschaffen und zu einer Artenvielfalt geführt, die sich vermutlich ohne den Menschen und seine Nutztiere nicht oder zumindest nicht so schnell entwickelt hätte.
Ein flächendeckender Urwald, wie er über die Jahrhunderte heute vermutlich ohne menschlichen Einfluss in Mitteleuropa entstehen würde, hätte sicher eine geringere Artenvielfalt aufzuweisen als die ursprüngliche, vorindustrielle Kulturlandschaft. Der Biologe und Naturfilmer Jan Haft belegt dies in seinem Buch „Wildnis“ mit gut recherchierten Zahlen und Aussagen von Experten (Haft 2023). Es ist deshalb verständlich, dass Naturschutz in Mitteleuropa in vielen Fällen mit Managementmaßnahmen verbunden ist, bei denen es darum geht, traditionelle Landbewirtschaftungsmaßnahmen nachzuahmen. Schilfbestände in Feuchtgebieten werden abgemäht und das Mähgut gut wird entfernt um einen Zustand magerer Feuchtwiesen zu erreichen, der alten Streuwiesen entspricht. Heiden und Moore werden maschinell oder von Hand von Gehölzen befreit (entkusselt), um einen Zustand herzustellen, der einer extensiven Beweidung entspricht. Feldhecken, die früher auch der Nutzholzgewinnung dienten, werden als Naturschutzmaßnahme weiterhin regelmäßig „auf den Stock gesetzt“, um das Durchwachsen zu Baumreihen zu verhindern und den für Kleinsäuger, Vögel, Reptilien und viele Wirbellosen wertvollen Heckencharakter zu erhalten. Alle diese Maßnahmen zielen auf den Erhalt von Landschaften ab, die man nicht als „unberührte Natur“ bezeichnen kann.
In den zwischeneiszeitlichen Warmzeiten allerdings war die Biodiversität ebenfalls deutlich höher. Ursache waren vermutlich die zahlreichen großen Herbivoren, deren Weidetätigkeit die Bildung geschlossener Urwälder verhinderte. Vielmehr herrschten offene, savannenähnliche Landschaften , wie sie heute zum Beispiel noch in Afrika zu finden sind. Dass es solche großen Pflanzenfresser seit dem Ende der letzten Kaltzeit in Europa nicht mehr gibt, ist vermutlich auf die Tätigkeit menschlicher Jäger zurückzuführen ( Sandom et al. 2014). Streng genommen könnte man deshalb diese voreiszeitliche Landschaft als die eigentliche mitteleuropäische Wildnis ansehen.
Nordamerikanische Wilderness
In Nordamerika ist der Naturschutz deutlich stärker mit dem Wildnisbegriff im Sinne von unberührter Natur verbunden als in Europa. Der Naturalist und Dichter Henry David Thoureau forderte schon 1862, dass jede amerikanische Stadt zur Bildung und Erholung ihrer Bevölkerung 200-400 ha Wildnis so bewahren sollte, dass darin nicht einmal die Spur eines geschnittenen Stockes zu erkennen wäre (nach Trommer 2023). Auch für den großen amerikanischen Naturschützer John Muir war die wilde, von Menschen unberührte Natur der zu schützende Idealzustand. Ebenso setzte sich der Wildtierbiologe Aldo Leopold (1887-1948) für die Bewahrung von Wildnis als einem von Menschen weitestgehend unbeeinflusstem Naturraum ein. Seine Schriften hatten großen Einfluss auf den 1964 beschlossenen Wilderness Act, mit dem ein System von vollständig geschützten Wilderness Areas geschaffen wurde (Henderson o.J.).
Diese unterschiedlichen Vorstellungen von Naturschutz in Nordamerika und Europa hängen sicherlich auch damit zusammen, dass die Landschaftsveränderungen in Nordamerika im 18. und vor allem im 19. Jahrhundert in atemberaubender Geschwindigkeit verliefen und deshalb im Laufe eines Menschenlebens sehr gut zu beobachten waren. Die europäischen Siedler bewirkten eine sehr rasche und drastische Veränderung und verhinderten von vorneherein die Entwicklung einer europäischen Verhältnissen vergleichbaren kleinräumig strukturierten Kulturlandschaft.
Außerdem war der Ausgangszustand nach der Eiszeit in Nordamerika biodiverser als in Europa. In Nordamerika konnten sich die Biodiversität nach der letzten Eiszeit schneller regenerieren als in Europa, da die Biozönosen während der Kaltzeiten wegen der vorwiegend von Norden nach Süden streichenden Gebirge nicht so stark dezimiert wurden. In Mitteleuropas war eine Rückzugsmöglichkeit nach Süden durch die Alpen weitgehend versperrt.
Allerdings sind auch in Nordamerika viele der vor den Kaltzeiten oder in Zwischenwarmzeiten noch existenten großen Pflanzenfesser einschließlich ihrer Prädatoren verschwunden. Es ist naheliegend, zu vermuten, dass auch hier menschlicher Einfluss, die Jagd, für das Aussterben entscheidend war. Ähnliche Entwicklungen kann man auch für Australien und Teile Asiens nachweisen. Lediglich in Afrika haben bis heute eine Vielzahl großer Herbivoren und Carnivoren überlebt. Dies wird damit in Verbindung gebracht, dass sich in Afrika Menschen und Großsäuger über lange Zeiträume parallel entwickelt haben.
Welche Wildnis wollen wir?
Aus diesen Überlegungen wird deutlich, dass nicht so ganz eindeutig ist, was jeweils unter „Wildnis“ , also einem ursprünglichen Naturzustand, gemeint ist und welche günstigen Wirkungen auf eine nachhaltige Entwicklung des Bioplaneten Erde sich daraus ergeben. Geht es um einen Zustand ohne jeglichen menschlichen Einfluss, also um Ökosysteme ohne Homo sapiens oder gehören auch sogenannte Naturvölker dazu? Welche Rolle spielen reich strukturierte Kulturlandschaften, wie sie bis zu Beginn der Industrialisierung in Europa vorherrschend waren? Wie sind die Veränderungen – man kann auch sagen Ausrottungen – zu bewerten, die schon durch Jäger und Sammler bei der Besiedelung Australiens und Amerikas bewirkt wurden? Wo zieht man die Grenzen? Ist es wirklich notwendig, völlig unberührte (menschenfreie) Natur zu erhalten, oder können menschliche Aktivitäten teilweise dazu führen, dass Funktionen im Naturgeschehen wieder ablaufen, die vormenschlichen Bedingungen entsprechen? Geht es also mehr um „wilde“ Funktionsabläufe als den Erhalt eines menschenfreien Zustandes?
Wilde Weiden
Jan Haft zielt in seinem Buch „Wildnis“ genau auf dieses Funktionsverständnis von Wildnis ab, das im Naturschutz auch als „Prozessschutz“ bezeichnet wird. Dabei geht es ihm vor allem um die Ökosysteme mit großen Pflanzenfressern, die in vielen Gebieten der Erde vor dem Erscheinen des Menschen große Räume einnahmen. Diese vorzeitliche Wildnis könnte funktional wiederhergestellt werden durch domestiziert Weidetiere, deren Populationen nicht durch Carnivoren sondern durch den Menschen reguliert werden. Die mittlerweile an vielen Orten etablierten „halboffenen Weidelandschaften“ sind ein gutes Beispiel dafür, dass solche wilde Weiden der Biodiversität wirklich sehr förderlich sind und dass in solchen Gebieten viele bedrohte Arten sich wieder ausbreiten und regenerieren konnten. Zwei sehr gut dokumentiertes Beispieleaus meiner früheren Heimat sind die auf einem ehemaligen Truppenübungsplatz der Bundeswehr entstandene Weidelandschaft „Stiftungsland Schäferhaus“ bei Flensburg und das Stiftungsland Winderatter See – Kielstau (Janßen 2011-2020)
Das Prinzip dieser Art von Verwilderung lässt sich auf andere Bereiche ausweiten. Einige Beispiele:
Aufforstung
Bäume pflanzen und durch Trockenheit und Schädlingsbefall – vor allem Windbruch und Borkenkäfer – geschädigte oder zusammengebrochenen Wälder durch Aufforstung zu regenerieren gilt nicht nur als eine wichtige Maßnahme des Klimaschutzes sondern auch des Naturschutzes und der Förderung der Biodiversität. Dem widerspricht zum Beispiel der Förster und Erfolgsautor Peter Wohlleben: „Wald kommt von ganz alleine zurück, das macht er seit 300 Millionen Jahren.“ Global gäbe es kein Beispiel dafür, dass gepflanzter Wald besser funktioniert, als ein Wald, der von selbst zurück wächst. Besonders widerspricht Wohlleben der Annahme, Bäumepflanzen sei eine unumstrittene Klimaschutzmaßnahme. Eine frisch gepflanzte Aufforstung stoße in den ersten Jahren bis Jahrzehnten mehr CO2 aus, als die neu gepflanzten Bäume aufnehmen könnten (Wohlleben in“Hart aber fair“ , 01.11.21).
Erfahrungen im Nationalpark Bayerischer Wald geben Wohllebens Auffassung recht. Nachdem in den 1990 er Jahren durch Borkenkäferbefall rund 60.000 ha Wald zugrunde gegangen waren, hielt die Nationalparkverwaltung trotz großer Proteste der Öffentlichkeit an ihrer Nichteingriffsstrategie fest. Die sich hervorragend regenerierenden Bergwaldflächen sind mittlerweile ein international bekanntes Beispiel für natürliche Waldregeneration (Bibelriether 2017).
Ackerbau
Die hohe Biodiversität einer kleinräumig strukturierten Kulturlandschaft, wie sie in früheren Jahrhunderten für Mitteleuropa typisch war, ist unbestritten. Viele hiesige Naturschutzmaßnahmen zielen deshalb darauf ab, alte bäuerliche Bewirtschaftungsformen zu simulieren. Dies geht aber nur auf verhältnismäßig kleinen, abgeschlossenen Naturschutzflächen. Großflächig dominieren weiterhin große, unstrukturierte Ackerflächen, da nur solche mit Großmaschinen rationell bearbeitet werden können. Wäre es nicht denkbar, dass eine zunehmende Digitalisierung der Landwirtschaft auch eine rationelle maschinelle Bearbeitung kleinräumig strukturierte Anbauflächen ermöglichen würde? Statt dinosaurierartiger Riesenmaschinen könnten kleine Agrarroboter Bearbeitung und Ernte übernehmen, die von Satelliten oder Drohnen gesteuert ganz gezielt eingesetzt werden könnten. Sie würden sich an einem verhältnismäßig engmaschigen Netz von Feldhecken und Feldgehölzen, Randstreifen und Saumbiotopen nicht stören. So könnte eine kostengünstige Produktion ermöglicht werden, ohne natürliche Funktionsabläufe vollkommen zu unterbinden.
Auch die arbeitsintensiven Methoden der Permamakulturen und der Agroforestry, die versuchen, natürliche Prozesse nicht zu unterdrücken sondern auszunutzen, könnten durch KI-Einsatz rentabler werden.
KI in der Landwirtschaft
„Der nächste Schritt in der technologischen Entwicklung intelligenter landwirtschaftlicher Maschinen könnte eine Art Schweizer Armeemesser sein: ein Roboter, der jede Pflanze individuell behandelt, nicht nur mit Herbiziden sondern auch mit angepassten Düngemitteln, Insektiziden und Fungiziden und gezielter Bewässerung, alles in einem Arbeitsgang und jeweils nur in der benötigten Menge. Die Folgen einer solchen. Behandlung von Einzelpflanzen statt von ganzen Feldern bedeutet nicht nur eine deutliche Reduktion benötigter Chemikalien und anderer Ressourcen. Es könnte schließlich auch zu einem Ende der Monokulturen führen, einem Ende von Kornfeldern oder Sojafeldern soweit das Auge reicht, die heute der Normalfall sind. Monokulturen laugen Böden aus und sind riskant, da solche nur von einer Pflanzenart bewachsene Felder für Schädlingsbefall und andere Katastrophen besonders anfällig sind.“ (Übersetzt aus Little, A. (2019): The fate of food. What we’ll eat in a bigger,hotter,smarter World. London: Oneworld Publications, p.106)
Paludikultur
Bis vor 200 Jahren waren Torfmoore die letzten unberührten Naturlandschaften Mitteleuropas. Durch Entwässerung und Bodenbearbeitung, Torfstich zur Brennmaterialgewinnung und später für Blumenerde und Gärtnereibedarf führten zum weitgehenden Verschwinden ursprünglicher Moore mit aktiver Torfbildung. Im Zuge der Klimaerhitzung hat man festgestellt, dass die Torfbildung unter Mooren eine sehr effektive Form der Kohlenstoffspeicherung darstellt. Deshalb werden seit einiger Zeit große Anstrengungen unternommen, um aktive Moore zu regenerieren. Dies muss aber nicht unbedingt zur Herstellung des ursprünglichen Zustandes führen. Eine Alternative sind die sogenannten Paludikulturen, bei denen auf wieder vernässten Torfböden nutzbare Pflanzenproduktion betrieben wird. Geerntet werden können nicht nur Schilf und Sauergräser sondern auch Torfmoose, aus denen ein für Gärtnereizwecke besonders wertvolles, dem Hochmoortorf entsprechendes Grundsubstrat gewonnen werden kann. Die Kohlenstoff-speichernden Torfschichten bleiben erhalten. Auch weitere ökologische Funktionen wie Regulierung des Wasserhaushaltes und Erhalt von Lebensräumen für moortypische Tiere und Pflanzen blieben – zumindest teilweise – erhalten (Tanneberger, Schroeder 2023)
Migration
Arten, die sich in einem Gebiet ausgebreitet und etabliert haben, in dem sie zuvor nicht heimisch waren, nennt man Neobiota (auch Neobionten, Sing.der Neobiont). Enger gefasst versteht man darunter nur solche Arten, für deren Einbürgerung indirekt oder direkt menschliche Aktivitäten verantwortlich waren. Arten, die sich ohne menschlichen Einfluss ausgebreitet haben, werden dann als Neueinheimische (Neonative) bezeichnet. Besonders wichtig für Neobiota im engeren Sinne ist der weltweite Güterverkehr.
Nach einer Recherche von Kleunen et al. 2015 wurden bs dahin weltweit 13.168 Pflanzenarten durch menschliche Aktivitäten in neuen Gebieten eingebürgert. Besonders neobiontenreich ist Nordamerika, die größte Anzahl der weltweit neu eingebürgerten Arten stammt aus Europa. Beides hängt vermutlich direkt mit der Kolonisation zusammen, die von Europa ausging.
Vom Naturschutz wird diese menschenbedingte Migration zumeist als großes Problem angesehen, da neu eingewanderte Arten etablierte, heimische Arten verdrängen und Ökosysteme verändern können. Der Naturschutz versucht deshalb, diese Migration zu verhindern und die Migranten wenn möglich wieder aus den neu eroberten Gebieten zu verdrängen. Tatsächlich haben Neobiota teilweise zu drastischen Veränderungen der ursprünglichen Ökosysteme beigetragen. Dies gilt besonders für pazifische Inseln, die von europäischen Kolonisatoren nicht nur mit landwirtschaftlichen Nutzpflanzen und Nutztieren (Schweine, Ziegen) sondern auch mit Ratten und europäischen Wildpflanzen von Äckern und Weiden „geimpft“ wurden. Die sehr speziellen Ökosysteme hatten solchen im wahrsten Sinne des Wortes invasiven Arten nichts oder wenig entgegenzusetzen und viele auf den Inseln endemisch Arten wurden ausgerottet.
Andererseits ist Migration ein sehr natürlicher Vorgang, der für die Geschichte des Lebens auf der Erde eine entscheidende Rolle gespielt hat. Mancuso (2021) bezeichnet Migration nicht ganz zu Unrecht sogar als „Essenz des Lebens“. Allen Lebewesen, so Mancuso, sei ein „Wandertrieb“ eigen, das Bestreben, sich möglichst effektiv auszubreiten, das Verbreitungsareal zu vergrößern. Durch solche Wanderungen bedingte Veränderungen wären für die Entwicklung des Lebens auf unserem Planeten – nicht zuletzt auch für die Evolution des Menschen – von großer Bedeutung. Vom Menschen geförderte oder verursachte Migration ist nicht etwas grundsätzlich anderes als natürliche Migration, allerdings kann vom Menschen geförderte Ausbreitung natürliche Ausbreitungsschranken schneller überwinden und auch große Entfernungen können durch moderne Verkehrsmittel schnell überbrückt werden.
Um den Artenbestand von Inseln zu erklären, haben MacArthur und Edward O. Wilson 1967 die mittlerweile breit akzeptierte Gleichgewichtstheorie der Inselbesiedelung entwickelt. Danach stellt sich – qualitativ leicht zu beschreiben – auf jeder Insel ein Gleichgewicht zwischen Einwanderungsrate und Aussterberate der Arten ein. Je mehr Arten auf einer Insel vorhanden sind, desto geringer ist die Einwanderungsrate. Entweder, da keine Arten zur Einwanderung mehr zur Verfügung stehen, oder, da es keinen Platz mehr für die neu zugekommenen Arten gibt, da also keine „Nischenbildung“ mehr für sie möglich ist. Umgekehrt ist die Aussterberate umso größer, je mehr Arten auf der Insel sind. Steht genügend Zeit zur Verfügung, stellt sich ein Gleichgewicht ein, eine bestimmte Artenanzahl. Die Zusammensetzung der Arten, das Artenspektrum, kann sich oder muss sich allerdings weiter ändern, da ja immer Arten aussterben und Arten einwandern, jeweils in einer Rate, die dem Gleichgewicht entspricht. Ohne Migration würde die Artenanzahl auf Inseln danach kontinuierlich abnehmen. Dies gilt aber natürlich auch für andere mehr oder weniger abgeschlossene Gebiete und vermutlich sogar für ganze Kontinente.
Die meisten Neobiota haben sich gut in die Ökosysteme integriert, ohne dass nachteilige ökologische Auswirkungen erkennbar wären. Eine gezielte Bekämpfung ist deshalb in den meisten Fällen nicht notwendig und – wenn sich die Arten schon weit verbreitet haben – auch wenig erfolgversprechend. Die Ausbreitung und Etablierung von Neobiota kann bei sich veränderndem Klima sogar eine Stabilisierung von Ökosystemen bedeuten. Auch das Bundesamt für Naturschutz empfiehlt deshalb eine weitgehende Akzeptanz der Neubürger und eine Bekämpfung nur in begründeten Einzelfällen.
Verkehr
Die Hauptprobleme, die sich durch privaten und öffentlichen Verkehr ergeben, sind die Zerschneidung der Landschaft und die Produktion schädlicher Abgase. Das zweitgenannte Problem versucht man durch „grüne Energie“ und Abschaffung von Verbrennungsmotoren zu beheben. Das erste Problem ist für die natürliche Funktionsabläufe in einer Landschaft besonders gravierend. Es könnte zum Teil dadurch behoben werden, dass die Zerschneidungseffekte von Verkehrswegen durch grüne Brücken vermindert werden, noch effektiver durch großzügigen Brücken- und Tunnelbau. Dabei spielt die fachgerechte Ausführung und Unterhaltung der Grünverbindungen eine entscheidende Rolle (Peters-Ostenberg, Henneberg 2023).
Auch durch Alleen kann der schädliche Zerschneidungseffekt von Verkehrswegen gemindert werden. Außer ihrer Bedeutung als vernetzendes Element stellen sie selbst vielseitige Lebensräume dar.
Städte und Siedlungen
Zwischen 1985 und 2015 hat die die Ausdehnung von Städten und Siedlungen jährlich um 9687 km² zugenommen, mit steigender Tendenz (Liu et al. 2020). Damit ist der Flächenverbrauch der Städte schneller gewachsen als die Bevölkerung. Für eine nachhaltige Entwicklung müssen Städte deshalb „ökologischer“ werden. Damit ist gemeint, dass Funktionsabläufe in dem Ökosystem Stadt stärker den Funktionsabläufen in einem natürlichen Ökosystem entsprechen sollen. Eine Stadt mit großen Grünanlagen wie Parks und Gärten bietet zwar eine hohe Lebensqualität und eine bessere Ökobilanz. Dies geht aber insofern auf Kosten der Umgebung, als sie mehr Fläche für denselben umbauten Raum benötigt. Eine Erfolg versprechende Möglichkeit für dicht bebaute Großstädte ist die Integration von Bauwerken und Grünanlagen.
Neben Minderung des Klimawandels durch eine Verbesserung der CO2-Bilanz können dadurch auch die Auswirkungen einer Klimaerwärmung verringert werden (Lass u. a. 2022). Schließlich wirken mit Sachverstand begrünte Städte auch dem Verlust der Biodiversität entgegen.
Dächer
Schon lange zählt es zu Attributen ökologischer Bauweise, Dächer zu begrünen. Die Etablierung und Ausgestaltung solcher Dachgärten und Wiesen ist aber noch sehr stark ausbaufähig, wie man auf Luftbildern von Städten leicht erkennen kann. Begrünte Dächer können durch Brücken vernetzt werden. Durch treppenartige Anordnung von Gebäudeteilen können Verbindungen zur Grundfläche hergestellt werden. Beim Bewuchs selbst könnte dem Prinzip „Wachsen lassen“ mehr Raum gegeben werden.
Fassaden
Auch begrünte Fassaden gibt es schon lange, aber eher an alten Bauernhäuser auf dem Land als an mehrgeschossigen Stadthäusern, Bankhochhäusern und Industrieanlagen. Außerdem sind die bisher architektonisch verwirklichten Grünfassaden gärtnerisch aufwändige Konstruktion, die eine hohe Wartung benötigen. Ziel müsste es sein, möglichst wartungsarme sich selbsterhaltende Systeme zu erzeugen.
Eine Möglichkeit für eine schnelle flächenhafte Begrünung wären Module, die mit einfachen Mitteln an Fassaden angebracht werden können und die durch Anschluss an eine Bewässerungsanlage wartungsarm sind. Die Elemente könnten aus einem Gerüst bestehen, an dem mehrere auswechselbare Pflanzgefäße aufgehängt werden. Fensterfassaden könnten durch berankte Schnurgerüste – Hopfenfeldern vergleichbar – begrünt und beschattet werden.
Ein interessanter Vorschlag sind vorbegrünte Pflanzennetze. Solche „Urban Pergolas“ sollen als Verschattungssystem der Aufheizung von Fassaden entgegenwirken und die Städte in einen „diversen Großstadtdschungel“ verwandeln. Die Pflanzennetze können an einem oder zwischen mehreren Gebäuden angebracht werden und dadurch Grünflächen schaffen, ohne andere Nutzungen den Platz wegzunehmen (Urban Pergola 2021).
Balkone
Eine weitere Möglichkeit der vertikalen Begrünung, die in wenigen Beispielen schon verwirklicht ist, wäre die Ausgestaltung von Pflanzbalkonen mit Sträuchern und Bäumen (Boeri 2015).
Hochhäuser als Gewächshäuser, „Vertical Farming“
Diese platzsparende Form der Landwirtschaft setzt einen preisgünstigen Zugang zu alternativen Energien voraus, wird aber heute schon als eine wichtige, nachhaltige und zukunftsfähige Ergänzung zur Flächen gebundenen Landwirtschaft gesehen:
Wenn es in der Zukunft gelingt, den Kraftfahrzeugverkehr weitgehend aus den Stadtzentren herauszuhalten, werden dort auch keine Parkhäuser mehr benötigt und diese könnten zu „Plantscrapern“ werden (Despommier 2011).
Ritzen und Fugen
Der portugiesische Stadtplaner und Architekt Ángel Panero Pardo stellte auf dem großen Platz vor der Wallfahrtskathedrale von Santiago de Compostela während der Corona Pandemie fest, dass sich dieser Platz nach dem Ausbleiben der Pilger in ein Biotop für Wildkräuter verwandelt hatte. Die Fugen zwischen den Pflastersteinen waren grün. Der Stadtplaner überlegte, dass dieser zusätzliche Pflanzenwuchs sich eventuell positiv auf das Stadtklima auswirken könnte. Die Botaniker der Universität von Santiago de Compostela wurde mit einer Untersuchung beauftragt und sie stellten mit einer Wärmebildkamera fest, dass die bewachsenen Ritzen eine bis zu 28 °C niedrigere Oberflächen-temperatur aus aufwiesen als die Steine (Prinz 2023).
Dieses Ergebnis fand in den Medien einen breiten Widerhall, obwohl es eigentlich nicht so verwunderlich ist. Wenn man Fugen und Ritzen in Pflastern und Mauern nicht länger von jedem Bewuchs frei hält, sondern Bewuchs zulässt, hat dies einen messbar positiven Einfluss auf das Stadtklima.
Gärten
Ein besonders großes Potenzial stellen Privatgärten dar, die vor allem in den Randbereichen der Städte in Vierteln mit Einfamilien- und Reihenhäusern konzentriert sind. Hier gilt meist das Prinzip, dass nur wachsen darf, was gepflanzt wurde. Der Garten darf nicht „verwildern“. „Un“kraut jäten ist deshalb neben Rasen mähen und Hecken schneiden die häufigste Beschäftigung des Hobbygärtners. Um das Unkraut ohne zu viel manuelle Tätigkeit fern zu halten, hat sich schon vor einigen Jahrzehnten verbreitet, die Beete mit einer Schicht aus keimungs- und wachstumshemmendem Rindenmulch zu bedecken.Seit einigen Jahren wird eine noch pflanzenfeindlichere Methode, das Auskiesen von Gartenflächen, immer beliebter.
Dabei gibt es viele Möglichkeiten, natürliche Funktionsabläufe im Garten zuzulassen oder sogar zu fördern und so eine „Verwilderung“ zu ermöglichen, die durchaus ästhetischen Ansprüchen gerecht werden kann:
Zierpflanzen, die gut gedeihen, fördern, auf solche, die schlecht wachsen oder sehr viel Pflege benötigen, verzichten,
auf Pestizide verzichten oder sie nur sehr gezielt bei einzelnen befallenen Pflanzen einsetzen,
Wildpflanzen nur entfernen, wenn sie gewünschte Zier- oder Nutzpflanzen schädigen oder verdrängen,
Wildpfanzen unter Hecken oder Sträuchern wachsen lassen,
Rasenflächen, die rein ornamentale Funktion haben, zu mageren (nicht gedüngten), höchstens zweimal im Jahr gemähten Wiesen umwandeln,
Abstellflächen (z.B. Autostellplätze) nicht pflastern oder asphaltieren, sondern als Schotterrasen gestalten,
Einfahrten mit unterbrochenen Pflastersteinen befestigen, die Bewuchs und Wasserversickerung ermöglichen,
abgeblühte Blütenstände und abgestorbene Fruchtstände wenigstens teilweise stehen lassen, auch über Herbst und Winter (Vogelfutter, Überwinterungsplätze für Insekten)
Gartenabfälle vor Ort kompostieren,
aus Strauch- und Baumschnitt Reisighaufen anlegen,
Gartenmauern als Trockenmauern anlegen, Mauerritzen können zur schnelleren Begrünung mit passenden Pflanzen geimpft werden (Zimbelkraut, Mauerraute, Schöllkraut, Polster von Mauermoosen wie Drehzahnmoos, Kissenmoos)
Abwechslungsreiche Besiedelungsflächen schaffen (Sandflächen, Lehmböden, humusreiche Böden, Stein- bzw. Bauschutthaufen),
Regenwasser vom Dach (und versiegelten Flächen) in Zisterne sammeln und als Gießwasser (ggf. auch für Teich /Bachlauf) nutzen.
Ergänzend zu den genannten Maßnahmen können Verkehrswege, insbesondere Straßen und Schienenverkehr, wie U-Bahnen unter die Oberfläche verlegt werden, wodurch Platz für bodenständige Grünanlagen aber auch Rad- und Fußwege gewonnen würde.
So könnten schließlich Städte entstehen, die ganz in einem grünen Pelz eingehüllt sind und die sich fast übergangslos in die umgebende Landschaft einfügen (vgl. Jean Nouvel 2014, Boeri 2015).
Verwilderung zulassen
Ein Garten, in dem verhältnismäßig wenig pflegerische Eingriffe vorgenommen werden, „verwildert“. Diese Art von Verwilderung ergibt sich aus natürlichen Funktionsabläufe, die nicht durch menschliche Eingriffe unterbrochen werden. Wenn man sich bei allen Eingriffen und Pflegemaßnahmen – Manipulationen der Natur – überlegt, welche Ziele mit Ihnen verfolgt werden sollen und ob diese Ziele notwendig und sinnvoll sind, wird man schnell erkennen, dass man auf viele Eingriffe verzichten könnte. Ein solcher Verzicht ist ein Schritt in Richtung Wildnis, wenn man unter Wildnis Vewilderung, das Zulassen natürlicher Prozesse, versteht.
Quellen
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Bundesamt für Naturschutz: Neobiota – Gebietsfremde und invasive Arten in Deutschland. https://neobiota.bfn.de/
Crutzen, P. J. (2002): Geology of mankind. Nature 415, p.23
Daily, G. C. (2001): Ecological forecast. Nature 411, p.245
Despommier, D. (2011): The vertical farm: Feeding the world in the 21th century. Picador (Nachdruck der Ausgabe von 2010)
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Lass, W., Reusswig, F, Walther, C.; Niebuhr, D.; Schürheck, T. Grewe, H. A. (2022): Hitzeaktionsplan für das Land Brandenburg (HAP BB). Gutachten, 20.9.22, Potsdam.
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MacArthur, R. H., Wilson, E. O (1967): The Theory of Island Biogeography. Princeton: University Press
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Tanneberger, F., Schroeder, V. (2023): Das Moor. München: dtv
Trommer, G. (2023): Der wilde Rest. In: Riedel, W. (Hrsg., 2023): Zwischen Wildnis und Energielandschaft. Husum, S. 195-218
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Wohlleben, P. (2013): Der Wald –ein Nachruf. München: Ludwig
Der Artikel erschien in dem mittlerweile vergriffenen UB-Heft 355 „Struktur und Funktion bei Pflanzen“ von 2010. Diese Fassung wurde an einigen Stellen erweitert, verändert bzw. aktualisiert.
Was sind Pflanzen?
Eine leichte Frage? – Aber was könnte man darauf etwa einem Außerirdischen antworten? Vielleicht: „Pflanzen sind Nichttiere.“ Also alle Lebewesen, die keine Tiere sind, sich nicht wie diese fortbewegen, fressen, mit ihren Sinnesorganen die Umwelt wahrnehmen und auf diese Umweltreize reagieren, Lebewesen die keine Nerven und Muskeln besitzen sind Pflanzen.
Wenn man das Inhaltsverzeichnis des „Strasburger, Lehrbuch der Botanik“ – seit mehr als hundert Jahren das klassische Lehrbuch der Pflanzenkunde – aufschlägt, entspricht der Inhalt dieser Vorstellung. In dem Lehrbuch werden Bakterien, Archäen, Pilze, Schleimpilze, Algen, Moose, Farne und Samenpflanzen behandelt – auch in der 37. Auflage von 2014. Einmal wird man bei genauerem Studium feststellen, dass die vorher aufgezählten „Vorurteile“ nicht alle aufrechterhalten werden können, zum zweiten sind die Unterschiede dieser Gruppen so groß, dass es nicht sehr sinnvoll erscheint, sie unter einem Oberbegriff zu fassen.
Vielleicht sollte man es deshalb mit einer positiven Definition versuchen: „Pflanzen sind grün“, sie enthalten Chlorophyll und sind damit zur Photosynthese in der Lage. Sie können aus Wasser und Kohlenstoffdioxid mithilfe von Lichtenergie und Mineralstoffen organische Stoffe wie Kohlehydrate, Lipide, Proteine und Nukleinsäuren aufbauen. Mit dieser Definition erreicht man, dass außer den Tieren auch die Pilze und die meisten Bakterien aus dem Pflanzenreich ausgeschlossen werden. Allerdings gibt es einige wirklich „echte Pflanzen“, die das Chlorophyll verloren haben und sich als Parasiten von anderen Pflanzen oder von Pilzen ihre Nährstoffe besorgen. Ihr Pflanzenstatus ist aber – wegen ihrer großen Ähnlichkeit zu verwandten grünen Pflanzen – kaum zu leugnen. Nicht sehr überzeugend an dieser Definition ist auch, dass damit sehr unterschiedliche Lebewesen, wie Blaugrüne Bakterien, viele chlorophyllhaltige Einzeller, mehrzellige, kugelige, fädige, flächige oder kompliziert strukturierte Algen sowie Moose, Farne und Samenpflanzen in einen Topf geworfen werden.
Deshalb erscheint es sinnvoller, als „Pflanzen“ Lebewesen zusammenzufassen, die nicht nur die Fähigkeit zur Photosynthese gemeinsam haben sondern auch noch weitere deutliche Ähnlichkeiten in Strukturen und Funktionen erkennen lassen. Solche Pflanzen haben einen dreidimensionalen Körper aus vielzelligen Geweben, der am Boden festgewachsen ist und sich in die Luft erhebt. Sie haben eine große Oberfläche, mit der sie im Stoffaustausch mit der Umgebung stehen und über die sie die für die Photosynthese nötige Lichtenergie auffangen können.
Entsprechend dem schon 1969 von Robert H. Whittaker vorgeschlagenen „Fünf-Reiche-System“ der Lebewesen werden wir uns in diesem Heft mit „Pflanzen im engeren Sinne“, also Moosen, Farnpflanzen und Samenpflanzen beschäftigen, dabei stehen die Bedecktsamigen Samenpflanzen im Mittelpunkt. Dies erscheint gerechtfertigt, da auch nach neuesten phylogenetischenn Vorstellungen ( ADL u. a. 2005) auf molekulargenetischer Basis die whittaker´schen Plantae eine monophyletische Gruppe sind.
Aus diesen Überlegungen ergibt sich eine funktionsbestimmte Definition für typische Pflanzen:
Pflanzen sind festsitzende, nachwachsende Lichtfänger mit Durchflusssystem
Festgewachsen in der Erde
Vom Lager zum Spross
Typisch für Pflanzen ist ein Vegetationskörper, der sich in die „Grundorgane“ Sprossachsen, Blätter und Wurzeln gliedert. Farnpflanzen und Samenpflanzen sind solche „Sprosspflanzen“ (Kormophyta). Die ursprünglichsten Pflanzen, die Moose, haben recht unterschiedliche Vegetationskörper, die jedoch in jedem Fall noch keine vollkommene Gliederung in Blätter, Sprossachsen und Wurzeln zeigen. Aber sie bilden wie Sprosspflanzen aus der befruchteten Eizelle einen von Schutzhüllen umgebenen Embryo, weshalb man beide zusammen auch als Embryophyta bezeichnet.
Die ersten Pflanzen, die sich deutlich in den Luftraum erhoben, entstanden vor mehr als 400 Millionen Jahren, im Silur. Diese Urfarne bestanden, wie etwa in den Gattungen Cooksonia und Rhynia, aus gabelig verzweigten Achsen, die einige Dezimeter hoch werden konnten (Bell, Hemsley 2000, Abb. 2). Bei der Differenzierung in Sprossachsen, Blätter und Wurzeln blieben die ursprünglichen Gewebe – Bildungsgewebe, Abschlussgewebe, Grundgewebe, Leitgewebe, Festigungsgewebe – erhalten. Sie sind nur entsprechend den unterschiedlichen Funktionen der verschiedenen Grundorgane jeweils anders angeordnet (Kasten Grundorgane).
Grundorgane der Sprosspflanzen
Sprossachsen
Sprossachsen ähneln in ihrem Aufbau deutlich den ursprünglichen Achsen der Urfarne. Sie dienen dazu, die Assimilations- und Transpirationsorgane, die Blätter, im Luftraum zu positionieren. Dazu benötigen sie je nach Höhe eine größere oder kleinere Biegungsstabilität, die durch besondere Festigungsgewebe und Einlagerung von Lignin in die Zellwände erreicht wird. Außerdem müssen durch Sprossenachsen Stoffe über größere Distanzen transportiert werden (Wasser- und Assimilatetransport, Transport von Mineralstoffen, Hormonen usw.). Sie wachsen über Bildungsgewebe (Meristeme) an ihren Spitzen. Zunächst ruhende Meristeme in tiefer liegenden Bereichen (Knospen) führen, wenn sie aktiviert werden, zur Ausbildung von Seitensprossen (Zweigen).
Die Sprossachsen vieler Pflanzen sind zu sekundärem Dickenwachstum in der Lage, das von einem zylinderförmigen Bildungsgewebe, dem Kambium, ausgeht.
Blätter
Laubblätter sind Organe der Photosynthese und der Transpiration. Im Gegensatz zu Sprossachsen haben sie in aller Regel ein sehr begrenztes Spitzenwachstum, das später durch basales Wachstum ergänzt wird. Sie erreichen relativ schnell ihre endgültige Größe. Sie sind im typischen Fall in Stiel und Spreite gegliedert und zeigen eine deutliche Oben/Unten-Differenzierung der Gewebe als Angepasstheit an die Ausrichtung senkrecht zum Lichteinfall. Die Ausgestaltung der Blattorgane zeigt eine sehr große Vielfalt und viele Pflanzenarten kann man an der Form ihrer Blätter erkennen. Diese morphologische Vielfalt setzt sich in bestimmtem Umfang auch noch innerhalb einer Art und sogar innerhalb eines Individuums fort. Nicht selten kommt es zu einer großen Variationsbreite zwischen Jungendblättern und Altersblättern, Sonnenblättern und Schattenblättern usw. . ).
Typische Bildungen der Blattepidemis sind die Spaltöffnungen, die aus zwei meist bohnenförmigen Zellen bestehen, die eine Öffnung umschließen, die je nach äußeren und inneren Bedingungen geöffnet und geschlossen werden kann. Sie erlauben den Pflanzen eine Regulation des Gasaustausches, insbesondere der Transpiration von Wasserdampf und der Aufnahme von Kohlenstoffdioxid. Entsprechend ihrer Funktion als Transpirations- und Photosyntheseorgane sind Blätter in der Regel dorsiventral organisiert und senkrecht zum Lichteinfall hin ausgerichtet. Die Epidermis der Blattoberseite enthält keine Spaltöffnungen, nach innen schließt an die obere Epidermis ein Gewebe aus zylinderförmigen, dicht gepackten Zellen an. Dieses Palisadenparenchym enthält besonders viele Chloroplasten. Zur Blattunterseite hin folgt das lockere Schwammparenchym, zwischen dessen rundlichen Zellen große Interzellularen ausgebildet sind, die direkt mit den Poren der Spaltöffnungen in der unteren Epidermis in Verbindung stehen und so dem effektiven Gasaustausch dienen. Von diesem Grundaufbau eines Laubblattes gibt es allerdings sehr viele Abweichungen.
Wurzeln
Während Sprossachsen und Blätter in der Regel oberhalb der Bodenoberfläche gebildet werden, sind Wurzeln die im Boden liegenden Teile der Pflanzen. Neben der Stoffaufnahme dienen sie der Verankerung der Pflanzen und damit ihrer Standfestigkeit. Entsprechen dieser Funktionen tragen sie keine Blätter und bilden auch keine Spaltöffnungen aus. Die Anordnung des mechanischen Gewebes im Zentrum stärkt die Zugfestigkeit und nicht die Biegungsstabilität. Meist handelt es sich um sehr stark verzweigte Organe, die durch diese starke Verzweigung eine große Oberfläche bilden. Diese Oberfläche wird zusätzlich an den Wurzelspitzen durch sogenannte Wurzelhaare – Auswüchse von Wurzelhaut-(Rhizodermis -)Zellen – erhöht. Nur über diese vordersten Wurzelspitzen können die Pflanzen Wasser und Mineralstoffe aufnehmen. Bei ihrem Vordringen in den Boden werden die empfindlichen Wurzelspitzen von einer Wurzelhaube (Kalyptra) aus ständig nachwachenen Zellen geschützt.
Wie die Sprossachsen haben viele Wurzeln die Fähigkeit zum sekundären Dickenwachstum.
Sekundäres Dickenwachstum
Die kontinuierliche Verdickung der Achsenorgane ist für anhaltend wachsende große Pflanzen aus zwei Gründen wichtig:
zur Sicherung der Stabilität und
zur Gewährleistung der Transportkapazität
Im Gegensatz zu dem primären Dickenwachstum, das von den Apikalmeristemen ausgeht, ist für das sekundäre Dickenwachstum ein zylinderförmiges Meristem im Achsenorgan, ein Kambium, verantwortlich. Es kann entweder als Restmeristem des Vegetationspunktes erhalten bleiben oder sich sekunär aus bereits differenzierten Zellen neu bilden.
Bei Einkeimblättrigen Bedecktsamern ist sekundäres Dickenwachstum selten. Die sprichwörtlich schlanken Palmenstämme sind ein Beispiel dafür, dass selbst baumförmige Pflanzen ohne sekunäres Dickenwachstum auskommen können, allerings nur mit einem sehr ausgeprägten primären Dickenwachstum. Bei den Wurzeln umgehen viele Einkeimblättrigen das Problem dadurch, dass immer wieder neue sekundäre, sprossbürtige Wurzeln gebildet werden.
Metamorphosen
Komplexe Evolutionsschritte sind nicht umkehrbar oder wiederholbar. Dies gilt jedoch nicht für den Funktionswandel. So kennt man im Pflanzenreich sehr viele Beispiele dafür, dass sich aus Sprossachsen (erneut) flache blattähnliche Organe gebildet haben und zwar in der Regel bei Pflanzen, die vorher aus anderen evolutionären Gründen ihre Blätter verloren haben. Am häufigsten kommt es zu einem solchen Blattverlust bei Pflanzen trockener Standorte (Xerophyten), die dadurch eine Verringerung der transpirierenden Oberfläche erreichen. Wenn später unter günstigeren Bedingungen der Besitz blattähnlicher Organe wieder von Vorteil wäre, kommt es jedoch nicht zu einer „Regeneration“ der verlorenen Blätter, vielmehr bilden sich aus Sprossachsenabschnitten „neue“ Blätter (Phyllokladien). Der Weg, von gefiederten Blättern wieder zu gnzrndigen Blattern zu kommen, führt über den Verlust der Blattspreite und die Verbreitrung des Blattstiels (Phyllodien, mehrfach bei der Gattung Acacia)
Besonders charakteristische Blattmetamorphosen, auf die schon Goethe aufmerksam gemacht hat, stellen die Blütenorgane dar. Unterirdische Sprossabschnitte können Wurzeln sehr ähnlich werden. Von echten Wurzeln unterscheiden sie sich jedoch oft durch kleine Schuppenblättchen und durch die Art der Verzweigung. Viele solcher unterirdischer Sprossachsen, die wie Wurzeln aussehen, sind uns recht vertraut, etwa die Rhizome (Erdsprosse) der Quecken, des Giersch oder der Winden.
Man spricht auch von „Metamorphosen“, wenn sich Grundorgane zu „neuen Organen“ umbilden, z. B. zu Dornen oder zu Ranken. Dabei sind Spross- und Blattdornen häufig, Wurzeldornen kommen nur selten vor. Dasselbe gilt für Sprossranken und Blattranken, Wurzelranken sind selten, Haftwurzeln (Efeu!) häufiger.
Emergenzen, Haare, Drüsen
Neben den Sonderstrukturen aus umgebildeten Grundorganen bilden Pflanzen auf ihren Oberflächen und auch im Inneren eine Vielfalt von Spezialstrukturen aus: Im Gegensatz zu Dornen sind Stacheln keine umgebildeten Grundorgane sondern Auswüchse oberflächennaher Gewebe. Haare entstehen aus einzelnen Oberflächenzellen, die sich jedoch mehrfch teilen können. Sie konnen rein mechanische Funktionen erfüllen, z. B. dem Verdunstungsschutz oder dem Lichtschutz dienen oder als kompakte Strukturen auch als Kletterhilfen. Besonders wirksame Fraßschutzeinrichtungen sind die Brennhaare der Brennnessel. Von manchen Haarzellen werden etherische Öle produziert (Drüsenhaare). Innere Drüsen sind oft mehrzellige Gebilde, die ihre Sekrete in interzellulare Hohlräume abscheiden. Sonderzellen in Geweben (Idioblasten) können der Stoffspeicherung oder der Ausscheidung dienen. Auch Harze und Milchsäfte können in speziellen Zellen im Inneren gebildet werden. Solche sogenannten sekundären Pflanzenstoffe sind für die Nutzung der Pflanzen als Heilkräuter oder Gewürze von Bedeutung.
Lichtfänger und Produzenten
Photoautotrophie
Das hervorragende gemeinsame Merkmal der Pflanzen ist, dass sie Lichtenergie zum Aufbau von organischen Bau- und Betriebsstoffen aus anorganischen Stoffen nutzen können (Photosynthese, vgl. z. B. UB 411, 328, 320, 249, 120, 35,). Sie fressen nicht, sie produzieren ihre Nährstoffe – Kohlenhydrate, Proteine, Lipide – selber und die Energie dazu liefert das Sonnenlicht. Dabei gelingt Pflanzen nicht nur die Assimilation von anorganischen Kohlenstoff sondern auch von Nitraten, Phosphaten und Sulfaten. Ähnlich wie Photovoltaikanlagen eine möglichst große dem Licht zugewandte Oberfläche benötigen, gilt dies auch für die „Photovoltaikanlage grüne Pflanze“, ihre Panele sind die grünen Blätter.
Diese primäre Produktion von organischen Stoffen macht sie – zusammen mit Algen und vielen Prokaryoten – zu Primärproduzenten, von denen die Stoffkreisläufe und Energieflüsse in allen Ökosystemen und in der gesamten Biosphäre ausgehen.
Dabei darf man allerdings nicht unterschlagen, dass die Pflanzen – genau wie alle anderen Lebewesen – für den lebenserhaltenden Energieumsatz Nährstoffe benötigen. Sie können diese Stoffe jedoch – im Gegensatz zu Tieren und vielen anderen Lebewesen – selbst herstellen, allerdings nur in Zellen mit Chloroplasten. Einige Pflanzen haben keine chloplastenhaltigen Zellen mehr und leben als Parasiten von anderen Pflanzen oder von Pilzen. Alle Pflanzen haben viele chloroplastenfreie Zellen und Gewebe, insbesondere ist das ganze Wurzelsystem normalerweise chloroplastenfrei und muss von den grünen oberirdischen Pflanzenteilen versorgt werden.
Primärstoffwechsel und Sekundärstoffwechsel
Wichtigstes Organell des aufbauenden (anabolen) Stoffwechsels sind die Chloroplasten, wichtigstes Organell des abbauen (katabolen) Stoffwechsels die Mitochondrien. Für die Lebensfunktionen grundsätzlich wichtige Stoffwechselwege fasst man als „Primärstoffwechsel“ zusammen. Von Zwischenprodukten (Metaboliten) des Primärstoffwechsels gehen gerade bei Pflanzen eine überaus große Anzahl von Art zu Art und von Verwandtschaftsgruppe zu Verwandtschaftsgruppe unterschiedlicher Stoffwechselwege aus, die man als Sekundärstoffwechsel bezeichnet . Bis heute kann man sich keine rechte Vorstellung von der Funktion der unübersehbaren Vielfalt dabei produzierter, meist flüchtiger organischer Substanzen machen. Ein Teil dieser Substanzen wirkt als Signalstoff, ein weiterer Teil dient der Abwehr von Fressfeinden. Zum Teil handelt es sich wohl nur um Ausscheidungen überflüssiger Stoffe. Global-ökologisch spielen solche gasförmigen Ausscheidungen von Pflanzen (VOCs von „volatile organic compounds“) eine wichtige Rolle, denn sie können sekundär organische Aerosole bilden, die die Wolkenbildung fördern (Probst 2009 in UB 349).
Stofftransport im Durchflusssystem
Voraussetzung für einen geordneten Stoffumsatz in einem Organismus ist, dass die Ausgangstoffe an den Reaktionsorten zur Verfügung stehen und dass die Endprodukte abtransportiert werden. Für die Stoffverteilung in den Pflanzen ist – anders als bei den durch ein Kreislaufsystem gekennzeichneten Tieren – der Wasserdurchfluss von den Wurzeln in die Blätter entscheidend. Auch Tiere müssen zwar ständig Wasser aufnehmen, doch im Vergleich zur im Körperkreislauf zirkulierenden Flüssigkeitsmenge ist diese Aufnahme gering – beim Menschen stehen 2-3 l täglicher Flüssigkeitsaufnahme 7000 bis 8000 l durch den Blutkreislauf bewegter Flüssigkeit gegenüber. Bei Pflanzen ist es genau umgekehrt. Auch hier gibt es in gewissem Umfang einen Kreislauf des Wassers zwischen Xylem und Phloem (Abb. 7), im Vergleich zum Wasserstrom, der vom Boden durch die Wasserleitungsbahnen bis zur Verdunstung in den Blättern führt, ist die dabei umgesetzte Menge aber sehr gering.
Die Notwendigkeit eines solchen Durchflusssystems hängt einmal mit der Aufnahme von Nährmineralien aus dem Boden zusammen. Für die Produktion organischer Nähr- und Baustoffe benötigen die Pflanzen außer Kohlenstoff, Wasserstoff und Sauerstoff vor allem die Elemente Stickstoff,Phosphor, Schwefel, Kalium, Calcium, Magnesium und Eisen, die als Mineralstoffionen mit der Bodenlösung aufgenommen und mit dem Wasserstrom an die Syntheseorte transportiert werden. Dies ist ein „positiver“ Grund für den Wasserdurchfluss.
Zum anderen ist die Kohlenstoffaufnahme nur über die oberirdischen Pflanzenteile aus der Luft möglich. Dabei ist das Kohlenstoffdioxid nur in sehr geringen Mengen in der Luft enthalten und um dieses wichtigste Gerüstelement aller organischen Verbindungen in ausreichender Menge aufnehmen zu können, ist eine große Oberfläche notwendig. Eine große aufnehmende Oberfläche bedeutet aber gleichzeitig eine große Oberfläche für die Wasserverdunstung. Dies ist ein „negativer“ (oder besser unvermeidlicher) Grund für den Wasserdurchfluss.
Eine große, dem Licht zugewandte Oberfläche ist – wie schon erwähnt – auch für die Photosynthese wichtig, zumal Pflanzen festgewachsen sind und dem Licht nicht hinterher laufen – höchstens ein bisschen hinterherwachsen – können. Die Verbindung mit der Wasserverdunstung ist dabei allerdings nicht ganz so eng wie bei der CO2-Aufnahme, da eine weitgehende Abdichtung der Oberflächen den Lichtfang nicht behindern würde.
Grundlage für alle Transportvorgänge in Pflanzen sind aktive oder passive Transporte durch Membranen, für Transporte über größere Entfernungen stehen spezielle Leitungsgewebe zur Verfügung.
Wasser- und Mineralstoffaufnahme in der Wurzel
Durch Diffusion bzw. Osmose wird Wasser an den Wurzelspitzen einmal in die Wurzelhaarzellen zum anderen kapillar in die Zellwände aufgenommen und osmotisch oder kapillar bis zu den Zellen der Endodermis geleitet. Dort verhindert eine Imprägnierung der seitlichen Endodermiszellwände einen weiteren kapillaren Wassertransport . Alles Wasser muss über die Membranen und das Plasma der Endodermiszellen geleitet werden. Dies gilt auch für die im Wasser gelösten Mineralstoffionen, die selektiv durch Zellmembranen aufgenommen werden, sowohl durch passiven als auch durch Stoffwechselenergie umsetzenden aktiven Transport.
Xylemtransport
Über die Endodermis gelangt das Wasser in die Leitbündel und in die bereits abgestorbenen röhrenförmigen Tracheen und Tracheiden. Treibende Kraft für den Weitertransport ist das negative Wasserpotenzial der Atmosphäre, das sich über die Spaltöffnungen, die Interzellularen der Blätter, die Kapillaren der Mesophyllzellwände und die Mesophyllzellen auf die Wassersäulen in den Leitungsbahnen auswirkt.
Dieser negative Druck kann jedoch nur zum Transport genutzt werden, wenn die Wasserfäden in den Tracheiden und Tracheen nicht abreißen. Dafür sind vor allem drei Sachverhalte entscheidend (Christian, Probst in UB 255,2010):
Die Kohäsionskraft zwischen den Wassermolekülen
Die Adhäsionskraft der Wassermoleküle an die Zellwände und Zellwandkapillaren
Die Oberflächenspannung in den Zellwandkapillaren am Ende der Wassersäule
Dies würde im Prinzip ausreichen, um Wasser weit höher als 100 m zu transportieren. Da es sich jedoch nicht um reines Wasser handelt, kommt es in den Leitungsbahnen über kurz oder lang trotzdem zur Gasblasenbildung (Cavitation). Nach Kanduč et al. 2020 hängt dies mit wasserunlöslichem Lipiden in den Wasserleitungsbahnen zusammen. Werden solche Cavitäten zu groß, reißt die Wassersäule ab. Dadurch wird die Stärke der theoretisch maximal tolerierbaren Unterdrücke von -1000 bar in reinem Wasser auf weniger als -100 bar reduziert..
Phloemtransport
Auch für den Ferntransport der bei der Photosynthese produzierten Assimilate gibt es ein spezialisiertes Leitungssystem. Diese organischen Stoffe werden in wässriger Lösung über die Siebröhren bzw. Siebzellen des Phloems transportiert. Im Gegensatz zum Wasserstrom, der stets von den Wurzeln zu den Blättern fließt, kann die Assimilatelösung bedarfsabhängig in beiden Richtungen fließen. Über 90% des Siebröhrensaftes besteht aus Zuckern, v.a. aus Rohrzucker (Saccharose), außerdem sind Aminosäuren, Amide, Nucleotide (viel ATP) und organische Säuren enthalten. Motor des Transports ist der hohe osmotische Wert am Ausgangspunkt. Dadurch strömt Wasser in die Siebröhre ein. Der hydrostatische Druck führt dazu, dass Wasser am Ende der Leitung ausgepresst wird und Wasser von der Seite in die Siebröhren mit der höheren Konzentration nachfließt (Druckstrommodell). Für diesen Transport sind die siebartig durchbrochenen Querwände von Bedeutung.
Normalerweise werden die Assimilate in die wachsenden Meristeme an Spross- und Wurzelspitzen und in Speicherorgane (Knollen, Rüben) transportiert, überschüssiger Phloemsaft kann auch über besondere Drüsen (Nektarien) ausgeschieden werden. Vermutlich gehen die Nektardrüsen der Blüten auf solche Zucker-Ausscheidungsdrüsen zurück.
Blattläuse zapfen das Phloem an. Wenn sie ihre Rüssel aus den Siebröhren herausziehen, fließt der unter Druck stehende Phloemsaft noch einige Zeit nach und die überzieht die Blätter mit einem Zuckerfilm.
Durchlüftungssysteme
In den meisten pflanzlichen Gewebe schließen die Zellen nicht dicht aneinander, sie lassen vielmehr zwischen sich ein System aus Zwischenräumen (Interzellularen) frei, das letzten Endes über die oberflächlichen Spaltöffnungen mit der Außenluft in Verbindung steht. Der Stoffaustausch erfolgt über Diffusion. Dies gilt auch für Sumpf- und Wasserpflanzen und ihre unterirdischen bzw. untergetauchten Teile. Den langen Stängel der Seerosenblätter kann man als Schnorchel für das im Teichboden sitzende Rhizom auffassen.
Beim Mikrokospieren pflanzlicher Gewebe stört häufig der Luftgehalt in der Interzellularen, weil er im Nasspräparat wegen der anderen Lichtbrechung der Luft als schwarz umrandetes Objekt sichtbar wird. Deshalb ist es sinnvoll, größere Pflanzenorgane, z. B. Blätter oder Sprossachsen, bevor man sie mikroskopiert, in einer Saugflasche zu „entlüften“.
Nachwuchs
„Wachsen“ ist ein Begriff, der besonders mit Pflanzen verbunden wird, die man ja deshalb auch als „Gewächse“ bezeichnet. Wenn man Zweige abschneidet, wachsen sie nach, man kann Hecken hundertmal schneiden, Rasen tausendmal mähen und Feldhecken alle 8 Jahre „auf den Stock setzen“. Aus Knospen treiben diese gestutzten Pflanzen immer wieder neue Sprosse. Früher waren Niederwälder so ausdauernde Brenn- und Nutzholzlieferanten, nachwachsenden Rohstoffquellen. Eiben und Buchsbäume wurden von den Gärtnern der Barockgärten zu Skulpturen gestutzt.
Nachwuchs produzieren Pflanzen häufig asexuell , z. B. über Ausläufer, Ableger, Brutknospen, Brutzwiebeln. Nachwuchs kann aber auch sexuell hervorgebracht werden, bei ursprünglichen Pflanzen über einzellige Sporen, Samenpflanzen schützen ihren Nachwuchs im Samen, ähnlich wie Reptilien ihre Jungen in Eiern mit Eihüllen.
Die Entwicklung einer Pflanze lässt sich in 3 Phasen einteilen:
embryonale Phase
Wachstums und Reifephase
Reproduktive Phase und Seneszenz
Bei einjährigen Pflanzen kann dieser Lebenslauf innerhalb weniger Monate oder sogar Wochen ablaufen. Das wichtigste pflanzliche Versuchsobjekt, die Acker-Schmalwand (Arabidopsis thaliana) ist ein Beispiel dafür. Bei Bäumen wird die dritte Phase oft erst nach Jahren oder sogar Jahrzehnten erreicht und kann dann nahezu unbegrenzt anhalten.
Entwicklung des Embryos
Die ersten Entwicklungsschritte bis zur Anlage der Grundorgane laufen schon im Samen ab. Die Zygote streckt sich zunächst auf die etwa dreifache Länge, dann teilt sie sich inäqual. Aus der kleineren Zelle wird der Embryo (Keimling), die größere bildet den Suspensor, der den Embryo mit dem Nährgewebe der Samenanlage verbindet. Am Ende der Embryonalentwicklung steht das Herzstadium, in dem die Keimlingsstrukturen weitgehend festgelegt sind. An den beiden Endabschnitten der apikal-basalen Achse liegen die primären Meristeme, die als selbstregulierende Stammzellensysteme alle postembryonalen Strukturen der Pflanzen hervorbringen. Dazwischen liegen die Keimwurzel, das Hypokotyl (Sprossachse zwischen Wurzel und Keimblättern) und die Keimblätter. Die weitere Entwicklung führt im Prinzip immer wieder zu denselben Differenzierungen und damit auch zu denselben Strukturen (Wurzeln, Sprossachsen, Blätter). Diese Module können allerdings – z. B. bei der Blütenbildung (.s.u.) – erheblich variiert werden. Diese Entwicklung wird von Entwicklungsgenen gesteuert und von Umweltfaktoren und endogenen Faktoren moduliert.
Entwicklungskontrolle durch Genboxen
Alle pflanzlichen Entwicklungs- und Differenzierungsvorgänge werden von Phytohormonen gesteuert. Dazu müssen zunächst die Enzyme produziert werden, die für die Hormonsynthese notwendig sind. Gleichzeitig müssen auch Gene aktiviert werden, deren Produkte für die Empfindlichkeit einer Zelle gegenüber einem Hormon zuständig sind, z. B. die Rezeptormoleküle in der Zellmembran und die Proteine für eine mögliche Signalkette im Cytoplasma. Auch für die Steuerung der Translation im Zellkern und die anschließende Aktivierung oder Hemmung der Translationsprodukte können spezielle Genprodukte notwendig sein.
Alle Entwicklungsschritte werden dadurch möglich, dass von den Genen, die in allen Körperzellen vorhanden sind, einem genauen zeitlich–räumlichen Muster folgend immer nur ganz bestimmte Gene exprimiert werden. Dieses Muster der Entwicklung wird durch eine Hierarchie von Kontrollgenen möglich, die jeweils für Transkriptionsfaktoren codieren, die andere Gene an- oder abschalten können. Für die DNA-Bindung dieser als Transkriptionsfaktoren wirkenden Genprodukte ist eine besondere Proteindömäne verantwortlich, der einem bestimmten Genabschnitt entspricht, der als „Box“ bezeichnet wird. Bei diesen Boxen handelt es sich um sehr konservative Genabschnitte, die sich über lange Evolutionsabschnitte nicht verändert haben und die zum Teil allen Eukaryoten gemeinsam sind (Seyffert 2003, S. 699 ff)
Organidentitätsgene steuern die Bildung der Blütenorgane
Eine für Pflanzen besonders bedeutende Proteindomäne ist die MADS-Box. Mittlerweile kennt man über 100 verschiedene MADS-Box-haltige Transkriptionsfaktoren, die in allen Reichen der Lebewesen vorkommen. Der Name stellt die Anfangsbuchstaben von vier Genprodukten dar, von denen zwei bei Pflanzen, eines bei der Bäckerhefe und eines beim Menschen gefunden wurden. Erste erfolgreiche Untersuchungen zur Wirkung von Kontrollgenen bei Pflanzen wurden an MADS-Box-Genen durchgeführt, die für die Entwicklung des Blütenbereiches wichtig sind und Organidentitätsgene genannt wurden.
Als Blütenorgane bezeichnet man die wirtelig angeordneten Teile einer Blüte, die von außen (bzw. unten) nach innen (bzw. oben) als Kelchblätter, Kronblätter, Staubblätter und Fruchtblätter (meist verwachsen zum Stempel) bezeichnet werden. Schon Goethe war aufgefallen, dass es bei der Blütenbildung ab und zu „Verwechslungen“ zwischen den Blütenwirteln kommen kann, dass z. B. aus Staubblättern Kronblätter werden und „gefüllte“ Blüten entstehen.
Die Entwicklung zu einer Blüte beginnt am Vegetationspunkt einer Sprossachse. Das Meristem an der Sprossspitze bildet – induziert durch äußere oder innere Faktoren – keine Laubblattanlagen mehr, sondern Anlagen von Blütenorganen. Dabei kann man drei Hierarchieebenen von Genen unterscheiden. Auf der untersten Ebene geht es um die Ausbildung der verschiedenen Blütenwirtel und dabei werden die Organidentitätsgene wirksam (Abb. 9):
Gen A wird in den beiden äußeren Wirteln exprimiert, die zu Kelch- und Kronblättern werden.
Gen B wird in den Wirteln zwei und drei exprimiert, die Kronblätter und Staubblätter bilden.
Gen C wird in den beiden inneren Wirteln exprimiert, aus denen Staubblätter und Fruchtblätter hervorgehen.
Die Wirkungsweise der Organidentitätsgene kann man sich so vorstellen, dass die Gene A, B und C jeweils nur für eine Untereinheit eines aus zwei Untereinheiten zusammengesetzten Transkriptionsfaktors codieren: A-A, A-B, B-C, C-C. Man kann in diesem Fall von einer kombinatorischen Genregulation sprechen. Die Zusammensetzung des Dimers entscheidet darüber, welche anderen Gene von dem Transkriptionsfaktor aktiviert werden. Besteht im Beispiel ein Dimer nur aus den beiden Untereinheiten A, werden Kelchblätter produziert, besteht es aus A und B, bilden sich Kronblätter aus, besteht es aus B und C, werden Staubblätter gebildet und besteht es aus zwei C´s, entstehen Fruchtblätter.
Wenn nun durch eine Mutation der Promotor, der normalerweise Gen C aktiviert, an Gen A gekoppelt wird, bilden sich keine Staub- und Fruchtblätter, sondern nur Kelch- und Kronblätter aus. Dieses Grundmuster wird durch weitere Organidentitätsgene noch etwas differenziert, außerdem gilt es nur für einen Teil der Bedecktsamer.
Licht spielt als entwicklungssteuernder Faktor bei Pflanzen eine entscheidende Rolle. Lichtabhängige Entwicklungsvorgänge (Photomorphogenese) können von Blaulicht oder Rotlicht abhängen.
Keine Vorurteile gegenüber Pflanzen !
Gängige Vorurteile sprechen Pflanzen tierliche Fähigkeiten ab: Pflanzen sind bewegungslos, sie haben keine Sinnesorgane, kein Skelett und keine Muskeln, sie haben kein Nervensystem und sie können nicht Kommunizieren und Kommunikationen verarbeiten („Denken“). Gerade bei Kindern führen solche Vorstellungen dazu, dass Pflanzen nicht unbedingt als Lebewesen eingestuft werden, deshalb sollen sie etwas ausführlicher widerlegt werden.
Bewegungslos?
Wenn man die reife Frucht eines Springkrauts anfasst, spürt man eine Reaktion zwischen den Fingern, die fast an einen Muskel erinnert. Die Frucht platzt auf, indem sich die Fruchtklappen nach innen rollen und die Samen werden ausgeschleudert. Allerdings liegen dieser Bewegung keine Muskelzellen und auch kein Nervengewebe zugrunde, denn diese spezialisierten Zellen kommen bei Pflanzen nicht vor. Trotzdem sind Reaktionen auf Umweltreize und die Verarbeitung solcher Reize möglich und in einigen Fällen führt dies auch zu auffälligen und schnellen Bewegungen.
Krümmen, Klettern, Öffnen und Schließen – Wachstumsbewegungen
Viele beobachtbare Bewegungen von Pflanzen, die auch Reaktionen auf Umweltreize darstellen können, gehen auf Wachstumserscheinungen zurück. Wenn sich in der zylinderförmigen Sprossachse einer Pflanze die wachsend Zellen auf der einen Seite stärker strecken als auf der anderen Seite, kommt es zu einer Krümmung. Wenn diese Streckungen periodisch um die Achse herum stattfinden, kommt es zu Windebewegungen. So kann das Sprossende einer Zaunwinde oder einer Bohnenpflanze kreisende Bewegungen ausführen, die wie das Suchen nach einer Unterlage aussehen. Ist diese Unterlage gefunden, wird sie relativ schnell umwunden, denn die Pflanze kann den Widerstand fühlen. Noch komplizierten wird es bei der Aufrollbewegung von Ranken. Auch hier wandert das Streckungswachstum um die Sprossachse, aber – da die Ranken am Vorder- und am Hinterende fixiert sind – muss mindestens ein Umkehrpunkt eingebaut werden. Bei der Steuerung dieser Bewegungsvorgänge von Windepflanzen spielen sowohl endogene Rhythmen als auch Umweltreize, z. B. Berührungsreize, eine wichtige Rolle.
Noch weiter verbreitet ist die Hinwendung pflanzlicher Sprossachsen zum Licht, also eine einfache Krümmungsbewegung in Richtung einer Lichtquelle. Umgekehrt zeigen Wurzeln oft eine Krümmung vom Licht weg. Solche Wachstumsbewegungen, die von einem Außenreiz ausgelöst werden, nennt man auch Tropismen und je nach Reiz spricht man von Photo-, Geo- oder Hydrotropismen, die positiv oder negativ sein können oder auch das Mittel zwischen zwei Reizeinflüssen einhalten können (Plagiotropismus), z. B. beim horizontalen Wachstum von Seitenzweigen. Nicht selten führen Pflanzenorgane richtiggehende Wachstumsprogramme durch. Die Blütenstiele von Mohnpflanzen z.B. krümmen sich vor dem Aufblühen stark ein, bei Auflühen strecken sie sich wieder. Eine ähnliche Abfolge von Krümmung und Streckung kann man bei den Blütenstände zu flach nichts beobachten.sdd
Vergleicht man solche Wachstumsbewegungen von Pflanzen mit Bewegungen von Tieren, so ergeben sich deutliche Unterschiede. Insbesondere sind diese auf Wachstumsvorgänge beruhende Bewegungen alle sehr langsam, sie können von uns nur indirekt wahrgenommen werden und sie sind eher mit den Form- und Proportionsveränderungen vergleichbar, die im Laufe der Keimesentwicklung von Tieren auftreten.
Die zweite große Gruppe pflanzlicher Bewegungen beruht auf Änderungen des Zellbinnendrucks von Pflanzenzellen, des sogenannten Zellturgors, der in der Regel durch den unterschiedlichen Wassergehalt der Zentralvakuolen der Pflanzenzellen zustande kommt. Dieser wird wiederum über den osmotischen Wert gesteuert.
Für fast alle Pflanzengruppen sind Spaltöffnungen charakteristisch. Das sind von zwei Schließzellen umgebene Poren in der Außenhaut (Epidermis), die in Abhängigkeit von äußeren und inneren Reizen geöffnet und geschlossen werden können. Ist der Turgor der bohnenförmigen Schließzellen hoch, bilden sie eine nahezu kreisförmige Gestalt, die in der Mitte einen Porus offen lässt. Ist der Turgor niedriger, sorgt der Druck des übrigen Gewebes dafür, dass die Schließzellen aneinandergepresst werden. Dies ist die klassische Bewegungsreaktion, es gibt viele Abwandlungen und Sonderformen, die durch die besondere Gestalt der Schließzellen und ihre Anordnung in der Epidermis zustande kommen. Turgorschwankungen sind aber in jedem Fall der Motor der Bewegung. Ursache für diese Turgorschwankungen sind Schwankungen im Ionengehalt, insbesondere im Kaliumionengehalt der Schließzellvakuolen und dieser Ionengehalt kann durch aktive Pumpmechanismen verändert werden. Die Regulation der Spaltöffnungsbewegung sorgt dafür, dass die Pflanzen mit der schwierigen Aufgabe zurecht kommen, in der trockenen, kohlenstoffdioxidarmen Atmosphäre weder zu verhungern noch zu verdursten.
Spektakulärer, da ohne optische Hilfsmittel sichtbar, sind andere Turgorbewegungen von Pflanzen. Da wären so auffällige Beispiele wie die „Schamhafte Mimose“ oder Sinnpflanze (Mimosa pudica) oder die Venusfliegenfalle (Dionaea muscipula) zu nennen. Die Reizreaktionen dieser Pflanzen erinnern wirklich an nerven- und muskelgesteuerte Bewegungen von Tieren. Für die Bewegungen sind nicht nur einzelne Zellen, wie bei den Spaltöffnungen, sondern ganze Gewebe verantwortlich, deren Turgor aktiv verändert werden kann. Dabei kommt die schnelle Bewegung in der Regel durch einen plötzlichen Turgorabfall zustande, die anschließende „Regeneration“, die mit einem Aufbau des alten Turgorzustanden verbunden ist, dauert etwas länger.
Ähnlich wie das Öffnen und Schließen einer Tür werden Turgorbewegungen zwar oft von Außenreizen bewirkt, sie laufen aber unabhängig von der Richtung der Reizquelle ab. Solche Bewegungen werden als Nastien bezeichnet
Neben reversiblen Turgorbewegungen kennt man irreversible. Hierzu zählt das oben angesprochene Beispiel des Springkrauts. In den schmalen zylinderförmigen Zellen der äußeren Fruchtwand wird ein hoher Turgordruck aufgebaut, der schließlich zu einem Aufreißen der Frucht an präformierten Nähten zwischen den Fruchtblättern führt. Sind die Fruchtblätter erst voneinander getrennt, können sich die zylinderförmigen Zellen ausdehnen und dadurch werden die Fruchtblätter nach Innen eingerollt. Dabei spielt allerdings auch noch die elastische Zellwand eine Rolle. Wenn sich die Zellen der Außenwand erst einmal abgerundet haben, ist eine Rückkrümmung er Fruchtklappen nicht mehr.
Verbiegen und Verdrehen – Quellungsbewegungen
Für das Funktionieren von Pflanzen sind auch Bewegungen von Bedeutung die keine physiologischen sondern rein physikalische Ursachen haben, hierzu zählen Quellungs- und Kohäsionsbewegungen. Entscheidend für diese Bewegungen sind Zellulosestrukturen (Abb. 3). Zellulose ist aus fädigen Molekülen aufgebaut, die zu sogenannten Mizellen zusammengefasst sind. Diese Zellulosesemizellen können in unterschiedlicher Richtung in eine Zellwand eingelagert sein, ähnlich wie die Faserstrukturen im Papier. Zwischen die Mizellen kann Wasser eingelagert werden. Dies führt zu einer Ausdehnung und zwar stärker quer zur Faserrichtung als in Faserrichtung. Sind die Faserrichtungen in zellulosehaltigen Pflanzenstrukturen geordnet aber in verschieenen Schichten unterschiedlich, so kann dies beim Quellen zu Krümmungsbewegungen führen. Bei den Schuppen von Nadelholzzapfen zum Beispiel, aber auch bei vielen Fruchtklappen oder -zähnchen sind die Zellulosemizellen außen vorwiegend quer und innen längs angeordnet. Die stärkere Außenquellung bei Wassereinlagerung führt dazu, dass sich Nadelholzzapfen bei Feuchtigkeit schließen und bei Trockenheit durch nach außen Krümmen der Schuppen wieder öffnen. Dadurch wird erreicht, dass die Samen nur bei Trockenheit ausfallen können, was für deren Windverbreitung von Vorteil ist. Weitere auffällige Beispiele für solche Quellungsbewegungen zeigen viele Öffnungsklappen von Früchten oder die Peristomzähnchen an den Kapseln von Moossporogonen.
Je nach Anordnung der Micellen kann bei diesen Bewegungen nicht nur zu Krümmungen sondern auch zu Schraubungen kommen. Besonders einrucksvoll ist die lange, wie ein Drillbohrer wirkene Fruchtklappe des Reiherschnabels.
Auch solche Quellungsbewegungen können mit dem Bruch von präformierten Nähten verbunden sein. Bei vielen Schmetterlingsblütlern öffnen sich die Hülsen nahezu explosionsartig, beim Blauregen (Wisteria sinensis) zum Beispiel mit einem richtigen Knall. Dies kommt dadurch zustande, dass bei Austrocknung sich allmählich eine Spannung aufbaut, die schließlich zum Aufreißen an präformierten Nahtstellen führt. Oft kann man dieses Aufreißen als kleinen Knall wahrnehmen (z. B. bei Lupinen, beim Blauregen oder bei der Blatterbsen-Wolfsmilch).
Bei dem Aufreißen von Farnsporangien, spielt die Köhäsion der Wassermoleküle eine wichtige Rolle.
Von einem Ort zum andern
Pflanzen können nicht aktiv kriechen, laufen, schwimmen oder fliegen, sich zum Beispiel gerichtet auf eine Reizquelle (Taxie) zubewegen oder einer Spur folgen. Passive Ortsbewegungen sind aber möglich. So sind viele Wasserpflanzen nicht festgewachsen. Sie fluten frei an der Oberfläche oder untergetaucht im Wasserkörper und werden von Strömungen mitgetragen. Nur so konnte sich die Wasserhyazinthe (Eichhornia crassipes) – ursprünglich im Amazonasgebiet zuhause – über fast alle tropischen und subtropischen Gewässer verbreiten und die Kanadische Wasserpest (Elodea canadensis) hätte andres nicht in kurzer Zeit zu einer die Schiffahrt bedrohenden „Pest“ in europäischen Gewässern werden können.
Einjährige Wüsten-oder Steppenpflanzen können, wenn sie nach der Samenreife absterben, zu „Wüstenrollern“ werden, die vom Wind beträchtliche Strecken über den Steppenboden gerollt weren und dabei die Samen allmählich ausstreuen.
Dies schafft den Übergang zu den Pflanzenteilen, die auf Fortbewegung spezialisiert sind, weil sie der Ausbreitung dienen sollen. Sie werden Diasporen genannt. Diasporen können Sporen, Samen, Früchte, Teilfrüchte und vegetative Ausbreitungseinheiten wie Brutknospen, Brutzwiebeln, Spross- und Wurzelknollen oder Butkörper sein. Triebkräfte bzw.Transportmittel für die Ortsbewegung sind Wind, Wasserströmung, die Schwerkraft, Tiere und der Mensch. Dabei wird in der botanischen Literatur streng zwichen Ausbreitung, dem Fortbewegungsvorgang einer Diaspore, und der oft daraus resultierenden geografischen Verbreitung einer Pflanzenart unterschieden.
Knochenlos?
Die Bewegungen der Tiere kommten i. A. durch das Zusammenspiel von Muskeln und Skelett zustande. Dabei kann es sich um ein inneres Knochenskelett (Wirbeltiere), einen äußeren Skelettpanzer (Indsekten und andere Panzerhäuter – Ecdysozoa) oder auch ein Hydroskelett (Regenwurm und andere Würmer) handeln. Pflanzen haben sowohl ein den Knochen entsprechendes Innenskelett, das aus Geweben mit verdickten Zellwänden besteht, als auch ein Hydroskelett.
Tierzellen haben keine Zellwände, die harten Skelettelemente bilden sich aus Abscheidungen der Zellen in den extrazellulären Raum. Demgegenüber besitzt jede Pflanzenzelle eine feste Zellwand, die vor allem aus langkettigen Polysacchariden, insbesondere aus Zellulose, besteht. Es können aber weitere Stoffe eingelagert oder aufgelagert sein, z. B. Lignin bei verholzten Zellwänden oder Siliziumdioxid bei Gräsern und Schachtelhalmen. Pflanzenzellen machen in der Regel nach ihrer Bildung eine lange Phase der Volumenzunahme durch, wobei eine starre Zellwand sehr hinderlich wäre. Deshalb sind die Polysaccharidfasern in den Zellwänden junger Pflanzenzellen noch wenig fixiert und der Volumenzunahme folgend können immer neue Fasern eingebaut werden. Erst wenn die Zelle ihre endgültige Größe erreicht hat, kommt es zu einer zunehmenden Stabilisierung und Verfestigung der Wände, die vor allem durch einen regelmäßigen Wechsel in der Textur der Zellulosefibrillen und zunehmenen Querverbindungen zwischen den Fibrillen erreicht wird.
Durch die Bildung von Zellen mit sehr dicken Zellwänden können mechanisch stark belastbare Gewebe entstehen. Dabei kann es sich um lange Zellfasern handeln, die vor allem Zug- und Dehnungsstabilität bewirken und die von der Textilindustrie auch als „Pflanzenfasern“ genutzt werden (Baumwolle, Hanf, Lein, Jute, Sisal usw.) oder um isodiametrische Steinzellen, die vor allem Druckbelastungen standhalten. Durch die kompakte Anordnung von Zellen mit stark verdickten und verholzten Zellwänden kann eine hohe Druck- und Biegungsstabilität erreicht werden.
Besonders eindrucksvoll sind die kompakten Holzkörper der großen Bäume, die allerdings zum großen Teil aus abgestorbenen Zellen bestehen. Der lebende Baum bildet nur einen hautartigen Überzug über dem toten Holzskelett. Es gibt aber auch beeindruckene Beispiele für Leichtbauweisen. Viele Pflanzenkonstruktionen zeigen, wie mit möglichst geringem Materialaufwand möglichst große Stabilität oder Festigkeit erzeugt werden kann, z. B. reißfeste Blätter, biegungsstabile Grashalme, oder tragfähige Säulenkakteen.
Typisch für Pflanzenzellen sind außerdem Vakuolen mit wässerigem Inhalt, die bei ausgewachsenen Zellen meist den größten Anteil des Zellinneren ausmachen (Zentralvakuole). Je höher der Gehalt der Vakuole an osmotisch wirksamen Substanzen, je niedriger also ihr Wasserpotenzial, desto mehr Wasser wird von außen angezogen und desto größer wird der Binnendruck des Zellkörpers gegen die Zellwand, den man auch als Turgor bezeichnet. Für die Stabilität eines Pflanzensprosses ist dieses durch den Turgor gebildete Hyroskelett von großer Bedeutung. Dies kann man daran erkennen, dass Pflanzen bei Wasserverlust „verwelken“. Sie sind dann nicht mehr in der Lage, ihr eigenes Gewicht zu tragen: Ihre Blätter hängen schlaff herab und sie biegen sich zum Boden.
Vakuolen dienen aber auch als Stoffreservoir für die Pflanzenzellen. Hier können organische Säuren gespeichert werden, ebenso wasserlösliche Farbstoffe. Es kann auch zum Ausfallen schwer löslicher Verbindungen in Vakuolen kommen, die dann mit dem Absterben der entsprechenden Pflanzenteile, z. B. der Blätter, auf diese Weise ausgeschieden werden. Eine wichtige Funktion der Vakuolen ist auch die der Wasserspeicherung. Besonders große Vakuolen kommen in den Früchten vor und wir genießen den leckeren Vakuoleninhalt, wenn wird die saftigen Früchte essen oder die ausgepressten Fruchtsäfte trinken.
Sinnenlos?
Pflanzen haben keine richtigen Sinnesorgane wie Augen und Ohren, sie sind aber durchaus in der Lager, physikalische und chemische Umweltreize wahrzunehmen, insbesonere Licht und Schatten, Schwerkraft, Erschütterungen und Berührungen, Wärme (bzw. Temperaturunterschiede) sowie Wasser und bestimmte Mineralstoffe.
Für die Lichtwahrnehmung sind v.a.zwei Pigmentsysteme, das Phytochromsystem und das Phototropinsystem verantwortlich. Das Phytochrom ist – wie das Chlorophyll und das Häm – ein Tetrapyrol, das allerdings keinen Porphyrinring bildet, sondern in offenkettiger Form vorliegt. Durch die Absorption von Photonen kann es seine Konfiguration ändern. Dadurch wirkt es wie ein lichtabhängiger Schalter. Bei Belichtung mit hellrotem Licht der Wellenlänge 665 nm wird Phytochrom in ein Molekül umgewandelt, das dunkelrotes Licht (735 nm) absorbiert, bei Belichtung mit dunkelrotem Licht wird dieses wieder in das Hellrot-absorbierende Phytochrom zurück verwandelt. Die jeweils zuletzt eingestrahlte Lichtqualität entscheidet über die ausgelöste Entwicklung. In der Zelle ist das Phytochrom an ein Protein gebunden. Das Phytochromsystem ist z. B. für die Samenkeimung von Licht- und Dunkelkeimern und für das extreme Streckungswachstum im Dunkeln (Etiolement, Vergeilung) verantwortlich.
Für die Krümmung von Pflanzensprossen zum Licht (Photropismus) ist nur der blaue Anteil des Lichts verantwortlich. Als wahrnehmendes Pigmentsystem konnte das Chromoprotein Phototropin nachgewiesen werden. Blaulicht wird von dem Apoprotein es Phototropins, einem Flavinmononucleotid, absorbiert und dies bewirkt, dass ein Phosphat an das Phototropin angehängt wird. Das so aktivierte Phototropin setzt eine Signaltransduktionskette in Gang, die dazu führt, dass im Sprossmeristem verstärkt das Phytohormon Auxin produziert wird. Es wird zunächst auf die dunkle Seite des Vegatationskegels verlagert und dann vorwiegend über die basalen Zellmembranen weitergegeben. Dafür sind bestimmte Effluxproteine und Afflux-Carrier verantworlich. Das Auxin verstärkt das Streckungswachstum der Zellen dadurch, dass die H+-ATP-aseaktivität und die K+-Aufnahme durch die Zellmembran verstärkt werden.
Auch zur Wahrnehmung der Schwerkraft bzw. der Massenbeschleunigung haben Pflanzen sehr empfindliche Einrichtungen, die in mancher Hinsicht an Schweresinnesorgane von Tieren erinnern. Da in Schwerkraft-empfindlichen Pflanzenteilen wie Wurzelhauben, Keimscheiden und Sprossachsen auffällig assymmetrisch gelagerte Stärkekörner (in Amyloplasten) auftreten, spricht man auch von Statolithenstärke. Es wir vermutet, dass der entscheidende Reiz die partielle Dehnung der äußeren Zellmembran ist, die durch das Gewicht des Protoplasten ausgelöst wird. Die Statolithenstärke erhöht das Gewicht.
Viele Pflanzen – v.a. kletterne Sprossachsen und Ranken – können Berührungsreize wahrnehmen. Bei der fleichfessenen Venus-Fliegenfalle gibt es eine Reizwahrnehmung durch Sinnesborsten, ein Aktionspotenzial und eine Erregungsleitung . Noch ausgeprägter ist die Erregungsleitung bei der Sinnpflanze (Mimosa pudica).
Wurzelspitzen können chemische Reize wahrnehmen, z. B. Phosphationen, Wassermoleküle und Sauerstoffmoleküle. Auf diese Weise können Baumwurzeln kleinste Risse in unterirdischen Wasserleitungen aufspüren und in den Wasserleitungen dann verstopfende „Wurzelzöpfe“ bilden.
Sprachlos und gedankenlos?
Vor mehr als 35 Jahren erregte ein Buch mit dem Titel „Das geheime Leben der Pflanzen“ viel Aufsehen (Tompkins, Bird 1973). Die Autoren stellen darin „Pflanzen als Lebewesen mit Charakter und Seele und ihren Reaktionen in physischen und emotionalen Beziehungen zum Menschen“ dar. Sie schildern, wie eine ausgedehnte sprachliche Kommunikation mit Pflanzen möglich sei und wie man die Gefühle seines Gummibaumes oder seiner Palmlinie durch Zuspruch günstig oder ungünstig beeinflussen könne. Pflanzen werden in diesem Buch gewissermaßen als „bessere Menschen“ dargestellt. Von Botanikern und Pflanzenphysiologen wurde diese Veröffentlichung natürlich nicht ernst genommen und zu Recht ist es schnell still geworden um die angeblich objektiven Experimente der an Lügendetektoren und Oszilloskope angeschlossenen Pflanzen. Allerdings weiß man heute viel mehr über Signalaufnahme, Verarbeitung und Weitergabe von Pflanzen und über Formen pflanzlicher Kommunikation als vor 30 oder 40 Jahren und dabei wurden durchaus erstaunliche Fähigkeiten entdeckt. So besitzen Pflanzen ein großes Repertoire an Signalstoffen, die sie in Abhängigkeit von Umwelteinflüssen einsetzen können, um im eigenen Pflanzenkörper oder auch bei Nachbarpflanzen und sogar bei Tieren Reaktionen hervorzurufen.
Signalstoffe, die steuernd und regelnd in die inneren Entwicklungs- und Stoffwechselprozesse einer Pflanze eingreifen, werden in Analogie zu tierlichen Hormonen als Phytohormone bezeichnet. Phytohormone sind relativ kleine Moleküle, die Informationen von ihrem Bildungsort zu Zielzellen und Zielgeweben übertragen. In der Regel setzen sie in den Zielzellen eine Signaltransduktionskette in Gang, die zu einer Reaktion der Zelle führt . Diese Reaktion kann direkt im Cytoplasma stattfinden, sie kann aber auch über Transkriptionsfaktoren zum An- oder Abschalten von Genen führen. Dabei spielen Rezeptoren in der Zellmembran, verschiedene Proteine (G-Proteine, Proteinkinasen, phosphorylierte Proteine als Transkriptionsfaktoren) und kleine, als sog. sekundäre Botschafter (second messenger) wirkende Moleküle und Ionen wie Ca++, und cyclisches Adenin- bzw. Guanin-Monophosphat (cAMP, cGMP) eine Rolle (Tab. Phytohormone).
Viele Pflanzen produzieren chemische Abwehrstoffe, mit denen Fressfeinde oder Krankheitserreger abgewehrt werden können. Oft werden solche Stoffe erst produziert, wenn die Pflanzen von pflanzenfressenden Insekten oder anderen Herbivoren angeknabbert werden. Die Konzentrationen von Limonen und anderen Monoterpenen im Gewebe von Fichten und Lärchen zum Beispiel erhöhen sich als Reaktion auf Verletzungen. Limonen hat eine starke toxische Wirkung auf Borkenkäfer. Auch das Alkaloid Nikotin, das z. B. in Tabakpflanzen vorkommt, ist ein hochwirksamen Insektengift. In beschädigten Blättern erreicht es eine bis zu 10fach höhere Konzentration als in unbeschädigten.
Bestimmte durch Fraßfeinde hervorgerufene Verletzungen können Pflanzen dazu veranlassen, Stoffe wie Jasmonate als Signalstoffe an die Umgebung abzugeben. Diese Pheromone regen dann auch bei Nachbarpflanzen die Produktion von Abwehrstoffen an. Die Pheromonwirkung ist nicht nur auf Pflanzen derselben Art beschränkt. Manche Pflanzenarten setzen als Reaktion auf Herbivorenbefall sogar Substanzen frei, die die Parasiten dieser Pflanzenfresser anlocken. Maispflanzen, die durch den Fraß von Raupen der Zuckerrübeneule beschädigt wurden, produzierten unterschiedlich flüchtige Terpenoide, die nachweislich als Lockstoff für die auf den Raupen parasitierende Schlupfwespen (Cortesia marginiventris) wirken. . Die Signalketten, die von der Vielfalt flüchtiger Pflanzensubstanzen an ihren Zielen ausgelöst werden können, sind bisher zum großen Teil unbekannt, aber es gibt auch schon viele erforschte Beispiele (Abb. 10).
Besonders vielfältig ist der Signalaustausch der Pflanzen mit ihren Bestäubern, sowohl über optische als auch über chemische Signale
Ebenso wie bei der tierlichen Kommunikation spielt auch bei Pflanzen die Täuschung eine Rolle (Kasten Duftmimikry bei Orchideen).
Interesse wecken für das Andere? – Pflanzenkunde unterrichten
Pflanzen sind für Kinder und Jugendliche i.d.R. weniger faszinierend als Tiere. Dies belegen mehrere empirische Studien (z. B. Hesse 2000). Während schon Kleinkinder von Tieren begeistert sind und ihnen ihre ganze Aufmerksamkeit zuwenden, sind Pflanzen selbst für Kinder im Grundschulalter in der Regel gar keine richtigen Lebewesen. Pflanzen, Nicht-Tiere, reagieren nicht, wenn man sie anspricht oder streichelt, sie bewegen sich nicht von der Stelle, sie bellen, brüllen oder zwitschern nicht und sie lassen keinen Schmerz erkennen. Die große Bedeutung, die Pflanzen für das Landschaftsbild haben, ist für Kinder ebenfalls nicht wichtig, da sich Interesse und Gefühle für Landschaftsästhetik erst später entwickeln. Allerdings gibt es durchaus animierende Gefühle zu Pflanzen, die mit Ästhetik, Abenteuerlust oder Freude an technischen Funktionen zu tun haben:
Aus Pflanzen etwas gestalten: Blumenstrauß-Pflücken, Kränze und Blumenketten binden…
Aus Pflanzenteilen etwas konstruieren: Weidenpfeifen und Panflöten bauen, Wasser durch Löwenzahnstängel leiten, aus einem Schilfblatt ein Segelschiffchen bauen, einen Haselzweig zum Flitzebogen machen…
Pflanzenumgebungen für Abenteuer nutzen: auf Bäume klettern und Baumhäuser bauen, an einer Liane schaukeln, Baumstämme als Wippe nutzen, im Maisfeld Verstecken spielen, sich in Laubhaufen vergraben…
Auch das Phänomen der Samenkeimung und des Wachstums oder das Ableger Großziehen kann Kinder und Jugendliche faszinieren.
Pflanzenkunde-Unterricht muss an solche Erfahrungen und Vorstellungen anknüpfen. Entsprechende Versuche hat es in der Biologiedidaktik immer wieder gegeben: UB 184 „Kreative Botanik“, UB 275 „Pflanzen züchten und vermehren“, UB 286 „Außergewöhnliche Pflanzen“, „Pflanzen stellen sich vor“, „Gärten zum Leben und Lernen“ usw.
Im Rahmen des Modellversuches „Praxis integrierter naturwissenschaftlicher Grundbildung“ (PING) des Landes Schleswig-Holstein wurde für den 5/6. Jahrgang eine UE „Ich und die Pflanzen“ entwickelt, bei der der lebensweltliche Bezug der einzelnen Themen besonders wichtig genommen wird. Dabei wird allerdings in Kauf genommen, dass es oft nicht eigentlich um „Pflanzenkunde“ sondern um Selbsterfahrung („Phantasiereise zur blauen Blume“) oder um irgendwelche Nutzungen von Pflanzen oder pflanzlichen Produkten geht („Wie energiesparend kann ich mit Holz kochen“). Dabei ist der Ansatz sicherlich richtig, bei der Pflanzenkunde verstärkt von eigenen Erfahrungen oder Erfahrungen mit Tieren auszugehen, z. B. durch Fragestellungen wie „Können Pflanzen sehen?“, „Können Pflanzen atmen?“, „Können Pflanzen fühlen?“, „Können Pflanzen laufen, schwimmen, fliegen, klettern…?“ oder „Können Pflanzen um Hilfe rufen?“ . Dabei könnte von der eigenen Erfahrung (Wie klettere ich? Welche Hilfsmittel nutze ich zum Klettern?) die Funktion des Kletterns bei Pflanzen und dann der Bau (Pflanzenlösung des Funktionsproblems) behandelt werden. Ästhetische Erlebnisse mit schönen Blüten oder bizarren Blattmustern können der Ausgangspunkt für Fragen nach der biologischen Funktion und der physikalischen Grundlage der Phänomene sein – z. B. leuchtende Blütenfarben durch Totalreflexion an Interzellularen, Fettglanz durch Reflexion an Stärkeschichten, Samteffekt durch Lichtabsorbtion an feinen Papillen usw.
Gerade weil Kinder Pflanzen zunächst als keine echten Lebewesen oder Mitgeschöpfe ansehen, ist der Überraschungseffekt groß, wenn sie an Pflanzen tierliche Fähigkeiten entdecken können, z. B. rasche Bewegungsreaktionen auf Reize oder das „Fleischfressen“. Dabei kann sich die Lehrkraft Charles Darwin zum Vorbild nehmen. In seiner Autobiografie schreibt er: „Es hat mir immer große Freude bereitet, die Pflanzen in der Stufenleiter organisierter Wesen zu erhöhen. Ich empfand daher ein besonderes Vergnügen, als ich zeigen konnte, wie viele und wie wunderbar schön angepasste Bewegungen die Spitze einer Wurzel besitzt“ (Darwin, Erinnerungen…1876-1881, Aulis,Köln 1982, S.159).
Für unmittelbare Erfahrungen, Beobachtungen und Experimente am lebenden Objekt sind Pflanzen besonders gut geeignet., da die Untersuchungsobjekte i. d. R. leicht zu beschaffen sind , und auch, weil ethische Probleme, wie sie beim Experimentieren mit Tieren auftreten können, hier keine Rolle spielen. Schließlich stehen Pflanzen beim „Biologieunterricht im Freien“, bei Geländepraktika, Exkursionen, Schulgartenprojekten und Klassenfahrten schon deshalb im Vordergrund, weil sie die Struktur einer Lebensgemeinschaft maßgebend prägen, weil sie als leicht zugängliche Zeigerorganismen dienen können und weil man über Pflanzenarten viele ökologische Zusammenhänge erschließen kann. Auch wenn bei der Freilandbiologie ökologische Fragestellungen im Vordergrund stehen, kann man gerade auf Exkursionen auch viele Form- und Funktionszusammenhänge beobachten, erleben und verstehen.
Der richtige Weg einer zwar „humanzentrierten Pflanzenkunde“, der aber dazu führt, dass die Lernenden auch die Pflanze selbst und nicht nur ihre Beziehung zu derselben als interessant begreifen, bleibt das schwer erreichbare aber lohnende Ziel.
Quellen
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Dieser Beitrag beruht auf Recherchen, die ich im Zusammenhang mit dem Unterricht Biologie Heft „Naturschutz auf neuen Wegen“ (UB 465) durchgeführt habe. Das Heft ist im Sommer 2021 erschienen.
Seit Beginn der Industrialisierung haben sich die Verhältnisse auf unserem Bioplaneten Erde (Kattmann 1991,2004) durch exponentielles Wachstum von Wirtschaft und Bevölkerung drastisch verändert, besonders deutlich in den letzten Jahrzehnten. Dank der elektronischen Datenverarbeitung und immer genaueren Registrierungsmöglichkeiten durch Satelliten lassen sich diese Veränderungen recht genau beschreiben. Schon lange vorher gesagt aber erst in den letzten Jahren in den Mittelpunkt des kollektiven Bewusstseins gerückt ist die durch menschliche Aktivitäten verursachte Klimaerwärmung, um die Dimension dieser drastischen Entwicklung besonders zu betonen, wird neuerdings von „Klimaerhitzung“ gesprochen. Obwohl diese negativen Veränderungen besorgniserregend rasch voranschreiten, besteht nach wie vor Hoffnung auf eine Stabilisierung. Es gibt viele Ideen und auch schon realisierte Beispiele, wie man die Zukunft des Bioplaneten nachhaltiger gestalten könnte.
Bioplanetenschutz heißt Schutz der Funktionsabläufe
Nach konservativen Verständnis geht es im Naturschutz um den Erhalt oder gegebenenfalls auch die Wiederherstellung eines jetzigen oder früheren Zustandes, der den Menschen und seine Aktivitäten weitgehend ausklammert. In einem erweiterten Verständnis bedeutet der Schutz der Natur Schutz des Bioplaneten, d. h. insbesondere Schutz und Erhalt der Funktionsabläufe. In diesem Sinne können auch weitgehende Eingriffe und Manipulationen durch den Menschen (Geoengineering, synthetische Biologie), ökonomisch Maßnahmen wie Steuererhebungen oder juristische Maßnahmen wie Verbote von Verbrennungsmotoren oder Kohlekraftwerken als Naturschutzmaßnahmen verstanden werden.
Für die Rechtfertigung solcher Eingriffe sind einmal auf breiter wissenschaftlicher Basis erstellte Analysen und Prognosen erforderlich. Zum anderen müssen diese Erkenntnisse Grundlage von Bildung und Ausbildung werden. Neben neuen technischen Lösungen muss Naturschutz deshalb verstärkt um die menschliche Akteure einschließen. Sozio-ökonomische Aspekte müssen mit gedacht und interdisziplinär behandelt werden. Dazu gehören besondere Anreize für umweltfreundliches oder naturschutzkonformes Verhalten, deren Vorteile unmittelbar wirksam werden. Nur dann wird es möglich sein, den demokratischen Konsens herzustellen, der für eine politische Durchsetzung sinnvoller Maßnahmen notwendig ist.
Landschaftsgestalterische Maßnahmen können zur Renaturierung oder sogar Regenerierung von Ökosystemen führen oder neue artenreiche Ökosysteme entstehen lassen.
Die Wiedervernässung von Mooren kann deren Fähigkeit wieder herstellen, Kohlenstoff in unvollständig abgebautem Pflanzenmaterial zu speichern. Außerdem wirken die Torfkörper der Moore regulierend auf den Wasserhaushalt.
Die naturnahe Gestaltung von stillgelegten Kiesgruben, Steinbrüchen und Tagebauflächen (z. B. Braunkohle) kann ökologisch wertvolle Biotope und Landschaften entstehen lassen und damit die Biodiversität fördern.
Entrohrung, Renaturierung und Remäandrierung von Bachläufen kann die Wasserqualität verbessern, Überschwemmungsgefahren mindern und im Sinne eines natürlichen Wasserkreislauf wirken. Außerdem entstehen dadurch vielseitige Lebensräume, welche die Biodiversität fördern.
Die Anlage von marinen Hartsubstratböden, z. B. um Offshore-Windparks kann die Biodiversität fördern, insbesondere durch die Schaffung neuer Siedlungsflächen für Aufwuchsorganismen und Brutgebiete für Fische.
Durch geeignete Maßnahmen können bisher eher als Plantagen genutzte Waldgebiete in naturnahe Wälder umgebaut werden.
In potenziellen Waldgebieten kann der Anteil der Bewaldung durch Aufforstungsmaßnahmen erhöht werden.
Vor allem in Trockengebieten können überweidete Landschaften durch Regulierung des Weidegangs aufgewertet werden.
Für diese Renaturierungs- und Regenerationsmaßnahmen werden viele Arbeitskräfte benötigt. Durch entsprechende Förderprogramme können Landwirtschaft und Forstwirtschaft in Renaturierungsprogramme eingebunden werden.
Eine weitere Möglichkeit bestünde darin, für solche Aufgaben verstärkt das Militär einzusetzen und dafür entsprechende Kenntnisse und Fertigkeiten in die militärische Ausbildung einzubauen (J. Ellington in Randers 2012).
Besonders spektakuläre Großprojekte sind Chinas „Grüne Mauer“ und die 2005 diesem Vorbild folgende von der Afrikanischen Union initiierte grüne Mauer durch die Sahelzone . Sie sollen Wüstenbildung aufhalten und teilweise rückgängig machen.
Die chinesische „Grüne Mauer“ verdankt ihren Namen der chinesischen „Großen Mauer“: Während die Große Mauer Schutz gegen die Völker aus dem Norden bieten sollte, soll die Grüne Mauer vor Wüstenstürmen schützen. Das Projekt wurde schon 1978 begonnen und soll bis 2050 fortgesetzt werden. Bis dahin sollen 350.000 km² – dies entspricht etwa der Fläche der Bundesrepublik – mit Bäumen bepflanzt sein. Dabei besteht allerdings die Gefahr, dass durch die Bewässerung der neu angelegten Schutzwälder alte, flussbegleitende Wälder geschädigt werden (Missall u.a. 2018).
Afrikas „Grüne Mauer“ (GGWSSI; Great Green Wall of the Sahara and the Sahel Initiative) ist als 7775 km langer, mindestens 15 km breiter Baumstreifen geplant, der die Trockenregion am südlichen Rand der Sahara von Dakar bis Dschibuti durchziehen soll. Die Idee geht auf den 1987 ermordeten Präsidenten von Burkina Faso Thomas Sankara und auf die kenianische Professorin und Nobelpreisträgerin Wangari Maathai und ihr „green belt movement“ zurück. Unter der Präsidentschaft des damaligen Präsidenten von Nigeria Olusegun Obasanjo übernahm die Afrikanische Union das Projekt. Bisher wird es von 22 afrikanischen Staaten unterstützt. Mittlerweile sprechen viele Verantwortlichen nicht mehr von einer Mauer sondern eher von einem Mosaik, da verstärkt in Dorfgemeinschaften verwurzelte Projekte unterstützt werden sollen. Außerdem soll auch der Erhalt und Schutz bereits existierender Baumbestände stärker gefördert werden. Auf dem „One Planet Summit“ im Januar 2021 in Paris hat die internationale Gemeinschaft 11,8 Mrd. Euro für das Projekt zugesagt.
Über diese und zahlreiche weitere Aufforstungsprojekte berichtet Daniel Schilk in seinem 2019 erschienenen Buch „Die Wiederbegrünung der Welt“.
Ökosystemerhalt durch assistierte Evolution
Die Idee, gefährdete Arten dadurch zu erhalten, dass man sie in Gefangenschaft oder im Labor züchtet und dann in natürlichen Ökosystemen freilässt, ist schon mehr als 100 Jahre alt.1895 hat der Geschäftsmann und Ornithologe Edward McIlhenny auf diese Weise in Louisiana die vom Aussterben bedrohten Schmuckreiher erhalten. Zwischen 1885 und 1807 konnte Richard Henry den neuseeländischen Kakapo (flugunfähiger Papagei) und den Kiwi durch Translokation von Tieren auf die vor der Westküste Neuseelands liegenden Insel Resolution Island vor dem Aussterben retten (Seddon 2017). Mittlerweile gibt es viele mehr oder weniger erfolgreiche Beispiele solcher Versuche, durch Translokation oder Zucht und Aussetzen gefährdete Arten zu erhalten, in Mitteleuropa zum Beispiel Luchse, Biber und Waldtrappe. Dabei geht es nicht nur um den Erhalt der betreffenden Arten sondern auch um die Funktion der Ökosysteme. Durch die Wiederetablierung von Schlüsselarten hofft man, Ökosysteme zu regenerieren oder auch neue wertvolle Ökosysteme zu schaffen.
Doch auch über weitergehende Schritte wird nachgedacht. Dabei könnte die synthetischen Biologie eine wichtige Rolle spielen, indem ausgestorbene Arten wie das Wollhaar-Mammut oder der Auerochse gentechnisch rekonstruiert werden (De-Extinction, Redford 2017). Als Quelle könnte genetisches Material aus alten Sammlungen oder aus Fossilien und verwandte noch lebende Arten genutzt werden.
Die Überlegungen gehen noch einen Schritt weiter: Es können nicht nur natürliche Arten künstlich vermehrt oder wiederhergestellt, sondern auch „verbessert“, also durch Zucht oder Gentechnik gezielt verändert werden. Bei Riffkorallen soll zum Beispiel versucht werden die endosymbiontisch Zooxanthellen gentechnisch so zu verändern, dass sie auch bei höheren Meerestemperaturen funktionsfähig bleiben und dadurch Korallenbleiche vermieden werden können. Allgemein soll es durch das Einbringen solcher „verbesserter“ Lebewesen, die veränderte Umweltbedingungen besser aushalten,gelingen Ökosysteme als Ganzes zu erhalten.
Verhinderung der Klimaerwärmung durch Geoengineering
Durch technische Eingriffe in das Klimasystem (Geoengineering) soll die Klimaerwärmung vermindert werden. Dabei sind vor allem zwei Möglichkeiten denkbar:
Der Atmosphäre werden direkt Treibhausgase, insbesondere Kohlenstoffdioxid, entzogen (Carbon Dioxid Removal CDR, Carbon Capture and Storage, CCS).
Die auf die Erde eintreffende Sonnenstrahlung wird verringert (Solar Radiation Management SRM).
Die Bindung von Kohlenstoffdioxid kann entweder terrestrisch oder marin erfolgen. Klassische Vorschläge beruhen auf Methoden, durch die der Aufbau von Biomasse – zum Beispiel durch großflächige Aufforstung – gefördert wird oder Kohlenstoff haltiges Material in den Boden eingearbeitet wird (Beispiel Terra Preta). Auch Möglichkeiten, CO2 direkt aus der Luft zu filtern und unterirdisch dauerhaft zu speichern – zum Beispiel durch Einpressen in tiefliegende geologische Formationen (Carbon Capture and Storage, CCS). Die meisten derzeit laufenden Pilotprojekte testen die Integration dieser Art der CO2 Abscheidung direkt in der Kombination mit Kohlekraftwerken, weil dort in den Abgasen der CO2 Gehalt hoch ist. Die Möglichkeit der direkten Filterung aus der Luft, in der CO2 derzeit höchstens zu 0,5 Volumenpromille enthalten ist, wäre bisher zwar möglich aber sehr kostenaufwendig.
Um CO2 verstärkt in den Ozeanen zu binden, wird die Ozeandüngung diskutiert. Dabei bedient man sich der sogenannten biologischen Pumpe. Kohlenstoffdioxid wird von Mikroalgen assimilert und ein Teil davon wird als dauerhaftes Kohlenstoff-haltiges Sediment am Meeresboden abgelagert. Durch Düngung könnte die Phytoplanktonproduktion angeregt werden. Da man von den Makronährmineralien Nitrat und Phosphat sehr große Mengen benötigen würde, hat man bei bisherigen Versuchen mit dem Mikronährmineral Eisen gearbeitet Entsprechende verhältnismäßig kleinräumige, zeitlich begrenzte Versuche, die zu Beginn des Jahrhundert durchgeführt wurden, hatten allerdings wenig überzeugende Ergebnisse. Zwar konnte man zunächst Algenblüten bewirken, aber das Absinken des Phytoplanktons trat nur in sehr geringem Maße ein. Ein großer Teil wurde vom Zooplankton aufgenommen und dadurch veränderten sich die Nahrungsnetze. Auch die Blüte von toxischen Kieselalgen konnte beobachtet werden. Zudem ist die kontinuierliche Düngung sehr energieaufwendig und die Bilanz des tatsächlich gebundenen CO2 ist dadurch viel geringer als zunächst theoretisch berechnet wurde.
Eine weitere Möglichkeit, die Phytoplanktonproduktion zu erhöhen, läge in der Manipulation der marinen Schichtung. Wenn man verstärkt nährmineralreiches Tiefenwasser in obere Wasserschichten verlagern könnte – wie dies unter derzeit natürlichen Bedingungen zum Beispiel an der Westküste des amerikanischen Kontinents geschieht – könnte man die Phytoplanktonproduktion anregen. Entsprechende aus langen Rohren bestehende Pumpen, die vom Wellenschlag angetrieben werden, wurden zwar erfolgreich konstruiert. Um einen messbaren Effekt bei der marinen CO2– Speicherung zu erreichen, wären allerdings eine sehr große Zahl solcher Pumpen notwendig und die Folgewirkungen sind schwer abzuschätzen.
Außer durch die biologische Pumpe wird auch durch eine physikalische Pumpe CO2 von der Oberfläche in die Tiefen der Weltmeere befördert. Kalte Wassermassen mit hohem Salzgehalt im Nordatlantik und in dem antarktischen Zirkularstrom sinken ab und setzen globale Meeresströmungen in Gang, bei denen es an anderer Stelle zum aufsteigen von Tiefenwasser kommt. Da CO2 in kaltem Wasser eine höhere Löslichkeit hat als in wärmeren Wasser, wird durch diesen Prozess langfristig CO2 aus der Atmosphäre in die tieferen Wasserschichten transportiert. Aber alle Methoden, die bisher versucht wurden, um diesen Absinkeprozess zu verstärken, waren nicht erfolgreich, insbesondere, weil das Absinken des Wassers an anderen Stellen den Auftrieb verstärken und damit kohlenstoffdioxidreiches Wasser an die Oberfläche befördern würde. Ob die Bilanz dann tatsächlich zu einer verstärkten marinen CO2– bzw. C-Speicherung führen würde, ist fraglich.
Die zweite Möglichkeit ist die Verringerung der auf der Erde auftretenden Sonnenstrahlung, also die Beeinflussung des Strahlungshaushaltes (Solar Radiation Management SRM). Sie beruht einmal auf Methoden, welche die Reflexion der Strahlung verstärken, also die Erhöhung des Albedos der Erdoberfläche. Diskutiert wird zum Beispiel das Weißeln von Dachflächen oder die Installation von großen Reflektorflächen in Wüsten oder auf Meeren. Zur zum anderen könnte das Einbringen von Aerosolen in die Stratosphäre oder von großflächigen Spiegeln in den Weltraum das Durchdringen der Sonnenstrahlen bis zur Erdoberfläche verringern. Alle diese Methoden sind höchst umstritten, da man nur schwer Aussagen über die dabei auftretenden Nebeneffekte und Folgen machen kann. Außerdem ist der finanzielle Aufwand sehr hoch.
Insgesamt birgt Geoengineering große Risiken. Wenn sich aber zeigt, dass die vom Weltklimarat 2018 festgelegten Klimaziele anders nicht erreicht werden können, wird man die Risiken einiger solcher Methoden wahrscheinlich in Kauf nehmen (Ginsky u.a. 2011).
Kreislaufwirtschaft zur Abfallvermeidung
Vermeidung von Abfall und Umweltverschmutzung muss nicht (nur) auf Sparsamkeit und Verzicht aufgebaut sein, mindestens genauso wichtig ist eine konsequente Kreislaufwirtschaft: Alle Produkte müssen so konzipiert und hergestellt werden, dass sie „rematerialisierbar“ sind, ob Möbel, Kleider, Autos, Baumaschinen Häuser oder Lebensmittelverpackungen. Nach Ansicht des Chemiker und Designers Michael Braungart und des Architekten William McDonough ist dieses „cradle to cradle-Prinzip“ (C2C, „Von der Wiege zur Wiege“) sogar alleine entscheidend. (McDounough, Braungart 2009). Sie berufen sich dabei auf die Natur als Vorbild. Die üppigsten und artenreichsten Ökosysteme, die tropischen Regenwälder, sind nicht nur die produktivsten, sie setzen auch die größten Stoffmengen um. Daraus folgert Braungart, dass es nicht darum gehen kann, zu „sparen“ also, weniger umzusetzen, sondern darum, nicht zu „verbrauchen“ sondern zu „gebrauchen“. „Verschwendet! Aber richtig: Macht keinen Müll!“ fordert er. Sonnenenergie steht im Prinzip soviel zur Verfügung, dass es kein Problem ist, verschwenderisch damit umzugehen. Soziale Ungerechtigkeit und das Nord-Süd-Ungleichgewicht können nicht durch Sparsamkeit gelöst werden. Ihre Lösung ist aber Voraussetzung für geordnete, friedliche Verhältnisse auf unserem Planeten.
Dieses Konzept steht in gewissem Widerspruch zu der Forderung einer verminderten Ressourcennutzung wie sie vom Wuppertal Institut für Klima,Umwelt, Energie, zunächst als „Faktor 4“ (v. Weizsäcker, Lovins, Lovins 1995) später als „Faktor 10“ (Schmidt-Bleek 1997) propagiert wurde. Sicher kann es bei einer zukunftsfähigen, nachhaltigen Wirtschaft nur um ein „Sowohl-als-auch“ gehen, denn Kreislaufprozesse ganz ohne Abfall und Umweltschäden – das zeigt auch das Vorbild Natur – gibt es nicht. Fossile Brennstoffe sind ein Beispiel für solche natürlichen Abfälle und globale Katastrophen. Gutes Beispiel für die menschliche Wirtschaft ist die große Verschwendung von Nahrungsmitteln und die damit verbundene Zerstörung von gut funktionierenden Kreislauf-Ökosystemen und inhumaner Nutztierhaltung.
Wie zukünftiges Wirtschaften verbessert werden könnte zeigt ein in Dänemark entwickelter Industriepark, in dem eine „Symbiose“ zwischen verschiedenen Industrieunternehmen nicht nur eine starke Abfallverminderung sondern auch eine bessere Energienutzung ermöglichen (Kalundborg Symbiosis 2020).
Das größte Problem beim Plastikabfall sind die Verpackungen. Eine konsequente Einführung von kompostiertem Verpackungsmaterial könnte hier große Verbesserungen bringen. Weltweit hat die sehr erfolgreiche Einführung von Kaffeepads aus Kunststoff oder Aluminium zu einem enormen Anstieg von Verpackungsmüll und Ressourcenverbrauch geführt, jährlich mittlerweile über 40 Milliarden Kapseln. Aber immer mehr Firmen versuchen, kompostierbare Verpackugen zu produzieren. Ein Beispiel ist die Firma Nexe Innovations, die derzeit mit ihren kompostierbaren Kaffeepads recht erfolgreich ist, die in allen gängigen Kaffeemascinen verwendet werden können.
Neobiota-Management
Im Laufe der Erdgeschichte zerbrachen Kontinente oder schoben sich zusammen, Inseln und Inselarchipele entstanden neu oder gingen unter, aus Grabenbrüchen wurden Ozeane, Meeresbuchten wurden abgetrennt, Binnenmeere öffneten sich zum Ozean. Diese geologischen Ereignisse wurden begleitet von Ausbreitung, Rückgang, Einwanderung und Auswanderung von Lebewesen. Die Invasion neuer Arten und die Ausbreitung von Krankheitserregern und die dadurch bedingten Veränderungen von Ökosystemen sind ein natürlicher Vorgang in der Geschichte des Lebens. Doch im Gegensatz zu den geologischen Veränderungen haben die anthropogen verursachten globalen Veränderungen der letzten Jahrhunderte und vor allem der letzten Jahrzehnte zu einer enormen Beschleunigung dieser Invasionen beigetragen.
Schon im Zeitalter der europäischen Eroberungen und Kolonisationen und der Einwanderung von Europäern nach Amerika und Australien wurden Tier- und Pflanzenarten von Menschen gezielt von Kontinent zu Kontinent verbreitet.
In den letzten Jahrzehnten haben der globale Warenaustausch und der Reiseverkehr, aber auch die gezielte Einfuhr gebietsfremder Arten, zu einer starken Zunahme von Neobiota (Neubürgern) geführt. Diese Einwanderer sind ein ernst zu nehmendes Naturschutzproblem geworden. Durch die Verdrängung einheimischer Arten können sie Ökosysteme verändern und schließlich das Aussterben von Arten bewirken („invasive Arten“). In der EU-Liste invasiver gebietsfremder Tier- und Pflanzenarten („Unionsliste“) werden derzeit 66 Tier- und Pflanzenarten als möglicherweise invasiv aufgelistet. Bereits in Deutschland etabliert sind zum Beispiel der Riesen-Bärenklau (Heracleum mantegazzianum), das Indische Springkraut (Impatiens glandulifera), der Kamberkrebs (Orconectes limosus) und die Amurgrundel (Percottus glenii) (NABU 2019). Neben einer Konkurrenz mit einheimischen Arten geht es dabei auch um Schädlinge wie Kartoffelkäfer, Asiatischem Marienkäfer, Varoamilbe oder Buchsbaumzünsler, gegen die ansässige Arten kaum Abwehrkräfte entwickelt haben.
Besonders gefährdet durch invasive Arten waren und sind Inseln mit speziellen Ökosystemen und vielen endemischen Arten. Die absichtliche Aussetzung von Ziegen und Schweinen und die unabsichtliche Einfuhr von Ratten durch die frühen Seefahrer des 16.-19. Jahrhunderts hatten schon verheerende Auswirkungen auf pazifischen Inseln, aber auch die Besiedlung von Amerika, Australien und Neuseeland durch Europäer hat einen gewaltigen Invasionsschub verursacht, der das Ende zahlreicher einheimischer Arten bewirkte. Gut dokumentiert ist der Artenrückgang auf der Pazifikinsel Guam, der durch die eingeschleppte Braune Nachtbaumnatter (Bioga irregularis) verursacht wurde (Probst 2010).
Aber sind alle Neobiota problematisch? Einer der führenden Neobiota-Forscher, Ingo Kowarik, gibt darauf folgende Antwort:
Ja, wenn Veränderungen von Natur als Problem gesehen werden.
Ja wenn „Fremdes“ als negativ gesehen wird.
Nein, wenn unterschiedliche Auswirkungen berücksichtigt werden.
(Ingo Kowarik bei einem Vortrag zum Landesbiologentag an der Universität Hohenheim am 7.11.2020).
Durch auf wissenschaftlichen Grundlagen erarbeitete Management-Pläne versucht man, schädliche Auswirkungen von Neobiota auf die Biodiversität zu begrenzen. Ein Beispiel: Durch den organsierten Austausch von Ballastwasser in der marinen Schifffahrt seit 2017 soll die Einschleppung gebietsfremder Arten verhindert werden.
Pandemien und Naturschutz
Mit dem globalisierten Austausch von Menschen und Waren haben sich auch Krankheitserreger ausgebreitet. Dies führte nicht selten in den neuen Ausbreitungsgebieten zu verheerenden Epidemien. Besonders betroffen waren indigene Bevölkerungsgruppen Amerikas, zum Beispiel die mittlerweile (fast?) ausgestorbenen Ureinwohner Feuerlands, die Yagan oder Yamana (Kaiser 2013).
Auch in umgekehrter Richtung wurden schon lange Keime übertragen, zum Beispiel der Cholera-Erreger Vibrio cholerae aus Indien. Auch die Übertragung von Krankheitserregern von Tieren auf Menschen geht bis in das Neolithikum zurück, als durch die Einführung der Nutztierhaltung der Kontakt zwischen Tieren und Menschen enger wurde. Masern und Tuberkulose stammen von Kühen, Keuchhusten von Schweinen und Grippe von Enten (Shah 2020).
Die rasant voranschreitende Globalisierung der letzten Jahrzehnte hat die rasche Ausbreitung von Krankheitserregern, insbesondere von Bakterien und Viren, weiter gefördert. Dabei spielen nicht nur die größere Mobilität der Bevölkerung und der Reiseverkehr über große Entfernungen eine wichtige Rolle, sondern auch die immer stärkere Einschränkung von Wildtierpopulationen durch Verlust natürlicher Lebensräume, zum Beispiel tropischer Regenwälder. In den kleineren Populationen können sich Erreger schneller ausbreiten. Außerdem fördert der immer intensivere Kontakt der ständig wachsenden menschlichen Bevölkerung mit Tieren früher sehr abgelegener Regionen den Übergang von Krankheitskeimen von Wildtieren zu Menschen (Beispiel AIDS, Ebola, Vogelgrippe H1N5, SARS-Corona, Covid 19; vgl. Ruppert 2021, Keesing 2010, Jones 2008).
Man kann nur hoffen, dass die derzeitigen Erfahrungen mit der Covid 19 Pandemie zu einem Umdenken und einer vorsichtigeren Vorgehensweise führen.
Die immer intensivere Einflussnahme des Menschen auf alle Lebensräume und die räumliche Einschränkung naturnaher Biotope sollte gestoppt und womöglich rückgängig gemacht werden. Dabei geht es insbesondere darum, die Vielfalt der Arten in ausreichender Populationsgröße zu erhalten. Dadurch kann erreicht werden, dass sich Viren, auch neue mutierte Viren, nicht flächendeckend ausbreiten, sondern eher in einer Nische bleiben und nach einiger Zeit wieder Aussterben (infektionsbiologischer Verdünnungseffekt). Auch Generalisten wie Ratten oder Sperlinge, die für die Übertragung auf menschliche Populationen besonders gefährlich sind, sind in intakten Ökosystemen weniger verbreitet .
Inklusiver Naturschutz
Naturschutz sollte nicht nur in abgegrenzten Gebieten oder Biotopen stattfinden sondern überall. Die Einrichtung von Naturschutzgebieten hat zwar insofern eine gewisse Berechtigung, als es leichter ist, ökologisch wertvolle Lebensgemeinschaften, Schlüsselarten und Habitate auf diese Weise zu schützen. Außerdem sind naturnahe, von Menschen wenig beeinflusste Gebiete eine wichtige Voraussetzung für die ökologischen Funktionen des Bioplaneten. Es besteht aber die Gefahr, dass außerhalb von Schutzgebieten auf Natur und natürliche Funktionsabläufe keine oder zu wenig Rücksicht genommen wird. Angesichts der immer intensiveren Nutzung der Erde durch den Menschen wird es außerdem immer schwieriger, ausreichende Flächen für ungenutzte Gebiete bereitzuhalten. Flächendeckender „inklusiver“ Schutz der Natur auch in Städten und Gewerbegebieten, in Agrarlandschaften und entlang von Verkehrswegen wird deshalb immer wichtiger. Es gibt mittlerweile viele Ansätze, wie Natur auch außerhalb von Schutzgebieten nicht „ausgeschaltet, sondern eingeschaltet“ werden kann (Le Roy 1973), und Biodiversität und natürliche Funktionsabläufe erhalten bleiben.
Städte und Siedlungen
Zwischen 1985 und 2015 hat die die Ausdehnung von Städten und Siedlungen jährlich um 9687 km² zugenommen, mit steigender Tendenz (Liu et al. 2020). Damit ist der Flächenverbrauch der Städte schneller gewachsen als die Bevölkerung. Für eine nachhaltige Entwicklung müssen Städte deshalb „ökologisch“ werden. Eine Stadt mit großen Grünanlagen wie Parks und Gärten bietet zwar eine hohe Lebensqualität und eine bessere Ökobilanz. Dies geht aber insofern auf Kosten der Umgebung, als sie mehr Fläche für denselben umbauten Raum benötigt. Eine Erfolg versprechende Möglichkeit für dicht bebaute Großstädte ist die Integration von Bauwerken und Grünanlagen.
Neben Minderung des Klimawandels durch eine Verbesserung der CO2-Bilanz können dadurch auch die Auswirkungen einer Klimaerwärmung verringert werden (Grewe 2020). Schließlich wirken mit Sachverstand begrünte Städte auch dem Verlust der Biodiversität entgegen.
Dächer
Schon lange zählt es zu Attributen ökologischer Bauweise, Dächer zu begrünen. Die Etablierung und Ausgestaltung solcher Dachgärten und Wiesen ist aber noch sehr stark ausbaufähig, wie man auf Luftbildern von Städten leicht erkennen kann. Begrünte Dächer können durch Brücken vernetzt werden. Durch treppenartige Anordnung von Gebäudeteilen können Verbindungen zur bodenständigen Grundflächen hergestellt werden.
Fassaden
Auch begrünte Fassaden gibt es schon lange, aber eher an alten Bauernhäuser auf dem Land als an mehrgeschossigen Stadthäusern, Bankhochhäusern und Industrieanlagen. Eine Möglichkeit: Flächenhafte Begrünungsmodule, die mit einfachen Mitteln an Fassaden angebracht werden können und die durch Anschluss an eine Bewässerungsanlage wartungsarm sind. Die Elemente können aus einem Gerüst bestehen, an dem mehrere auswechselbare Pflanzgefäße aufgehängt werden. Fensterfassaden könnten durch berankte Schnurgerüste – Hopfenfeldern vergleichbar – begrünt und beschattet werden.
Ein interessanter Vorschlag sind vorbegrünte Pflanzennetze. Solche „Urban Pergolas“ sollen als Verschattungssystem der Aufheizung von Fassaden entgegenwirken und die Städte in einen „diversen Großstadtdschungel“ verwandeln. Die Pflanzennetze können an einem oder zwischen mehreren Gebäuden angebracht werden und dadurch Grünflächen schaffen, ohne andere Nutzungen den Platz wegzunehmen (Urban Pergola 2021).
Balkone
Eine weitere Möglichkeit der vertikalen Begrünung, die in wenigen Beispielen schon verwirklicht ist, wäre die Ausgestaltung von Pflanzbalkonen mit Sträuchern und Bäumen (Boeri 2015).
Städte mit grünem Pelz
Ergänzend zu den genannten Maßnahmen können Verkehrswege, insbesondere Straßen und Schienenverkehr, wie U-Bahnen unter die Oberfläche verlegt werden, wodurch Platz für bodenständige Grünanlagen aber auch Rad- und Fußwege gewonnen würde. Regenwasser können den Zisternen gespeichert und in Trockenperioden zur Bewässerung genutzt werden wodurch die Kanalisation entlastet würde.
So könnten schließlich Städte entstehen, die ganz in einem grünen Pelz eingehüllt sind und die sich fast übergangslos in die umgebende Landschaft einfügen (vgl. Jean Nouvel 2014, Boeri 2015).
Landwirtschaft
In der Landwirtschaft sollten großflächige Monokulturen durch ökologisch wertvollere Netze (Feldhecken, Blumenstreifen, Bachläufe) und Inseln (Feldgehölze, Feuchtgebiete) unterbrochen werden. Mischkulturen aus Gehölzen, mehrjährigen und einjährigen Nutzpflanzen (Agroforestry) könnten vor allem in wärmeren Klimaregionen eine ökologische Alternative zu Monokulturen darstellen. Die sehr aufwändige arbeitsintensive Bewirtschaftung würde durch einen Einsatz intelligenter Maschinen zu vertretbaren Produktionskosten möglich.
Landwirtschaft 4.0
Lange Zeit wurden Landmaschinen – den Dinosaurier vergleichbar – immer größer und größer. Vergleicht man einen Traktor aus den 19hundertfünfziger Jahren mit einer heutigen Maschine wird dieser Hang zum Gigantismus deutlich. Er hängt natürlich direkt zusammen mit der Vergrößerung der landwirtschaftlichen Betriebee und vor allem der bewirtschafteten Flächen. Die Dinosaurier sind nicht zuletzt auch wegen ihrer Größe ausgestorben. Die immer größeren Landmaschinen stellen für die Landwirte eine große finanzielle Belastung dar und sicher sind sie ein Grund dafür, dass immer mehr landwirtschaftliche Betriebe aufgeben müssen. Auch die Verdichtung der Böden durch die Riesentraktoren ist ein großer Nachteil. Die Entwicklung kleiner intelligenter Landmaschinen könnte eine neue, ökologisch verträglichere und damit nachhaltigere Form der Landbewirtschaftung einleiten. Diese Maschinen könnten – ähnlich wie ein Schweizer Armeemesser – viele Funktionen in sich vereinen: ein Roboter, der jede Pflanze individuell behandelt, nicht nur mit Herbiziden, Insektiziden und Fungiziden, sondern auch mit angepassten Düngemitteln, und der auch für eine gezielte Bewässerung sorgt. Dies alles könnte in einem Arbeitsgang und in individuell angepassten Mengen geschehen. Die Folgen einer solchen Behandlung von Einzelpflanzen statt von ganzen Feldern bedeutet nicht nur eine deutliche Reduktion benötigter Chemikalien und anderer Ressourcen. Diese Maschinen könnten von Drohnen oder von Satelliten gesteuert die jeweiligen Zielorte erreichen. Eine Weiterentwicklung der Erntemaschinen könnte Mischkulturen und Agroforestry wirtschaftlicher machen.
Vertical Farming
Eine zukunftsweisende und flächensparende Form zur Produktion von Nahrungsmitteln und anderen nachwachsenden Rohstoffen wird mit dem Begriff „Vertical Farming“ bezeichnet. Der New Yorker Professor für Umweltgesundheit und Mikrobiologie Dickson Despommier entwickelte mit seinen Studenten ab 1999 entsprechende Ideen zunächst für die Nahrungsmittelversorgung der 50000 Einwohner Manhattans. Ausgangspunkt waren Überlegungen zum möglichen Gemüseanbau auf Dachflächen. In der Weiterentwicklung wurden Hochhäuser geplant, die insgesamt der Pflanzenkultur dienen sollen. Diese Einbindung von Farmen in das Innere von Gebäude wird mit dem Begriff „Sponge City- Architecture“ oder „Agritecture“ bezeichnet. In mehreren oder allen Stockwerken eines solchen Hochhauses sollen Pflanzen auf optimale Weise automatisch gesteuert und reguliert kultiviert werden. Gleichzeitig sind diese Kulturen in Kreislaufsysteme, insbesondere der Wasserwiederverwendung und Abwasseraufbereitung, eingebunden (Despommier 2011). Auch eine Kopplung mit Aquakulturen und anderen Formen der Nutztierhaltung ist möglich.
Der Vorteil solcher Plantscraper ist nicht nur der gegenüber normalem Farmland 10-20mal geringere Flächenverbrauch. Erhebliche Ressourcen könnten dadurch ein gespart werden, dass es einen geschlossenen Wasserkreislauf gibt und kontrollierte Umgebungsbedingungen den Einsatz von Pestiziden und Düngemitteln reduzieren. Die Kulturen sind unabhängig von Außenbedingungen wie Dürre, Frost, Starkniederschläge, Hagel und Sturm und sie können ganzjährig betrieben werden. Künstliches Licht kann Pflanzenwachstum rund um die Uhr auch in dunklen Jahreszeiten ermöglichen. Die schnellere und einfachere Versorgung der städtischen Bevölkerung mit frischen Nahrungsmitteln erfordert weniger Transportkosten, verbessert die Luft und mindert über Wasserspeicher die Überflutungsgefahr. Die Energieversorgung kann über Solarzellen, Windenergieanlagen und die Produktion von Biogas aus organischen Abfällen in einem Kreislaufsystem gesichert werden.
Der extrem dicht bevölkerte Stadtstaat Singapur plant seine Nahrungsmittelversorgung durch schwimmende Hochhäuser zu verbessern.
Voraussetzungen für den erfolgreichen Betrieb solcher Hochhausfarmen ist eine ausgefeilte Technik, die von intelligenten Computersystemen gesteuert wird. Das schwedische Architekturbüro Plantagon plant ein Forschungszentrum für urbane Landwirtschaft in Linköping zu entwickeln. Ausgangspunkt soll ein im Bau befindlicher Plantscraper sein, an dem technische Systeme erprobt und verbessert werden können.
Verkehrswege
Je dichter die Besiedelung, desto dichter sind nicht nur Städte, Siedlungen und Industrieanlagen, desto dichter ist auch das Netz von Verkehrswegen, insbesondere Straßen und Autobahnen (in Deutschland derzeit nach Erhebung des Umweltbundesamt knapp 20000 km², das entspricht rund 5,5% der Landesfläche). Das wirkt sich r nicht nur über den Flächenverbrauch und die Versiegelung sondern vor allem über den Zerschneidungseffekt nachteilig auf die Funktion von Ökosystemen aus. Mehr noch als Pflanzenarten sind Tierpopulationen durch die dadurch bedingte Verinselung betroffen. Auch die direkte Tötung von Tieren durch den Verkehr spielt eine Rolle. Indirekt wirkt sich dies über die Bestäuber und die Verbreitung von Früchten und Samen auf die Vegetation aus.
Eine Verbesserung kann einmal durch geeignetes Straßenbegleitgrün erreicht werden (Kühne/Freier 2012). Vor allem aber kann die trennende Wirkung von Verkehrsflächen durch Brücken, sowohl Brücken über schützenswerte Landschaftsteile als auch verbindende Grünbrücken, und Tunnel erreicht werden. Schutzgräben oder Zäune können in Kombination mit kleinen Tunneln insbesondere Amphibien bei ihren Laichwanderungen schützen (Krötenzaun, Krötentunnel). Nicht mehr benötigte Verkehrswege sollten renaturiert (entsiegelt) werden.
Schließlich sind die hohe Verkehrsdichte und die damit verbundenen Emissionen der Verkehrsmittel ein großes Problem. Sie wird einmal durch den Individualverkehr, zum anderen durch den Güterverkehr verursacht. Beide haben in den letzten Jahrzehnten ständig zugenommen. Eine größere Verlagerung dieses Verkehrs auf die Bahn wird schon lange als Ziel formuliert, ließ sich aber bisher politisch nicht durchsetzen. Auch eine Förderung dezentraler Produktion könnte der ständigen Zunahme des Güterverkehrs entgegenwirken.
Despommier, D. (2011): The vertical farm: Feeding the world in the 21th century. Picador (Nachdruck der Ausgabe von 2010)
De Souza Machado, A. A., Lau, C. W. u. a. (2019): Microplastics Can Change Soil Properties and Affect Plant Performance. In: Environmental Science & Technology. 53, S. 6044, doi:10.1021/acs.est.9b01339.
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Liu, Xiaoping et al. (2020): High spatiotemporal resolution mapping of global urban change from 1985 to 2015: Nature Sustainability 3, pp.564-570.
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Smil, V. (2019): Growth – From microorganismes to megacities. Cambridge MA.: MIT-Press
Trommer, G. (1994): Didaktisch differenzierte Leitbilder – ein Drei-Umwelten-Modell zum pägagogischen Umgang mit Natur und Landschaft. Workshop Ökologische Leitbilder, Cottbus 9.6.1994. TUC Aktuelle Reihe 6/94:57-62
Die Erde bildete sich vor etwa 4,6 Mrd. Jahren. 0,5 bis 1 Mrd. Jahre später traten die ersten Lebewesen auf und schon vor ca.3,5 Mrd. Jahren entwickelten sich die ersten Cyanobakterien, die mithilfe von Sonnenlicht aus Wasser und Kohlenstoffdioxid Kohlenhydrate und Sauerstoff herstellen konnten. Der Sauerstoff oxidierte Mineralien und löste sich in den Ozeanen. Erst nach etwa 1 Mrd. Jahren waren diese Oxidationsprozesse abgeschlossen und der O2-Gehalt der Atmosphäre begann stark anzusteigen – mit tödlichen Folgen für obligate Anaerobier aber mit einem großen Vorteil für Lebewesen, die zur aeroben Atmung mit Sauerstoff in der Lage waren. Mit Photosynthese und Atmung war die Grundlage für effektive chemische Kreisläufe in der Biosphäre geschaffen.
Seither hat sich die Stoffproduktion durch Photosynthese stetig vermehrt, auch wenn es immer wieder kleinere oder größere Rückschritte gab. Vor etwa 400 Mio J. begann die Besiedelung des Festlandes durch grüne Pflanzen und dieser grüne Pelz überzog von Feuchtgebieten ausgehend immer größere Flächen der Kontinente. Der Pelz wurde auch immer dichter und höher. Die höchsten Bäume können über 100 m hoch werden und die Pflanzendecke ist vielfach geschichtet. Die Pflanzen wurden durch natürliche Selektion an immer extremere Lebensbedingungen angepasst, sodass immer trockenere und immer kältere Gebiete einen grünen Pelz bekamen.
Beschädigungen
Waren in der früheren Erdgeschichte vor allem plattentektonisch bedingte Veränderungen der Kontinente, Vulkanausbrüche und Asteroideneinschläge aber auch biogene Veränderungen des CO2-Gehalts der Atmosphäre für Rückschritte bei dieser Entwicklung verantwortlich, so ist es heute die menschliche Zivilisation, durch die der grüne Pelz des Bioplaneten Erde beschädigt wird. Diese Beschädigungen haben mittlerweile ein Stadium erreicht, das für die menschliche Zivilisation und für die derzeitigen Ökosysteme gefährlich wird. Denn angesichts der großen Populationsdichte der Menschen und des Zivilisationsgrads wird der grüne Pelz der Erde verringert und in seiner Wirksamkeit beeinträchtigt.77% der Landfläche (ohne Antarctica) und 87 % der Meere sind derzeit durch menschliche Aktivitäten verändert worden (Watson, Allen u.a.2018).
Städte werden immer größer, Verkehrsnetze immer
dichter, Agrarflächen, die mit ihren Monokulturen eine deutlich geringere
regulatorische Wirkung haben als natürliche Vegetation, dehnen sich immer
weiter aus und lassen das grüne Fell der Erde räudig werden.
Die Kapazität des grünen Pelzes wird im Hinblick
auf eine ausgeglichene Stoffbilanz des Bioplaneten Erde dadurch überschritten,
dass fossile Energieträger zur Energiebereitstellung verbrannt und zur
(Kunst-)Stoffproduktion genutzt werden. Besonders die starke Zunahme des
Treibhausgases CO2 führt zu einer deutlichen Klimaerwärmung.
Der Eingriff in den Stickstoffkreislauf durch
anthropogene Umwandlung des Luftstickstoffs (N2) in
reaktionsfreudige Stickstoffverbindungen kann sich über verminderte
Biodiversität und Veränderung der Atmosphäre (Verringerung der UV-Licht
filternden Ozonschicht) negativ auswirken.
Diese Veränderungen stellen für den Bioplaneten keine existentielle Gefahr dar, das Leben auf der Erde wird diese Veränderungen ebenso überstehen, wie es andere oft noch viel drastischere Ereignisse im Laufe der Erdgeschichte überstanden hat. Für die menschliche Zivilisation in ihrer heutigen Form stellen sie aber eine existentielle Bedrohung dar. Für eine nachhaltige Entwicklung des Bioplaneten als Lebensraum für die Menschen ist der Erhalt des grünen Pelzes deshalb von entscheidender Bedeutung.
Städte
Mit der zunehmenden Bevölkerung werden Städte immer größer und überdecken immer größere Flächen (Liu u.a.2020). Herkömmliche Städte sind nicht grün, sie haben Oberflächen, die vorwiegend aus Beton, Steinen, Glas und Asphalt bestehen. Die photosynthetische Stoffproduktion ist niedrig, die CO2-Produktion ist viel höher als der CO2-Verbrauch, C-Speicherug in Vegetation und Boden ist gering. Ebenso gering im Vergleich zu natürlichen Ökosystemen ist das Rückhaltevermögen für Regenwasser, sodass es bei den durch Klimawandel vermehrten Starkregen immer häufiger zu Überschwemmungen kommt. Pflanzliche Oberflächen verdunsten Wasser und produzieren Verdunstungskälte. Steine und Beton speichern Wärme. Beides führt dazu, dass das Stadtklima wärmer ist als das Klima in der Umgebung. Dabei spielt auch eine Rolle, dass der Luftaustausch mit der Umgebung durch die Gebäude behindert wird.
Eine Stadt mit großen Grünanlagen wie Parks und Gärten bietet zwar eine hohe Lebensqualität und eine bessere Ökobilanz. Dies geht aber insofern auf Kosten der Umgebung, als sie mehr Fläche für denselben umbauten Raum benötigt. Wenn die Umgebung aus intensiv bewirtschafteten Ackerflächen besteht, kann deren Umwandlung in gartenreiche Wohngebiete trotzdem Vorteile bieten (Reichholf 2018). Für die heutigen, von dicht stehenden Hochhäusern dominierten Großstädte ist das aber keine realistische Alternative, da die benötigten Flächen viel zu groß wären. Eine Erfolg versprechende Möglichkeit für dicht bebaute Großstädte ist die Integration von Bauwerken und Grünanlagen.
Schon lange zählt es zu Attributen ökologischer Bauweise, Dächer zu begrünen. Die Etablierung und Ausgestaltung solcher Dachgärten und Wiesen ist aber noch sehr stark ausbaufähig, wie man auf Luftbildern von Städten leicht erkennen kann. Neben der Flächenvergrößerung könnte auch die Ausgestaltung verbessert werden. Dickere Bodenschichten verbessern die Stoffbilanz, die Wasser- und Kohlenstoff-Speicherung. Zisternensysteme können für die Bewässerung während Trockenperioden genutzt werden und den Wasserabfluss bei Starkregen mindern.
Begrünte Dachflächen könntemn durch Brücken verbunden werden.
Auch begrünte Fassaden gibt es schon lange, aber eher an alten Bauernhäuser auf dem Land als an mehrgeschossigen Stadthäusern, Bankhochhäusern und Industrieanlagen. Für diese traditionelle Fassadenbegrünung sind vor allem Lianen wie Efeu oder Wilder Wein (Parthenocissus) verantwortlich, die sich mit besonderen Haftorganen an den Fassaden festhalten – ein Grund dafür, dass sich viele Hausbesitzer wegen der dadurch erschwerten Fassadenrenovierung davon abhalten lassen, eine solche Wandbegrünung zu erlauben. Auch die Furcht vor Beschädigungen durch die wuchernden, oft auch in Risse und Öffnungen eindringenden Lianen spielt dabei eine Rolle. Diese Probleme können durch vorgebaute Rankgerüste teilweise vermindert werden. Eine staatlich finanzierte Förderung der Fassadenbegrünung, wie sie ähnlich bei Fassadendämmungen sehr erfolgreich angewendet wird, könnten ein wirkungsvoller Anschub sein. Besonders wirkungsvoll könnte eine solche Förderung werden, wenn flächenhafte Begrünungsmodule zur Verfügung stünden, die mit einfachen Mitteln an Fassaden angebracht werden könnten und die durch Anschluss an eine Bewässerungsanlage wartungsarm wären. Die Elemente könnten aus einem Gerüst bestehen, an dem mehrere auswechselbare Pflanzgefäße aufgehängt werden.
Eine weitere Möglichkeit der vertikalen Begrünung, die in wenigen Beispielen schon verwirklicht ist, wäre die Ausgestaltung von Pflanzbalkonen mit Sträuchern und Bäumen. Große Gebäudekomplexe könnten durch grüne Brücken vernetzt werden. Verkehrswege, insbesondere Straßen und Schienenverkehr, könnten wie U-Bahnen unter die Oberfläche verlegt werden, wodurch Platz für bodenständige Grünanlagen aber auch Rad- und Fußwege gewonnen würde, So könnten schließlich Städte entstehen, die ganz in einem grünen Pelz eingehüllt sind und die sich fast übergangslos in die umgebende Landschaft einfügen (vgl. Jean Nouvel 2014, Stefano Boeri 2015).
Verkehrswege
Verkehrswege, insbesondere Straßen für den KFZ-Verkehr, tragen einmal durch Versiegelung zur Reduktion des grünen Pelzes bei, zum anderen zerschneiden sie Ökosysteme, führen zur Verinselung und darüber insbesondere zur Schädigung von Tierpopulationen und damit zur Verringerung der Biodiversität. Schließlich belasten die Abgase der Kraftfahrzeuge die Luft.
Mögliche Verbesserungen:
Stichworte
Zerschneidungseffekte minimieren (Brücken über wertvolle Landschaftsteile, grüne Brücken zur Minderung von Zerschneidungseffekten, Tunnel),
Verkehrsflächen unter die Erde verlegen; nicht nur Hindernisse (Berge, Gewässer) sondern auch besonders schützenswerte Landschaften untertunneln,
emissionsarme Verkehrsmittel nutzen.
Je dichter die Besiedelung, desto dichter sind nicht nur Städte,
Siedlungen und Industrieanlagen, desto
dichter ist auch das Netz von Verkehrswegen, insbesondere Straßen und
Autobahnen (in Deutschland derzeit nach
Erhebung des Umweltbundesamt knapp 20000 km², das entspricht rund 5,5% der Landesfläche). Das wirkt sich aber nicht nur
über den Flächenverbrauch sondern vor allem über den Zerschneidungseffekt
nachteilig auf die Funktion von Ökosystemen aus. Mehr noch als Pflanzenarten
sind Tierpopulationen durch die dadurch bedingte Verinselung betroffen. Auch
die direkte Tötung von Tieren durch den Verkehr spielt eine Rolle. Indirekt
wirkt sich dies über die Bestäuber und die Verbreitung von Früchten und Samen
auf die Vegetation aus.
Eine Verbesserung kann einmal durch geeignetes Straßenbegleitgrün erreicht werden (Kühne/Freier 2012). Vor allem aber kann die trennende Wirkung von Verkehrsflächen durch Brücken, sowohl Brücken über schützenswerte Landschaftsteile als auch verbindende Grünbrücken, und Tunnel erreicht werden. Schutzgräben oder Zäune können in Kombination mit kleinen Tunneln insbesondere Amphibien bei ihren Laichwanderungen schützen (Krötenzaun, Krötentunnel).
Natürlich ist das Hauptproblem die hohe Verkehrsdichte und die Emissionen der Verkehrsmittel. Sie wird einmal durch den Individualverkehr, zum anderen durch den Güterverkehr verursacht. Beide haben in den letzten Jahrzehnten ständig zugenommen. Eine größere Verlagerung dieses Verkehrs auf die Bahn wird schon lange als Ziel formuliert, ließ sich aber bisher politisch nicht durchsetzen. Auch eine Förderung dezentraler Produktion könnte der ständigen Zunahme des Güterverkehrs entgegenwirken.
Landwirtschaft/Nahrungsmittelerzeugung
Moderne Landbewirtschaftung hat zwar zu immer höheren Erträgen pro
genutzter Fläche geführt, die Gesamtstoffbilanz, in die man den Verbrauch von
fossilen Energieträgern einrechnet, ist aber immer schlechter geworden. Nach
Smil (2019) wird heute pro Ackerfläche 10x soviel produziert wie vor 100 Jahren
aber dafür wird 90x soviel Energiezufuhr benötigt.
Riesige Monokulturen, Pestizid- und Düngemitteleinsatz erhöhen zwar die landwirtschaftliche Produktion, vermindern aber insgesamt die Leistungsfähigkeit des grünen Pelzes und schädigen Böden und ihre Kohlenstoff-Speicherfähigkeit. Artenarme, mit Pestiziden behandelte Agrarflächen sind die Hauptursache für den starken Rückgang der biologischen Vielfalt. Die Massentierhaltung ist nicht nur ein ökologisches sondern auch ein ethisches Problem.
Feldgehölze und andere artenreiche Biotope als
ökologische Inseln
Agroforestry
Vertical Farming
Landwirtschaft 4.0 (KI)
Das gewichtigste Argument für eine immer stärkere Rationalisierung und Industrialisierung der Landwirtschaft ist, dass nur dieser Weg für die ständig steigenden Bedürfnisse der wachsenden Erdbevölkerung die notwendigen Nahrungsmittel und weiteren Rohstoffe liefern kann. Dieses Argument greift aber insofern nicht, als die derzeitige Landbewirtschaftung auf irreversiblem Verbrauch basiert, Verbrauch von fossilen Energieträgern, Verbrauch von Wasser, Verbrauch von nicht regenerierbaren Düngemitteln (insbesondere Phosphat, Greuling 2011), Verbrauch von Böden, Verbrauch von selbstregulierenden Ökosystemen wie z.B. Regenwäldern.
Systeme, die auf Verbrauch basieren, sind aber nur nachhaltig, das
heißt, für längere Zeit funktionsfähig, wenn die verbrauchten Ressourcen
ständig regeneriert werden können, Dies ist gegenwärtig eindeutig nicht der
Fall. Deshalb ist eine Veränderung
vorhersehbar. Sie kann nur ohne Katastrophen stattfinden, wenn sie basierend auf wissenschaftlichen
Erkenntnissen der Ökologie vorgenommen wird.
Das kann natürlich nicht bedeuten, dass man zu Methoden des
Neolithikums zurückkehrt. Eine den Produktionserfordernissen der Gegenwart
genügende Landbewirtschaftung, die gleichzeitig nachhaltig ist, bedeutet nicht
weniger Technik sonder mehr Technik, genauer gesagt mehr intelligente Technik.
Sehr große, von Monokulturen bestandene Flächen erlauben den Einsatz von riesigen Maschinen und haben dazu geführt, dass mit wenigen menschlichen Arbeitskräften große Stoffmengen produziert werden können. Gleichzeitig werden dadurch aber lebenswichtige Ressourcen, Artenvielfalt, Böden, Dünger und Energie liefernde Stoffe „verbraucht“ und andere Ökosysteme durch Eintrag von Düngemitteln und Schadstoffen geschädigt.
Würden die Monokulturen durch ein Netz naturnaher linearer Elemente wie Feldhecken und Wildpflanzenstreifen unterbrochen, könnte dieser Verbrauch zwar gemindert werden, gleichzeitig wäre aber eine Bewirtschaftung mit den derzeit üblichen Methoden nicht möglich oder viel aufwändiger. Mit kleineren, intelligenten Maschinen, wie sie in einfacher Form heute schon allgemein zum Staubsaugen oder Rasenmähen eingesetzt werden, wäre das aber durchaus denkbar. Solche intelligenten, lernfähigen Roboter könnten – mit Luftbildern von Drohnen oder auch Satelliten versorgt – sehr gezielt arbeiten. Zusammen mit der Roboter eigenen Sensorik würde eine gezielte und damit sparsamere Unkrautvernichtung, Schädlingsbekämpfung, Düngung und Bewässerung möglich. Statt flächendeckender Düngung könnten gezielt nur solche Teilbereiche gedüngt werden, die tatsächlich unterversorgt sind. Pestizide könnten nur auf tatsächlich befallene Pflanzen gesprüht werden, dasselbe gilt für die Bekämpfung von Unkräutern. Statt Riesentraktoren und Megamaschinen würden dann viele kleine Roboter die Ackerflächen bearbeiten. Eine solche von künstlicher Intelligenz bestimmte Agrarwirtschaft wird auch als Landwirtschaft 4.0 bezeichnet.
Alternative, Ressourcen schonendere Formen der Landbewirtschaftung wie
Mischkulturen und Agroforestry, spielen heute nur in Nischen und
Subsistenzwirtschaften eine Rolle, da sie sehr arbeitsintensiv sind. Durch
Einsatz intelligenter Technik könnten manuelle Tätigkeiten durch Roboter und
Regelsysteme ersetzt und damit solche nachhaltigen Wirtschaftsformen rentabler
werden.
Eine weitere zukunftsweisende Form zur Produktion von Nahrungsmitteln und anderen nachwachsenden Rohstoffen wird mit dem Begriff „Vertical Farming“ bezeichnet. Dadurch könnte der Flächenverbrauch der Produktion stark verringert werden. Schon auf der Internationalen Gartenschau in Wien 1964 wurde ein von dem Maschinenbauingenieur Othmar Ruthner konstruiertes Turmgewächshaus gezeigt. Weitere Verbreitung dieser Idee sorgte der New Yorker Professor für Umweltgesundheit und Mikrobiologie Dickson Despommier, der mit seinen Studenten ab 1999 entsprechende Ideen zunächst für die Nahrungsmittelversorgung der 50000 Einwohner Manhattans entwickelte. Ausgangspunkt waren Überlegungen zum möglichen Gemüseanbau auf Dachflächen. In der Weiterentwicklung wurden Hochhäuser geplant, die insgesamt der Pflanzenkultur dienen sollen. In jedem Stockwerk eines solchen Hochhauses sollen Pflanzen auf optimale Weise automatisch gesteuert und reguliert kultiviert werden. Gleichzeitig sind diese Kulturen in Kreislaufsysteme, insbesondere der Wasserwiederverwendung und Abwasseraufbereitung, eingebunden (Despommier 2011).
Das Prinzip „Wachsen lassen“
Wenn die möglichst optimale
Förderung der Vegetation als wichtigstes Naturschutzziel im Sinne einer für die
menschliche Zivilisation nachhaltigen Entwicklung des Bioplaneten anerkannt
wird, müssen Pflanzenwachstum und Vegetationsentwicklung so gut wie möglich
gefördert werden. Das bedeutet, dass man Pflanzen überall dort wachsen lässt,
wo sie nicht wichtige Funktionsabläufe stören.
Die Bearbeitung von Kulturflächen ist in vielen Fällen notwendig. Wenn
man eine Wiese in Mitteleuropa nie mehr mäht, wird daraus in ein, zwei
Jahrzehnten ein Gebüsch und in einem Jahrhundert ein Hochwald. Einen Acker muss
man regelmäßig bestellen, abernten, düngen und auch spritzen, um ernten zu
können. Aber wie sieht es mit den Rändern und den Grenzen zwischen den
verschiedenen Nutzungsflächen aus? Hier besteht für den Naturschutz ein
riesiges Potenzial, das für den Naturhaushalt vermutlich ergiebiger ist, als
die in ihrem Flächenanteil sehr beschränkten Naturschutzgebiete. Außerdem hilft
der Randschutz, verinselte naturnahe Flächen zu vernetzen. Eine
vielversprechende Initiative, welche diese Idee verfolgt, ist das „Konzept der Ehda-Flächen“. Initiator und Träger dieses Projektes ist das
Institut für Agrarökologie des Landes Rheinland-Platz (IfA). In den Stadtkernen betrifft dies Parkanlagen,
aufgegebene Verkehrsflächen, Brachflächen, die vorübergehend nicht bebaut sind,
Randstreifen und Verkehrsinseln, die man
zeitweilig der Spontanvegetation überlassen kann. Auch die Grünflächen um
öffentliche Gebäude wie Krankenhäuser, Verwaltungs- und Regierungsgebäude
liefern große, bisher nicht sinnvoll genutzte Flächen.
Ein besonders großes Potenzial stellen Privatgärten dar, die meist in
den Randbereichen der Städte in Vierteln
mit Einfamilien- und Reihenhäusern konzentriert sind. Hier gilt meist das
Prinzip, dass nur wachsen darf , was gepflanzt wurde. „Un“kraut jäten ist
deshalb neben Rasen mähen und Hecken
schneiden die häufigste Beschäftigung des Hobbygärtners. Um das Unkraut ohne zu
viel manuelle Tätigkeit fern zu halten, hat sich schon vor einigen Jahrzehnten
verbreitet, die Beete mit einer Schicht aus keimungs- und wachstumshemmendem
Rindenmulch zu bedecken.Seit einigen Jahren wird eine noch pflanzenfeindlichere
Methode, das Auskiesen von Gartenflächen, immer beliebter.
Durch solche Maßnahmen gehen sehr viele potenzielle Flächen für einen
ökologisch wirkungsvollen „grünen Pelz“ verloren.
Einige Regeln, die helfen können, aus einem Garten eine ökologisch
wertvolle Grünfläche zu machen:
Zierpflanzen, die gut gedeihen, fördern, auf solche, die schlecht wachsen oder sehr viel Pflege benötigen, verzichten,
auf Pestizide verzichten oder sie nur sehr gezielt bei einzelnen befallenen Pflanzen einsetzen,
Wildpflanzen nur entfernen, wenn sie gewünschte Zier- oder Nutzpflanzen schädigen oder verdrängen,
Wildpfanzen unter Hecken oder Sträuchern wachsen lassen,
Rasenflächen, die rein ornamentale Funktion haben, zu mageren (nicht gedüngten), höchstens zweimal im Jahr gemähten Wiesen umwandeln,
Abstellflächen (z.B. Autostellplätze) nicht pflastern oder asphaltieren, sondern als Schotterrasen gestalten,
Einfahrten mit unterbrochenen Pflastersteinen befestigen, die Bewuchs und Wasserversickerung ermöglichen,
abgeblühte Blütenstände und abgestorbene Fruchtstände wenigstens teilweise stehen lassen, auch über Herbst und Winter (Überwinterungsplätze für Insekten)
Gartenabfälle vor Ort kompostieren,
aus Strauch- und Baumschnitt Reisighaufen anlegen,
Gartenmauern als Trockenmauern anlegen, Mauerritzen können zur schnelleren Begrünung mit passenden Pflanzen geimpft werden (Zimbelkraut, Mauerraute, Schöllkraut, Polster von Mauermoosen wie Drehzahnmoos, Kissenmoos)
Abwechslungsreiche Besiedelungsflächen schaffen (Sandflächen, Lehmböden, humusreiche Böden, Stein- bzw. Bauschutthaufen),
Regenwasser vom Dach (und versiegelten Flächen) in Zisterne sammeln und als Gießwasser (ggf. auch für Teich /Bachlauf) nutzen.
Quellen
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Ulmer
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Smil, V. (2019): Growth – From microorganismes to megacities. Cambridge MA.: MIT-Press
Watson, J. E. M., Allen, J. A. U:A: (2018): Protect the last of the wild. Nature 563, pp. 27-30
Mehl aus reifen Samen, unreife Bohnen geröstet oder
gekocht
Afrika
Trockengebiete Westafrikas
Bockshornklee (Trigonella foenum-graecum)
Samen als Nahrungsmittel und Tierfutter, Gewürz (z. B. in
türkischer Gewürzpaste Çemen), Sprossen (verursachten wg. bakterieller Verunreinigung EHEC-Epidemie),
medizinisch möglicherweise gegen Parkinsonsymptome (Verzögerung
der Schädigung dopinerger Nerven)
Süd- u. Mitteleuropa, Afrika, Naher Osten, Indien, China,
Australien
das harzige Fruchtfleisch der röhrenförmigen Hülsen wird ähnlich
wie Lakritz genutzt und ist Bestandteil von Abführmitteln; dient auch zum
automatisieren von Tabak
alle Pflanzenteile, auch die eiweißreichen Knollen sind
essbar, Ölgewinnung
Südostasien, Afrika (vor allem im Gartenbau)
Afrika, Madagaskar
Gartenbohne (Phaseolus vulgaris)
sehr viele Sorten
mit unterschiedlich gefärbten und geformten Samen
unreife Hülsen („grüne Bohnen“) und reife Samen als Gemüse
weltweit mit Schwerpunkt in Asien
Mittelamerika und andines Südamerika
Guarbohne (Cyamopsis tetragonobolus)
Hülsen als Gemüse und Grünfutter; Guarkernmehl mit
Hauptbestandteil des Mehrfachzuckers Guaran als Verdickungsmittel (E 412);
technisch für Fracking verwendet
Indien und Pakistan,
Südwest-USA, Australien, Israel
vermutlich Indien
Hamburger Bohne,
Samtbohne (Mucuna sloanei)
gekochte unreife Hülsen und reife Bohnen als Gemüse;abführend
und harntreibend;aus allen Pflanzenteilen kann ein schwarzer Farbstoff gewonnen
werden
grüne Hülsen und unreife Bohnen als Gemüse, reife Bohnen
als Gemüse oder Mehl, in Ägypten Gebäck „Tauniah“ (auch aus Vicia faba); Bodenverbesserung und
Gründüngung; in Ostasien medizinisch genutzt
junge Hülsen und unreife Bohnen als Gemüse, reife Samen
nach entwässern und langem Erhitzen als Gemüse
subtropische und tropische Gebiete weltweit
Mittel und Südamerika
Johannisbrot (Ceratonia siliqua)
Frucht wird frisch oder getrocknet verzehrt, zu Saft
gepresst, zu Sirup verarbeitet oder zu alkoholischem Getränk vergoren, das
getrocknete Fruchtfleisch wird auch zu Carobpulver vermahlen und wie
Kakaopulver genutzt; die Samen liefern ein technisch genutztes
Verdickungsmittel, Carubin oder Johannisbrotkernmehl (E 410)
Mittelmeergebiet, insbesondere Spanien einschließlich der
Balearen
Mittelmeergebiet und Vorderasien
Juckbohne (Mucunia pruriens)
in den Tropen weit verbreitete Futterpflanze (Heu,
Silage), Bohnen geröstet als Kaffeeersatz, als Gemüse nur nach langem
Einweichen und Kochen, da roh giftig (Alkaloide)
Heilpflanze, z. B. gegen Parkinson; Haare für Juckpulver
Mittelmeerländer, subtropische bis warm- gemäßigt Zonen
weltweit
Mittelmeergebiet
Mattenbohne, Mottenbohne
(Vigna aconitifolia)
ganze oder halbierte Bohnen als Gemüse gekocht oder
fritiert
Indien, Sri Lanka, asiatische Trockengebiete
Indien
Mungobohne ,
„Green Gram“ (Indien) (Vignaradiata)
ganze oder halbierte Bohnen als Gemüse gekocht oder
frittiert, Mehl für verschiedene Gerichte, z. B. Glasnudeln; grüne Bohnen als
Salat oder Gemüse, Sprossen
reife Bohnen vor allem als Viehfutter aber auch für die
menschliche Ernährung
Indien
Südindien
Platterbse, Saat-,
Kicherling, (Lathyrus sativus)
Mehl, Schrot, Gemüse
Europa (v.a. Mittelmeergebiet), W-Asien
Mittelasien (pontisch-kaspisch)
Reisbohne (Vigna
umbellata)
trockene Bohnen werden wir Reis zubereitet; grüne Hülsen
und junge Bohnen als Gemüse und Salat, Sprossen
Südostasien, Indien
Zentralchina bis Malaysia
Schabziger-Klee;
Brotklee (Trigonella caerulea)
Gewürz, v.a. zur Herstellung des Schabziger-Käses (Kräuterkäse,Schotterkäse,Grüner
Käse)
Alpenraum, v. a. Schweiz, Südtirol,
Ursprungsart T.
.procumbens im östlichen Mittelmeergebiet und Kaukasus
Schwertbohne (Canavalia
gladiata)
reife Körner müssen wie bei der Jackbohne entgiftet werden
subtropische und tropische Gebiete weltweit
Südasien und Afrika
Senegal-Akazie (Senegalia senegal)
Gummi arabicum (Harz), Verdickungsmittel,Bindemitte und
Stabilisator in Nahrungsmitteln und Getränken, aber auch in Kosmetikartikel,
Farben u.a. (E 414)
nicht kultiviert
Wüsten- und Halbwüstengebiete südlich der Sahara, v. a.
Senegal
im Nahen Osten wird aus dem Fruchtfleisch Limonade
hergestellt; in Thailand und Mexiko werden kandidierte Früchte als Konfekt gegessen;
die Samen werden gekocht und geröstet und zu Mus gestampft (Tamarindenmark);
gemahlene Samen dienen auch als Geliermittel
Tropen und Subtropen
Afrika
Teparybohne (Phaseolus acutifolius)
junge Hülsen als Gemüse, reife Samen in Suppen
v.a. Mexiko
nördliches Mexiko
Tragant (Astragalus gummifer u.a.Arten)
Harz (Traganth) dient als Verdickungs- und Bindemittel (E
413)
kaum kultiviert
West- und Vorderasien, Iran bis Türkei
Turibaum,
Kolibribaum (Sesbania grandiflora)
Gemüse, Grünfutter, Harze und Gerbstoffe, v. a. für lokale
Nutzung
Beim Pragsattel in Stuttgart – eine der verkehrsreichsten Stellen der Stadt – war bis vor kurzem eine landschaftsarchitektonische Installation des niederländischen Konzeptkünstlers Herman de Vries zu sehen. Der Künstler hatte sein „Sanctuarium“ anlässlich der Internationalen Gartenbauausstellung 1993 Stuttgart auf den Weg gebracht. Es handelt sich um ein knapp 100 m² großes, von einem stählernen Staketenzaun mit vergoldenen Pfeilspitzen umgebenes Rondell. Die Idee des Künstlers: diese Fläche sollte völlig frei von menschlichem Einfluss bleiben. „Die Kunst ist aber nicht an erster Stelle im Entwurf des Stahlzauns und seiner Ausführung zu sehen. Das ist der Rahmen. Das wichtigste findet innerhalb dieses Zaunes statt. Es sind die Pflanzen, die sich da ansiedeln, …“ (de Vries 1995 nach Wikipedia).
1993 wurde diese Kunstaktion in der Öffentlichkeit durchaus kritisch wahrgenommen – was sollte sich hier schon entwickeln außer „Unkraut“? Tatsächlich hat sich aber im Laufe der Jahrzehnte ein durchaus hübsch anzusehendes, dichtes, kleines Gehölz entwickelt, mit Rotem Hartriegel und anderen Sträuchern, Hunds-Rosen und alles umrankenden Waldreben, eine wirkliche Oase in der Verkehrslandschaft. Im März vergangenen Jahres wurde die Vegetation vom Garten-, Friedhofs- und Forstamt (GFF) der Stadt Stuttgart mit der Begründung entfernt, dass „die Entwicklung zum Wald durch regelmäßiges Zurückschneiden der Spontanvegetation auf das Ausgangsstadium verhindert werden soll“ (Zitat von der Pressestelle der Stadt Stuttgart nach Stuttgarter Nachrichten vom 25. März 2018).
Diese Rodung konnte man allerdings nicht als Rückschnitt bezeichnen, denn die Pflanzen wurden wirklich bis auf den Wurzelansatz vollständig entfernt.
Der Künstler hat gegen diese Abholzaktion der Stadt Stuttgart protestiert und viele Aktivisten haben sich dem Protest angeschlossen und sogar Anzeige „wegen Vandalismus“ gegen das Gartenamt erstattet. Da es sich dabei um die Beseitigung eines offiziell akzeptierten und vom Künstler genau beschriebenen Kunstwerkes handelt, erscheint dies berechtigt und hat durchaus Aussicht auf Erfolg.
Naturfrevel
Der Kunstfrevel ist eine Sache. Ich finde allerdings noch bedenklicher, dass es erst einer spektakulären Kunstinstallation bedarf, um Protest gegen die Vernichtung von Spontanvegetation hervorzurufen. Gerade die Ämter, die für das Grün in der Stadt zuständig sind, sollten überall dafür sorgen, dass Natur eingeschaltet und nicht ausgeschaltet wird. Wildwuchs sollte nur dort beschnitten, zurückgedrängt oder vernichtet werden, wo dies aus funktionalen Gründen – und nicht aus einer falsch verstandenen Ordnungsliebe heraus – notwendig ist (vgl. In diesem Zusammenhang auch das sogenannte „Konzept der Ehda-Flächen“ das Ende 2018 als offizielles Projekt der UN Dekade biologische Vielfalt ausgezeichnet wurde) . Das Stuttgarter Sanctuarium ist im Übrigen ein gutes Beispiel dafür, dass sich in den Städten für Klima und Naturhaushalt wertvolle Vegetation mit sehr geringem Kostenaufwand etablieren lassen würde. Statt aufwändiger Pflanzaktionen könnte man einfach kleine Areale sich selbst überlassen, dann würde sich dort mit der Zeit eine Gehölzvegetation einstellen, die dem Standort angepasst ist und keiner besonderen Pflege bedarf. Um zu verhindern, dass ein flächendeckender „Urwald“ entsteht, könnte man die Grenzen solcher Ökoinseln genau festlegen – ohne aufwändige und sicher relativ teure Umzäunungen.
Das Stuttgarter Sanctuarium wurde 25 Jahre alt. Hätte man der Entwicklung ohne weiteren Eingriff weitere 25 Jahre zugeschaut, wären vermutlich tatsächlich relativ hohe Bäume entstanden von denen irgendwann möglicherweise eine Verkehrsgefährdung hätte ausgehen können – wie dies bei allen Bäumen an Wegen, Straßen und in Siedlungen vorkommen kann. Auch nicht vertretbare Sichtbehinderungen für die Verkehrsteilnehmer wären denkbar. In solchen Fällen müsste ein Eingriff natürlich jederzeit möglich sein.
De Vriesentöpfe
Um das Bewusstsein für Regenerationsfähigkeit der Natur zu stärken und das Konzept des „Wachsen lassens“ in Siedlungsräumen und Kulturlandschaften weiter zu verbreiten, möchte ich zu einem Experiment anregen, das man nach der Aktion des Künstlers und Gärtners Hermann de Vries als „De Vriesentopf“ bezeichnen könnte.
Ende Februar 2017 haben wir auf unserer Terrasse – wie schon die Jahre zuvor – einen großen Blumentopf mit Garten- und Komposterde gefüllt und mit Gartenkresse eingesät und dann etwa zwei Monate lang Kresse geerntet. Dann waren die Kressepflanzen trotz regelmäßigen Abzupfens schon zur Blüte und Frucht gekommen und nicht mehr so gut für die Küche geeignet. Zwischen den gerupften Kressestängeln begannen andere Pflanzen zu wachsen. Zunächst waren das vor allem – ebenfalls essbare – Vogel-Sternmieren und Persischer Ehrenpreis. Wir haben den Topf dann einfach stehen lassen und Anfang August hatte sich eine sehr vielseitige Pflanzengemeinschaft entwickelt.
Wir haben dann in die weitere Entwicklung den ganzen Winter nicht eingegriffen und im nächsten Jahr 2018 mit seinem sehr trockenen und warmen Sommer ebenfalls nur gegossen aber keine anderen Eingriffe vorgenommen. Die Fotos dokumentieren die Entwicklung unseres De Vriesentopfes bis zum Januar 2019 .
Im April und im Mai wachsen in dem Topf schnell verschiedene Pflanzenarten empor. Die meisten finden sich irgendwo in unserem Garten aber nicht alle. Vor allem mit einer Segge kann ich zunächst – bevor sich die Blütenstände zeigen – nichts anfangen. Dann stellte sich heraus, dass es sich um die Hasenpfoten-Segge handelt, die ich in unserem Garten noch nie gesehen habe und die mir auch in der weiteren Umgebung bisher nicht aufgefallen ist.
Am 21. Juni 2018 kann ich folgende Arten registrieren:
Mit den hochgewachsenen Königskerzen und dem Feinstrahl sieht unser Blumentopf nun richtig imposant aus. Die Nachbarin bewundert ihn. Allerdings sind einige Pflanzen auch schon fast verschwunden, zum Beispiel der Steife Sauerklee, die Margeriten sind längst verblüht. Einige Einjährige vom ersten Jahr – wie Ruten-Hirse, Kanadisches Berufkraut und Behaartes Knopfkraut – sind dieses Jahr gar nicht mehr erschienen.
Besonders beeindruckt bin ich von der Hasenpfoten-Segge. Ich habe bisher nicht gewusst, dass sie auch ausgesprochen schöne und sehr dauerhafte vegetative Triebe bildet, an denen man die dreizeilige Beblätterung sehr gut erkennen kann.
Im Herbst fangen die meisten großen Pflanzen dann an zu vertrocknen. Der Feinstrahl bildet aber noch bis zum Dezember neue Blüten. In der niedrig stehenden Nachmittagssonne sieht unser De Vriesentopf immer noch sehr schön aus
Mittlerweile wurde unser Topf – zum ersten Mal diesen Winter – eingeschneit. Nun sind wir sehr gespannt, welche Pflanzen sich im nächsten Jahr entwickeln werden.
Die Bilder sollen anregen, selbst einen solchen Versuch mit spontaner Vegetation zu starten. Es reicht ein Blumentopf oder ein Blumenkasten. Natürlich wird die Zusammensetzung der Arten sehr stark von den äußeren Bedingungen, zum Beispiel von der Besonnung, der Wasserversorgung und vor allem dem Boden abhängen. Aber auch die umgebende Vegetation dürfte wichtig sein. Durch Variation dieser Bedingungen kann man Einfluss nehmen aber die Entwicklung nicht wirklich vorherbestimmen. Ein gewisser Überraschungseffekt wird immer bleiben und das ist das Spannende an dem De Vriesentopf.
So wie es jetzt aussieht, dürfte die Anzahl der Arten in der nächsten Vegetationsperiode weiter zurückgehen. Noch gibt es einen blühenden Feinstrahl, sehr mickriges Kriechendes Fingerkraut, sehr kleine „Große“ Brennnesseln, die Grundrosette einer Großblütigen Königskerze und einen sehr in die Enge getriebenen Blutroten Hartriegel. Neuansiedlungen von außerhalb scheinen nun endgültig nicht mehr möglich zu sein.
Der Schnee war schnell wieder geschmolzen. Aber dann habe ich mich zu einem Eingriff entschlossen, der bewirken soll, dass die auskeimenden Pflanzen nicht zu sehr beschattet werden. Die abgestorbenen Pflanzenreste – vor allem von den Seggenarten – wurden abgeschnitten.
Am 1. Mai sieht alles wieder schön grün aus, aber die Artenanzahl scheint etwas reduziert zu sein. Auf der noch freien Fläche hat sich vor allem das Kriechende Fingerkraut ausgebreitet. Der Hartriegel setzt sich durch.
Die Hasenpfoten-Segge dominiert, der Hartriegel hatte einen Wachstumsschub, das Kriechende Fingerkraut hat lange Ausläufer gebildet, die über den Terrasseboden kriechen.Auch mehrere Feinstral-Pflanzen haben sich zunächst gut entwickelt, wurden aber dann stark von der Spanischen Wegschnecke abgefressen, Von der Großen Brennnessel haben sich nur zwei oder drei sehr kümmerliche Triebe entwickelt. Vom Gewöhnlichen Hornkraut sind verdorrte Fruchtstände zu erkennen.
Anfang März haben wir wieder – wie im vergangenen Jahr – trockene Blätter und Stängel entfernt. Der Aspekt ähnelt nun sehr stark dem Vorjahr. Außer Seggen ist vor allem das Kriechende Fingerkraut zu erkennen.
Im 5. Jahr geht die Artenvielfalt deutlich zurück. Es dominiert ganz stark die Hasenpfoten-Segge, von der Zypergras-Segge sind nur noch wenige Halme übrig geblieben. Gut gehalten hat sich das Kriechende Fingerkraut. An weiteren Kräutern kann man bis jetzt nur wenige Pflänzchen des Gewöhnlichen Hornkrauts erkennen. Der Rote Hartriegel hat erheblich an Biomasse zugelegt.
Das Foto zeigt die erfolgreiche Auswanderung des Kriechenden Fingerkrauts.
Der Hartriegel blüht zum ersten Mal. Außer Hasenpfoten-Segge und Fingerkraut ist eine Schmalblättrige Wicke (Vicia angustifolia) zum Blühen gekommen.
Der Feinstrahl, auch Feinstrahl-Berufkraut oder Einjähriges Berufkraut (Erigeron annuus (L.)Pers.) ist ein gern gesehener Bewohner unseres Gartens. Im Mai streckt sich aus der ziemlich breitblättrigen Rosette ein Spross mit immer schmaler werdenden Blättern, der sich schließlich feingliedrig verzweigt und viele Köpfchen mit schmalen weißen oder ganz leicht lila angehauchten Strahlenblüten und einer gelben Mitte aus Röhrenblüten bildet. Er blüht den ganzen Sommer über bis in den Herbst und bei mildem Wetter können sich die letzten Blütenköpfchen auch noch im Dezember öffnen. Das liegt daran, dass auch noch später im Jahr Pflanzen keimen und heranwachsen. Auch Pflanzen, deren Blütenstände abgeschnitten wurden oder vom Wind geknickt wurden, treiben später neue Blütenstände.
Unwanted Newcomer? – Bei mir nicht!
Der Feinstrahl wurde schon im 17. Jahrhundert als Zierpflanze aus Nordamerika in Europa eingeführt (Kowarik 2003, S.59) und er hat sich hier allmählich eingebürgert. Als Zierpflanze ist er – zu Unrecht – kaum noch in Gebrauch. In Deutschland trifft man die asternähnliche Pflanze im Süden und in der Mitte deutlich häufiger als im Norden. Nördlich der Eider – in meiner alten Heimat – ist er nach der aktuellen Verbreitungskarte von Floraweb (Datenstand 2013) bis heute noch nicht beobachtet worden.
Flugfrüchte des Feinstrahls, Scan von W. Probst
Die winzigen, in großer Anzahl produzierten Flugfrüchte müssten eigentlich eine schnelle und weite Ausbreitung garantieren. Immerhin wurde die Pflanze in 1965 von 3000 Messtischblättern (TK 25) registriert. Auf der von Kowarik nach der TK25-Häufigkeit zusammengestellten Liste der 50 häufigsten Neophyten steht sie auf Platz 32.
Seit einiger Zeit ist es üblich geworden, Verkehrsinseln und Randstreifen aber auch Vorgärten grob einzuschottern, vermutlich, um dem „Unkraut“ keine Chance zu geben. Beim Feinstrahl, der heute im Allgemeinen zu den Unkräutern gerechnet wird, wirkt dies nicht besonders. Er mag solche geschotterten Flächen ganz gerne. Ich kenne einen Schotterbereich an einer Straßeneinmündung in die B 31bei Immenstaad, der nun schon im zweiten Jahr einen fast reinen Feinstrahl-Bestand ausgebildet hat. Das sieht sehr schön aus.
In den letzten Jahren scheint sich der Feinstrahl stärker auszubreiten und deshalb wird er von manchen Naturschützern auch schon als möglicherweise „invasiv“, also gefährlich für heimische Arten und Ökosysteme, angesehen. In der Schweiz wurde die Art schon auf die Beobachtungsliste für invasive Neophyten (Schwarze Liste) gesetzt. Eine besondere Gefährdung soll sie für die Stromtalwiesen darstellen. Diese pflanzensoziologisch auch als Brenndolden-Feuchtwiesen bezeichneten und nach der FFH-Reichtlinie durch die EU geschützten Lebensräume werden aber sicherlich mehr durch veränderte Nutzung und Eutrophierung als durch den Feinstrahl bedroht.
Garten mit Feinstrahl, Oberteuringen, Juni 2016; Foto S. Probst
Berufkräuter
Neben dem Einjährigen Berufkraut kommt in Deutschland vor allem noch das Scharfe Berufkraut (Erigeron acris), eine einheimische und meist mehrjährige Art, vor. Sie hat in der Volksmedizin eine bedeutende Rolle gespielt. Daher kommt auch der Name, der oft falsch als „Berufskraut“ zu lesen bzw. zu hören ist. Es geht aber nicht um den Beruf, sondern um das „Berufen“. Das Scharfe oder Echte Berufkraut sollte nämlich vor dem bösen Zauber, dem Berufen durch Geister, Hexen oder Teufel, schützen. Deshalb wurde die Pflanze im Mittelalter Säuglingen in die Wiege gelegt. Der wissenschaftliche Name „Erigeron“ lässt sich auf griechisch „eri“ = früh und „geron“ = Greis zurückführen und bedeutet etwa „früh alternd“ (Genaust 1983) Das bezieht sich – ganz ähnlich wie bei den Greiskräutern (Gattung Senecio von lateinisch „senex“ = Greis) auf den mehr oder weniger grauen Haarkranz der Früchte, den Pappus. Gleich nach der Blüte erscheinen graue Haare.
Bis heute gelten Berufkräuter als Heilpflanzen, insbesondere wegen ihres Gehaltes an Gerbstoffen, etherischen Ölen und Flavonoiden . In der offiziellen Heilkunde spielen sie aber keine Rolle. Die Pflanze eignet sich aber als Lieferant für Gemüse und Salate, vor allem die jungen Blätter der grundständigen Rosette.
Feinstrahl (Erigeron annuus), Foto W.Probst
Früchte ohne Befruchtung
Sippen von Erigeron annuus haben normalerweise einen doppelten Chromosomensatz von 27, seltener 54, sie sind also triploid bzw. hexaploid. Dabei triploiden Pflanzen keine normale Meiose möglich ist, wäre eine normale sexuelle Fortpflanzung nicht möglich. Der Feinstahl zeigt aber trotzdem einen guten Fruchtansatz, der auf apomiktischen Wege, also ohne Befruchtung, zustande kommt. Obwohl der Feinstrahl also gar keine Insekten zur Bestäubung benötigt, ist er bei Blütenbesuchern nicht unbeliebt. Schwebfliegen, Bienen, Hummeln und Schmetterlinge sind häufige Gäste der Blütenstände.
Quellen
Feinstrahl, Foto W.Probst
Genaust, H. (1983: Etymologisches Wörterbuch der botanischen Pflanzennamen. Basel …: Birkhäuser
Kowarik, I. (2003): Biolgische Invasionen:Neophyten und Neozoen in Mitteleuropa. Stuttgart: Ulmer
Oberdorfer, E. (8.A. 2001): Pflanzensoziologische Exkursionsflora für Deutschland und angrenzende Gebiete. Unter Mitarbeit von A. Schwabe und T.Müller. Stuttgart: Ulmer
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Moose im Rasen? An Mauern?Auf Dächern? Auf Wegen? Auf Grabsteinen?
Um Gottes willen, was kann man dagegen tun? Nun, es gibt viele Hilfen. Wenn man bei Google „Moosentferner“ eintippt, erhält man derzeit 450.000 Ergebnisse! Da liest man zum Beispiel diese beruhigende Nachricht:
„Geht es darum, große Flächen, Granitpflaster, Waschbetonplatten, Pflastersteine einer gründlichen Moosentfernung zu unterziehen, ist ein Moosentferner aus dem Fachhandel die beste Methode. Er erspart Arbeit und Zeit. Im Handel gibt es viele wirksame Moosentferner, die weder die Untergründe angreifen, noch schädliche Stoffe in Erde und Grundwasser leiten. Sollen Carports, empfindliche Grabsteine oder vereinzelte Beetplatten behandelt werden, sollte jeweils dafür besonders geeignetes Antimoos ausgewählt werden. Der Handel hält für jede Anwendung die passenden Mittel gegen den Moos- und Algenbefall bereit.“ (unkrautvernichter-shop)
Etwas verwirrend für den solchermaßen beruhigten Hobbygärtner sind dann allerdings Zeitungsmeldungen, in denen darüber berichtet wird, dass man in Feinstaub-belasteten Städten versucht, diesem Übel mit „Mooswänden“ zu begegnen. Eine solche Mooswand von 100 m Länge wurde zum Beispiel in der Feinstaub-Metropole Stuttgart am Brennpunkt Neckartor aufgestellt.
„Flächige Vertikalbegrünung“ gegen Feinstaub
In Berlin gibt es mittlerweile ein Startup Unternehmen, das Hightech-Mooswände für Innenstädte aber auch für Innenräume anbietet. Eine Standard-Mooswand von 16 m2 mit einer integrierten Sitzbank ist für 22.000 € zu haben. Mehrere Städte, nicht nur Dresden, Essen und Reutlingen sondern auch Oslo und Hongkong, haben sich mittlerweile schon Mooswände angeschafft und selbst hier in meiner Umgebung am Bodensee, in Überlingen, wird diskutiert, ob man bei der Landesgartenschau 2020 nicht eine solche Mooswand aufstellen sollte.
Die Firma Green City Solution bewirbt ihre Moosinstallationen als „die Lösung zur nachhaltigen Verbesserung der Stadtluft“. Die Geschäftsidee: „In Städten, wo Luftreinhaltung eine große Herausforderung ist, überleben Moose aufgrund ihres Bedarfs an Wasser und Schatten … kaum. Die Kombination von schattenspendenden Pflanzen, einer vollautomatisierten Wasser- und Nährstoffversorgung und modernster Internet of Things-Technologie (IoT) kann dieses Problem lösen. Gleichzeitig können die Filterleistung und die Bedürfnisse der Pflanzen gemessen und analysiert werden. So entsteht ein intelligenter, natürlicher Luftfilter für die Stadt: der CityTree“.
Eigenartig, einerseits werden größte Anstrengungen unternommen, um unerwünschte Moose und Flechten aus Städten und Siedlungen und aus Gärten und Parks zu verdrängen. Andererseits werden große Summen aufgebracht, um den als Luftverbesserer hoch erwünschten Moosen ein Leben in Stadtzentren zu ermöglichen.
Wie unterscheiden sich Moose von anderen Pflanzen?
Moose sind vermutlich die ältesten Landpflanzen. Bevor es Bärlappe, Schachtelhalme, Farne und Samenpflanzen gab, breiteten sich moosähnliche Pflanzen auf der Erdoberfläche aus. Dabei sind die grünen Moospflänzchen – anders als bei den anderen genannten Pflanzengruppen – nicht die Sporophytengeneration sondern die Gametophyten. Auf ihnen entstehen Archegonien mit je einer Eizelle und Antheridien mit zahlreichen begeißelten männlichen Keimzellen („Spermatozoiden“). Zur Befruchtung wird Wasser benötigt. Aus den befruchteten Eizellen entwickeln sich die Sporophyten, gestielte Sporenkapseln, die immer mit den grünen Gametophyten verbunden bleiben und auch weitgehend von diesen versorgt werden. Nur während des Wachstums bilden sie auch mehr weniger eigenes grünes Gewebe zur Fotosynthese. Mit Farnpflanzen, Bärlappen und Samenpflanzen haben Moose gemeinsam, das sich aus der befruchteten Eizelle zunächst ein Embryo entwickelt, der von einer sterilen Zellhülle umgeben ist. Sie werden deshalb zusammen diesem Pflanzen als Embryophyten bezeichnet. Im Gegensatz zu den anderen Pflanzen haben Moose aber nur ein sehr rudimentär ausgebildetes oder völlig fehlendes Leitgewebe. Die Wasserleitung findet zum großen Teil nicht innerhalb der Moospflänzchen, sondern kapillar in den engen Zwischenräumen zwischen den dichten blätterten Moostrieben statt. Ein Moospolster oder ein Moosrasen kann deshalb sehr viel Wasser halten, ähnlich wie ein Schwamm. Alle anderen Pflanzen haben gut ausgebildete Leitgewebe für Wasser und Assmilate und werden den Moosen als „Gefäßpflanzen“ oder Tracheophyten gegenübergestellt.
Damit hängt zusammen, dass die Moose auch keine echten Wurzeln haben und Wasser und Nährmineralien über alle oberirdischen Pflanzenteile aufnehmen. Dies bedeutet, dass sie anders als die Gefäßpflanzen auch nur wenig gegen Wasserverdunstung geschützt sind. Anders als fast alle Gefäßpflanzen können die meisten Moose aber in fast vollständig ausgetrocknetem Zustand überdauern. Sie erwachen zu neuem Leben, wenn sie wieder befeuchtet werden. Auf diese Weise sind eine ganze Reihe von Moosarten sehr gut an die Besiedlung freier Felsflächen angepasst, vorausgesetzt dass diese Felsflächen wenigstens eine Zeit lang – zum Beispiel während der Schneeschmelze – gut befeuchtet werden. Auch andere vertikale Flächen wie Baumrinden und einzelne Felsblöcke, auch Mauern,Dächer, Grabsteine, Zaunpfosten oder Skulpturen können von Moosen besiedelt werden, denn Moose benötigen keinen Boden.
Bis heute ist diese ursprüngliche Pflanzengruppe weit verbreitet und erfolgreich, allerdings nur dort, wo die schneller und höher wachsenden Gefäßpflanzen den Moosen Luft und Nährmineralien nicht streitig machen.
Mit Moosen bewachsene Felswand im Karadj-Tal, Elbursgebirge, Nordiran. Es dominieren die Arten Grimmia orbicularis, G. ovalis und Schistidium anodon (Foto W.Probst, Juli1977)
Feinstaub
In den 1980iger und 90iger Jahren war Luftverschmutzung durch schwefeldioxidhaltige Abgase das Hauptproblem. Durch Rauchgasentschwefelungsanlagen in allen großen Kraftwerken konnte dieses Problem deutlich verringert werden. Das gegenwärtige Problem sind Stickstoffoxide und Feinstaub und Feinstaub wird teilweise durch Stickstoffoxide verursacht.
Als Feinstaub bezeichnet man die Masse aller im Gesamtstaub enthaltenen Partikel, deren Durchmesser kleiner als 10 µm ist (PM10 von engl. particle matter). Er kann natürlichen Ursprungs sein (beispielsweise als Folge von Bodenerosion) oder durch menschliches Aktivitäten produziert werden. Wichtige Feinstaubquellen sind Energieversorgungs- und Industrieanlagen, etwa in der Metall- und Stahlerzeugung. In Städten und an Hauptverkehrswegen ist der Straßenverkehr die dominierende Staubquelle. Dieser Feinstaub ist für die Gesundheit besonders gefährlich, da er über die Atemluft tief in die Lungen eindringt und in den Schleimhäuten Krankheiten wie Asthma oder Krebs auslösen kann. Je kleiner die Staubpartikel, desto gefährlicher sind sie für die Gesundheit. Deshalb wird noch weiter unterteilt in PM2,5 mit Korndurchmesser unter 2,5 µm und Ultrafeinstaub unter 0,1 µm. Nach der Feinstaubrichtlinie der EU darf der Grenzwert von 50 μg/m3 Luft an einem Messpunkt nur an 35 Tagen im Jahr überschritten werden. In vielen Städten, z. B. in Stuttgart, wird dieser Richtwert ständig überschritten, im letzten Jahr an 63 Tagen (Thielen 2017).
Feinstaubzusammensetzung zweier PM10 Proben aus Stuttgart und Mannheim vom 1.6. und 1.2.2006 (Quelle LUBW)
Ein wichtiger Anteil des Feinstaubs – meist zwischen 20 und 50% – besteht aus Ammoniumsalzen, insbesondere Ammoniumnitrat. Dieses Ammoniumnitrat entsteht, wenn Stickstoffdioxid und Ammoniak in der Atmosphäre aufeinandertreffen. Stickstoffoxide entstehen bei allen Verbrennungsprozessen in stickstoffhaltiger Atmosphäre, umso mehr, je höher die Verbrennungstemperatur und der Druck sind. In modernen Verbrennungsmotoren von Kraftfahrzeugen sowohl bei Benzin- wie bei Dieselmotoren sind diese Bedingungen für die Stickstoffoxidbildung sehr günstig. Während der Schwefel des Schwefeldioxids aus den Brennstoffen kommt, kommt der Stickstoff der Stickstoffoxide also weitgehend aus den 78% N2 in der Atmosphäre. Stickstoffoxide können durch Katalysatoren aus den Abgasen von Verbrennungsmotoren zu einem guten Teil entfernt werden. Dabei wird aber zum Teil Ammoniak (NH3) freigesetzt. Außerdem ist die moderne Landwirtschaft eine bedeutende Ammoniakquelle. Ein überall sichtbares Zeichen für die starke Zunahme des Ammoniumgehaltes in der Luft ist die Zunahme bestimmter Flechtenarten, z. B. der auffälligen Gelbflechte (Gattung Xanthoria).
Moose als Luftfilter
Mit Moosen bewachsener Betonblock (Foto W.Probst,2017)
Zunächst einmal sind Moosrasen und Moospolster schon wegen ihrer großen Oberfläche besonders geeignete Staubfänger für die Luftreinigung. Die Moostriebe sind dicht mit kleinen Blättchen besetzt. Nach Berechnungen von Frahm und Sabovljevic (2007) beträgt die Oberfläche von einem 1 cm hohen Moosrasen etwa das dreißigfache der Grundfläche, wobei sich natürlich hier je nach Moosart beträchtliche Unterschiede ergeben dürften. Der Staub wird jedoch nicht nur durch diese große Oberfläche festgehalten, es gibt auch noch eine chemische Bindung: Die Zellwände von Moosen wirken als Kationenaustauscher. Wenn sich Staub auf der feuchten Blättchenoberfläche absetzt und zum Beispiel Ammoniumnitrat in Lösung geht, werden die NH4+-Ionen gegen Wasserstoffionen ausgetauscht und gebunden.
Darüber hinaus bleiben die abgelagerten Staubteilchen nicht nur auf der Oberfläche liegen, die gelösten Salze werden zusammen mit Wasser direkt durch die Zellmembran aufgenommen. Außerdem konnte nachgewiesen werden, dass auch lösliche Stoffe mindestens zum Teil von reichlich auf den Moosplättchen sitzenden Bakterien abgebaut werden. Die Moose nehmen also den eingefangenen Staub direkt in ihrer Vegetationskörper auf. Bei den Gefäßpflanzen muss er aus der Luft erst in den Boden gelangen, zum Beispiel indem er von den oberirdischen Pflanzenteilen durch Regen abgewaschen und mit der Lösung in den Boden gebracht wird. Dabei ist diese Nährmineralresorption durch die Zellmembran der Moosblättchenzellen – ähnlich wie bei Wurzelhärchen (Rhizoiden) der Gefäßpflanzen – vermutlich kein rein physikalisch bewirkter Diffusionsvorgang, es sind auch aktive Aufnahmeprozesse beteiligt. Auf diese Zusammenhänge hat der Bryologe Jan-Peter Frahm bereits zu Beginn des Jahrtausends hingewiesen und dies auch durch experimentelle Untersuchungen belegt (Frahm und Sbovljevic 2007). Er machte den Vorschlag, an Straßenrändern, insbesondere an Autobahnen und auf Autobahnmittelstreifen Moose anzusiedeln, um die durch den Verkehr belastete Luft zu verbessern.
Ammoniumnitrat-haltige Feinstaubpartikel lösen sich auf der feuchten Blattoberfläche. Ammoniumionen werden teilweise gegen Wasserstoffionen an Zellwandmolekülen ausgetauscht, was zu einer leichten Ansäuerung führt. Bei der Aufnahme durch die Zellmembran spielen neben reiner Diffusion aktive Prozesse ein Rolle.
Für die Dachbegrünung werden Moosmatten schon längere Zeit angeboten. Die Anbieter weisen darauf hin, dass damit auch Dächer begrünt werden können, die für eine herkömmliche Dachbegrünung aufgrund der Statik zu schwach wären oder ein zu großes Gefälle hätten, da die Moosmatten relativ leicht sind. Auch auf eine Schubsicherung des Bodensubstrats kann verzichtet werden, da Moose keine Wurzeln haben sondern mit ihren Rhizoiden direkt am Untergrund haften. Solche Mooosmatten sind wesentlich günstiger als die „City-Trees“ der Firma Green City Solutions. Das Argument für die IoT-Mooswand ist, das sie so gesteuert wird, dass für die Moose immer optimale Wachstumsbedingungen herrschen. Hierzu dient zum Beispiel ein Bewässerungssystem, das Wasser von einem integrierten Regenwasserspeicher erhält, und Deckpflanzen, welche die Moose vor zu starker Besonnung schützen. Die notwendige Energie stammt von Solarzellen auf der Oberseite der Wand. Zwar sterben Moose beim Austrocknen nicht ab, aber als Feinstaubfänger werden sie in diesem Zustand latenten Lebens weitgehend nutzlos. Gerade an trockenen Sommertagen, wenn die Feinstaubbelastung in Innenstädten besonders groß sein kann, ist es aber wichtig, dass die Moosfilter voll funktionsfähig bleiben.
Was geschieht mit der Moos-Biomasse?
Der Feinstaub ist für Moose also Dünger, der sie – wenn die anderen Umweltbedingungen passen – ausgezeichnet wachsen lässt. Unter natürlichen Bedingungen wandelt sich die durch die Moospolster gebildete Biomasse allmählich in Humus um. Wenn dieser Vorgang – zum Beispiel auf Felswänden im Hochgebirge oder am Rand sich zurückziehender Gletscher – lange genug anhält, siedeln sich dann auf der Humusschicht schließlich auch Gefäßpflanzen an. Bei Moosmatten als Straßenrandbegleiter könnte dies ähnlich funktionieren, ebenso bei Moosmatten auf Hausdächern. Wie es bei der Hightech-Mooswand ablaufen könnte, ist mir allerdings nicht ganz klar. Immerhin geben die Hersteller eine Funktionsdauer von wenigstens 20 Jahren an!
Alternativen zu IoT-Mooswänden
“ In Japan reißen die Gärtner die Gräser zwischen den Moosen aus, um einen schönen Garten zu bekommen. Trauen Sie sich das auch?“ (K. Horn)
Moose würden an vielen Stellen, auch in Städten und an Verkehrswegen, wachsen, wenn man sie nicht bekämpfen sondern fördern würde. Diese Förderung ist zunächst einmal eine Frage der Einstellung zu Moosen. Es geht darum, diese wirklich ästhetisch äußerst ansprechenden und dekorativen Gewächse ins Bewusstsein von Hobbygärtner und Naturfreunden zu bringen. Ansätze dazu könnte man zum Beispiel bei Terrarianern finden oder auch bei Freunden der Bonsai-Kultur. Denn diese aus Japan stammende und bei uns durchaus angesehene Variante des Hobbygärtnertums greift häufig auf Moose als dekorative Elemente zurück. Als Anleitung für einen Moosgarten oder zumindest eine moosfreundliche Pflege des Gartens kann ein Buch des schon genannten Biologen Jan-Peter Frahm „Mit Moosen begrünen“ (4. A.2014) dienen. Sehr gute und detaillierte Anleitungen zur Moosansiedelung und Moosgartenpflege enthält das englischsparchige Buch „Moss Gardening“ von George Schenk (1997). Aber auch schon eine Umkehr der Ratschläge, die man im Internet zur Moosbekämpfung, finden kann, zeigen, wie man diesen nützlichen kleinen Pflanzen im Garten mehr Raum geben kann:
Brunnnefigur im Hanbury Garden, La Mortola, Italien (Foto Probst April 1980)
Moose an Mauern und in Mauerfugen und Fugen von Plattenwegen wachsen lassen.
Moose in Staudenbeeten nicht entfernen sondern wachsen lassen.
Moose von Baumstämmen und Ästen nicht abkratzen.
Moose von Steinen oder Figuren nicht entfernen sonder bei großer Trockenheit wässern.
Moosbewuchs auf Dächern begrüßen und nicht entfernen.
Moose in Rasenflächen nicht bekämpfen sondern fördern, z. B. durch Zulassen schattiger Bereiche, Verzicht auf Dünger, unregelmäßiges, nicht zu häufiges Mähen, Verzicht auf Vertikutieren.
Mauermoose (Grimmia pulvinata und Tortula muralis,Foto Probst 2017)
An feuchten Uferbereichen von Gartenteichen gedeihen Moose sehr gut, wenn die Nährmineralversorgung eher dürftig ist und dadurch die Konkurrenz größerer Pflanzen gering bleibt.
Moosrasen im Blumenbeet in November (Foto Probst 11.2017)
Auch die Grünämter der Städte und Gemeinden könnten – unabhängig von der Aufstellung von High-Tech-Mooswänden –i in derselben Weise wie die Gartenbesitzer etwas für die Förderung des Moosbewuchses tun. Das gezielte Ansiedeln von Moosen und die Beschilderung von angelegten Moosgärten nach japanischem Vorbild könnten zudem Vorbildcharakter für Hobbygärtner bekommen. Besonders geeignet hierfür wären Bundes- und Landesgartenschauen.
Sporophyten des Mauer-Drehzahnmooses (Tortula muralis) in der Abendsonne (Foto Probst 10.12.2005)
Quellen
Dunk, K.v.der (1988): Das Dach als Lebensraum II. Zu den Moosen aufs Dach. Mikrokosmos 77(10): S.300-307
Frahm, J.-P. (4.A.,2014): Mit Moosen begrünen – eine Anleitung zur Kultur (Gärten, Dächer, Mauern, Terrarien, Aquarien, Straßenränder). Jena: Weissdorn
Frahm, J.-P., Sabovljevic, M. (2007): Feinstaubreduzierung durch Moose. In: Immissionsschutz: S.152-156
Frey, W., Probst, W. (1973): Die Popstermoosvegetation im Karadjtal (Elbursgebirge, Nordiran). Bot. Jahrb. Syst. 93 (3) ,S. 404-423
Martin, A. (2015): Magical World of Moss Gardening. Portland (Oregon, USA): Timber Press
Schenk, G. (1997): Moss Gardening: Including Lichens, Liverworts, and Other Miniatures. Portland (Oregon, USA): Timber Press
LINK-NAME In dem Beitrag „Zehn Jahre Nachhaltigkeitsstrategie“ habe ich G. C. Daily zitiert: ‚Until the next big asteroid hits us, the future of life on earth will depend much more on humanity than on anything else“ (G. C. Daily, Nature 411, 17 . Mai 2001,p.245). Damit wird – zwar mit einem relativierend fatalistischen Ausblick – die Erkenntnis zum Ausdruck gebracht, dass die Menschheit eine große Verantwortung für den Bioplaneten Erde trägt. In dieser Rolle des Erdenbeschützers sehen sich vor allem Naturschützer und Umweltschützer. „Natur- und Umweltschutz“ ist eine Wortkombination, die sich in vielen politischen Programmen, Forderungskatalogen und Absichtserklärungen findet. Doch zunächst einmal sind diese beiden Schutzziele keineswegs identisch.
Natur- und Umweltschutz
Während es dem Naturschutz darum geht, die Natur vor dem Menschen und den menschlichen Aktivitäten zu schützen, ist es das Ziel des Umweltschutzes, die Umwelt für den Menschen zu bewahren (Hupke 2015). In den 1990 er Jahren wurde versucht, diese anthropozentrische Orientierung des Umweltschutzes durch den Begriff der „Mitwelt“ und des „Mitweltschutzes“ zu ersetzen und damit Natur- und Umweltschutz zu vereinen (Meyer-Abich 1990), Dieser Begriff hat sich allerdings nicht durchgesetzt.
Ein wichtiges Ziel des Naturschutzes, vielleicht sogar das wichtigste Ziel, ist der Erhalt der biologischen Vielfalt. Dabei geht es um die Vielfalt der Arten und die Vielfalt der Lebensräume bzw. Ökosysteme und schließlich auch noch um die genetische Vielfalt innerhalb der Arten, in den Populationen.
Alle Fachleute sind sich weitgehend einig darüber, dass das von der menschlichen Zivilisation verursachte Aussterben von Arten eine katastrophale Dimension angenommen hat. In der Folge der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro wurde deshalb schon 1993 ein „Übereinkommen zum Schutz der biologischen Vielfalt“, die sogenannte Biodiversitätskonvention (Convention on Biological Diversity – CBD) getroffen. Dieses Abkommen wurde mittlerweile von 188 Staaten – auch von der EU – unterzeichnet und in deren Gesetzgebung übernommen. Als Begründung für die Notwendigkeit, biologische Vielfalt zu erhalten, werden in dieser in dieser Konvention folgende Punkte angeführt:
Ökonomische Interessen. Vielfalt ist eine genetische Ressource und eine Ressource an Naturstoffen. Artenverlust führt zu einer Beeinträchtigung potentieller Nutzungsfähigkeit. Wenn eine Art ausgerottet wird, wird damit menschliche Handlungsmöglichkeit für die Zukunft unwiderruflich beschränkt.
Ökologische Interessen. Das Wirkungsgefüge der Biosphäre, die Prozesse des Energieflusses und des Recyclings, sind auf Vielfalt angewiesen. Sie sind die Basis für den Erhalt der „natürlichen Lebensgrundlagen“.
Gesellschaftliche und kulturelle Interessen. Biologische Vielfalt spricht uns unmittelbar emotional an. Sie dient der Befriedigung emotionaler Bedürfnisse. Natur, insbesondere auch ursprüngliche, vom Menschen nicht oder wenig beeinflusste, kann als „Kraftquelle“ genutzt werden. Aber auch reich strukturierte traditionelle Agrarlandschaften, wie sie für Mitteleuropa bis vor 50 Jahren charakteristisch waren, haben einen besonderen ästhetischen Wert für Erholungssuchende.
Biologische Vielfalt ist ein Wert in sich. Die Schöpfung ist es Wert, um ihrer selbst willen erhalten zu werden. Dieser Argumentation folgt vor allem die Tiefenökologie und die „radikale Ökologie“.
Genaugenommen sind allerdings nur der letzte Punkt und eingeschränkt der zweite Punkt wirkliche Naturschutzargumente. Die beiden anderen Begründungen sind letztlich auf den Menschen bzw. die menschliche Gesellschaft bezogen und damit als Ziele des Umweltschutzes zu werten.
Artenschutz: Seltene Arten häufig machen?
Artenschutz ist bis heute ein wichtiger wenn nicht der wichtigste Teil der Naturschutzarbeit. Rote Listen dienen dazu, die Gefährdung von Arten einzuschätzen. Sie spielen bei der Bewertung von allen Eingriffen in den Naturhaushalt eine wichtige Rolle. Aber was bedeutet „Artenschutz“ eigentlich? Schon 1987 fragte Hermann Ellenberg „Was will der Naturschutz eigentlich – seltene Arten häufig machen?“. Er weist zu Recht auf die Probleme mit „Roten Listen“ hin, die nicht nur zeitlich begrenzt sind (etwa auf die letzten 120 Jahre) sondern vor allem auch räumlich auf die jeweilige politischen Grenzen. Außerdem haben seltene Arten nur einen geringen Anteil an der Individuenzahl einer Lebensgemeinschaft. Daraus ergibt sich logischerweise, dass sie auch für das Wirkungsgefüge eines Ökosystems, für Energieflüsse und Stoffkreisläufe, nur von untergeordneter Bedeutung sind. Ist es deshalb wirklich gerechtfertigt, dem Schutz solcher seltener Arten eine so hohe Bedeutung beizumessen? Ein besser begründbares Ziel ist der Erhalt einer großen Artenvielfalt. Sie hängt einmal von einer Vielfalt der Lebensräume zum anderen aber auch in starkem Maße von dem Nährmineralgehalt des Bodens ab. Der hohe Nitrat-und Phosphatseintrag, der einmal der Landwirtschaft zum anderen den Verbrennungsmotoren geschuldet ist, trägt dazu bei, dass auf hohe Nährmineralgehalt des Bodens angewiesene Pflanzen (sogenannte Stickstoff-Zeigerpflanzen) sehr gut gedeihen. Bei den krautigen Pflanzen sind das durchweg sehr schnell wachsende und hochwüchsige Arten. Schnell verdrängen sie die niederwüchsigen, langsam wachsenden („sparsamen“) Konkurrenten. Eine wichtige Voraussetzung für den Erhalt der Artenvielfalt ist deshalb, zumindest in Mitteleuropa, ein ausgeglichener Stoffhaushalt. Artenvielfalt kann nur gesichert werden, wenn nicht mehr Nitrate und Phosphate in das System eingebracht als entzogen werden. Die im Rahmen des Klimaschutzes erhobene Forderung der CO2-Neutralität müsste im Hinblick auf die Biodiversität auch für Stickstoff- und Phosphorverbindungen erhoben werden.
Selektiver Artenschutz
Diptam – Dictamnus albus -, in Deutschland geschützte Art, nach der Roten Liste für Deutschland „gefährdet“ (Foto Probst 2004, Edelweiß bei Retzbach/Main)
Das öffentliche Engagement für zu schützende Arten verteilt sich nicht gleichmäßig auf alle Verwandtschaftsgruppe. Es gibt besondere Tier- und Pflanzengruppen, denen der Naturschutz mehr Aufmerksamkeit widmet als anderen. Bei den Pflanzen sind es zum Beispiel die Orchideen, bei den Wirbeltieren die Vögel und die Amphibien, bei den Wirbellosen etwa die Schmetterlinge oder die Bienenverwandten. Dies mag daran liegen, dass diese Organismengruppen besonders viele Menschen ansprechen und dass es besonders viele Hobbybotaniker und Hobbyzoologen gibt, die sich mit diesen Tiergruppen beschäftigen. Dies ist auch eine Ursache dafür, dass die Gefährdungssituation für diese Gruppen besonders gut untersucht ist. Im strengen Sinne naturwissenschaftliche Gründe, diese Artengruppen besonders zu schützen, sind aber nicht so leicht erkennbar. Teilweise werden ökonomische Gründe genannt: Bienen und „Wildbienen“ sind Bestäuber von Nutzpflanzen, Singvögel und Kröten vertilgen Schädlinge. Bei bestimmten seltenen Arten – wie vielen Orchideen, Diptam oder Frühlings-Adonisröschen – wird angenommen, dass das Vorkommen dieser spektakulären Arten gleichzeitig ein Zeiger für ein insgesamt ein schützenswertes Ökosystem sind.
Ein weiterer Aspekt der besonderen Hervorhebung einzelner Arten ist ihre Werbewirksamkeit. Wenn bestimmte Tiere – wie der Fischotter, der Storch oder der Laubfrosch – vom Naturschutz in den Vordergrund gerückt werden, so hat dies damit zu tun, dass sich der Schutz und Erhalt dieser Tierarten bei einer breiten Öffentlichkeit besonders gut „verkaufen“ lässt.
Ein naturwissenschaftlich fundiertes Argument dafür, einzelne Arten als besonders schutzwürdig einzustufen, ist ihre Rolle als Schlüsselarten in bestimmten Ökosystemen. Darunter versteht man Arten, die einen unverhältnismäßig großen Einfluss auf die Artenvielfalt und Artenzusammensetzung eines Ökosystems nehmen können. Oft handelt es sich um Konsumenten höherer Ordnung, durch deren Fraßdruck auf besonders häufige Beutearten deren Konkurrenzkraft verringert wird, wodurch andere, vorher unterlegene Arten koexistieren können. Auch die Naturschutzmaßnahme der Beweidung wirkt sich so aus: durch den Fraßdruck der Robustrinder – in diesem Falle Primärkonsumenten – werden Gehölze zugunsten offener Landschaftsformen zurückgedrängt. Auf den extensiv beweideten Flächen bleibt eine hohe Artenzahl an Pflanzen erhalten, davon profitieren auch Insekten und Vögel.
Naturschutz contra Umweltschutz
Es gibt einige unüberbrückbar scheinende Kontroversen zwischen Naturschutz und Umweltschutz, die sich mit der unterschiedlichen Zielsetzung erklären lassen. Besonders deutlich wird dies zum Beispiel bei den sogenannten „alternativen Energien“. Aus Sicht des Umweltschutzes ist es dringend erforderlich, bei der Bereitstellung von Energie auf regenerative Energiequellen zu setzen, denn nur dadurch können Ressourcen geschont und die – vor allem für die Menschheit gefährlichen – Klimaveränderungen in Grenzen gehalten werden. Aus Sicht des Naturschutzes gefährden Windräder viele Vogelarten, Biogas und Biotreibstoffe führen zu großen Monokulturen, in Mitteleuropa zum Beispiel von Raps und Mais, welche der Biodiversität schaden. Auch Freiland-Solarparks erregen nicht ganz zu Unrecht die Kritik von Naturschützern, zum Beispiel vom BUND: „Für Vögel können Irritationen beim lokalen, regionalen und internationalen Vogelzug durch eine Spiegelwirkung der Paneel-Oberflächen entstehen. Bei sehr großen Freiland-Solarparks kann es zu einer Trennwirkung (Barrierewirkung) kommen, die durch die erforderliche Einzäunung verstärkt wird. Durch die Aufstellung der Anlagen gehen wertvolle Nahrungsflächen verloren, insbesondere für Tiere, die freie Räume benötigen.“ (http://www.bund-sh.de/uploads/media/Freiland-Solarparks.pdf )
Ein weiteres Beispiel für die unterschiedlichen Sichtweisen ist die Einstellung zu Wäldern und Waldbewirtschaftung. Die Forstwirtschaft argumentiert mit dem Ziel des Klimaschutzes, dass es im Sinne einer maximalen Kohlenstoffspeicherung am besten sei, Bäume dann zu fällen, wenn die Hauptzuwachsphase zu Ende geht. Der Naturschutz hält den Erhalt bzw. die Wiederherstellung von Urwäldern erstrebenswert, in die der Mensch nicht eingreift. In einem solchen Wald bleiben Bäume so lange stehen, bis sie durch natürliche Einflüsse umfallen oder absterben. Der Förster und Bestsellerautor Peter Wohlleben (2013,2017) argumentiert im Sinne dieses Urwaldschutzes (und damit gegen viele seiner Kollegen): Mit dem derzeit gängigen Begriff des Naturschutzes würde der Schutz echter, unberührter Natur verwässert. Wohlleben fände es viel sinnvoller, die Vielfalt ursprünglicher Lebensräume zu schützen und nur dafür den Begriff „Naturschutz“ anzuwenden. Damit folgt er den Argumenten der nordamerikanischen Naturschutzbewegung, die unberührte und unbeeinflusste Natur, „wilderness“, als höchstes Schutzziel sieht (Hendersen o.J.). Dies bedeutet aber auch, dass aus seiner Sicht die vielen mitteleuropäischen Naturschutzbemühungen, die dem Erhalt einer vielseitigen, extensiv genutzten Kulturlandschaft dienen, weniger dem Bereich Naturschutz als den Bereich Denkmalschutz zuzuordnen wären. „Da werden ursprüngliche Haustierrassen, etwa Konikpferde oder Heckrinder, in Naturschutzgebieten ausgesetzt, um eine Beweidung ausgestorbener europäischer Wildpferde und Auerochsen nachzustellen. Das ist zwar idyllisch, aber nichts anderes als extensive Landwirtschaft“ (Wohlleben 2013,S.139). Also soll man nicht länger Wachholderheiden beweiden, Riedwiesen mähen, Moore entkusseln, Heidegebiete plaggen und Wallhecken auf den Stock setzen?
Naturschutz und Landschaftspflege
Lanschaftspflege durch Schafe (Foto Probst, 2004, Fröruper Berge bei Flensburg)
Ich meine, eine differenzierte Betrachtung ist wichtig. Die in Mitteleuropa seit der letzten Kaltzeit in etwa 12 000 Jahren – also einer erdgeschichtlich sehr kurzen Zeitspanne – entstandene Landschaft war von Anfang an vom Menschen beeinflusst. Die menschliche Nutzung hat ein kleinräumiges Mosaik von Lebensräumen geschaffen und zu einer Artenvielfalt geführt, die sich vermutlich ohne den Menschen und seine Nutztiere nicht oder zumindest nicht so schnell entwickelt hätte. Diese Situation ist nicht ganz mit den großflächigen, weitgehend unberührten Naturräumen Nordamerikas zu vergleichen, die zudem durch die Kaltzeiten wegen der vorwiegend von Norden nach Süden streichenden Gebirge nicht so stark dezimiert wurden wie die Biozönosen Mitteleuropas.
Aus diesem Grunde kann Landschaftspflege im Sinne eines Landschaftsschutzes in Mitteleuropa durchaus dem Erhalt der biologischen Vielfalt und damit dem Naturschutz dienen. Allerdings sollten Pflegeeingriffe immer dem Prinzip der Eingriffsminimierung unterliegen und sich deutlich von Landschaftsarchitektur und Gartenbau unterscheiden. Diese Einschränkung gilt nicht unbedingt für Städte und Ballungsräume. Hier könnte eine „grüne“ Architektur und Gestaltung durchaus Biodiversität und Umwelt verbessern.
Die dicht besiedelten Landschaften Mitteleuropas sind – wie hier im Bodenseekreis – sehr reizvoll und haben ökologisches Potenzial. Skizze aus meinem Tagebuch vom Juni 2005, als wir uns nach einem Wohnort in Bodenseenähe umgesehen haben.
Der Erhalt unberührter, von menschlichen Eingriffen frei gehaltener Flächen hat auch in Mitteleuropa seine Berechtigung. Eine Beschränkung des Naturschutzes auf die „unberührte Natur“ wäre aber ein Fehler. Dies sei an einigen Beispielen gezeigt: In den heutigen Kulturlandschaften ist die „Überkompartimentierung“, also die Zerschneidung durch Verkehrswege und die Verinselung von Kleinbiotopen, ebenso ein Naturschutzproblem wie die „Unterkompartimentierung“ durch riesige Monokulturen. Von einem durch Ackerflächen umschlossenen Kleinkompartiment „Feldgehölz“ aus ist es z. B. für viele Tiere schwierig, in andere, ähnliche Biotope zu gelangen. Feldhecken begrenzen Kulturflächen, sie sind aber auch Verbindungswege zwischen Ökosystemen. Schutz, Pflege, Erhalt und Neupflanzung von Feldhecken sind deshalb sinnvolle Naturschutzmaßnahmen. Ähnliches gilt für die Einrichtung und den Schutz von Ackerrandstreifen mit blühenden (mehrjährigen) Wildkräuter (Kirmer 2016). Besonders stark wirkende Grenzen sind Verkehrswege, weshalb man an einigen Stellen sinnvoller Weise so genannte Biotopbrücken über Autobahnen gebaut hat, um deren Areale zerschneidende Wirkung zu mindern. Auch die Einrichtungen von Krötentunneln unter Straßen dienen diesem Zweck.
Meeresschutz
Mangrove auf Qeshm,Straße von Hormuz,Iran; Einschub: Schlammspringer – Periophthalmus barbarus (Fotos Probst, 1976)
Meere bedecken 71 % der Erdoberfläche. Dieser größte zusammenhängende Lebensraum der Erde ist seit langem vielen verschiedenen menschlichen Einflüssen ausgesetzt, doch erst in den letzten Jahrzehnten wurde deutlich, dass auch die Ressourcen des Meeres und seine Kapazität für die Aufnahme von Abfällen und Schadstoffen – Stichwort Plastikmüll – begrenzt sind. Meeresschutz ist deshalb ein wichtiger Teil des Naturschutzes und des Umweltschutzes geworden. Moderne Fischereimethoden haben dazu geführt, dass Fischbestände bis zum Verschwinden zurückgegangen sind. Es konnte aber gezeigt werden, dass strenge Schutzvorschriften schnell zu einer Erholung von Beständen führen können. Besonders bedrohte dein Lebensräume sind die Korallenriffe, mit die artenreichsten Lebensräume der Erde, und die Mangrove-Gebiete als wichtige Brutstätten für Fische und Wirbellose und „natürliche Pflanzenkläranlagen“. Für beide Ökosysteme greifen die bisher ergriffenen Schutzmaßnahmen noch nicht. Die Wiederaufforstung von verschwundenen Mangroven erweist sich als sehr schwierig und bei den Korallenriffen dürfte die klimabedingte Veränderung der Meere (höhere Temperaturen, niedrigere pH-Werte) effektive Schutzmaßnahmen verhindern. Ein weiteres Problem bei Meeresschutz ist die politische Zuständigkeit für Schutzbestimmungen.
Plastikmüll war schon vor Jahrzehnten ein Problem, hier am Strand von Euböa, Griechenland, 1984 (Foto Probst)
Die große Zunahme von marinen Aquakulturen könnte zwar ein Weg sein, die Nutzung mariner Produktion nachhaltiger zu gestalten, derzeit sieht es aber so aus, als würden bei der Meeresbewirtschaftung die Fehler wiederholt, die man von der Landbewirtschaftung kennt.
Tierschutz
Hausschweine auf der Peloponnes,Griechenland, Sommer 2004 (Foto Probst)
Einige der Organisationen, die sich für Naturschutz und Umweltschutz stark machen, engagieren sich auch für Tierschutz. Dabei geht es nicht um den Erhalt der Artenvielfalt, dem Schutz gefährdeter Tierarten oder dem Schutz der Umwelt insgesamt, sondern um den individuellen Schutz von Tieren. Tieren soll ein „artgerechtes“ Leben ermöglicht werden. Vom Menschen verursachte Torturen sollen ihnen erspart bleiben. Deshalb ist es naheliegend, dass sich Tierschützer vor allem um Tiere bemühen, die sich in der Obhut des Menschen befinden. Besonders große Kritik wird in diesem Zusammenhang an der Haltung von Tieren geübt, die der menschlichen Ernährung dienen sollen, also der Massentierhaltung von Geflügel, Schweinen, Rindern. Aber auch das oft qualvolle Leben in Pelztierfarmen wird angeprangert. Die Forderung von Tierschützern, bei der Herstellung von Kleidungsstücken auf Tierpelze und -häute zu verzichten, hat etwas mit der tierquälerischen Haltungsweise von Pelztieren zu tun, aber auch mit dem grausamen Abschlachten junger Seehunde oder – und hier trifft sich der Tierschutz mit dem Artenschutz – mit der Gefährdung großer Pelztiere wie Ozelot, Jaguar oder Leopard. Tierschützer wie Artenschützer bemühen sich, dass die Jagd auf Elefanten des Elfenbeins wegen unterbunden wird, ebenso die illegale Jagd auf Nashörner.
Die schrecklichen Haltungsbedingungen bei der Schweine- und Hähnchenmast, die abschreckende Praxis bei Tiertransporten und Schlachtungen, werden zum einen vom Tierschutz kritisiert, weil er das Tierwohl im Auge hat. Andererseits sind mit diesen Formen der industriellen Fleischproduktion auch nachteilige Einwirkungen auf die Umwelt verbunden. Dies betrifft zum Beispiel die Produktion von Treibhausgasen oder die Gefahren, die mit übermäßigem Medikamenteneinsatz, insbesondere von Antibiotika, verbunden sind. Der Import von Futtermitteln schädigt die Ökosysteme und die landwirtschaftlichen Produktionsbedingungen in den Herkunftsländern. Die großen Mengen an Tierexkrementen (Gülle) tragen nicht nur zur Eutrophierung von Gewässern sondern auch zu einem hohen Stickstoffgehalt terrestrischer Ökosysteme bei, was sich wieder negativ auf die Biodiversität auswirkt. In Kombination mit der Stickstoffoxidproduktion von Verbrennungsmotoren prägt Massentierhaltung über die Bildung von Ammoniumnitrat auch zur Feinstaub Problematik bei.
Ein wichtiger Antrieb für eine vegetarische oder vegane Ernährungsweise ist der Wunsch, dass für die Produktion von Nahrungsmitteln kein Tier sterben oder leiden soll. Aber auch die ökologischen Auswirkungen des hohen Fleischkonsums und damit der Umweltschutz und der Naturschutz werden immer häufiger als Gründe für eine vegetarische Lebensweise genannt.
Pflanzenschutz
Apfelplantagen werden besonders häufig mit Pestiziden gespritzt. Die Verdriftung ist dabei – wegen der hohen Lage der Spritzdüsen besonders groß. (Bodenseekreis bei Kluftern, 2.4.2012, Foto W. Probst)
Dieser Begriff sei hier erwähnt, er passt aber nicht in die Reihe der übrigen Schutzbegriffe. Denn man versteht darunter nicht den Schutz von Wildpflanzen, sondern „die Gesamtheit der Bemühungen, Schäden und Leistungsminderungen von Nutzpflanzen durch Ausnutzung aller einschlägigen wissenschaftlich Erkenntnisse in einer ökologisch und ökonomisch angemessenen Weise zu verhindern oder zu mildern“ (Heitefuß 2000). Es geht also in erster Linie um den von Natur- und Umweltschutz oft heftig kritisierten Einsatz von Pestiziden gegen Krankheiten und Schädlinge von Nutzpflanzen.
Ziele und Wege
Ist das ein Blick in die Zukunft? Agrarlandschaft in Iowa,USA, Google Earth Aufnahme vom 26.7.2016
Auch wenn sich die verschiedenen Schutzziele deutlich unterscheiden und die einzelnen Schutzmaßnahmen sogar zum Teil widersprechen, so kann man doch eine gemeinsame Zielsetzung feststellen: Die vielen Einflüsse des Menschen auf natürliche Abläufe und Entwicklungen des Bioplaneten Erde sollen nicht dazu führen, dass sich die Lebensbedingungen drastisch verändern. Auch wenn solche drastischen Veränderungen – wie die Erdgeschichte zeigt – nicht das Ende des Bioplaneten bedeuten würde, so hätten sie doch für viele Ökosysteme und insbesondere für die Menschen katastrophale Folgen. Es wird deshalb angestrebt, die menschlichen Aktivitäten und die menschlichen Wirtschaftssysteme so zu gestalten, dass es keinen Verbrauch gibt, der nicht ersetzt werden kann. Im allgemeinen werden diese Ziele mit „Nachhaltigkeit“ oder „nachhaltiger Entwicklung“ bezeichnet.
Diese Zielsetzungen sind kaum umstritten. Umstritten sind allerdings die Wege, auf denen diese Ziele erreicht werden könnten. Zwar ist klar, dass es auf der Erde „Grenzen des Wachstums“ gibt, trotzdem gibt es unterschiedlice Auffassungen zum Thema Konsum:
Ist eine Konsumsteigerung grundsätzlich schädlich und muss mindestens für die westliche Welt gelten, dass nur eine strenge Konsumbeschränkung eine nachhaltige Entwicklung ermöglicht, oder
muss es nur darum gehen, den Konsum durch Kreislaufwirtschaft nachhaltig zu gestalten? (Ökoeffektivität erhöhen)
Für eine sofortige Konsum-bzw. Wachstumsbeschränkung spricht, dass es keinen Stoffkreislauf ohne Verluste gibt und die Erdbevölkeung derzeit schon Ressourcen „über ihre Verhätnisse“ verbraucht. Andererseits sind Konsumbeschränkungen weltweit kein realistisches Ziel angesichts der großen Armut, die weite Teile der Weltbevölkerung betrifft. Für eine stärkere Ausrichtung auf eine strikte Kreislaufwirtschaft spricht, dass der Energiefluss von der Sonne zur Erde noch eine deutliche Steigerung der Primärproduktion zulassen würde . Damit wäre ein weiteres Wachstum der Stoffumsätze möglich und dies wäre für eine friedliche Koexistenz aller Menschen förderlich. Allerdings wird auch eine konsequente Kreislaufwirtschaft nur dann Nachhaltigkeit ermöglichen, wenn es in gewissen Bereichen zu einem Konsumverzicht kommt. Dies gilt zum Beispiel für den Fleischkonsum in westlichen Industrieländern und für die Nutzung aller fossilen Ressourcen, nicht nur der Energieträger sondern auch anderer Rohstoffe.
Bei der Frage, ob es sinnvoller ist, Natur zu schützen, indem man sie sich selber überlässt oder indem man sie sinnvoll „managet“, würde ich für eine differenzierte Vorgehensweise plädieren, wie sie Trommer schon 1994 vorgeschlagen hat:
Tu nichts-Leitbild für Gebiete, die den ursprünglichen Naturzustand repräsentieren, zum Beispiel Bannwälder, aber auch verwilderte Gärten, Ruinen, Brachflächen und allen Bereiche, wo „wachsen lassen“ nicht wichtigen Interessen entgegensteht
Pflege-Leitbild für Formen der traditionellen Kulturlandschaft mit dem Ziel, nachhaltige Bewirtschaftungs- und Pflegeformen für Weidelandschaften, Feuchtwiesen, Streuobstwiesen usw. zu finden
Ellenberg, H. (1987): Fülle – Schwund – Schutz: Was will der Naturschutz eigentlich? Vehandlungen der Gesellschaft für Ökologie 16: 449-450
Heitefuß. R. (2000,3.A.): Pflanzenschutz. Grundlagen der praktischen Phytomedizin. Stuttgart: Thieme
Hendersen, D. : American Wilderness Philosophy. In: Internet Encyclopedia of Philosophy (IEP) http://www.iep.utm.edu/am-wild/ (zuletzt aufgerufen am 5.9.2017)
Hobohm,C. (2000): Biodiversität. Wiebelsheim: Quelle und Meyer
Hupke, K.-D. (2015):: Naturschutz. Ein kritischer Ansatz. Heidelberg: Springer Spektrum
Kirmer, A. et al. (2016): Erfolgreiche Anlage mehrjähriger Blühstreifen auf produktiven Standorten durch Ansaat wildkräuterreicher Samenmischungen und standortangepasste Pflege. Natur und Landschaft 91(3): 109-118
McDounough, W./Braungart, N. (2009): Cradle-to-cradle. New York: Vintage
Meyer-Abich KM (1990) Aufstand für die Natur. Von der Umwelt zur Mitwelt. Hanser, München
Piechocki, R. (2010): Landschaft – Heimat – Wildnis. Schutz der Natur – aber welcher und warum? München: Beck
Probst, W. (2017): Saumbiotope – Grenzen und Übergänge. Untericht Biologie 425: 2-11
Trommer, G. (1992): Wildnis – die pädagogische Herausforderung. Weinheim: Deutscher Studienverlag
Trommer, G. (1994): Didaktisch differenzierte Leitbilder – ein Drei-Umwelten-Modell zum pägagogischen Umgang mit Natur und Landschaft. Workshop Ökologische Leitbilder, Cottbus 9.6.1994. TUC Aktuelle Reihe 6/94:57-62
Wohlleben, P. (2013): Der Wald. Ein Nachruf. München: Ludwig
Wohlleben, P. (2017): Gebrauchsanweisung für den Wald. München/Berlin: Piper
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Die Fadengeflechte der Pilze bilden dichte Netzwerke in Böden und durchwachsen die unterschiedlichsten organischen Abfallstoffe. Die große Effektivität, mit der die Pilze diese Netzwerke aufbauen und zum Stofftransport nutzen, werden seit einiger Zeit mit dem Ziel erforscht, auch von Menschen konstruierte Netzwerke – zum Beispiel Stromnetze, Verkehrsnetze und Kommunikationsnetze – zu verbessern (Heaton 2012). Die zweite herausragende Fähigkeiten dieser Fadengeflechte ist die Verdauung unterschiedlichster energiereicher Stoffe. Dazu werden von den verschiedenen Pilzarten sehr viele verschiedene Enzyme gebildet. Mittlerweile wird diese Vielfalt von spezialisierten Chemiefirmen genutzt, um neue Enzyme und Enzymkombinationen für die Anwendungen in Haushalt, Technik und Medizin zu entwickeln. Das Rohmaterial, die Pilze, werden aus allen Ecken der Erde zusammengetragen, in Kultur genommen und in tiefgekühlten Containern aufbewahrt.
Durch ihre Fruchtkörper sind viele Pilze – ganz anders als andere Mikroorganismen – auch ohne optische oder andere Hilfsmittel wahrnehmbar und erfahrbar. Diese „Pilzfrüchte“, die landläufig als „Pilze“ bezeichnet werden, faszinieren nicht nur Wissenschaftler sondern viele Schwammerlsucher und Hobbymykologen. Neben Vögeln, Schmetterlingen und Orchideen gehören Pilze deshalb zu den Organismengruppen mit der größten Fangemeinde. Auf der Homepage der pilzkundlichen Zeitschrift „Der Tintling“ werden allein für Deutschland 91 pilzkundliche AGs und Ausbildungsstätten angeführt.
Doch obwohl Pilze in unserer Umwelt und unserem Leben allgegenwärtig sind, werden sie doch oft übersehen und unterschätzt, manchmal auch falsch beurteilt. Lange Zeit als Pflanzen eingestuft gelten sie seit einiger Zeit als eigenes Reich der Lebewesen und dies wird nicht nur ihrer verwandtschaftlichen Stellung sondern auch ihrer großen Bedeutung für unseren Bioplaneten gerecht.
(vgl. die UB-Hefte 405 „Pilze“ und 406 (UB Schülerkompakt) „Ab in die Pilze“)
Die Funktion der Pilze in Ökosystemen
Funktionen der Pilze im Ökosystem Wald
Die drei großen Reiche vielzelliger Lebewesen, Pflanzen, Tiere und Pilze stehen gleichzeitig in einem (terrestrischen) Ökosystem für die drei Haupternährungsformen:
• Primärproduzenten (Plantae),
• Konsumenten (Animalia) und
• Destruenten bzw. Reduzenten (Fungi).
Dabei kommt Pilzen außerdem als Symbiose- und Kooperationspartner von Pflanzen und Tieren eine besondere Bedeutung zu.
Als Destruenten zersetzen die Pilze alle Arten von organischen Abfällen, besonders auffällig in Wäldern (Laubstreu und Holz) aber auch in Grasländern (Streu, Dung). Seit es üblich geworden ist, in großer Menge Rindenmulch in Garten- und Parkflächen auszubringen, kann man dort besonders viele Pilze beobachten. Das aus einzellreihigen Zellfäden bestehende Mycel der Pilze ist besonders gut dafür geeignet, feste organischen Abfallstoffe zu durchwuchern und die darin enthaltenen Nährstoffe enzymatisch aufzuschließen und aufzunehmen. Ohne Pilze würde den Ökosystemen der Erde so etwas Ähnliches passieren wie einer Großstadt, bei der die Müllarbeiter streiken. Dabei scheiden die Pilzfäden (Hyphen) Enzyme aus, welche die organischen Makromoleküle in ihrer Umgebung in kleinere Bestandteile zerlegen („verdauen“), die dann von den Hyphen aufgenommen werden. Die Speicherung von Kohlenstoff durch Boden- und Streu- bewohnende Pilze und insbesondere durch Mykorrhizapilze wurde bisher vermutlich unterschätzt (Perkins 2013). Pilze sind entscheidend wichtig für die Bildung und Erhaltung der Böden (Moore/Robsen/Trinci 2011).
In flüssigen Substraten kommen Pilze als Zersetzer zwar auch vor, aber hier sind Bakterien noch wichtiger. Unter bestimmten Bedingungen, vor allem bei vorliegen von Zuckermolekülen, kommt hier eine spezielle, meist nicht fädig wachsende Form pilzlicher Destruenten zum Einsatz, die Hefepilze. Sie kommen in unterschiedlichen Verwandtschaftsgruppen vor.
Doch auch als Konsumenten spielen Pilze eine wichtige Rolle. Von besonderer Bedeutung sind parasitische Pilze an Pflanzen. Neben den Baumpilzen, die sich häufig auch parasitisch von lebenden Bäumen ernähren, sind dies vor allem phytopathogene Pilze wie Mehltaupilze, Brandpilze und Rostpilze, letztere z. T. mit komplizierten Wirts- und Generationswechseln (Abb. XX). Für manche Baumarten stellen phytopathogene Pilze eine echte Bedrohung dar, zum Beispiel die Schlauchpilze Ophiostoma ulmi bzw. O. novi-ulmi für Ulmen und Hymenoscyphus pseudoalbidus für Eschen. Manche phytoparasitischen Pilze stimulieren ihre Wirtspflanzen zur Bildung von Pflanzengallen und „Hexenbesen“ (Probst 2012).
Bei Tieren und Menschen kommen pathogene Pilze (Mykosen) vor allem auf der Haut und auf und in Hautbildungen wie Haaren und Nägeln vor, auch innere Oberflächen und Organe können – insbesondere beim schwachem Immunsystem – von Pilzen befallen werden. Nicht selten werden Insekten von parasitischen Pilzen infiziert. Besonders spektakulär sind Pilze, die von in der Erde eingegrabenen Puppen von Nachtschmetterlingen leben (Kernkeulenpilze). Eine ganze Wirbeltierklasse, die Amphibien, werden durch den parasitischen Geißelpilz Batrachochytrium dendrobatidis (s. S. XX) bedroht. Pilzliche Zooparasiten werden zu Nützlingen, wenn sie gefährlichen Krankheitserregern, wie zum Beispiel Malariamücken, schaden (Khamsi 2005).
Die Rolle der Pilze als Predatoren wurde lange unterschätzt. Bisher sind über 120 Pilzarten bekannt, die Nematoden, Rotatorien, Amöben und andere Protozoen mit Hilfe spezieller Einrichtungen ihres Mycels (Schlingfallen, Klebefallen) fangen und verdauen. Die meisten nematophagen Pilze gehören zu den Schlauchpilzen, aber auch bei den Ständerpilzen und bei den Jochpilzen kommen solche Tierfänger vor. Der Schopftintling, ein Ständerpilz, betäubt die Fadenwürmer mit einem Toxin aus Mycelauswüchsen und verdaut sie dann (Lyssek/Rubner in UB 183, 1993).
Es ist nicht verwunderlich, dass Pilze im Laufe der Evolution „gelernt“ haben, Fadenwürmer zu fressen, denn diese Tierchen finden sich in großen Mengen in allen Lebensräumen der Erde. Neben frei lebenden Arten gibt es viele Pflanzenparasiten und auch zahlreiche Tierparasiten. Überall wo Pilze vorkommen, lebt auch eine individuenreiche Nematodenfauna und so ist es nahe liegend, dass Pilze einen Weg gefunden haben, diesen Nährstoffvorrat zu nutzen.
Typisch für „Echte Pilze“ oder „Chitinpilze“, wie das Reich der Fungi auch genannt wird, sind chitinhaltige Zellwände. Als Destruenten und Konsumenten ist Stickstoff für Pilze – anders als für Pflanzen – meist kein begrenzender Faktor. Deshalb können sie es sich leisten, ein stickstoffhaltiges Polysaccharid als Hauptzellwandsubstanz zu nutzen. Dieser besonders robuste Baustoff schützt Pilzhyphen wie Insektenkörper. Möglicherweise dient diese Wandsubstanz ursprünglich auch dazu, überschüssigen Stickstoff loszuwerden.
Symbionten und Kooperationspartner
Zahlreiche Pilzarten leben in mehr oder weniger enger Symbiose mit Tier- oder Pflanzenarten. Als Spezialisten des Stoffabbaus helfen sie ihren Symbiosepartnern dabei vor allem, sonst unzugängliche Stoffquellen aufzuschließen.
Besonders wichtige und weit verbreitete Symbiosen zwischen Pflanzen und Pilzen sind die „Pilzwurzeln“ (Mykorrhiza). Die meisten Pflanzen gehen solche Mykorrhizasymbiosen ein und man vermutet, dass der Übergang der Pflanzen zum Landleben – also die Entstehung von Pflanzen im engeren Sinne (Embryophyta: Moose, Farne, Samenpflanzen) – ohne diese Pilzsymbionten nicht möglich gewesen wäre.
Pflanzen können mithilfe der Fotosynthese ihre Nähr- und Baustoffe selbst produzieren. Aber die dazu notwendigen Elemente Stickstoff, Phosphor, Kalium, Eisen und andere nehmen sie aus dem Boden auf. Den meisten Pflanzen helfen dabei bestimmte Pilze. Bei der Ektotrophen Mykorrhiza bildet das Mycel der Pilze einen dichten Mantel um die Wurzelspitzen und einige Pilzfäden dringen zwischen die Zellen der Wurzelrinde ein. Dabei ist die große Oberfläche des Pilzmycels von Vorteil. Die Pflanzen versorgen die Pilze dafür mit Kohlenhydraten, die sie über die Fotosynthese meist im Überfluss herstellen können. Die Ektomykorrhiza ist typisch für Waldbäume wie Eichen, Buchen oder Fichten.
Bei den verschiedenen Formen der Endomykorrhiza bildet sich kein dichtes Pilzgeflecht um die Wurzelspitzen. Dafür dringen die Pilzhyphen in die Zellen der Wurzelrinde der Pflanzen ein. Diese Mykorrhizatypen kommen vor allem bei krautigen Pflanzen aber auch bei verschiedenen Gehölzen vor.
Orchideen können ohne eine solche Endomykorrhiza nicht leben.
Insbesondere auf „mageren“ Böden, das heißt Böden mit wenig stickstoff- und phosphorhaltigen Mineralstoffen, sind die Mykorrhizapilze für Pflanzen oft lebensnotwendig.
Es gibt einige Pflanzen, die kein Blattgrün ausbilden und alle Nähr- und Mineralstoffe sowie das Wasser von ihrem Mykorrhizapilz beziehen. Nach Merckx (2013) ist eine solche vollständige Mykoheterotrophie für mindestens 514 Pflanzenarten nachgewiesen. Teilweise Mykoheterotrophie kommt jedoch bei sehr vielen Mykorrhiza bildenden Pflanzen vor, zum Beispiel bei allen Orchideen, bei denen zumindest die Keimlinge ihre Nährstoffe von einem Pilz beziehen. Ein Beispiel für eine vollständig mykoheterotrophe Pflanze ist die Vogel-Nestwurz, die man relativ häufig in Buchenwäldern finden kann. Der Fichtenspargel, eine chlorophylllose Pflanze aus der Verwandtschaft der Heidekrautgewächse, bildet mit Ritterlingsarten eine Mykorrhiza. Diese Pilze haben außerdem Fichten, Buchen und noch einige andere Waldbäume als Mykorrhizapartner. Von diesen erhalten sie organische Kohlenstoffverbindungen, von denen auch der Fichtenspargel profitiert. Diesen indirekten Parasitismus, auch Epiparasitismus genannt, konnte man dadurch nachweisen, dass man Zuckerverbindungen in den Bäumen radioaktiv markierte.
Vermutlich kommt ein solcher Stofffluss von grünen Pflanzen über Mykorrhizapilze zu bleichen, mykoheterotrophen Pflanzen häufig vor. Auch für einen Pilzpartner der Nestwurz, die Erd-Wachskruste (Sebacina incrustans), ist ein solcher Transfer nachgewiesen. Dieser Pilz bildet eine Ektotrophe Mykorrhiza mit dem Haselstrauch und bezieht von ihm Kohlenhydrate, die er teilweise an die Nestwurz weitergibt .
Die Vernetzung verschiedener Pflanzenindividuen und -arten eines Ökosystems durch Mykorrhizapilze spielt vermutlich eine größere Rolle, als lange Zeit vermutet.
Für den globalen Kohlenstoffkreislauf ist von Bedeutung, ob Ektotrophe-Mykorrhiza (EM)- oder Arbuskuläre-Mykorrhiza (AM)-Symbiosen – die häufigste Form der Endomykorrhiza – vorherrschen. Im ersten Fall konkurrieren die Mykorrhizapilze mit anderen Mikroben um organische Abfallstoffe, dadurch wird der C-Gehalt des Bodens erhöht, im zweiten Fall nehmen die Pilze vorwiegend anorganischen Stickstoff auf und sind deshalb keine Konkurrenz für andere Destruenten. Organische Abfallstoffe werden deshalb schneller abgebaut und der Kohlenstoffspeicher im Boden ist kleiner (s. S. XX, Averill, Turner, Finzi 2014).
Flechten sind Doppelorganismen aus Pilzen, Algen oder/und Cyanobakterien. Mit Ausnahme der Gallertflechten gibt der Pilz der Flechte ihre Form. Die meist nur aus einer oder wenigen Zellen aufgebauten grünen Organismen sorgen durch ihre Fotosyntheseleistung für die Energieversorgung des Doppelorganismus..
Es ist kein Wunder, dass Flechten lange für eine eigenständige Organismengruppe angesehen wurden. Nicht nur die besondere Flechtenform sondern auch bestimmte Flechtenstoffe – wie zum Beispiel der gelbe Farbstoff der überall häufigen Gelbflechte (Xanthoria) – können nur in Symbiose produziert werden. Solche speziellen Stoffwechselleistungen sind auch dafür verantwortlich, dass Flechten noch gedeihen können, wo „echte Pflanzen“ keine Chance mehr haben: Auf eisigen Berggipfeln, auf trockenen Felsen und Wüstenböden und an Baumrinde, wo es auch Moosen zu trocken wird. Dank besonderer Proteine und Polysaccharide können sie vollständig austrocknen ohne abzusterben. Bei erneuter Befeuchtung kommen die Lebensvorgänge sofort wieder in Gang.
Bei vielen endophytischen (in Pflanzen lebenden) Pilzen ist nicht ganz klar, ob es sich um Parasiten oder Symbionten handelt. In jedem Fall sind sie eine besonders vielversprechende Gruppe, wenn es um die Entdeckung neuer biotechnisch bzw. medizinisch nutzbarer Stoffwechselleistungen geht. Sie sind deshalb in den Fokus moderner Screenings nach verwertbaren Enzymen gerückt. 2011 wurde im ecuadorianischen Amazonasgebiet ein endophytischer Pilz, Pestalotiopsis microspora, entdeckt, der ein Enzym produziert, mit dem er Polyurethane abbauen kann (Russell et al. 2011).
Gleichzeitig haben endophytische Pilze vermutlich eine große ökologische Bedeutung, indem sie z. B. Giftstoffe produzieren, die Pflanzen wie dem Taumel-Lolch (Lolium temulentum) und der Prunkwinde (Ipomea) als Fraßschutz dienen. Möglicherweise schützen Abwehrstoffe endophytischer Pilze die Wirtspflanzen auch vor Infektionen durch andere Mikroorganismen. Auch eine Verbesserung der Trocken- und Kälteresistenz der Wirtspflanzen wird diskutiert (Proksch et al. 2010).
Als Symbiosepartner von Tieren helfen Pilze z. B., den schwer zugänglichen Holzstoff für die Verdauung aufzuschließen.
Die sogenannten Ambrosia-Käfer, die bei zwei verschiedenen Gruppen der Rüsselkäfer vorkommen, leben in Bohrgängen im Holz toter oder absterbender Bäume. Diese Gänge beimpfen sie mit dem Myzel von Ambrosia-Pilzen. Die Pilze ernähren sich vom Holz und kleiden die Bohrgänge mit einem speziellen Myzel dicht aneinander schließender Hyphen aus. Die Käfer und ihre Larven fressen ausschließlich dieses Myzel. Indem sie das Pilzmyzel und teilweise auch Konidien des Pilzes auf andere Bäume übertragen, helfen sie der Ausbreitung. Während jedoch die Käfer nur mithilfe des Pilzes leben können, ist der Pilz nicht unbedingt auf die Käfer als Partner angewiesen.
Eine ganz ähnliche Partnerschaft gehen Holzwespen mit Pilzen ein. Hier legen die Weibchen mit ihrem Legestachel zusammen mit den Eiern Pilzmyzel der Weißfäule erregenden Schichtpilze Stereum und Amylostereum in das Holz toter oder absterbender Nadelbäume. Von diesen Pilzen ernähren sich dann ihre Larven.
Besonders ausgefeilt ist die symbiotische Beziehung zwischen Pilzen und zwei Gruppen von sozialen Insekten, den Blattschneiderameisen und den Termiten (Angersbach/Groß 2005 in UB 306). Blattschneiderameisen leben in tropisch-subtropischen Amerika zwischen 40° Nord und 44° Süd. Sie können in kurzer Zeit große Waldstücke entlauben. Die Blattstücke tragen sie in ihren Bau, dort werden sie zu Blattbrei zerkleinert und mit Pilzen der Gattungen Leucocoprinus und Leucoagaricus beimpft, von deren Mycel sich die Ameisen ernähren. Die Hyphenenden schwellen zu „Nährkörperchen“ an, die reich an Nährstoffen sind und von den Ameisen leicht geerntet werden können. Die Ameisen pflegen ihre Pilzkulturen, insbesondere sorgen sie dafür, dass sie nicht von anderen Pilzen überwuchert werden. Vor Befall durch den Schadpilz Escovopsis schützen die Ameisen ihren Kulturpilz mit speziell wirkenden Bakterien (Streptomyces, Pseudonocardia u.a.), die sie an ihrem Panzer mit sich führen. Diese Bakterien produzieren Candicidine (Stoffe, die auch gegen die humanpathogene Candida albicans wirken). Man kennt über 200 verschiedene Arten von Blattschneiderameisen vor allem aus den Gattungen Atta und Acromyrmex. Auf Grund von molekulargenetischen Untersuchungen nimmt man an, dass die Atta-Leucocoprinus-Symbiose schon mindestens 50 Mio. Jahre alt ist (Stephenson 2010).
Die zweite Gruppe von Pilzgärtnern, bei der es ebenfalls um den Aufschluss ligninreichen Pflanzenmaterials geht, findet sich bei den Termiten. Die „Höheren Termiten“ (Fam. Termitidae,) – sie sind auch für die hohen Termitenbauten verantwortlich – vermischen Holzschnitzel und andere Pflanzenteile mit Speichel und Kot zu einem Nährsubstrat für die Pilze. Solange die Bauten von Termiten bewohnt sind, bilden die kultivierten Pilze – vor allem der Gattung Termitomyces – keine Fruchtkörper. Doch aus verlassenen Termitenbauten wachsen die großen schirmförmigen Fruchtkörper, die auf afrikanischen Märkten als Speisepilze verkauft werden (Barnekow/Probst in UB 306).
Auch pflanzenfressende Säugetiere, insbesondere Wiederkäuer, sind bei der Verdauung der Cellulose auf pilzliche Endosymbionten angewiesen: Die erst in den 1970 er Jahren entdeckten Neocallimastigomyceten, seit 2007 als eigene Abteilung gewertet, sind anaerobe Darmbewohner, der große Bedeutung sich hier in den letzten Jahrzehnten herausgestellt hat.
Die Ameisenart Allomerus decemarticulatus bildet einer Dreiersymbiose mit dem tropischen Strauch Hirtella physophora und einem Pilz. Die den Baum besiedelnden Ameisen nutzen die abgeschnittenen Haare der Pflanze, um aus diesen mithilfe von Pilzhyphen effektive Insektenfallen zu bauen (Dejean et al. 2005)
In Pflanzengallen können manche Gallinsekten Pilzpartner nutzen, indem sie sich von deren die Galle auskleidendem Mycel ernähren (Kehr/Kost 1999)
Auch eine ernährungsphysiologische Symbiose zwischen Pilzen und Nicht-Insekten konnte nachgewiesen werden. Strandschnecken an der nordostamerikanischen Küste infizieren Schlickgras mithilfe ihrer Kotbällchen mit einem Pilz, den sie dann verzehren. Das Schlickgras alleine können die Schnecken nicht verdauen (Whitfield 2003).
Fortpflanzung, Vermehrung, Ausbreitung
Pilze können sich geschlechtlich und ungeschlechtlich fortpflanzen. Die ungeschlechtlich sich fortpflanzende Form bezeichnet man als Nebenfruchtform oder Anamorphe, die geschlechtlich sich fortpflanzende als Hauptfruchtform oder Telomorphe, die Gesamtheit der Entwicklungsstadien als Holomorphe (Dörfelt 2001, 2014). Da man dabei oft nicht erkannte, dass es sich um dieselbe Art handelt, wurden beide Formen zuweilen unterschiedlich benannt. So wurde der Verursacher des Eschentriebsterbens zunächst als Chalara fraxinea identifiziert, später erkannte man, dass es die Anamorphe zur Telomorphen Hymenoscyphus pseudoalbidus ist. Hat man die Zusammengehörigkeit nachgewiesen, gilt der Name der Telomorphen als der korrekte wissenschaftliche Artname.
Während bei den Töpfchenpilzen (Chytridiomycota) noch begeißelte Gameten und Zoosporen vorkommen – sie werden deshalb auch Geißel- oder Flagellenpilze genannt –, gibt es bei den übrigen Pilzen keine begeißelten Fortpflanzungsstadien.
Die heute in mehrere Abteilungen aufgeteilten Jochpilze (Zygomycota) pflanzen sich vorwiegend ungeschlechtlich fort, wie der überall häufige Brotschimmel Rhizopus stolonifer: Aus stark verzweigten Hyphen im Substrat wachsen lange Lufthyphen, die wie die Ranken einer Erdbeerpflanze der Ausbreitung dienen. Schließlich bilden sich Sporenträger mit einer endständigen Sporocyste, die viele asexuell entstandene Sporen enthält und in den Luftraum entlässt. Ihren Namen haben sie jedoch aufgrund der besonderen Form der geschlechtlichen Fortpflanzung bekommen: Zwei Hyphenenden, die vom selben oder von unterschiedlichen Mycelien stammen können, bilden so genannte Gametocysten, die sich vereinigen und dabei eine jochartige Struktur bilden. Aus dieser derbwandigen Zygospore bildet sich nach Kernverschmelzung und Meiose eine gestielte Sporocyste mit vielen Sporen, die äußerlich den asexuell entstandenen Sporocysten gleicht (Nomenklatur vgl. Dörfelt 2001).
Auf Grund molekulargenetischer Untersuchungen hat man die Arbuskulären Mykorrhizapilze oder kurz AM-Pilze als eigene Abteilung Gomerulomycota von den Jochpilzen abgetrennt. Es sind die phylogenetisch ältesten und bis heute verbreitetsten Mykorrhizapilze. Bisher ist nur eine asexuelle Fortpflanzung bekannt. An den Hyphenenden bilden sich Verdickungen, die sich schließlich mit einer festen Wand umgeben. Bei manchen Arten – wie bei Gigaspora margarita – können diese Sporen nahezu 1 mm Durchmesser erreichen.
Für die Abteilungen Schlauchpilze (Ascomycota) und Ständerpilze (Basidiomycota) ist charakteristisch, dass sie Hyphen mit Querwänden bilden,die allerdings einen Porus besitzen, durch den eine Verbindung des Cytoplasmas besteht. Dieser Durchlass ist bei den verschiedenen Verwandtschaftsgruppen recht unterschiedlich – teilweise sehr kompliziert – aufgebaut.
Bei den Ascomycota wird die geschlechtliche Fortpflanzung durch Gametocystenbildung eingeleitet. Die männliche Gametocyste entlässt ihre Kerne in die weibliche Gametocyste (Ascogon). Dort paaren sich je ein weiblicher und ein männlicher Kern ohne zu verschmelzen. Anschließend wachsen aus dem Ascogon so genannte ascogene Hyphen, die in jeder Zelle zwei Kerne enthalten. Schließlich kommt es in der Endzelle zur Kernverschmelzung und zur anschließenden Meiose und meist zu einer weiteren mitotischen Teilung. Um diese acht Kerne bilden sich Zellwände(„freie“ Zellbildung). So entsteht eine Zelle mit acht Ascosporen, ein Ascus oder Schlauch.
Bei den Basidiomycota verschmelzen zwei normale Hyphen mit haploiden Kernen zu einem Paarkernmyzel. Bei der Zellteilung teilen sich beide Kerne, einer wird über eine Schnalle an die nächste Zelle weitergegeben. Durch Verschmelzung dieser zwei Kerne – normalerweise erst nach vielen mitotischen Teilungen und der Bildung eines ausgedehnten dikaryotischen Myzels – kann es in bestimmten Zellen zur Bildung eines diploiden Kerns kommen, der sich anschließend durch Meiose wieder in vier haploide Kerne teilt, die in vier Auswüchse der Zelle einwandern. Das ganze Gebilde wird Basidie oder Ständer genannt. Funktionell wird durch die Zweikernigkeit ein Zustand erreicht, welcher der Ausbildung eines diploiden Chromosensatzes entspricht.
Die großen „Fruchtkörper“, besser eigentlich Sporenkörper, vieler Schlauchpilze und Ständerpilze sorgen für eine effektive Verbreitung der winzigen Sporen durch die Luft oder durch Tiere. In diesem Fruchtkörpern bilden sich meist eine große Zahl – oft Millionen – Asci bzw. Basidien. Bei den Schlauchpilzen werden die Fruchtkörper auch Ascoma genannt. Sie bilden sich jeweils nach der Verschmelzung von Gametocysten. Die Fruchtkörper der Ständerpilze – auch Basidioma genannt – können sich immer wieder in großer Anzahl aus einem Paarkernmyzel bilden, das aus der Verschmelzung von zwei Einkernmyzelien hervorgegangen ist (Dörfelt 2012).
Diese „Pilzfrüchte“, die landläufig als „Pilze“ bezeichnet werden, faszinieren Menschen seit alters her aus verschiedenen Gründen:
• sie erscheinen unverhofft und ziemlich plötzlich und sind auch schnell wieder verschwunden,
• sie haben oft auffällige Formen, Farben und Gerüche,
• man kann sie sammeln und essen,
• eine ganze Reihe sind giftig, manche sogar lebensgefährlich,
• manche enthalten halluzinogene Stoffe und eigen sich als Rauschdrogen.
Viele Jahrhunderttausende mussten die Menschen ihre Nahrung sammeln. Das Pilze Sammeln und das Zubereiten dieser selbst gesammelten Pilze ist möglicherweise deshalb so befriedigend, weil es an diese archaische Tradition anknüpft. Pilzexkursionen mit anschließender Besprechung und Bearbeitung der Funde – gegebenenfalls mit einem Pilzkenner zusammen – können ein Erlebnis sein, das Interesse an Naturbegegnungen weckt und fördert und als Einstieg in verschiedene ökologische Themen dienen kann.
Außer der klassischen Pilzform kommen noch viele verschiedene andere Fruchtkörperformen vor. Für die Windverbreitung von Sporen hat ein Fruchtkörper aus Stiel und Hut jedoch durchaus Vorteile: Durch den Stiel wird die sporentragende Schicht in etwas bewegtere Luftschichten emporgehoben, durch den Hut wird sie vor Regen geschützt, Lamellen oder Röhren sorgen für eine große Oberfläche. Dadurch, dass der Hut zunächst wie ein zusammengefalteter Schirm dem Stiel anliegt, wird die sporentragende Schicht vor Austrocknung geschützt. Bei vielen Fruchtkörpern – wie beim Grünen Knollenblätterpilz oder beim Fliegenpilz – werden die jungen Fruchtkörper durch zusätzliche Hüllen vor Verdunstung geschützt. Wenn der Hut aufschirmt, bleiben die Reste der Hüllen als Scheide, Ring und weiße Punkte auf der Hutfläche zurück.
Pilzfruchtkörper fallen nicht nur durch auffällige Farben und Formen sondern manchmal auch durch ihre besondere Größe auf: Macrocybe titans aus Mittelamerika und der afrikanische Termitomyces titanicus bilden die größten bisher bekannt gewordenen Fruchtkörper bei Blätterpilzen (Agaricomycetes). Gewaltige Fruchtkörper bis über 50 cm Durchmesser bildet auch der Riesen-Bovist , auch die konsolenförmigen, mehrjährigen Fruchtkörper von Baumpilzen können sehr groß werden, beim Abgeflachten Lackporling bis zu 1 m im Durchmesser.
Pilze als Umweltindikatoren
Pilze können bestimmte Stoffe aus dem Boden aufnehmen und in ihrem Mycel anreichern. Besonders deutlich wurde dies nach dem Reaktorunfall von Tschernobyl. Einige Zeit wurde die radioaktive Kontamination von Böden über die Messung der Radioaktivität von Pilzfruchtkörpern dokumentiert und noch bis heute gibt es Regionen, in denen die Pilze – z. B. Maronenröhrlinge – relativ hoch belastet sind. Hauptursache ist von den Pilzen aufgenommenes Cäsium 137 mit einer Halbwertszeit von 30 Jahren.
Auch Schwermetalle wie Cadmium und Blei können von Pilzen angereichert werden. Diese Fähigkeiten kann auch positiv genutzt werden, indem man Pilze zur Dekontamination schwermetallverseuchter Böden einsetzt. 2012 konnten britische Wissenschaftler nachweisen, dass aus Bleiminen isolierte Pilze elementares Blei in das besonders schwer lösliche Chloropyromorphit Pb5(PO4)3Cl umwandeln und damit verseuchte Böden entgiften können (Rhee/Hiller/Gadd 2012).
Ähnlich wie Fauna und Flora beeinflussen Umweltveränderungen auch die Funga – also die Gesamtheit der vorkommenden Pilzarten – eines Ökosystems. In Waldökosystemen können Pilzarten als Indikatoren für „Naturnähe“ verwendet werden. So gelten zum Beispiel Bergporling, Tannen-Stachelbart und Tannen-Stielporling als Zeigerarten für naturnahe Bergmischwälder (vgl. z. B. Blaschke et al. 2009). Die meist auffällig gefärbten Saftlings-Arten (Hygrocybe) sind Zeigerarten für magere Wiesen- und Rasengesellschaften, die als besonders schützenswert gelten. Flechten sind klassische Indikatoren für Luftverschmutzung, vor allem durch Schwefelverbindungen.
Seit einiger Zeit versucht man, Arten zu ermitteln, deren Erhalt in bestimmten Regionen eine besondere Bedeutung für die weltweite Erhaltung der Biodiversität hat. Eine Liste solcher „Verantwortungsarten“ wurden vom Bundesamt für Naturschutz für Deutschland bereits aufgestellt. Mittlerweile gibt es auch 19 Pilzarten, die als Verantwortungsarten für Deutschland ausgewählt wurden, weil ein hoher Anteil der Weltpopulation in Deutschland zu finden ist und weil die Biotope, in denen sie vorkommen, zu den gefährdeten zählen. Beispiele sind der Hauhechel-Samtfußrübling, die Strandlings-Erdzunge oder der Lilastielige Rötelritterling. Warum gerade diese 19 Arten ausgewählt wurden, hängt allerdings auch noch mit weiteren Kriterien zusammen, zum Beispiel, ob die Arten nicht schon durch eine andere Schutzverordnung ausreichend geschützt sind (Lüderitz/Gminder 2014).
Pilze und Menschen
Nahrungsmittel
Pilze werden vermutlich schon seit Urzeiten von Menschen als Nahrung genutzt. Sicher wurden Pilze auch schon von steinzeitlichen Menschen als Heilmittel und Rauschdrogen verwendet. Bei der 5300 Jahre alten Gletschermumie aus dem Ötztal („Ötzi“) hat man Reste vom Zunderschwamm gefunden, die auf seine Verwendung beim Feuermachen hindeuten. Ebenso trug Ötzi zwei Birkenporlinge mit sich, deren antibakterielle und entzündungshemmende Wirkung er möglicherweise zur Wundbehandlung nutzte.
Der gezielte Anbau von Pilzen ist nicht so alt. Die älteste Überlieferung von Pilzkulturen stammt aus China. Dort wurden Shiitake-Pilze (Lentinula edodes) schon vor mehr als 1000 Jahren kultiviert, indem man tote Baumstämme mit dem Pilzmycel beimpfte (Stephenson 2011). Bis heute zählen Shiitake-Pilze in Asien zu den wichtigsten Kulturpilzen , sie werden mittlerweile aber weltweit auf unterschiedlichsten Substraten kultiviert. Die in Europa am häufigsten angebauten Pilze sind Champignons.
Immer häufiger spielt beim Pilzanbau eine Rolle, dass man damit Abfallstoffe „upcyclen“, also sinnvoll weiter nutzen kann. Das gilt für Dung, Stroh, Sägemehl oder andere Holzabfälle, aber auch für Abfälle aus der Bierbrauerei (Biertreber) und aus der Kaffeeproduktion, sogar aus Kaffeesatz lassen sich Austernseitlinge gewinnen. Der Wiener Pilzzüchter Haidvogl http://www.pilz-kultur.at/Die%20Seite/ startete 1996 eine Aktion, bei der er alte Wiener Telefonbücher erfolgreich als Kultursubstrat für Austernseitlinge nutzte (Kasten Kaffeepilze).
Mittlerweile spielen Speisepilze und Heilpilze auch in der Hobbygärtnerei eine wichtige Rolle. Im Internet gibt es viele Angebote für Startkulturen, Kultursubstrate und fertige Ansätze, die nur ausgepackt und bewässert werden müssen.
Nahrungsmittelbearbeitung
Neben der direkten Verwertung von Pilzen als Nahrungsmittel spielen Pilze eine wichtige Rolle bei der Nahrungsmittelbearbeitung bzw. –fermentation.
Die Bedeutung der Hefepilze für die Geschichte der Menschheit kann kaum überschätzt werden. Die Art Saccharomyces cerevisiae, wörtlich übersetzt “Zuckerpilz des Bieres“, und bekannt als die Gewöhnliche Bierhefe kann Zucker zu Ethanol („Alkohol“) und Kohlenstoffdioxid abbauen. Beide Abbauprodukte werden von Menschen seit Jahrtausenden genutzt, das Ethanol zur Herstellung alkoholischer Getränke, das Kohlenstoffdioxid zum Brotbacken (Hefeteig). Einige Historiker glauben, dass das Bierbrauen aus gekeimten Getreidekörnern der erste Anlass für den Beginn des Ackerbaus war. Wenn dies stimmt, wäre die unbewusste Kultivierung von Hefepilzen die erste Voraussetzung für die Entwicklung von Hochkulturen gewesen (Reichholf 2008).
Neben der Bierhefe spielen auch noch zahlreiche andere Mikropilze eine wichtige Rolle in der biotechnischen Produktion und in der Mikrobiologie. Eine lange Tradition haben die verschiedenen Pilze, die in der Käseherstellung eingesetzt werden, wie Penicillium camembertii oder P. roquefortii, oder die verschiedenen Pilzarten, die man in Ostasien zur Fermentierung von Soja, Reis oder anderen Getreidearten nutzt. Der Schlauchpilz Fusarium venenatum wird seit den 1980iger Jahren in Großbritannien zur Herstellung eines als „Quorn“ bezeichneten Fleischersatzes verwendet. Der gefürchtete Pflanzenparasit Botrytis cinerea (s. S. XX) bewirkt auf reifen Weintrauben eine sogenannte „“Edelfäule“, die für die Produktion von besonderen Weinen (Beerenauslese, Trockenbeerenauslese) genutzt werden.
Antibiotika und Statine
Pilze sind seit der Entdeckung von Alexander Fleming die klassischen Lieferanten von Antibiotika. Ohne pilzliche Cyclosporine könnte man die Immunreaktion bei Organtransplantationen kaum unterdrücken. Auch die als Cholesterrolsynthesehemmer eingesetzten Statine stammen aus Schimmelpilzen.
Im mikrobiologischen Labor werden Pilze meist unter sterilen Bedingungen in Petrischalen auf festem Substrat (Agar mit Zusätzen) oder in flüssigen Medien kultiviert. Aus solchen Kulturen werden – heute oft unter Anwendung gentechnischer Methoden – immer wieder Stämme mit neuen Stoffwechselleistungen gewonnen. In der Biotechnik verwendet man große Bioreaktoren zur Produktion zum Beispiel von Zitronensäure (Aspergillus niger), weiteren organische Säuren, Antibiotika, Enzymen und Steroiden.
Pilzgifte
Viele Pilzgifte sind Stoffwechselbestandteile von Großpilzen. Obwohl schon seit dem Altertum bekannt, werden immer wieder neue Giftpilze und neue Gifte entdeckt, z. B. der Glutamatantagonist Acromelsäure aus dem Parfümierten Trichterling (Clitocybe amoenolens, 1987 nach DGfM) oder 2001 die in dem lange Zeit als guter Speisepilz geltenden Grünen Ritterling (Tricholoma equestre) enthaltene Cycloprop-2-en-carboxylsäure, die zumindest bei manchen Menschen Skelettmuskelzerfall (Rhabdomyolyse) verursacht. Die verschiedenen giftig wirkenden Substanzen aus Pilzen und die Funktionszusammenhänge im Organismus sind in vielen Fällen noch nicht genau erforscht. Üblicherweise werden die Vergiftungserscheinungen unter verschiedenen Syndromen zusammengefasst (Tabelle XX Pilzvergiftungen).
Von den rund 8000 in Mitteleuropa vorkommenden Großpilzen sind nur 150-200 Arten giftig. Als tödlich giftig werden von der französischen Gesellschaft für Mykologie 28 Arten genannt. Von 2003 – 2012 starben nach Angaben des Statistischen Bundesamtes durch Verzehr von giftigen Pilzen allerdings nur 31 Personen, insbesondere am häufigen Grünen Knollenblätterpilz (Amanita phalloides). Trotzdem sind Giftpilze eine nicht zu unterschätzende Gefahr, die nur vermieden werden kann, wenn man nur solche Pilze zu Speisezwecken verwendet, die man ganz sicher kennt. Diese Erkenntnis muss das wichtigste Unterrichtsziel bei der Behandlung von Giftpilzen sein. Im übrigen kann man auf die Möglichkeit der Pilzberatung und die verschiedenen Giftnotrufzentralen aufmerksam machen (s. S. XX).
In Abgrenzung zu den Giften in Fruchtkörpern der Großpilze werden giftige Inhaltsstoffe in Schimmelpilzen und anderen Mikropilzen (Aflatoxine, Ochratoxine u. a.) als Mykotoxine bezeichnet. Besonders Getreideprodukte und Nüsse können durch Schimmelbefall vergiftet werden. Über das Futter können die Gifte auch von Nutztieren aufgenommen werden und in Nahrungsmittel gelangen („carry-on“). Auch der giftige Mutterkornpilz (Claviceps purpurea) ist dieser Kategorie zuzuordnen (s. S. XX).
Halluzinogene Pilze
Psychoaktive Pilzinhaltsstoffe haben vor allem bei Azteken und Mayas schon seit Jahrtausenden eine wichtige Rolle gespielt. Die bekannten Pilzsteine der Mayas aus Guatemala wurden im 1. Jahrtausend unserer Zeitrechnung hergestellt. Von der Hippiekultur der 1960iger und 70iger Jahre wurden Pilze – insbesondere Psilocybe-Arten – als Rauschdrogen wiederentdeckt. Der Fliegenpilz (Amanita muscaria) spielte als wichtiger psychoaktiver Pilz vor allem in Nordasien und Nordamerika, wahrscheinlich auch in Europa, eine bedeutende Rolle. Dass er bis heute als Glückssymbol gilt, dürfte auf diese Verwendung zurückzuführen sein. Der Ethnologe Wasson vertrat die nicht endgültig gesicherte Ansicht, dass die in Sanskrittexten beschriebene göttliche Droge Soma der Fliegenpilz sei (Wasson 1968, Bauer/Klapp 2012).
Heilpilze
Heilpilze haben vor allem in der traditionellen chinesischen Heilkunde einen große Bedeutung, werden aber auch zunehmend in westlichen Ländern genutzt und oft über das Internet vertrieben. Kernkeulen (Cordiceps) sollen das Immunsystem stärken, der Stachelbart (Hericium) wird gegen Sodbrennen und empfindliche Magenschleimhäute empfohlen, der Eichhase (Polyporus umbellatus) soll herzstärkend wirken und Wassereinlagerungen verhindern, der Glänzende Lackporling (Ganoderma lucidum) wird nahezu als Allheilmittel gepriesen, besonders aber als Mittel gegen neurotische Erkrankungen. Der Brasilianische Mandelchampignon (Agaricus subrufescens, syn. A. blazei) gilt nicht nur wegen seines Gehalts an β-D-Glucanen als Immunsystem unterstützend, auch seinem hohen Selengehalt wird gesundheitliche Bedeutung zugemessen.
Vorratsschädlinge, Holzzersetzer
Als Saprobionten vernichten Pilze natürlich auch alle Arten von organischen Materialien, die vom Menschen genutzt werden: Nahrungsmittel (Vorratsschädlinge), Textilien und Lederwaren und Baumaterialien, vor allem Holz. Der Hausschwamm (Serpula lacrymans) ist für Holz- und Fachwerkäuser eine besondere Gefahr, da er ein höchst effektives Wasserleitungssystem besitzt und damit auch für völlig trockene Holzkonstruktionen gefährlich werden kann (Bavendamm 1974). Über die Bedeutung von Schimmelpilzen in feuchten Räumen ist viel geschrieben und gestritten worden. Gefährlicher als die Vernichtung von Bausubstanz sind hier vor allem allergische Reaktionen der Bewohner auf Pilzsporen.
Pathogene
Auf die Wirkung pflanzen- und tierpathogener Pilze wurde schon im Zusammenhang mit ihrer Rolle als Konsumenten in Ökosystem hingewiesen. „Although viruses and bacteria grab more attention, fungi are the planet’s biggest killers“ schrieb Nicola Jones 2013 in einem Artikel über mögliche zukünftige globale Bedrohungen. Dabei könnte der Klimawandel die Ausbreitung von Pilzparasiten begünstigen. So hat sich der ursprünglich tropische humanpathogene Pilz Cryptococcus gattii an Amerikas Pazifikküste nach Nordwesten ausgebreitet und 2010 bereits 280 Personen infiziert, von denen zahlreiche starben. Angegriffen werden die Atemwege. Der Pilz ist auch Pflanzenparasit, eine Infektion ist auch über befallene Bäume, vor allem Eukalyptusarten, möglich.
Kompostierbare Baustoffe
Schließlich eignen sich Pilze auch zur Herstellung von kompostierbaren Baustoffen und Verpackungsmaterialien. Als Beispiel sei die New Yorker Firma, Ecovativedesign genannt, die dafür mit mehreren Umweltpreisen ausgezeichnet wurde.
Verwandtschaft und Phylogenie
Pilze werden als „Fadenwesen“ bezeichnet (Holzer 2011). Dieser Name charakterisiert das Reich der Pilze recht gut, denn auch bei den nicht fädigen Hefepilzen gibt es zahlreiche Übergänge zu einer fädigen Lebensform. Andererseits gehören nicht alle fädigen chlorophyllfreien Lebewesen zur engeren Verwandtschaft der Pilze. Schon bei Prokaryoten kommen chlorophylllose „Fadenwesen“ vor, die folgerichtig zunächst auch als „Strahlenpilze“ oder „Actinomyceten“ bezeichnet wurden, heute aber korrekt Actinobacteria genannt werden. Die „Eipilze“ oder „Oomycota“ entwickeln Echten Pilzen ähnliche Fadengeflechte, ihre Zellwände enthalten jedoch kein Chitin sondern Cellulose, weshalb sie auch „Cellulosepilze“ genannt werden. Zu ihnen gehören gefährliche Pflanzenparasiten wie die Kartoffelfäule (Phytophthora infestans) und die „Falschen Mehltaupilze“ (Peronosporaceae). Verwandtschaftlich lassen sie sich zusammen mit Braunalgen, Goldalgen und Kieselalgen der Protistengruppe Chromista (Stramenopila) zuordnen.
Auch die Schleimpilze (Myxomycota) sind keine Pilze im engeren Sinne. Große Teile ihres Lebenszyklus leben sie als Einzeller, nur zur Fortpflanzung bilden sie größere Aggregate und morphologisch sehr unterschiedliche und auffällige Sporenkörper. Bei einer Untergruppe bilden sich vielkernige, nicht in einzelne Zellen unterteilte Syncytien (s. S. XX).
Die ersten Versuche einer systematischen Gliederung der Pilze im 18. und 19. Jahrhundert basierten auf der Makromorphologie der Fruchtkörper. Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts rückten mikromorphologische Merkmale immer mehr in den Vordergrund. Seit Ende des 20. Jahrhunderts wurden zunehmend molekulargenetische Methoden zur Aufklärung der Verwandtschaftsbeziehungen der Pilze eingesetzt. 67 Mykologen erarbeiteten im Rahmen des Projekts „Assembling the Fungal Tree of Life“ ein vorläufiges Gesamtergebnis, das 2007 veröffentlicht wurde (Hibbett et al. 2007). Dieses System bedeutet in vieler Hinsicht eine völlige Neuordnung. So wurde die lange sehr gut etablierte Gruppe der Bauchpilze mit Bovisten, Erdsternen und Teuerlingen vollständig aufgelöst. Die einzelnen Taxa wurden unterschiedlichen systematischen Gruppen zugeordnet, der Kartoffelbovist zum Beispiel den Röhrlingsartigen, die Stäublinge und Teuerlinge in eine Familie mit den Champignons. 2001 wurde in Guyana ein Pilz entdeckt, der aussah wie ein Stielbovist (Gattung Tulostoma), sich aber bei genetischer Untersuchung als Verwandter der Hirschtrüffeln (Elaphomycetaceae, Ascomycota) herausstellte (Miller et al. 2001).
Die Schlauchpilze und Ständerpilze insgesamt blieben als einheitliche Verwandtschaftsgruppen (Abteilungen) erhalten, die früher als „Algenpilze“ oder „Niedere Pilze“ zusammengefassten Gruppen mit Jochpilzen und Geißelpilzen wurden – nach Ausschluss der Oomycota – neu aufgeteilt, ihre systematische Gliederung in neue Abteilungen ist jedoch noch im Fluss. Als gesichert gilt die Monophylie der Verursacher der vesikuär-arbuskulären Mykorrhizen, der Abteilung Glomeromycota.
Die stammesgeschichtliche Entstehung der Pilze reicht vermutlich weit ins Präkambrium zurück, sicherlich weiter als 1 Mrd. Jahre. 2017 entdeckten schwedische Forscher Pilzmyzel-ähniche Strukturen in 2,4 Mrd. J. alten südafrikanischen Basalten (Bengtson et. al 2017). Die Zuordnung der gefundenen Fadenstrukturen zu Pilzen ist jedoch nicht unumstritten. In 410 Mill. Jahre alten Sedimenten des Unterdevons kommen zusammen mit den ersten Landpflanzen auch schon alle Pilzgruppen außer den Basidiomyceten vor. Basidiomycota dürften wesentlich später entstanden sein, sichere Fossilfunde sind 90 Mill. Jahre alt (Stephenson 2010; Moore et al. 2011). Von einem bemerkenswerten Riesenfossil aus dem Devon, Prototaxites mit bis über 8m langen Stammstrukturen, wird heute angenommen, das es pilzlicher Natur war – ein wahrer Pilzbaum in der damals noch ziemlich niedrigen Vegetation (Boyce et al 2007, Abb. XX). Dieses größte Landlebewesen seiner Zeit hat sich aber nicht von den Abfällen der ersten Landpflanzen ernährt, das Isotopenverhältnis seiner Kohlenstoffverbindungen deutet darauf hin, dass es sich von den biogenen Abfallstoffen ernährt hat, die in den vorausgegangenen 2 Mrd. Jahren von Protisten angehäuft worden waren. Das große Artensterben vor 251 (Perm – Trias) und vor 65 (Kreide – Tertiär) Millionen Jahren hatte vermutlich jeweils zur Folge, dass saprobiotische Pilze besonders gute Entwicklungsbedingungen vorfanden. Entsprechend viele Pilzfossilien kennt man aus diesen Zeitabschnitten (Moore/Robsen/Trinci 2011).
Im Stammbaum der Lebewesen stehen Pilze zusammen mit den Tieren und den einzelligen Kragengeißlern (Choanoflagellatae) in einer großen Verwandtschaftsgruppe (Schubgeißler, Opisthokonta). Deren Schwestergruppe sind die Amoebozoa mit Amöben und Schleimpilzen. Zusammen werden sie auch als Amorphea bezeichnet und als monophyletische Gruppe von allen übrigen Eukaryoten abgegrenzt (Adl et al. 2012).
Resumé
In den folgenden Unterrichtsvorschlägen kann nur eine kleine Auswahl aus den möglichen pilzkundlichen Themen gegeben werden. Wir mussten auswählen, genau so, wie jede Lehrperson immer auswählen muss, wenn sie ein komplexes Thema bearbeiten will. Wir hoffen aber, dass deutlich wurde, dass Pilze in fast allen Teilgebieten der Life Sciences eine Rolle spielen, insbesondere auch in Bereichen der angewandten Biologie, und dass es sich lohnt, im Biologieunterricht nicht nur beim „Ökosystem Wald“ auf die Bedeutung dieser fantastischen Fadenwesen zu sprechen zu kommen.
„Grün ist in unseren zivilisierten Städten nicht mehr die normale Farbe der Erdeoberfläche, die nicht nur nichts kostet, sondern sogar das einzig produktive Element aller biologischen Systeme ist – Grün ist hier vielmehr ein teures Produkt…. . Zur Zeit kostet die Planung und Ausführung einer nicht aufwändigen Grünanlage 10 bis 20 DM pro Quadratmeter und die Unterhaltung 10 % dieser Erstinvestition in jedem folgenden Jahr. Der Warencharakter der Natur hat hier ihre ökologische Qualität ausgeschaltet…“ (Peter Kramer 1977)
Lasst es wachsen!
Unsere Kulturlandschaft besteht durchgehend aus verplanten Flächen: Äcker, Wiesen, Weiden, Wälder, Wege, Gärten, Parks, Sportplätze, Wohnhäuser , Industrieanlagen, Bahnlinien und nicht zuletzt Straßen und Parkplätze. Äcker werden gedüngt, gespritzt und umgepflügt, Wiesen werden gemäht und mit Jauche vollgeschüttet, Weiden werden abgefressen, Wälder bewirtschaftet, Wege, Gärten und Parks gepflegt, das heißt der Rasen wird wöchentlich gemäht, die Hecken werden wenigstens zweimal im Jahr geschnitten, Unkraut wird gejätet und oft auch weggespritzt, Beete werden im monatlichen Turnus neu bepflanzt ….
Die Bearbeitung dieser Kulturflächen ist in vielen Fällen notwendig. Wenn man eine Wiese nie mehr mäht, wird daraus in ein, zwei Jahrzehnen ein Gebüsch und in einem Jahrhundert ein Hochwald. Einen Acker muss man regelmäßig bestellen, abernten, düngen und auch spritzen, um ernten zu können. Aber wie sieht es mit den Rändern und den Grenzen zwischen den verschiedenen Nutzungsflächen aus? Ich meine, hier besteht für den Naturschutz ein riesiges Potenzial, das für den Naturhaushalt vermutlich ergiebiger ist, als die in ihrem Flächenanteil sehr beschränkten Naturschutzgebiete. Außerdem hilft der Randschutz, verinselte naturnahe Flächen zu vernetzen. Eine vielversprechende Initiative, welche diese Idee verfolgt, ist das „Konzept der Ehda-Flächen“. Initiator und Träger dieses Projektes ist das Institut für Agrarökologie des Landes Rheinland-Platz (IfA).
Wegrand bei Oberteuringen, 16.7.2016 (Foto Probst)
Wenn man eine Hecke nicht schneidet, wird man mit der Zeit den Weg daneben nicht mehr benutzen können. Aber wenn man den Wegrand nicht vor September mäht, haben dort viele Kräuter und Gräser die Möglichkeit zu blühen und zu fruchten, Bienen, Hummeln, Schwebfliegen, Schmetterlinge und Käfer können sich monatelang am Nektar bedienen, Raupen, Blattwanzen, Zikaden, und Heuschrecken finden Futter und Spinnen können ihre Netze bauen. An Zäunen muss das Unkraut nicht mit Glyphosat weggespritzt werden, Gräser und Kräuter sind meistens wesentlich schöner anzusehen als kahle Zäune. Auch Mauern werden durch hohe Kräuter an der Mauerbasis und Bewuchs der Mauerritzen schöner, die meisten Wege werden durch hochgewachsene Wegrandpflanzen nicht unbrauchbar sondern geschmückt. Die Ränder von Bürgersteigen müssen nicht wöchentlich vom Krautbewuchs befreit werden, der Bewuchs von Pflasterritzen belohnt bei zeitweiliger Duldung durch schöne Blüten. Ein großes zum Teil auch schon genutztes Potenzial ist der Wildwuchs an Gewässerrändern und Waldrändern.
Gehsteigkante mit Acker-Winde, Oberteuringen, 27.7.2016 (Foto Probst)
Zwischen Radweg und Straße, Waltenweiler, 27.6.2016 (Foto Probst)
Vor allem in Siedlungen und Industriegebieten gibt es immer wieder Flächen, die vorübergehend nicht genutzt werden. Solche Brachen sollte man so lange wie möglich sich selbst überlassen – wachsen lassen.
Natur ausschalten – Natur einschalten
Der niederländische Archtekt und Städteplaner Louis Guillaume le Roy (1924 – 2012) plädierte in seinem 1973 erschienenen und damals viel diskutierten Buch „Natur ausschalten – Natur Einschalten“ für eine vehemente Umkehr unsere Einstellung zu Gärten und Grünanlagen. In seiner Heimatstadt Heerenveen konnte er seine Ideen verwirklichen. Statt aufwändiger Grünanlagen schuf er hier abwechslungsreiche Brachflächen mit unterschiedlichen Materialien, insbesondere Bauschutt, und ließ es wachsen. Es entstanden bemerkenswerte vielfältige Biotope mit einem ganz besonderen ästhetischen Reiz.
Die Grundidee le Roys: Natürliche Systeme sind, wenn man sie sich selber überlässt, erstaunlich stabil, da sie über sehr komplexe Regulationssysteme verfügen. Erst wenn man „Natur ausschaltet“ werden immer aufwändigere Pflegemaßnahmen nötig. Für die Gestaltung von Gärten und Grünanlagen aber auch für alle anderen anthropogen überformten Landschaften sollte deshalb das Prinzip der Eingriffsminimierung gelten. Eingriffe und Pflegemaßnahmen sollten nur insoweit durchgeführt werden, als dafür eine funktionale Notwendigkeit besteht.
Für die Entfernung von Krautwuchs an Zäunen zum Beispiel gibt es eindeutig keine solche funktionelle Notwendigkeit. Aber auch bei der Gestaltung von Wegrändern, Straßenrändern, Grünstreifen zwischen Radweg und Straße, Mauerbewuchs, Bewuchs von Gehsteigskanten, Plattenfugen und Grabenrändern könnte man in vielen Fällen le Roy’s Prinzip des Wachsenlassens großen Raum geben.
In dem dieses Jahr auch in deutscher Sprache erschienenen Buch von Dave Goulson, dem britischen Hummelforscher und Naturschützer „Die seltensten Bienen der Welt.: Ein Reisebericht“ findet sich im Epilog – per internet zugänglich – ein sehr lesenswertes Plädoyer für das Wachsenlassen.
33 Jahre nach der 2. Auflage der „Botanischen Exkursionen im Winterhalbjahr“ und 27 Jahre nach der 2. Auflage der „Botanischen Exkursionen im Sommerhalbjahr“ hat der Springer-Verlag von beiden Büchern einen Nachdruck herausgegeben.
Auf einer Exkursion am 30.5.1980 an der Rodau, PH Flensburg
Eine Besonderheit unseres Exkursionskonzeptes in den 1980er Jahren war eine Hinwendung von der „Demonstrationsexkursion“ zur „Arbeitsexkursion“. Der Exkursionsleiter oder die Exkursionsleiterin sollten nicht die einzigen Agierenden in einer Schar von ZuhörerInnen sein, vielmehr sollten sich die ExkursionsteilnehmerInnen selbst aktiv am Geschehen beteiligen. Dies war der Grund dafür, dass wir bei jeder Exkursion Arbeitsaufgaben für die Teilnehmer angegeben haben. Außerdem sollten die unter dem Titel angeführten thematischen Schwerpunkte auf Möglichkeiten hinweisen, mit dem speziellen Exkursionsthema über die Formenkenntnis hinaus Inhalte aus der Allgemeinen Biologie zu vermitteln.
Laubgehölze im Winter, Ausschnitt aus den Merk- und Bestimmungstabellen in den „Exkursionen im Winterhalbjahr“
Wichtiger Bestandteil der Exkursionsbücher waren Merk- und Bestimmungstabellen, die allerdings kein Ersatz für einen wissenschaftlichen Bestimmungsschlüssel sein sollen. Sie sind in erster Linie als Gedächtnisstütze im Gelände und als Hilfe bei der Vorbereitung gedacht, da sie – übersichtlich angeordnet – die nicht mikroskopischen Unterscheidungsmerkmale zusammenstellen. In dieser Funktion haben sie sich im Unterricht vielfach bewährt.
Eindruck von einer Botanischen Exkursion um 1965 (aus: Botanische Exkursionen im Winterhalbjahr)
Ich bin auch heute noch der Meinung, dass biologische Formenkenntnis einen wichtigen Teil der Allgemeinbildung ausmacht und deshalb auch unverzichtbare Unterrichtsstoff in den allgemein bildenden Schulen sein sollte. Dies wiederum setzt voraus, dass auch Biologielehrerinnen und -lehrer eine entsprechende Schulung erhalten sollten – auch wenn der Umfang der Life Sciences sich in den 40 Jahren, seitdem die Bücher konzipiert wurden, sehr stark vergrößert hat. Die „Botanischen Exkursionen“ können dazu vielleicht auch heute noch einen wichtigen Beitrag leisten und ich freue mich deshalb, dass der Springer-Verlag sie mit einem Nachdruck und einer Ausgabe als E-Book wieder zugänglich macht. Bei der Benutzung der Bücher darf allerdings nicht übersehen werden, dass sich im Hinblick auf Systematik, Taxonomie und Nomenklatur der Pflanzen und Pilze in den letzten Jahrzehnten sehr viel verändert hat. Zu verdanken ist dies vor allem den ganz neuen Möglichkeiten, die sich durch vergleichende molekulargenetische Untersuchungen ergeben haben.
Haller, B./Probst, W.: Botanischer Exkursionen Band I, Winterhalbjahr, Springer-Verlag, Berlin Heidelberg 1978,1983, Nachdruck 2016, ISBN 978-3-662-48687-0 eBook: 978-3-602-48688-7
Haller, B./Probst, W.: Botanischer Exkursionen Band II, Sommererhalbjahr, Springer-Verlag, Berlin Heidelberg 1980,1989, Nachdruck 2016, ISBN 978-3-662-48685-6 eBook: 978-3-602-48686-3
Immer häufiger sieht man an Straßenrändern, auf Verkehrsinseln oder an Ackerrandstreifen bunte Blumen blühen. Das sind nicht nur Klatsch-Mohn und Kornblume, Schafgarbe, Wilde Möhre und Wegwarte sondern auch Sommermalve (Malope trifida), Großblütiger Lein (Linum grandiflorum), Büschelschön (Phacelia tanacetifolia), Vogelfuß-Mädchenauge (Coreopsis palmata), Doldige Schleifenblume (Iberis umbellata) und andere Exoten, vorwiegend aus etwas wärmeren Regionen Europas und Amerikas. Für „Blühstreifen“ an Äckern gibt es für Landwirte sogar Fördermittel. Mittlerweile bieten Saatgutfirmen bereits ein differenziertes Angebot an Samenmischungen an. Sind es nur ästhetische Gesichtspunkte, die zu diesen „Blumenstreifen“ Anlass geben? Stehen dahinter auch ökologische Überlegungen und Ziele? Diese blühenden Wegränder sehen zweifellos schön aus, sie werden auch von blütenbesuchenden Insekten gerne angenommen. Ist es sinnvoll, dafür vor allem nicht einheimische Arten zu nutzen?
Diese Fragen führen zu der übergeordneten Frage, welche besonderen Merkmale solche Übergänge und Grenzen zwischen verschiedenen Landschaftselementen kennzeichnen. Was zeichnet Saumbiotope aus?
Das Unterricht Biologie Heft 425 „Saumbiotope – Grenzen und Übergänge“ ist im Juli 2017 erschienen
Grenzen und Übergänge
Räumlich begrenzte Lebensgemeinschaften, deren Organismen untereinander besonders zahlreiche Wechselbeziehungen zeigen, bezeichnet man zusammen mit ihrer unbelebten Umwelt als Ökosystem. Ein solches System kann ein begrenzter Waldbestand, ein kleines Moor, ein Dorfteich oder eine Felskuppe sein. Aber auch viel größere Einheiten, etwa ein großer See oder Meeresteil oder ein riesiges Waldgebiet wie das Amazonasbecken kann man als Ökosystem auffassen.
Bei naturnahen Landschaften sind die Grenzen zwischen verschiedenen Ökosystemen oft keine scharf gezogenen Linien, vielmehr sind es allmähliche Übergänge. Dies gilt für großräumige Übergänge, etwa vom tropischen Regenwald zur Savanne oder von der Taiga in die Tundra. Diese Übergangsbereiche werden auch als Ökotone bezeichnet.
Vegetationszonierung im Vorderrheintal bei Sedrun (Foto Probst)
Es gilt aber auch für kleinere Gebiete, zum Beispiel für die Baumgrenze an einem Gebirgsmassiv.
Scharfe Grenzen hängen oft mit menschlichen Aktivitäten zusammen: Waldränder, Feldraine und Straßenränder sind dafür typische Beispiele. Aber auch katastrophenartige Naturereignisse wie Waldbrände, Sturmschäden, Lawinen, Vulkanausbrüche oder Überschwemmungen haben die Ausbildung scharfer Grenzen zur Folge, die allerdings meist im Laufe der Zeit wieder ausgeglichen werden.
Auch steile Umweltgradienten, zum Beispiel die Wassertiefe an einem Gewässerufer oder die Meereshöhe in einem Gebirge, können zu deutlich erkennbaren Zonierungen führen, bei denen die einzelnen Pflanzengemeinschaften scharf gegeneinander abgegrenzt sind.
Der besondere Reiz solcher Grenzen besteht darin, dass es hier zu einer Vermischung von zwei verschiedenen Lebensgemeinschaften kommt. Solche „Säume“ oder „Ökotone“ bieten besonders viele ökologische Nischen und sind deshalb oft besonders artenreich. Sie erfüllen wichtige ökologische Funktionen, zum Beispiel als Brutplatz für Vögel, Wanderwege für Reptilien und Amphibien, Überwinterungsquartiere für Wirbellose oder Nahrungsspender für Blüten besuchende Insekten.
Saumbiotope in der mitteleuropäischen Kulturlandschaft
Saumbiotope sind wesentliche Elemente der traditionellen Kulturlandschaft. Sie sind mit der Entwicklung des Ackerbaus seit dem Neolithikum und der Bronzezeit unter dem Einfluss des Menschen entstanden. In Mitteleuropa haben sich diese kleinräumigen Strukturen mit der Auflockerung und Zurückdrängung der ursprünglichen Urwälder in den vergangenen 6000 Jahren allmählich entwickelt. Dadurch hat sich die Anzahl der Pflanzen- und Tierarten, die Biodiversität, stark erhöht. Schaut man sich die Verteilung der Tier- und Pflanzenarten in einer kleinräumig strukturierten, von Wallhecken, Wegrändern, kleinen Gehölzen und Wasserläufen geprägten Landschaft an, so sind die flächigen Landschafselemente relativ artenarm, die meisten Arten konzentrieren sich in den Saumbiotopen. Viele Arten aus den bewirtschafteten Arealen haben
Hochgewachsener Straßenrandstreifen mit Glatthafer und Margeriten (Foto Probst)
in den Saumbiotopen eine Rückzugsmöglichkeit gefunden. Dabei kam es im Laufe der Jahrhundrte auch zu Einnischungsprozessen, die Arten haben sich in Anpassung an die besonderen Bedingungen der Saumbiotope etwas verändert. Auch für eine Reihe neu eingewanderter Arten bieten Saumbiotope günstige Bedingungen.
Eine besondere Bedeutung kommt Saumbiotopen für die Vernetzung von Ökosystemen zu. In einer wenig strukturierten Agrarlandschaft kann die ökologische Qualität durch Ökotone wesentlich verbessert werden. Ein besonderes Problem riesiger Felder in einer ausgeräumten Landschaft ist die Bodenerosion. In Mecklenburg-Vorpommern, einen Bundesland mit besonders vielen großflächigen Äckern, gelten mehr als die Hälfte der Böden als erosionsgefährdet, in ganz Deutschland immerhin 14% (Umweltbundesamt). Das ist ein Grund dafür, dass der Naturschutz ein besonderes Augenmerk auf die Ökotondichte einer Landschaft legt.
Schutz und Pflege von Saumbiotopen
Durch Beweidung stark degradierter Knick, Ausacker bei Flensburg, 1984 (Foto Probst)
Allerdings sind Grenzen in einer Kulturlandschaft nicht immer ein wertvoller Saumbiotop. Wallhecken wachsen zu weniger nischenreichen Baumreihen aus, wenn sie nicht regelmäßig „auf den Stock gesetzt“ werden. Dabei sollte man allerdings darauf achten, dass die zurückgeschnittenen Strecken nicht zu lang sind, damit sich für die Arten Rückzugsmöglichkeiten eröffnen. Durch Beweidung können die Wälle erodieren und die Krautvegetation vernichtet werden, durch Pestizideinsatz auf dem angrenzenden Acker können Tiere und Pflanzen geschädigt werden.
Herbicideinsatz am Wegrand (Foto Probst)
Ähnliches gilt für Wegränder und Straßenränder. Frühzeitiges und häufiges Mähen mindert ihren Wert. Erst wenn die Pflanzen blühen, können sie Blütenbestäuber ernähren und erst wenn sie reife Früchte ausbilden können sie sich selbt vermehren und auch als Futterpflanzen für Vögel und andere Tiere zur Verfügung stehen. Auch noch im Winter bieten Fruchtstände („Wintersteher“) Futter und Unterschlupf- und Überwinterungsmöglichkeiten für Insekten.
Waldränder sind umso artenreicher, je dichter der Gebüschsaum und der Hochstaudenbestand ausgebildet sind.Allerdings wird sich von einem Waldrand ausgehend in einem Waldklima der Wald allmählich ausdehnen, wenn man der Natur ihren Lauf lässt. Durch Wurzelausläufer und Keimlinge vordringende Gehölzpflanzen wird der Landwirt deshalb abmähen und umpflügen müssen. Mäht man allerdings mit dem Schlegelmäher hart an der Waldgrenze entlang, führt dies schnell zu einer Auflockerung des dichten Gebüschstreifens, der dadurch viele seiner ökologischen Funktionen verliert.
Gewässerränder können je nach Uferprofil und Gewässertyp sehr unterschiedlich aussehen.Besonders stark wurden die Fließgewässer in der mitteleuropäischen Landschaft im Laufe der Jahrhunderte verändert. Um die landwirtschaftlich nutzbaren Flächer zu vergrößern wurden nicht nur die Übergangszonen, verschmälert, die Bäche selbst wurden begradigt, tiefer gelegt, und regelmäßig ausgeräumt und ihre Ufervegetation abgemäht. Die Renaturierung von Bachläufen ist deshalb heute ein wichtiger Bereich des Natur- und Umweltschutzes.
Die charakteristischen Saumbiotope an großen Wasserläufen, die Auwälder, sind fast vollständig aus unserem Landschaftsbild verschwunden. Dabei handelt es sich um ursprünglich besonders artenreiche für den Naturhaushalt einer Landschaft wichtige Biotope: “ In den Auen der Schweiz wurden bisher gegen 1200 Pflanzenarten erfasst, wobei die tatsächliche Zahl wahrscheinlich 1500 Arten übersteigt. Dies entspräche der Hälfte der Schweizer Flora auf einem halben Prozent der Landesfläche. Wie die botanische ist auch die zoologische Vielfalt gross: Schmetterlinge, Libellen, Heuschrecken nutzen die verschiedenen Auenbiotope im Lauf ihres Lebenszyklus; Amphibien und Fische, zahlreiche Vogel- und Säugetierarten finden hier Nahrung und Unterschlupf.“ http://www.waldwissen.net/wald/naturschutz/gewaesser/wsl_auen_schweiz/index_DE?dossierurl=http://www.waldwissen.net/dossiers/wsl_dossier_auen/index_DE
Auch an stehenden Gewässern kommt dem Schutz der Gewässerrandstreifen eine besondere Bedeutung zu und auch hier sind natürliche Verhältnisse nur noch an sehr wenigen Stellen zu finden.
Gewässerränder sollten durch Schutzstreifen vor Einträgen aus der Landwirtschaft (Dünger, Pestizide) aber auch vor menschlichem Zutritt geschützt werden.
Auch Meeresküsten zeigen eine charakteristische Zonierung, die allerdings je nach Küstenform sehr unterschiedlich aussehen kann. Bei den an der deutschen Nordseeküste so charakteristischen Wattflächen handelt es sich um flächenhafte Ökosysteme, die nicht als Saumbiotope im eigentlich Sinne bezeichnet werden können.
Halophytenflur auf Baltrum, 1982 (Foto Probst)
Dünen und Salzwiesen zeigen schon eher die Charaktristika von Saumbiotopen, in denen sich Elemente der angrenzenden Lebensräume mit den typischen Vertretern mischen. Sehr enge Säume bilden sich an Felsküsten, die in Deutschland allerdings weitgehend auf die Insel Helgeland begrenzt sind. Sie sind aber charkteristisch für mediterrane Küsten.
Natüriche Küstensäume sind durch anthropogene Einflüsse vielfach verändert worden. Ein Rolle spielen künstliche Befestigungen und Schutzanlagen (Deiche, Grabensysteme und Befestigungen zur Landgewinnung), Verbauungen, Hafenanlgen usw. . Hinzu kommen Einleitungen von Abwässern sowie Düngemitteln und Pestiziden. Tropische Mangroveküsten sind insbesondere durch Aquakulturen, vor allem Garnelenfarmen, bedroht.
Fragmentierung
Oft sind Saumbiotope besonders artenreich, da in ihnen die Arten beider angrenzender Biotope zu finden sind. Es wäre allerdings die falsche Schlussfolgerung, wenn man daraus ableiten würde, dass eine Zerstückelung großer Lebensräume grundsätzlich die Biodiversität erhöhen würde. Im Gegenteil, die Habitatfragmentierung, also die Aufspaltung der Lebensräume von Tier- und Pflanzenarten, wird als eine wichtige Ursache für die Verminderung der Biodiversität angesehen. Lebensraumzerschneidungen, der Aufbau von Barrieren und Grenzen zwischen verschiedenen Teilen einer Population, schränkt den genetischen Austausch ein und kann letzlich zum Aussterben von Arten führen, wenn die Teilpopulationen eine bestimmte Größe unterschreiten. Um diese nachteiligen Effekte zu vermeiden, ist es wichtig, dass Korridore erhalten bleiben, durch die eine Verbindung der Teillebensräume bestehen bleibt. Der Zerschneidungseffekt von Verkehrswegen kann zum Beispiel durch grüne Brücken über Autobahnen oder durch Krötentunnel unter Landstraßen ein bisschen gemindert werden.
Besonders gefährlich ist die Fragmentierung für artenreiche, großflächige Ökosysteme, die eine lange Evolution hinter sich haben, wie zum Beispiel das Amazonasbecken. Rodungen und der Bau von Verkehrswegen haben hier zu vielen neuen Waldgrenzen geführt. Die Veränderungen durch eine solche Grenze wirken sich oft 100m in das Innere des Ökosystems aus. Das veränderte Mikroklima begünstigt die Einwanderung von neuen, auch invasiven Arten, dichterer Unterwuchs kann das Übergreifen von Feuern von angrenzenden Wirtschaftsflächen fördern. Dadurch verändert sich das Artengefüge, je kleiner die neuen Teillebensräume, desto größer ist der Verlust an Biodiversität.
Saumbiotope im Biologieunterricht
Saumbiotope haben oft etwas mit menschlichen Aktivitäten zu tun. Damit können Menschen aber auch Einfluss nehmen auf die Qualität solcher Übergänge. Dabei bietet es sich besonders an, Beispiele aus dem direkten Umfeld der SchülerInnen, aus der eigenen Gemeinde, in den Mittelpunkt des Unterrichts zu stellen. In ländlichen Gemeinden können sich SchülerInnen zum Beispiel über Aussehen und Pflege von Ackerrandstreifen informieren und eigene Vorstellungen mit betroffenen Landwirten diskutieren. In Städten können Parkpflegekonzepte und die Pflege von Weg- und Straßenrändern thematisiert und wenn möglich mit Anwohnern und Mitarbeitern des Umwelt- und Grünamtes besprochen werden. Dabei können ökologische Grundkenntnisse über Artenschutz und Biodiversität, Verinselung und Vernetzung, Einnischung und Konkurrenz, Eutrophierung und Anreicherung von Schadstoffen in der Nahrungskette vermittelt werden. Es zeigt sich aber auch, dass wirtschaftliche Interessen, Fragen der Verkehrssicherheit und ästhetische Vorstellungen und Bdürfnisse der Bevölkerung berücksichtigt werden müssen. Auf dieser Basis kann es gelingen, die Folgen von Pflegemaßnahmen und Eingriffen zu verstehen und dieses Verständnis zu nutzen, um sich in der Gemeinde aktiv für sinnvolle Naturschutzmaßnahmen einzusetzen.
Mögliche Themen
Vielfalt an Straßenrändern
Anzahl blühender Pflanzen in verschiedenen Saumbiotopen
Lebensraum Wallhecke (Knick)
Ackerrandstreifen
Bachufer
Seeufer (z. B. Kartierung eines Gewässerufers)
Uferkartierung mit Klebepunkten (Foto: Probst)
Meeresküste, Spülsaum
Leben am Waldrand (z. B. Tierspurensuche am Waldrand, Vegetationstransekt vom Wald auf die Wiese)
Transektmethode zur Aufnahme von Übergängen
Waldgrenze im Gebirge
Höhenzonierung
Luftbildauswertung zu Saumbiotopen in unterschiedlichen Landschaften
Verbesserung der Ökotondichte (Ausarbeitung von Vorschlägen für die eigene Gemeinde)
Biotopverbund
Literaturauswahl und URLs
Beck, E. (2015): Biodiversitätsforschung – wohin geht die Reise? Biol.Unserer Zeit 45(2), S. 98-105
Ellenberg, H./Leuschner, L. (6. A., 2010): Vegetation Mitteleuropas mit den Alpen Stuttgart: Ulmer (UTB)
Frey, ./Lösch, R. (3.A., 2010): Geobotanik. Pflanze und Vegetation in Raum und Zeit. Heidelberg: Spektrum
Heydemann, B./Hofmann, W./Irmler, U. (Hrsg, 1990): Verbundfunktion von Straßenrandökosystemen. Faunistisch-Ökol. Mitt., Suppl.9, Neumünster: K. Wachtholtz
Hobohm, C. (2000): Biodiversität. UTB 2162, Wiebelsheim: Quelle und Meyer
Kronberg, I. (Hrsgin.,1999): Saumbiotope. UB 245 (23.Jg.)
Kühne, S./Freier, B. (2012): Saumbiotope und ihre Bedeutung für Artenvielfalt und biologischen Pflanzenschutz. Workshop „Biological Diversity in Agricultural
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Plachter, H. (1991): Naturschutz. Stuttgart: G.Fischer
Poschold, P. (2015): Geschichte der Kulturlandschaft. Stuttgart:Ulmer
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Tschumi, M. et al.(2015): Wildflower strips enhance biological pest control and yield. In: Gesellschaft für Ökologie e. V. (Hrsg.): Verhandlungen der Gesellschaft für Ökologie. Band 45. S. 163ff, Marburg: Görich & Weiershäuser.
Walter, H. (1976): Die ökologischen Systeme der Kontinente (Biogeosphäre). Stuttgart, New York: G. Fischer
Von der Planung bis zum Erscheinen eines Unterricht Biologie Heftes vergehen gut zwei Jahre. Trotzdem wird es in den letzten Monaten meistens etwas hektisch und nicht immer kann der Erscheinungstermin ganz pünktlich eingehalten werden. Nun sind die beiden Hefte zu den Pilzen – für Juni und Juli 2015 vorgesehen- tatsächlich Ende Juni erschienen.
Die beiden Hefte ergänzen sich. Während wir im regulären UB-Heft 405 versucht haben, möglichst viele Facetten der Pilzkunde einzubeziehen, stehen im Kompakt (UB 406) Pilze im Mittelpunkt, die man in Wald und Wiese finden kann. Dabei geht es natürlich nicht nur ums Essen, sondern auch um Hexenringe und Sporenbilder, Pilz-Baum-Partnerschaften, Pilzdüfte und Plzfarben und Pilze als Werkstoffe und Bastelmaterial.
Die unten stehenden Inhaltsverzeichnisse sollen Ihr Interesse wecken.
So könnte Georg Wilhelm Steller 1742 die Riesenseekühe vor der Beringinsel gesehen haben (Grafik W. Probst)
„Ah! Es schwimmt! Es taucht unter! rief Ned-Land. Tausend Teufel! Was mag dies für ein Thier sein? Es hat nicht den zweispaltigen Schwanz der Wallfische oder Pottfische, und seine Flossen sehen aus wie verstümmelte Gliedmaßen. – Aber dann … sprach ich. – Richtig, fuhr der Kanadier fort, es liegt auf dem Rücken und streckt seine Brüste empor! – Eine Sirene, rief Conseil, eine echte Sirene, nehmen Sie’s nicht übel mein Herr. Dies Wort brachte mich auf den rechten Weg, und ich sah, daß dies Thier zu den Seegeschöpfen gehörte, woraus die Fabel Sirenen und Fischweibchen gemacht hat. -Nein, sagte ich zu Conseil, eine Sirene ist’s nicht, aber ein merkwürdiges Geschöpf, von dem es kaum noch einige Exemplare im Roten Meer giebt. Es ist ein Dugong. – Ordnung der Sirenen, Gruppe der fischförmigen, Unterclasse der Monodelphine, Classe der Säugetiere, Abtheilung der Wirbelthiere,“ erwiderte Conseil.“
In Jules Vernes legendären Roman „20 000 Meilen unter dem Meer“ treffen die Seefahrer des Nautilus im Roten Meer auf ein Seetier von über 7 m Länge. Es wird zwar als „Dugong“ bezeichnet, was von der Verbreitung her korrekt wäre, aber in die Beschreibung hat Jules Verne wohl auch Berichte über die wesentlich größere Riesen-Seekuh einfließen lassen, die vermutlich schon ausgestorben war, als er seinen Roman schrieb. Auch Kapitän Nemo und seine Gäste, Pofessor Arronax, der Ich-Erzähler, sein Diener Conseil und der draufgängerische Harpunier Ned-Land, verschonen das große Seetier nicht, obwohl von wissenschaftlicher Seite Bedenken anmeldet werden:
„– Herr Kapitän, sagte darauf Conseil im Ernst, wenn es vielleicht das letzte seiner Race wäre, würde es dann nicht besser sein es zu schonen, im Interesse der Wissenschaft? – Vielleicht, entgegnete der Canadier; aber im Interesse der Küche ist‘s besser, es zu erlegen. – Gehen Sie nur an’s Werk, Meister Land“, erwiderte der Kapitän Nemo.“
Stellers Seekuh
Ich hatte eine virtuelle Begegnung mit der fantastischen Riesen-Sirene (Ordnung Sirenia = Seekühe, s.u.), als ich versuchte, Adelbert von Chamissos Reise um die Erde nachzureisen. Dies war der Anlass, mich etwas genauer über diesen Meeressäuger und seine Verwandten zu informieren. Chamisso fuhr auf der russischen Brigg Rurik unter Kapitän Otto von Kotzebue von Kamtschatka in die Beringstraße und dabei passierte das Expeditionsschiff am 20. Juli 1816 die Beringinsel, wie die Beringstraße, die Sibirien von Alaska trennt, nach dem dänischen Kapitän und Expeditionsleiter Vitus Bering benannt (vgl. Der Palme luft’ge Krone – mit Chamisso auf Weltreise). Bering leitete im 18. Jahrhundert im Auftrag der russischen Akademie der Wissenschaften in St. Petersburg zwei große Expeditionen zur Erforschung Ostsibiriens und der Verbindung zwischen Sibirien und Alaska. Bei der zweiten Exedition kam er als Schiffbrüchiger auf der Beringinsel ums Leben. Vorher hatte er von Kamtschatkas Awatscha-Bucht kommend auf einem Kurs südlich der Aleutenkette die Insel Kayak vor der westamerikanischen Küste erreicht. Auf der Rückreise geriet das Expeditionsschiff immer wieder in gefährliche Weststürme und kenterte schließlich vor der später so benannten Beringinsel. Die Beringinsel, ihre Nachbarinsel Medni und einige weitere kleinere Inseln gehören zu den Kommandeurinseln, die zwischen den Aleuten und Kamtschatka gelegen das nördliche Beringmeer vom übrigen Nordpazifik abtrennen. Geologisch sind sie den Aleuten zuzuordnen. Bering erlag auf dieser Insel im Dezember 1741 einer schweren Krankheit. Chamisso hatte bei seiner Passage einen Blick auf das westliche Ende der Insel, das sich – wie er in seinem Reisetagebuch schreibt – „…mit sanften Hügeln und ruhigen Linien zum Meere senkt. Sie erschien uns im schönen Grün der Alpentriften; nur stellenweise lag Schnee“.
Wenn selbst im Juli auf dieser Insel noch Schnee lag, kann man sich einen Begriff von dem Klima machen, dem die Schiffbrüchigen der Bering-Expedition, die es Anfang November auf die Insel verschlug, ausgesetzt waren. Unter diesen Schiffbrüchigen war auch der deutsche Arzt und Naturwissenschaftler Georg Wilhelm Steller. Nicht zuletzt seinem Mut und Geschick war es zu verdanken, dass immerhin 46 der ursprünglich 77 Schiffbrüchigen die Rückkehr nach Kamtschatka gelang. Trotz des ständigen Kampfes ums Überleben bemühte sich Steller um eine naturkundliche Erforschung der Insel. Er beschrieb Seeotter, Seelöwen und Seebären und bemerkte schon kurz nach der Ankunft auf der Insel eigenartige Wassertiere von erstaunlichen Ausmaßen, von denen man meistens nur einen großen dunkelbraunen Rücken über die Wasseroberfläche ragen sah. Erst nachdem die Strapazen des Winters einigermaßen überstanden waren, fand Steller Zeit, sich etwas intensiver mit diesen seltsamen Tieren zu beschäftigen. Steller kannte die Beschreibung Dampiers von dem karibischen Manati und er konnte die großen Wassertiere sofort ganz korrekt dieser Säugetiergruppe der Seekühe zuordnen. „Ich würde auf eine ausführliche Beschreibung der Seekuh verzichtet haben, wenn nicht über diese in alten Zeiten allzu Ungereimtes geschrieben worden wäre. Damals betrachteten die Naturforscher das, was sie mit eigenen Augen sehen konnten, nur sehr oberflächlich. Ich hingegen bin bemüht gewesen, zunächst eine klare Kunde von der äußeren Gestalt des Tieres und den Bau seiner inneren Teile zu geben. Dem habe ich dann Erläuterungen zum Nutzen von Teilen des Tieres, als Speise, als Arznei und zu anderen Dingen, sowie zum Verhalten des Tieres hinzugefügt.“ So schreibt Steller später in der von ihm verfassten „Topographischen und physikalischen Beschreibung der Beringinsel“ (Sankt Petersburg und Leipzig 1781). Er war der einzige Naturwissenschaftler, der diese riesige nordische Seekuh lebend gesehen und ihre äußere und innere Anatomie sowie ihr Verhalten untersucht hat. Am 12. Juli 1742 hat Steller eine weibliche Seekuh genau vermessen und seziert. Die Körperlänge gibt er mit 296 Zoll an, der im Vergleich mit dem massigen Körper kleine kurze Kopf hat über den Augen einen Umfang von 48 Zoll, der Nacken schon 82 Zoll. Den größten Leibesumfang vemaß Steller mit 244 Zoll. Die Länge des gesamten Verdauungstraktes betrug 5168 Zoll, das Herz maß 22 auf 25 Zoll, die Nieren 32 auf 18 Zoll (ein Zoll entspricht 2,54 cm). Besonders bemerkenswert ist die dicke Haut der Tiere, die Steller an die rissige Rinde einer alten Eiche erinnerte. Oft beobachtete er Möwen und andere Seevögel, die auf den inselartig aus dem Wasser ragenden borkigen Rücken der Seekühe nach Maden hacken. Die dicke haarlose Haut erinnert also doch ein bisschen an die landlebenden Dickhäuter, die Elefanten, die ja ihre nächsten Verwandten sind. Lediglich an der Schnauze hat das Tier dicke, an Federkiele erinnernde Borsten, auch die Unterseite der zehenlosen Vorderfüße ist dicht mit kurzen Borsten besetzt. Mit den Vorderbeinen schwimmt die Seekuh vorwärts und schlägt die Algen von den Steinen am Meeresgrund ab. „Unter diesen Vorderfüßen finden sich die Brüste, mit schwarzen, runzligen zwei Zoll langen Warzen, in deren äußerstes Ende sich unzählige Milchgänge öffnen. Wenn man die Warzen stark streift, so geben diese Milchgänge eine große Menge Milch von sich, die an Süßigkeit und Fettigkeit die Milch der Landtiere übertrifft, sich aber sonst von dieser nicht unterscheidet.“
So könnte die Stellersche Seekuh ausgesehen haben (Aquarell W. Probst). Eine sehr detaillierte Rekonstruktion hat Jan Hughes angefertigt.
Steller beobachtete, dass sich die Seekühe meistens im flachen Wasser aufhielten. Sie liebten sandige Plätze, gerne auch an den Mündungen von Flüssen. Die halbwüchsigen und jungen Tiere trieben sie meist vor sich her und schlossen Sie zwischen Erwachsene ein, um sie vor Angriffen insbesondere von Belugas zu schützen. Die erwachsenen Tiere hatten keine natürlichen Feinde. Aber bei stürmischem Wetter konnten sie an Felsen geschlagen werden und dabei zu Tode kommen. Im Winter , wenn sie nicht genug Algennahrung finden konnten und dadurch stark geschwächt waren, kam es nicht selten vor, das Tiere von dem am Ufer schwimmenden Eise erstickt wurden. Den ganzen Tag über fraßen sie, fast ununterbrochen mit dem Kopf unter Wasser. Alle 4-5 min hoben Sie die Nase aus dem Wasser und atmeten aus und ein, wobei sie ein Geräusch von sich gaben, das dem Schnauben eines Pferdes ähnelte. Bei Weidegang bewegten sie einen Fuß nach dem anderen langsam vorwärts und ließen sich kaum stören. Es kümmerte sie nicht, wenn man mitten zwischen ihnen herum schwamm oder mit einem Kahn durch die weidende Herde steuerte. Wie Steller später erfuhr, wurden die Riesenseekühe von den Kamtschadalen auch „Krautfresser“ genannt. Steller beschrieb, dass sie sich – meist im Frühjahr – wie Menschen begatteten, also Bauch an Bauchseite das Weibchen auf dem Rücken liegend, wobei sie sich
Porträt der Stellerschen Seekuh (Aquarell W. Probst)
mit ihren kurzen Vorderbeinen umarmten. Die Tragzeit betrug über ein Jahr und Steller konnte immer nur ein Junges beobachten. Meistens bildeten sie Familienverbände aus einem männlichen und einem weiblichen Tier und mehreren Jungtieren. Die Bindung zwischen den Familienmitgliedern schilderte Steller als sehr eng.
Warum sind diese größten marinen Pflanzenfresser ausgestorben? Die unbewohnten Kommandeursinseln waren im 18. Jahrhundert das letzte Rückzugsgebiet der Riesen-Seekühe. Aber noch bis zum Ende der letzten Kaltzeit waren sie im Nordpazifik viel weiter verbreitet, von der Baja Californica bis nach Japan. Da sie praktisch keine natürlichen Feinde hatten, ist die Annahme nicht unwahrscheinlich, dass sie durch die ersten menschlichen Einwanderer am Ende der letzten Kaltzeit bejagt und schließlich ausgerottet wurden. Die großen Tiere hatten einen gewaltigen Stoffumsatz und sie ernährten sich hauptsächlich von den Riesentangen, die vor allem für die pazifischen Auftriebsgebiete entlang der amerikanischen Westküste und für die arktischen Zonen charakteristisch sind. Auch wenn die Bejagung durch steinzeitliche Jäger nicht sehr intensiv war, so könnte über die Jahrhunderte bei der geringen Reproduktionsrate der Seekühe (ein Junges höchstens alle 2-3 Jahre) trotzdem eine starke Reduktion der Bestände die Folge gewesen sein. Außerdem sind auch andere indirekte Effekte möglich. So weiß man heute, dass die Seeotter für den Bestand der Riesentiere von großer Bedeutung sind, da sie sich vorwiegend von Seeigeln ernähren, die wiederum den Nachwuchs der Tange abgrasen. Gibt es weniger Seeotter, gibt es mehr Seeigel und damit weniger Tangwälder. So könnte sich auch die Dezimierung der Seeotter negativ auf die Seekuhbestände ausgewirkt haben. Aufgrund neuen molekulargenetischen Untersuchungen an fossilem Riesenseekuh-Material kommen Sharko et al. (2021) zu der Auffassung dass die Populationen der Riesenseekühe am Ende der Kaltzeiten vor allem aufgrund des Meeresspiegelanstiegs schon stark dezimiert waren, bevor paläolithische Jäger ihre Bestände weiter dezimierten.
Die Gestrandeten der Bering-Expedition ernährten sich zunächst von Seeottern, die es hier in großen Mengen gab und die keinerlei Scheu zeigten und sich leicht erschlagen ließen. Nachdem sich die Leute etwas erholt hatten, wagten sie sich an die Jagd auf die Seekühe. Das Abschlachten war zwar nicht schwierig, aber die tonnenschweren Leiber an Land zu bringen, benötigte die Kraft von 30 gesunden Männern. Fleisch und Fett der Seekühe schmeckten den Matrosen hervorragend. Das Fleisch soll angeblich wie Kalbfleisch geschmeckt haben, das ausgelassene Fett erinnerte an Olivenöl. Die Berichte der nach Kamtschatka zurückgekehrten Matrosen über die großen Mengen an Seeottern, die sie auf der Beringinsel angetroffen hatten, führten dazu, dass Pelzjäger sich aufmachten, um die Tiere mit den wertvollen Fellen zu jagen. Dabei nutzten sie die Seekühe vor allem zu Nahrungszwecken, später wurden sie aber auch in Massen sinnlos abgeschlachtet, so dass sie bereits 27 Jahre nach ihrer Entdeckung ausgerottet waren. Zwar gibt es immer einmal wieder Berichte darüber, dass eine Riesenseekuh gesichtet worden wäre, bisher konnte dies aber in keinem Fall bestätigt werden. Der ehemals bekannte sowjetrussische Tierbuchautor Igor Akimuschkin schrieb dazu 1969 in seinem 1972 ins Deutsche übersetzten Buch „Vom Aussterben bedroht? Tiertragödien, vom Menschen ausgelöst“: „Noch vor zweihundert Jahren lebten in der Nähe der Kommandeurinseln so viele Seekühe, dass man mit ihrem Fleisch, wie der sowjetische Geograph L. S. Berg schreibt, „die gesamte Bevölkerung von Ost Kamtschatka hätte ernähren können.“ Das Fleisch war vorzüglich, nicht wie Walfleisch, das selbst Hunde nicht mögen. Das von jungen Seekühen schmeckte „wie Kalbfleisch“, und das der ausgewachsenen Tiere „unterschied sich nicht von Rindfleisch“. Unter der Haut hatte die Stellersche Seekuh eine „vier Daumen dicke“ Schicht weißes Fett. Wurde es ausgelassen, so hatte es „das Aussehen und den Geschmack von Olivenöl, und Stellers Gefährten tranken es tassenweise“. Was Wunder, dass die Skorbutkranken nach dem Genuss von Fleisch und Fett dieser Tiere eine wundertätige Wirkung verspürten. Auch die Milch war etwa wie die von Kühen, nur süßer und fetthaltiger. Und nun stelle man sich einmal jene märchenhaften Zeiten vor (die nicht mehr fern hätten zu sein brauchen): Die Kühe der „Meerfarmen“ wiegen über zweihundert Pud (1 Pud = 16,38 kg), sie geben hundert Liter Milch am Tag, sie brauchen weder Futter, noch müssen sie gehütet werden. Sie entfernen sich nicht weit, denn Seekohl (gemeint sind die großen Braunalgen-Tange) wächst nur am Ufer. Dort finden die Tiere Futter und Unterkunft, und zum Melken kommen Taucher mit elektrischen Melkmaschinen… Diese Träume sind heute irreal. Die Stellerschen Seekühe gibt es nicht mehr, und der Mensch kann sie nie mehr auferstehen lassen …“
Vor allem diese Entdeckung aber auch weitere nach ihm benannte Tierarten führten dazu, dass Stellers Name bis heute – auch außerhalb der zoologischen Fachwissenschaften – nicht vergessen wurde. Denn er war der einzige Wissenschaftler, der die Riesenseekuh lebend zu Gesicht bekommen hatte. Aber auch Georg Steller überlebte die Expedition nicht. Nachdem er noch 3 Jahre auf Kamtschatka geforscht hatte, machte er sich 1744 auf dem Landwege auf die Rückreise nach Europa. Auf dieser abenteuerlichen Reise durch Sibirien erkrankte er schwer und starb schließlich mit nur 37 Jahren am 12. November 1746 in der westsibirischen Stadt Tjumen. Heute erinnert eine Gedenktafel in seiner fränkischen Heimatstadt Bad Windsheim an den vielseitigen und weit gereisten Naturforscher.
Andere Seekühe
Karibik-Manati (oben) und Dugong (unten) aus Lambert’s Tier-Atlas, 1913
Heute leben auf der ganzen Erde noch vier verschiedene Seekuh- Arten. Alle sind ziemlich selten und in ihrem Bestand gefährdet. Drei davon, die Manatis, gehören zur Familie der Rundschwanz-Seekühe, eine, der Dugong – wie die ausgestorbene Riesenseekuh – zur Familie der Gabelschwanzseekühe. Der Afrikanische Manati (Trichechus senegalensis) lebt im tropischen Westafrika, vorwiegend in Mangroven und in Mündungsgebieten der Flüsse, aber auch in großen Flüssen des Landesinneren, z. B. im Niger. Dem Karibik-Manati (Trichechus manatus) bin ich in Florida begegnet. Zwar nicht direkt in freier Wildbahn, aber indirekt. Die Tiere kommen in den Kanälen vor, welche das Sumpfgebiet der Everglades durchziehen. Im Tierpark Berlin und im Tiergarten Nürnberg werden Karibik-Seekühe gehalten.
Air-Boat in den Everglades, Florida, 1983 (Foto W. Probst)
Ein Manati soll an einem Tag fast ein viertel seines Körpergewichts an Wasserpflanzen fressen. Diese Tiere haben zwar keine natürlichen Feinde, ihre Bestände sind aber durch menschliche Aktivitäten stark geschrumpft und sehr gefährdet. In Florida waren und sind es vor allem Propellerboote („Air Boats“), die ihnen mit ihren großen Propellern den Rücken aufschlitzen. Auch im Amazonasgebiet kommt ein rein an süßwassergebundener Manati vor. Trichechus inunguis ist deutlich kleiner und zierlicher als die anderen Arten. Die Vorderbeine sind zu Flossen umgeformt, Nägel fehlen, dafür sind sie deutlich länger als diese Extremitäten bei seinen Verwandten. Diese Tiere waren in früheren Jahrhunderten im Amazonasgebiet sehr häufig und vor allem in der Trockenzeit bildeten sie große Herden in tieferen Gewässern. Ab dem 17. Jahrhundert
Amazonas-Seekuh (Trichechus inunguis) im Zoo von San Diego, 1983 (Foto W. Probst)
wurden sie von weißen Siedlern in großer Zahl geschossen. Da man zu Beginn des 20. Jahrhunderts feststellte dass sich ihre Haut sehr gut zur Lederherstellung eignet, wurden einige Zeit pro Jahr über 10.000 Tiere getötet. In den 1960 er Jahren waren die Bestände so klein geworden, dass sich eine Jagd nicht mehr richtig lohnte. Heute sind sie zwar unter Schutz gestellt, aber die Zerstörung der Regenwälder, reguläre Fischerei und vor allem die Einleitung giftiger Quecksilberverbindungen durch illegale Goldgräber bedrohen die Bestände immer weiter (Wikipedia, http://www.iucnredlist.org/details/22102/0 ).
Die weiteste Verbreitung hat der Dugong (Dugong dugong), die einzige bis heute noch existierende Art der Gabelschwanz-Seekühe.Diese Gabelschwanz-Seekühe sind vom Persisch-Arabischen Golf bis nach Australien und die Südsee verbreitet, aber an vielen Stellen stark gefährdet oder schon ausgestorben, zum Beispiel auf den Malediven, Maskarenen und Lakkadiven. Trotzdem schätzt man den Gesamtgbestand noch auf 50 bis 80 000 Tiere. Die Bestände wurden durch Bejagung stark dezimiert. Derzeit sind vermutlich Schleppnetze die größte Bedrohung, weil sich die Tiere in den Netzen verfangen und dann nicht mehr auftauchen können und ertrinken. Auch in Hainetzen, die zum Schutz von Badegästen vor Stränden angebracht werden, verfangen sich immer wieder Dugongs. Aber auch der durch Schleppnetzfischerei und Abwassereinleitung starke Rückgang der Seegraswiesen, der wichtigsten Weideflächen der Meeresherbivoren, führte zu einem Schrumpfen der Bestände. Schließlich sind Dugongs auch recht empfindlich gegen Chemikalien. So hat man bei tot angetriebenen Dugongs an der Küste von Queensland häufig erhöhte DDT-Werte nachgewiesen.
Auch diesem Tier bin ich selbst nie begegnet, aber auf Magnetic Island bei Townsville an der australischen Ostküste habe ich Plakate gesehen, die auf seinen Schutz und seine Gefährdung hingewiesen haben.
Evolution der Sirenia
Die ersten Wirbeltiere, so nimmt man heute an, gingen vor 365 Mill. J. zum Landleben über. Ihre nächsten heute lebenden Verwandten gehören zu den Amphibien. Reptilien, Vögel und Säuger haben sich später entwickelt, wobei die Vögel eigentlich eine Untergruppe der Reptilien sind.
Immer wieder hat die Evolution der Landtiere den Weg zurück ins Wasser gefunden. Grottenolm und Axolotl sind Wasseramphibien, die das wassergebundene Larvenstadium zur Dauerform gemacht haben. Fischsaurier waren perfekt ans Wasserleben angepasste Reptilien des Erdmittelalters, heute sind Seeschildkröten bis auf die Eiablage immer im Wasser. Die Pinguine sind die Vögel, die den Weg von der Luft zurück ins Wasser am weitesten gegangen sind. Bei den Säugern sind die Wale und Delfine (Cetacea) reine Wassertiere geworden, die allerdings zum Atmen noch atmosphärische Luft für ihre Lungen benötigen. Man kennt knapp 90 heute lebende Arten. Von Robben mit Seelöwen, Seeelefanten und Walrossen kennt man heute ca. 35 Arten. Diese zu den Carnivoren gerechnetern „Flossenfüßer“ (Pinnipedia) sind zwar auch sehr gut ans Wasserleben angepasst, halten sich aber doch regelmäßig, z. B. zur Fortpflanzung, an Land auf. Auch Otter aus der Familie der Marderartigen sind sehr elegante Schwimmer, besonders die Seeotter. Aber wie die Robben kommen sie regelmäßig an Land.
Eine Zwischenstellung nehmen die Seekühe oder Sirenen ein. Sie haben wie die Wale einen waagerecht ausgerichteten Fischschwanz, der gegabelt oder abgerundet sein kann, und zwei Vorder Extremitäten, die zum Rudern aber auch zum Abstürzen dienen. Die Sirenen sind die einzigen Wassersäuger, die sich rein pflanzlich ernähren. Der Name „Wasserkuh“ ist also durchaus berechtigt.
Verwandtschaftsbeziehungen der Sirenia innerhalb der Afrotheria (ohne nur fossil bekannte Gruppen; Wikipedia, neu kombiniert)
Die Stammesgeschichte der Sirenen reicht mehr als 50 Millionen Jahre zurück. Ihre nächsten heute lebenden Verwandten sind die Elefanten und die Klippschliefer. Man fasst die drei Ordnungen heute zu den Paenungulata („Fasthuftiere“) zusammen. Obwohl diese Tiere heute so unterschiedlich aussehen und nur wenige gemeinsame morphologische Merkmale – wie zum Beispiel das Vorhandensein von 19 oder mehr Brustwirbeln – auf eine gemeinsame Abstammung hindeuten, ist diese doch durch genetische Untersuchungen belegt. Die eigentlichen Huftiere (Euungulata) gehören nicht in ihre nähere Verwandtschaft, aber mit Tenreks, Erdferkel, Goldmullen und Elefantenrüsslern gehören sie zur großen Verwandtschaftsgruppe der Afrotheria.
Rechnet man fossile und rezente Arten zusammen, so kennt man heute 35 Seekuharten. Die kleinsten wogen etwa 150 kg, die größte, Stellers Riesenseekuh, über 10.000 kg. Im Eozän und Oligozän (bis vor etwa 20 Mill. J.) lebten verschiedene Seekuharten in den Schelfgebieten der warmen Meere, die weite Regionen Mitteleuropas bedeckten. Die Mainzer Seekuh (Halitherium schinzii), die ihren Namen nach dem Fund im Mainzer Becken hat, zeigte schon alle Merkmale der heutigen Seekühe. Skelettreste sind in Deutschland nicht selten zu finden. Ein vollständiges Skelett wird zum Beispiel im Stuttgarter Museum am Löwentor gezeigt. In einer neuen, gründlichen Untersuchung konnten die Berliner Wirbeltier-Paläontologen Manja Voß und Oliver Hampe nachweisen, dass sich diese Reste auf insgesamt zwei Arten zurückführen lassen. Da der Name Halitherium schinzii schon 1838 aufgrund nur eines einzigen Zahnfundes gegeben wurde, der nicht eindeutig zugeordnet werden konnte, haben die beiden Forscher eine neue Seekuh-Gattung Kaupitherium mit den zwei ArtenK. gruelliund K. bronni aufgestellt (Voss, M. & Hampe, O. 2017).
Der wissenschaftliche Name der Ordnung der Seekühe ist „Sirenia“ und das kommt daher, dass sie von Seeleuten auch als „Sirenen“ bezeichnet wurden. In der griechischen Mythologie bezeichnete dieser Name weibliche Fabelwesen mit betörenden Stimmen, deren Gesang kein Mann widerstehen konnte. Sie lebten auf einer Mittelmeerinsel und wenn sie Seefahrer zu hören bekamen, waren sie verloren. Odysseus geriet auf seiner Irrfahrt in die Nähe dieser Insel. Er wollte den Gesang hören, aber der tödlichen Verlockung trotzdem nicht folgen. Deshalb ließ er auf Rat der Zauberin Kirke seinen Reisegefährten die Ohren mit geschmolzenem Wachs verschließen und sich selbst an den Mast des Schiffes binden. So konnte er den Gesang der Sirenen zwar vernehmen, aber als er hingerissen zur Insel wollte, banden ihn die Gefährten – wie vorher abgemacht – nur noch fester, bis dass Schiff wieder außer Hörweite der Sirenenklänge war und der Zauber seine Wirkung verlor. Teilweise stellte man sich Sirenen als Mischwesen zwischen Vogel und Mensch, teilweise aber auch als Fischmenschen, Nixen oder Meerjungfrauen, vor. Nun haben Manati und Dugong keine besonders betörenden Stimmen. Auch ihre Physiognomie und ihre Körpergestalt zeigen eigentlich keine Ähnlichkeit mit verführerischen Frauengestalten – bis auf ein Merkmal: Seekühe haben zwei hoch am Körper sitzende Brustwarzen, ihre Brüste sind – wenn sie ein Junges säugen – deutlich angeschwollen und erinnern dann durchaus an eine wohlgeformte weibliche Brust.
Grußkarte zum Jahreswechsel aus Florida
Quellen
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Bei den Recherchen zum UB Heft über Pilze, das voraussichtlich im Juni 2015 erscheinen wird, habe ich wesentlich mehr Literatur konsultiert als in der Literaturliste zum Basisartikel angegeben. Deshalb folgt hier eine ausführlichere Liste. Für wichtige oder besonders interessante Ergänzungen wäre ich dankbar.
Angersbach, U./Groß, J. (2005): Blattschneiderameisen – schneiden, kauen und essen? UB 306 (29. Jg.), S. 34-40
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Bavendamm; W. (1974): Die Holzschäden und ihre Verhütung. Stuttgart: Wiss. Verlagsges.
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Lehrbücher/Sachbücher
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Cheeke, T. E./Coleman, D. C./ Wall, D. H. (Hrsg): Microbial Ecology in Sustainable Agroecosystems. Boca Raton/USA: CRC-Press
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Dörfelt, H./ Heklau, H. (1998): Die Geschichte der Mykologie. Hamburg: Einhorn
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Bestimmungsliteratur (kleine Auswahl)
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Dähnke, R. (2001): 1200 Pilze in Farbfoto. Augsburg: Bechtermünz
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Gehardt, E.(2013): Der große BLV Pilzführer für unterwegs: München: BLV
Laux, H. E./Gminder, A. (2010): Der große Kosmos-Pilzführer : alle Speisepilze mit ihren giftigen Doppelgängern: Stuttgart: Franckh-Kosmos
Bestimmungsschlüssel
Gröger, F. ( Teil I 2007 und Teil II 2014): Bestimmungsschlüssel für Blätterpilze und Röhrlinge in Europa.Regensburger Mykologische Schriften Bd. 13 und Bd. 17
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Moser, M. (1983, 5. A.): Die Röhrlinge und Blätterpilze. (Polyporales, Boletales, Agaricales, Russulales). In: Kleine Kryptogamenflora. IIb/2. Basidiomyceten, 2. Teil., Jena/Stuttgart: G. Fischer
Die Heimat der Luzerne (Medicago sativa), international nach dem aus dem Arabischen stammenden spanischen Namen auch als Alfalfa bezeichnet, ist vermutlich Nordiran. Als sehr gutes Pferdefutter hat sie sich mit den Reitervölkern nach Westen ausgebreitet und ist mittlerweile eine weltweit angebaute Futterpflanzen. Allerdings handelt es sich bei den angebauten Sorten heute fast nie um die reine Art, sondern um eine Hybridart mit dem Sichelklee (Medicago falcata), einer auch in Mitteleuropa heimischen Art. Dieser Hybrid wird Medicago x varia genannt. Doch handelt es sich bei Luzerne und Sichelklee wirklich um zwei Arten?
Zu dem Thema ist ein Beitrag für das Unterricht Biologie Heft 404 „Populationen“(Erscheinungstermin Mai 2015) geplant.
Verschiedenee Bastardluzernen am Standort
Verschiedene Bastardluzernen am Standort
Gelbe Bastardluzerne am Standort
Grüne Bastardluzerne am Standort
Gelbe Bastardluzerne am Standort
Bastardluzerne, gemischter Strauß
Bastardluzerne, gemischter Strauß
Bastardluzerne, gemischter Strauß
Bastardluzerne, Blütenstand; gescannt
Bastardluzerne, Blütenstand; gescannt
Bastardluzerne, Blütenstand; gescannt
Bastardluzerne, Blütenstand; gescannt
Sichelklee,Blütenstand; gescannt
Bastardluzerne, Blütenstand; gescannt
Bastardluzerne, Blütenstand; entspricht weitgehend der Luzerne
Pflanzen sind für uns Menschen nicht nur die wichtigsten Lieferanten von Nahrung, sie liefern auch Bau- und Konstruktionsmaterial und Ausgangsmaterial für Kleidung. Diese elementare Abhängigkeit der Menschen von Pflanzen wird durch subtilere Nutzungen ergänzt. Die Kenntnis, dass spezielle Pflanzenarten auch zur Minderung von Krankheiten, zur Wundheilung oder als belebende, bewusstseinsverändernde oder berauschende Drogen eingesetzt werden können, ist sehr alt, vermutlich viel älter als der Ackerbau.
Und es gibt noch einen weiteren Aspekt der hilfreichen Pflanzen: Schon Leonardo Da Vinci nahm die Flugfrucht des Wiesen-Bocksbarts als Vorbild für eine Fallschirm-Konstruktion, nach Vorbildern des Zanonia-Samens bauten Etrich und Wels Gleitfliegermodelle und selbstreinigende Oberflächen nach dem „Lotus-Effekt“ verdanken wir dem pflanzlichen Vorbild.
In dem geplanten Unterricht Biologie Heft soll die Bedeutung der Pflanzen als Heilmittel und Drogen im Vordergrund stehen. Aber auch ihre Vorbildfunktion für technische Konstruktionen soll Berücksichtigung finden.
Zur Geschichte der Heilpflanzenkunde
Die Nutzung von Pflanzen und Pflanzenteilen für die Heilung von Verletzungen und Krankheiten ist eine uralte medizinische Technik. Zunächst vor allem in den Händen von Medizinmännern und Schamanen versuchte man schon in den ältesten Hochkulturen eine systematische Erfassung der Heilpflanzen. In dem 1700 v. Chr. erstellten Kodex Hammurabi des mesopotamischen Königs werden Anwendungen und Anbau von Heilpflanzen beschrieben. In einer 1600 v. Chr. Verfassten Papyrusrolle aus Theben, in der das medizinische Wissen der alten Ägypter umfangreich dargestellt wird, werden 700 Heilpflanzen erwähnt. War die Heilkunde bei Ägyptern und Babyloniern noch ein Teil der Religion, so hat Hippokrates in 5. Jahrhundert v. Chr. im klassischen Griechenland die Grundlagen für die wissenschaftliche Medizin und Pharmazie gelegt. Bis in die Neuzeit galt das Werk Dioscurids, eines griechischen Arztes, der zur Zeit Neros in Rom lebte, „De materia medica“ mit der Beschreibung und Anwendungserklärung von mehr als 500 Heilpflanzen und Drogen als Grundlage der Medizin. Galenus, der Hofarzt von Marc Aurel, hat systematisch Heilkräuter zu Arzneimitteln verarbeitet („Galenik“) und gilt als „Vater der Pharmazie“. Im Mittelalter waren die Araber die Bewahrer der medizinischen Kenntnisse, in Europa wären Albertus Magnus und Hildegard von Bingen zu nennen. Im übrigen geriet die Heilkunde stark in die Anhängigkeit religiöser Vorstellungen (Signaturenlehre!). Im 16. Jahrhundert bemühten sich Leonhard Fuchs, Hieronymus Bock und Otto Brunfels mit ihren neuen „Kräuterbüchern“, dem antiken Wissen durch nach der Natur gezeichneten Illustrationen und Einarbeitung volkskundlichen Wissens Neues hinzuzufügen. Sie gelten deshalb als Begründer der Botanik als eigenständiger Wissenschaft („Väter der Botanik“).
Entdeckung und Isolation der pflanzlichen Inhaltsstoffe
Im 19 Jahrhundert gelang es erstmals, reine Wirkstoffe aus Pflanzen zu isolieren (1803/1804 F. W. A. Sertüner: Morphin aus Opium des Schlaf-Mohns; 1820 Pierre-Joseph Pelletier u. François Magendie: Chinin aus der Chinarinde). Auf Pelletier geht die industrielle Chininproduktion zurück. Nachdem man die reinen Stoffe, die wichtigsten „Wirkprinzipien“ kannte, nahm die Wertschätzung der Heilpflanzen ab, Pflanzenheilkundige verloren zunehmend an Reputation, wurden zu Kräuterweiblein und Wurzelsepp.
Synthetische Herstellung von Wirkstoffen
Ende des 19. Anfang des 20. Jahrhunderts begann man mit der chemischen Synthese von Wirkstoffen. Noch zu Beginn des 20. JH wurden fast alle Medikamente aus pflanzlichen Rohstoffen gewonnen, heute sind es weniger als 40%.
Pflanzliche Inhaltsstoffe in der modernen Medizin
Die Fortschritte und Möglichkeiten der modernen Medizin sind gewaltig. Dies gilt auch für den Einsatz von Medikamenten, die immer passgenauer auf bestimmte Fehlfunktionen des Organismus abgestimmt werden können. Doch trotz „Apparatemedizin“ und Tablettendesign erfreuen sich Heilpflanzen und Drogen auf Pflanzenbasis nach wie vor großer Beliebtheit. Dies mag einmal mit der menschlichen Wundergläubigkeit zusammenhängen, zum anderen aber auch mit der tatsächlichen Heilwirkung solcher Drogen, die teilweise auf Jahrtausende alter Empirie beruht.
In Deutschland beruhen noch etwa die Hälfte aller Medikamente auf pflanzlichen Wirkstoffen, weltweit sind aber erst ein Prozent aller Pflanzen auf ihre Inhaltsstoffe untersucht worden. Man schätzt, dass derzeit zwischen 10.000 und 50.000 Pflanzenarten weltweit als (traditionelle) Heilpflanzen genutzt werden. Lange Zeit scheuten Pharmaunternehmen deshalb den Aufwand einer systematischen Suche nach wirkungsvollen Medikamenten aus Pflanzen, doch die Suchprogramme sind kostengünstiger geworden und über Genanalysen lassen sich Erfolg versprechende Pflanzen über bereits bekannte Drogenlieferanten leichter finden. Deshalb wird weltweites Heilpflanzenscreening immer Erfolg versprechender (Problem: Verletzung der Rechte indigener Völker) – http://heilpflanzen-info.ch/cms/blog/archive/tag/screening
In der Heilpflanzenkunde (Phytopharmakognosie) unterscheidet man folgende Begriffe:
eine Heilpflanze ist eine Pflanze, die für medizinische Zwecke verwendet werden kann
eine Pflanzliche Droge ist eine Arznei aus rohen oder zubereiteten Pflanzenteilen
ein Phytopharmakon ist ein Arzneimittel, das aus einer Heilpflanze gewonnen wird
ein Phytogener Arzneistoff ist ein Stoff als medizinisch wirksame Substanz einer Heilpflanze (Wikipedia)
Pflanzliche Wirkstoffe
Fast alle pflanzlichen Wirkstoffe gehören zu den so genannten „sekundären Pflanzenstoffen“, also solchen Stoffen, die von Pflanzen weder im Energiestoffwechsel noch im Baustoffwechsel erzeugt werden. Oft werden sie in speziellen Zelltypen hergestellt. Im Unterschied zu den primären Pflanzenstoffen nahm man zunächst an, dass sie für die Pflanzen nicht unmittelbar lebensnotwendig sind. Heute weiß man jedoch, dass sie vielfach lebensnotwendige Funktionen bei der Abwehr von Fraßfeinden und Infektionen sowie bei der inter- und intraspezifischen Signalübertragung haben. .
Roter Fingerhut (Digitalis purpurea)
Glykoside ermöglichen es den Pflanzen, Giftstoffe in nicht giftiger Form zu speichern, indem sie diese an einen Zuckerrest binden. Sie können in einem Zellkompartiment, zum Beispiel in der Vakuole, gespeichert werden. Erst wenn die Zelle zerstört wird, kommt das Glykosid mit der entsprechenden Glykosidase in Verbindung und der giftige Stoff wird von dem Zuckerrest abgespalten. Herzglykoside wirken kontraktionsfördernd (inotrop) auf den Herzmuskel. Hierzu zählt man etwa 300 Substanzen, deren Zuckerkomponente (Glycon) drei relativ seltene Desoxizucker und deren Aglycon ein Steroidalkohol sind. Klinische Bedeutung haben heute noch Digoxin und Digitoxin (Fingerhut-Glykoside). Nach ihrem chemischen Aufbau unterscheidet man zum Beispiel: Phenolglykoside, Cumaringlykoside, Anthocyanglykoside, Senfölglykoside, Iridoidglykoside usw.
Etherisch Öle
Etherische Öle sind fettlösliche, leicht flüchtige Substanzen, chemisch meist Mono- und Sesquiterpene. Den Pflanzen helfen sie, Fressfeinde, Schädlinge und Krank-heitserreger fernzuhalten, aber auch Bestäuber anzulocken. Häufig wirken sie schleimlösend, krampflösend, anregend oder antimikrobiell und entzündungs-hemmend. Meist gewinnt man sie mithilfe von Wasserdampfdestillation aus Pflanzenmaterial.
Alkaloide (aus arab. „al qalya = Pflanzenasche) sind N-haltige organische Verbindungen des pflanzlichen Sekundärstoffwechsels, die auf den tierlichen und menschlichen Organismus, meistens auf das Nervensystem, wirken. Die Einteilung der mehr als 10 000 bekannten Alkaloide kann chemisch (nach dem N-haltigen Molekülteil), nach der Herkunft (Pflanzenart, Droge), nach der Biogenese (chemischer Ausgangsstoff) oder nach der pharmakologischen Wirkung (Betäubung, Halluzinogen) erfolgen. Beispiele: Nicotin, Coffein, Kokain, Meskalin, Tyrosin, Colchizin, Morphin, Codein, Strychnin, Aconitin. – Viele Vertreter der Familie der Nachtschattengewächse (Solanaceae) enthalten Alkaloide.
Die Betalaine sind in Zellvakuolen vorkommende gelbe (Betaxanthine) oder rote bis rotviolette (Betacyane) Farbstoffe. Hierher gehört der Farbstoff der Roten Bete, das Betanidin.
Wermut (Artemisia absinthium)
Bitterstoffe nennt man alle chemischen Verbindungen, die bitter schmecken. In der Regel regen sie die Magen- und Gallensaftproduktion an und wirken dadurch appetitanregend und verdauungsfördernd. Unter den Bitterstoffen findet man auch Alkaloide und Isoprenoide. Den Pflanzen dienen sie vermutlich als Fraßschutz, und sie sind weit verbreitet. Bei kultivierten Gemüse- und Obstpflanzen wurde der Bitterstoffgehalt häufig durch Züchtung vermindert (Beispiel: Kopfsalat).
Beispiele: Chinin aus der Rinde des Chinarindenbaumes gegen Magen-Darm-Beschwerden, psychoaktive Substanzen wie Coffein,Theobromin können die Blut-Hirnschranke überwinden und damit besonders schnell wirken.
Anthracenderivate lassen sich chemisch formal vom Anthracen ableiten. Sie wirken abführend. Wichtige Lieferanten sind zum Beispiel Aloe, Faulbaum, Senna und Arznei-Rhabarber.
Schleimstoffe sind Biopolymere, die bei pflanzlicher Herkunft vorwiegend aus Polysacchariden bestehen. Sie können einen großen Anteil an Wasser aufnehmen und dadurch schleimartige Kolloide bilden. Wichtige pflanzliche Schleimstofflieferanten sind: Echter Eibisch, Huflattich, Leinsamen, Wilde Malve, Spitz-Wegerich.
Hormonartige Stoffe aus Pflanzen, zu denen z. B. Lignane und Isoflavone gehören, besitzen strukturelle Ähnlichkeit zu menschlichen bzw. tierlichen Hormonen. Die Entdeckung der Phytoöstrogene Genistein und Formononetin geht auf westaustralische Schafzüchter zurück, die in den 1950iger Jahren eine unerklärliche Unfruchtbarkeit bei ihren Schafen beobachteten. Zehn Jahre später wurden die Stoffe in Weidepflanzen (Schmetterlingsblütler) entdeckt. Diosgenin aus der Yamswurzel hat eine ähnliche Struktur wie Steroidhormone und lässt sich – ähnlich wie Sarmentogenin aus Strophanthus – für die kommerzielle Synthese von Cortisonpräparaten nutzen.
Zu Flavonoiden gehören viele Farbstoffe in Blüten und Früchten, z. B. auch die Anthocyanidine vieler roter oder blauer Beeren. Sie lassen sich formal von dem Grundstoff Flavan (2-Phenylchroman) ableiten. Medizinisch und für die menschliche Gesundheit von besonderer Bedeutung ist ihre antioxidative Wirkung. Weiterhin begründet man ihre Heilwirkung auf die Interaktion mit DNA und Enzymen, die Aktivierung von Zellen, die Beeinflussung verschiedener Signaltransduktionswege in den Zellen, die Aktivierung des Immunsystems und die Verhinderung von Arteriosklerose.
Tannine sind pflanzliche Gerbstoffe, mit denen sich verschiedene nährstoffreiche Pflanzen vor dem Gefressenwerden schützen. Sie hemmen den Stärkeabbau und damit die Resorption von Zucker. Dies ist für Herbivoren von Nachteil, kann aber medizinisch genutzt werden. Reichlich sind sie in Holz und Rinde verschiedener Laubbäume enthalten (Eichen, Birken). Auch Rotwein und Schwarzer Tee sind reich an Tanninen. In der Medizin werden Tannine als blutstillendes und entzündungshemmende Mittel verwendet. Der Name „Gerbstoff“ weist auf ihre Bedeutung bei der Lederverarbeitung hin.
Bemerkenswerte Heilpflanzen und Drogen und ihre Geschichte
Schon früh war es ein erstrebenswertes Ziel der Heilkundigen, ein Arzneimittel zu finden, das möglichst universell eingesetzt werden kann, ein Allheilmittel. Als solche Wunderdrogen galten den unterschiedlichen Kulturkreisen zum Beispiel Ginseng, Mandragora, Salbei und Mistel.
Mistel (Viscum album)
Aber auch die Idee, ein gegen alle Leiden wirkendes Wundermittel aus möglichst vielen verschiedenen Ingredienzien zusammenzustellen, wurde schon früh verfolgt (Theriak, Mithridat).
In der Folge der Kolonialisierung weiterTeile der Erde durch europäische Völker wurden immer wieder neue Heil pflanzen entdeckt, zum Beispiel:
Chinarindenbaum (Cinchona) mit dem in der Rinde enthaltenen Wirkstoff Chinin gegen Malaria
Kampferbaum (Cinnamomum camphora)
Einjähriger Beifuß (Artemisia annua, Artemisinin gegen Malaria)
Madagassisches Immergrün (Cantharanthus roseus; mit Vincristin und Vinblastin, Cytostatika in der Krebstherapie)
Strophanthus und sein Inhaltsstoff Strophanthin (als Pfeilgift in Afrika entdeckt; Herzundinsuffizienz, Rhythmus-Anomalien, akute Myokardschäden)
Schmerwurz-Arten (Dioscorea spp.) aus denen man Steroidhormone wie Cortison und Testosteron herstellen kann.
Yohimbin aus dem afrikanischen Yohimbe-Baum als Aphrodisiakum und Potenz steigerndes Mittel
Teebaumöle aus Melaleuca qalternifolia, Leptospermum scoparium und anderen südhemisphärischen Myrtengewächsen. Die große Anzahl enthaltener etherischer Öle ( v. a. Mono- und Sesquiterpene) wirken bakterizid und bakteriostatisch.
Meerrettichbaum („Moringo“, Moringa oleifera u. a. Arten. Mit 1 g zermahlenen Samen kann man 5 L verunreinigtes Wasser trinkbar machen, Wirkprinzip: koagulierende Wirkung einiger Inhaltsstoffe bringt Schwebstoffe einschließlich Bakterien zum Absinken, auch bakterizide Wirkungen sind nachgewiesen.
Bewusstseinsverändernde pflanzliche Drogen („Pflanzen der Götter“)
Die Wirkung bestimmter pflanzlicher Inhaltsstoffe auf das vegetative Nervensystem haben sicherlich schon die Urmenschen erfahren und genutzt, ja sogar bei Tieren kann man beobachten, dass sie gezielt überreife alkoholhaltige Früchte zu sich nehmen, um sich zu berauschen. Die Beobachtungen an verschiedenen indigenen Völkern legen nahe, dass die Verwendung von Rauschdrogen zunächst vor allem mit religiösen Riten („Pflanzen der Götter“) verbunden war.
Eine sehr alte Tradition haben Räucherdrogen. Der Weihrauch ist heute noch eng mit Zeremonien und Kulten religiöser Art verbunden. Interessant in diesem Zusammenhang ist auch die Etymologie des Wortes Rauch (Geruch, Gerücht, verrucht, Rausch…).
Einige Beispiele für Pflanzen mit bewusstseinsverändernden bzw. bewusstseinserweiternden Inhaltsstoffen: Schlafmohn (Papaver somniferum)- Opium, Morphin, Diacetylmorphin (=Heroin); Peyotl-Kaktus (Lophophora williamsii) – Phenylethylamin Meskalin; Tollkirsche (Atropa belladonna), Bilsenkraut (Hyoscyamus niger) und Alraune (Mandragora officinarum) als Hauptzutaten von Hexensalben, Hyoscyamin, Atropin, Scopolamin; Datura und Brugmansia – Tropanalkaloide; Hanf (Cannabis sativa)- Haschisch, Marihuana, Cannabinoide, v. a. THC; Iboga (Tabernanthe iboga) – Indolalkaloide; Yopo (Anadenanthera peregrina) – Tryptaminderivate; Ayahuasca (Liane Banisteriopsis caapi) – Harmin-Alkaloide; Samen der Prunkwinde Ipomea tricolor – Lysergsäure-Alkaloide; Ebená (Virola spp.) – Dimethyltryptamin u. a. Indolderivate.
Wissen, Glauben, Aberglauben – ist „rein pflanzlich“ immer gut?
Offensichtlich ist auch heute die Meinung noch sehr verbreitet, dass Medikamente auf „rein pflanzlicher“ Basis weniger gefährlich seien als Elaborate der Chemieindustrie, weshalb damit erfolgreich Arzneimittelwerbung gemacht werden kann. Doch schon Sokrates wusste es besser. Dass Pflanzen, auch altbewährte Heilpflanzen wie Fingerhut und Tollkirsche – sehr giftig sein können, führt diesen Glauben ad absurdum.
Doch auch wenn sehr viele pflanzliche Inhaltsstoffe mehr oder weniger giftig für den menschlichen Körper sind, ist die gesundheitsfördernde Wirkung vieler „Kräuter“ nicht nur volkstümlicher Aberglaube, sondern empirisch gesicherte und heute vielfach naturwissenschaftlich erklärbare Tatsache. Es ist deshalb durchaus sinnvoll, diese Wirkungen aus dem Kräutergarten zu nutzen, bevor man zum Arzt oder in die Apotheke rennt. Außerdem sind viele Kräuter (in Maßen genossen) nicht nur gesund, sie tragen auch wesentlich zum Wohlgeschmack von Speisen bei.
Ein weiterer wichtiger Gesichtspunkt: Heilpflanzen enthalten fast immer ein Gemisch aus sehr vielen verschiedenen mehr oder weniger wirksamen Substanzen, deren besondere Wirksamkeit eben in dieser Kombination liegt. Dadurch können sie einem auf einer oder nur wenigen Inhaltsstoffen aufgebauten synthetisch produzierten Droge durchaus überlegen sein, gerade auch, was schädliche Nebenwirkungen anbetrifft.
Pflanzen als Vorbilder
Der Aufbau von Sprossachsen kann Vorbild für technische Konstruktionen sein
Auf die Vorbildfunktion fliegender Samen und Früchte wurde schon in der Einleitung hingewiesen. Heute ist die Bionik anerkannte zwischen Biologie und Technik angesiedelte Wissenschaft , in der es darum geht, Konstruktionsprinzipien und Verfahrenstechniken der Natur zu nutzen. Lebewesen dienen als Vorbilder für technische Entwicklungen, sie sind aber nicht – wie in der Biotechnologie – in die Herstellung von Produkten eingebunden.
Es gibt mittlerweile viele gelungene Projekte, sei dies im Bau ultraleichter Tragekonstruktionen, stabiler Verbundkonstruktionen, gewichtssparender Seilkonstruktionen oder sich selbst reparierender Membranen.
Seit einigen Jahren werden in verschiedenen Botanischen Gärten Führungen mit Demonstrationsversuchen und einfachen Experimenten zum Thema Bionik angeboten. Das große Interesse an solchen Veranstaltungen beweist, dass Pflanzen als Vorbilder für technische Konstruktionen ein motivierendes Thema für den Biologieunterricht sein können.
(vgl. Speck, T./Speck, O. (2008): Bionik: Interdisziplinäre Forschung und Bildung in Botanischen Gärten. Osnabrücker Naturwissenschaftliche Mitteilungen Bd.33/34: 155-173)
Helfende Pflanzen motivieren
Die Bärwurz (Meum athamanticum) riechen und schmecken, auf einer Bergwiese im Harz. Bärwurz wird als Zusatz für Kräuterlikör und Kräuterquark verwendet, früher auch als vielseitig wirksame Heilpflanze
„Die Heilpflanzenkunde ist ein Wissenschaftszweig, der geobotanische, pharmakologische, phytochemische, humanbiologisch und biochemische Aspekte mit der Therapeutik vereint. “ (Wikipedia). Dieser übergreifende Charakter und die starke emotionale Wirkungen, die von Heilpflanzen auch heute noch ausgehen, können didaktisch genutzt werden, nicht nur, um zum Thema selbst (einschließlich Glauben und Irrglauben, Mythen und Märchen, kausalen Zusammenhängen und Spekulationen) Informationen zu liefern, sondern auch um das Interesse an Heilpflanzen als Einstieg in unterschiedliche biologische bzw. naturwissenschaftliche Fachthemen zu nutzen.
Ergänzende Materialien
Die Wirkung von Strophanthin (Ouabain)
Das Herzglykosid g-Strophanthin oder Ouabain kommt in den Samen verschiedener afrikanischer Lianen der Gattung Strophanthus, z. B. S. gratus (daher g-Strophanthin, k-Str. von S. kombe) vor. In Westafrika spielten sie traditionell als Pfeilgifte eine Rolle. Ihre Wirkung bei Herzschwäche wurde von dem Botaniker John während der Livingstone-Expedition 1859 zufällig entdeckt.
Wie bei den Digitalis-Glykosiden ist die wichtigste Wirkung die Hemmung der Na+-K+-Pumpe (Na+-K+-ATPase) in den Herzmuskelzellen. Dadurch erhöht sich die Na+-Konzentration in den Muskelzellen was wiederum bewirkt, dass das der Na+/Ca2+-Austauscher, ebenfalls ein Transmembranprotein in denselben Muskelzellen, mehr Ca2+ in die Muskelzellen transportiert, was zu einer Steigerung der Kontraktionskraft führt. Eine ähnliche Wirkung kann eventuell auch über die Arterienmuskulatur zu einer Erhöhung des Blutdrucks führen.
Diese Sachverhalte werden jedoch dadurch komplizierter, dass die Herzglykoside auch in unterschiedlicher Weise auf die körpereigene Freisetzung von gerfäßverengend wirkendem Endothelin und gefäßerweiternden NO Einfluss nehmen können.
Die Frage, ob Ouabain auch als körpereigenes Hormon in der Nebennierenrinde produziert und in den Blutkreislauf eingespeist wird, ist bis heute nicht eindeutig geklärt.
Bei hohen Ouabain-Werten im Blut wird ein Teil über die Niere ausgeschieden, ein Teil durch Bindung an Blutglobuline neutralisiert.
Im Gegensatz zu den Digitalis-Glykosiden Digitoxin und Digoin ist Strophanthin wasserlöslich. Es wird deshalb über das Verdauungssystem nur sehr schlecht aufgenommen. Deshalb wird bei akuter Herzinsuffiziens eine intravenöse Behandlung bevorzugt.
Wirkung von Strophanthin
Allerdings werden Herzglykoside heute wegen der schwer vorhersehbaren (Neben-)wirkungen von den meisten Ärzten nicht mehr als die Mittel der ersten Wahl angesehen. Dies hängt vor allem damit zusammen, dass die Konzentration des Glykosids im Blut von verschiedenen nicht sicher beeinflussbaren Faktoren abhängt. Doch herrscht in dieser Hinsicht – wie man bei einer Internetrecherche leicht feststellen kann – bei der Ärzteschaft keineswegs Einigkeit.
Möglicher Einsatz des Knoblauch-Inhaltsstoffes Alliin gegen Krebs
Das Enzym Alliinase wird an einen Krebszellenspezifischen Antikörper gebunden und damit werden die Krebszellen markiert.
Spritzt man nun Alliin, so wird dies von der Alliinase an den Krebszellen in das Zellgift Allicin umgewandelt. Es dringt in die Krebszellen ein und tötet sie. Da es schnell abgebaut wird, kann es sich nicht weiter im Organismus verbreiten.
Ergänzende Materialien zum Unterricht-Biologie-Heft 375 „Wiese“
Bei den Recherchen und Arbeiten für das Unterricht-Biologie-Heft habe ich viele Materialien zusammengetragen, die nicht alle in dem Heft Platz finden konnten. Einige davon werden hier zusammengestellt.
Ergänzung 1: Ich ruhe still im hohen grünen Gras …
Der Wechsel von bewaldeten Kuppen und offenen, von Wiesen und Weiden geprägten Landschaften, die einen weiten Ausblick ermöglichen, wird von vielen Menschen als ausgesprochen schön empfunden. Wer weiß, vielleicht ist diese Empfindung – vgl. Edward O. Wilson: Biophilia – sogar genetisch verankert, ein Erbe unserer Savannen bewohnenden Vorfahren. Ein solches Landschaftsbild ist charakteristich für die durch bäuerliche Landwirtschaft geprägten Kulturlandschaft Mitteleuropas.
Besonders in der Romantik haben Wiesen in Lyrik und Malerei eine große Rolle gespielt:
Wir liegen gerne mit Johannes Brahms (bzw.Hermann Allmers) im hohen grünen Gras, aber den Schwaben gefällt „a gmähds Wiesle“ besonders gut. Die Romantik des Cowboys in der unendlichen Prärie oder der Steppenreiter , Tartaren und Kosaken, liegt in der Weite der unendlichen Graslandschaften begründet, die bösen Geister verstecken sich im dunklen Wald. Die Hauswiese am elterlichen Hof hatte nicht nur für Isländer (Halldor Laxness: Auf der Hauswiese) eine besondere Bedeutung, sondern auch für Mitteleuropäer:
Im schönsten Wiesengrunde
Ist meiner Heimat Haus,
Da zog ich manche Stunde
Ins Tal hinaus.
Dich mein stilles Tal
Grüß ich tausendmal!
Da zog ich manche Stunde
Ins Tal hinaus. … (es folgen 12 weitere Strophen)
Wilhelm Ganzhorn 1851
Auf der Blumenwiese (Monet, Renoir)
Auf der Wiese – Claude Monet, 1876
Junge Mädchen auf der Wiese – Renoir, 1890-94
Auf der grünen Wiese / hab ich sie gefragt, / ob sie mich wohl liebe. / ‚Ja’ hat sie gesagt! / Wie im Paradiese / fühlte ich mich gleich, / und die grüne Wiese / war das Himmelreich
Diese mittlerweile geflügelten Worte stammen aus der 1936 uraufgeführten tschechischen Operette Auf der grünen Wiese(Na tý louce zelený) von Jara Beneš nach einem Libretto von V. Tolarski.
Wiesenfeste
Auf Wiesen kann man spielen und tanzen, sie sind seit alters her Orte bodenständiger Lustbarkeiten (berühmte Beispiele sind der Wiener „Prater“(lat. pratum = Wiese), die Münchner „Wiesen“ oder der Cannstatter „Wasen“).
Das Oktoberfest von 1823. Ein Gemälde von Heinrich Adam
Das Oktoberfest von 1823. Ein Gemälde von Heinrich Adam:
Eine jüngere Variante der großen Wiesenfeste sind die Open Air Rockkonzerte.
„Wiesenhof“
Der größte Geflügelfabrikant Deutschlands firmiert bezeichnenderweise unter dem Namen „Wiesenhof“, obwohl seine Hähnchen nie eine Wiese zu sehen bekommen – außer in gebratenem Zustand (http://www.wiesenhof-online.de/).
Hähnchen vom Wiesenhof
Ergänzung 2: Verletzung und Endopolyploidie
Abgefressenwerden und abmähen kann das Wachstum von Pflanzen stimulieren. Zumindest für eine ganze Reihe von Gräsern trifft dies zu. Für eine bestimmte Sorte der pflanzenphysiologischen Standardversuchspflanze Arabidopsis thaliana konnten Pflanzenphysiologen der Universität Illinois die Ursache für diese Wachstumssteigerung nachweisen: Verletzung bzw. Abfressen führt bei diesen Pflanzen zur Endopolyploidie, d. h. eine Vermehrung des Chromosomensatzes ohne Kernteilung. Dabei konnten die Wissenschaftler feststellen, dass sich die Chromosomenzahl von ursprünglich 10 auf bis zu 320 vervielfacht hatte. Ob dieser Mechanismus auch bei frassresistenten Gräsern vorkommt, ist bisher nicht bekannt.
Quelle:
Scholes, Daniel R., and Ken N. Paige. 2011. Chromosomal plasticity: mitigating the impacts of herbivory. Ecology 92:1691–1698., doi:10.1890/10-2269.1 (Abstract).
Ergänzung 3 : Mehrjährige Getreidearten?
Typisch für fast alle natürlichen Ökosysteme sind überwiegend mehrjährige Pflanzenarten mit einem ausgedehnten Wurzelsystem. Demgegenüber sind die wichtigsten Kulturpflanzen, die Getreidegräser, einjährig. Dies hat verschiedene nachteilige Folgen:
hohe Kosten für Landbewirtschaftung
Bodenerosion
geringe Kohlenstoffspeicherung im Boden
Das ist der Grund, warum das nordamerikanische Land Institute beabsichtigt, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die Getreideproduktion allmählich auf mehrjährige Sorten umgestellt werden kann. Damit würden Getreideäcker Wiesen ähnlicher als den heutigen Ackerflächen.
The Land Institute
Summary of the possible. Protecting our soils with perennials.
A. 2010: Hay or grazing operations will continue as they exist. Preparations for subsidy changes begin.
B. 2015: Subsidies become incentive to substitute perennial grass in rotations for feed grain in meat, egg, and milk production.
C. 2020: The first perennial wheat, Kernza™, will be farmer-ready for limited acreage.
D. 2030: Educate farmers and consumers about new perennial grain crops.
E. 2045: New perennial grain varieties will be ready for expanded geographical range. Also potential for grazing and hay.
F. 2055: High-value annual crops are mainly grown on the least erodible fields as short rotations between perennial crops.
Ergänzung 4 : Bläulinge, Ameisen und Wiesenpflanzen
Fast alle der 6000 bekannten Arten der Schmetterlingsfamilie der Bläulinge (Fam. Lycaenidae) leben in Grasländern. Außerdem sind die meisten Bläulinge irgendwie mit Ameisen verbunden. Der Helle Wiesenknopf-Ameisenbläuling (Phengaris teleius) legt im Juni oder Juli je ein Ei an einzelne Blüten in Blütenköpfchen des Großen Wiesenknopfes. Die frisch geschlüpften Raupen bohren sich in die Blüte und fressen sie aus. Von einem Blütenköpfchen können sich mehrere Raupen ernähren. Dabei dienen die aufgeblühten Wiesenknopfblüten den Faltern – neben anderen Blüten – auch als Nektarlieferanten, die Eier werden auf noch geschlossene Blüten abgelegt. Nach der dritten Häutung krabbeln die Räupchen auf den Boden. Dort suchen sie aktiv nach Straßen der geeigneten Ameisenarten der Gattung Myrmica und vermutlich gelangen sie so in ein Ameisennest. Möglicherweise werden sie auch von Ameisen dorthin geschafft. Durch geeignete morphologische und chemische Signale werden sie von den Ameisen – obwohl deutlich größer – für eigene Brut gehalten und so behandelt. So können sich bis zur Verpuppung ungestört von Ameisenbrut ernähren. Nach Schätzungen sind etwa 350 Ameisen-Arbeiterinnen nötig, um über die von der Raupe gefressene Ameisenbrut eine Larve des Wiesenknopf-Ameisen-Bläulings durchzufüttern. Normalerweise verpuppen sich die Raupen nach Überwintern im Ameisennest im späten Frühjahr des folgenden Jahres, seltener bleiben sie auch noch einen Winter länger Ameisengäste.
In diesem Falle handelt es sich eindeutig um eine parasitische Beziehung zu Gunsten des Falters, es gibt jedoch andere Beispiele, bei denen die Bläulingsarten durch Zuckerabscheidung auch zur Ernährung der Ameisen beitragen.
Die Waldfläche Mitteleuropas wurde durch Rodungen – zunächst vor allem für die ackerbauliche Nutzung und die Wiesen und Weidewirtschaft – auf etwa ein Drittel der ehemaligen Fläche reduziert (Frey/Lösch 2010). Dabei wurden die Waldflächen vorwiegend auf ärmere Standorte und Hanglagen zurückgedrängt. In der Folge wurden die Wälder durch Holzanschlag für Heizenergie, Glashütten, n, Ziegelbrennereien, Bergbau und Eisenhämmer weiter reduziert. Die wachsenden Städte benötigten immer mehr Bauholz und die Waldweidewirtschaft führte zu einer weiteren Walddegradation zu Gunsten offener, gräserreicher Habitate.
Wie in den unten stehenden Schemata dargestellt, sind diese Entwicklungen teilweise reversibel. Dies hängt allerdings davon ab, wie weit die Degradation der ursprünglichen Vegetation fortschreitet. Offene Habitate sind stärker erosionsgefährdet und bei anhaltend starker Beweidung kann dies zu einer wüstenhaften Vegetation auf weitgehend degradierten Böden führen, wie dies zum Beispiel für Teile des Mittelmeergebiet charakteristisch ist.
Nach Ellenberg, H. (1996): Vegetation Mitteleuropas und der Alpen aus Frey, W./Lösch, R.: Lehrbuch der Geobotanik. Pflanze und Vegetation in Raum und Zeit. Elsevier, /Spektrum, München 20103, Abb.9-34 Umwandlung natürlicher Kalkbuchenwälder (Urwald) durch Weide-, Acker- und Waldwirtschaft auf lehmüberdecktem Kalkboden (Braune Rendzina) in der submontanen Stufe Mitteleuropas
Ergänzung 6: Ethymologische Notiz zum Thema Wiese
Aus Braun, W. et. al.: Ethymologisches Wörterbuch des Deutschen. Akademie Verlag, Berlin 19932
Ergänzung 7: Gräser
Gräser sind die wichtigsten Pflanzen der Wiesen und Weiden, eben der Grasländer. Sie sind aber auch seit Beginn menschlicher Kultur stete die Begleiter des Menschen gewesen: Die ersten Kulturen des Ackerbaus und der Viehzucht entstanden vermutlich in den Grasfluren des „Fruchtbaren Halbmondes“. Bis heute stellen die Gräser mit den Getreidearten Weizen, Reis und Mais, Hirsearten, Roggen, Gerste und Hafer sowie dem Zuckerrohr die wichtigsten Nährstofflieferanten. Als Futtergräser sind sie außerdem Grundlage für die Fleisch – und Milchproduktion. Umgekehrt spielen sie auch als „Unkräuter „eine Rolle, insbesondere Acker-Fuchsschwanz, Quecke, Flughafer und Windhalm. Schließlich nutzen wir Gräser in Rasen von Parks, Gärten und Sportanlagen.
Doch trotz dieser engen Beziehung ist es auch für Pflanzenkundige oft nicht einfach, die verschiedenen Arten der Gräser und Grasverwandten zu unterscheiden. Grund ist zum Beispiel, dass ihnen infolge der die Gültigkeit auffällige Blüten fehlen und dass sie sich aktuell sehr ähnlich sehen und die entscheidenden Unterscheidungsmerkmale nur bei genauer Betrachtung auffallen. Ein weiterer Grund ist die große Artenfülle: zu etwa 11.000 Süßgräsern (Fam. Poaceae) kommen 5500 Sauergräser (Fam. Cyperaceae) und 400 Binsengewächse (Fam. Juncaceae). Alle werden heute zur Ordnung Poales (Süßgräserartige) gerechnet. Auch in Deutschland kommen immerhin über 400 verschiedene grasartige Pflanzenarten vor!
Es gibt eine ganze Reihe spezieller Bestimmungsbücher für Gräser. Ich selbst habe mich auch in Bestimmungshilfen versucht, zum Beispiel in dem UB-Heft 175 „Gräser und Getreide“ (1992) und in den „Botanischen Exkursionen II“. Aus diesem Buch stammen die folgenden schematischen Darstellungen zu den typischen Familienmerkmalen von Süßgräsern, Sauergräsern und Binsengewächsen.
Bauplan der Süßgräse
Bauplan der Sauergräser
Bauplan der Binsengewächse
Das Taschenbuch der Gräser von Ernst Klapp hat mich schon während meines Studiums begleitet (damals schon die achte Auflage, 1957), mittlerweile gibt es die 2006 erschienene 13. Auflage in der Bearbeitung von Opitz von Boberfeld. Recht originell ist die „Kleine Gräserfibel“ von C. H. Schade, in der die Gläser nach bestimmten, leicht kenntlichen Merkmalen in Gruppen unterteilt werden. Dem Büchlein ist eine einseitige Übersichtstabelle beigegeben, die noch nicht einmal DIN A4 Format hat und auf der 34 Süßgräser mit ihren wichtigen Merkmalen und Standortansprüchen dargestellt sind. Dieses Heft ist ebenso wie die originellen Bestimmung Tabellen von Rudolf Kiffmann (Weihenstephan) vor allem für angehende Landwirte gedacht.
Haller, B./Probst, W.: Botanische Exkursionen Bd. II: Exkursionen im Sommerhalbjahr. G. Fischer, Stuttgart/New York 19892 (Nachdruck 2016 bei Springer)
Klapp, Ernst/ Opitz von Boberfeld, Wilhelm: Taschenbuch der Gräser. Ulmer, Stuttgart 200613 (im Buchhandel)
Schade, C.H.: Kleine Gräsefibel. Neumann-Neudamm, Melsungen 19572 (nur antiquarisch)
S. 8., auf Abb.8, ganz oben, muss der wissenschaftliche Name des Baumweißlings heißen: Aporia crataegi (von Crataegus = Weißdorn)
S. 9 letzter Absatz gehört zur Aufzählung, letztes Wort „Wiesen-“ muss gestrichen werden
Durch die Blume – Blüten und ihre Bestäuber
S. 14, Kasten
Der wissenschaftliche Name des Wiesen-Bärenklaus istHeracleum sphondylium
Wilde Weiden für die Biodiversität
Das Foto auf S. 41 unten links zeigt einen Raubwürger und keinen Neuntöter
Aufgabe pur: Wiesenklee – „Schlüsselart“ mit Blutfarbstoff
Die Infos zur 4. Teilaufgabe sind nicht korrekt. In dem Versuch der Bayreuther Forscher wird der Einfluss des Wiesenklees auf die Biomasseproduktion bei unterschiedlicher Anzahl von Begleitarten untersucht. Hier die entsprechende Korrektur: