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Miteinander

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Vorbemerkung

Individuelle Fitness und natürliche Selektion sind zentrale Begriffe der Darwinschen Evolutionstheorie. In diesem Zusammenhang spielte der Begriff des „struggle for life“, des „Kampfes ums Dasein“, eine wichtige Rolle. Daraus wurde im Sozialdarwinismus nicht nur der „Sieg des Stärkeren“ sondern auch das „Recht des Stärkeren“ auf diesen Sieg als natürliches Recht abgeleitet. Dies wurde auch – nicht im Sinne Darwins, aber doch mit Bezug auf seine Theorie – auf die menschliche Gesellschaft übertragen und hatte starke Auswirkungen auf das Erziehungssystem, das lange Zeit auf die Förderung der Einzelleistung und die Qualifikation des Individuums abgestellt wurde.

Schon früh wurde diesen Folgerungen widersprochen, zum Beispiel von dem im englischen Exil lebenden russischen Anarchisten Pjotr Alexejewitsch Kropotkin (1842-1921) in seiner leider in Vergessenheit geratenen Schrift „Mutual Aid“. Auch die Erkenntnisse anderer Naturwissenschaftler zur großen Bedeutung der Kooperation bzw. des Mutualismus für die Evolution der Lebewesen gerieten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Vergessenheit. Eine Wiederbelebung erfuhren mutualistische Theorien erst wieder durch die bahnbrechenden Arbeiten Lynn Margulis` .

In der Wirtschaft hat Teamwork schon länger eine große Bedeutung. Gefördert durch die Digitalisierung und die elektronischen Medien hat sich in den letzten Jahrzehnten die Forderung nach gemeinschaftlichem Lernen in den Erziehungswissenschaften neu formiert unter den Begriffen „Kooperatives Lernen“ und „Kollaboratives Lernen“. Auch hier beruft man sich nicht nur auf Erkenntnisse der Pädagogik und der Sozielwissenschaften sondern auch auf die Biologie. Aus den Erkenntnissen über die Rolle der Kooperation bei der Evolution der Lebewesen leitet man ab, dass es eine genetische Disposition der Menschen für Kooperation und gemeinschaftliches Lernen geben muss (vgl. z. B. E.O. Wilson 2012).

Vor 20 Jahren, im Dezember 2010, erschien das von mir herausgegebene Unterricht Biologie Heft 280 „Miteinander“. Ich finde, angesichts dieser Entwicklungen ist es immer noch aktuell. Deshalb soll hier  der Basisartikel im ungekürzten Entwurf mit einigen kleinen Korrekturen veröffentlicht werden:

Leben heißt Zusammenleben

„Don’t compete,combine!“  Kropotkin 1902

„Du sollst das Stroh zu Gold mir spinnen, ich brauche davon große Mengen“, fordert der Prinz die Müllerstochter auf und im Märchen bedient sich das arme Mädchen der besonderen Kenntnisse von Rumpelstilzchen. Auch wenn es wohl nie gelingen wird aus Gras Gold zu produzieren, so sind andere Transsubstantiationen doch fast genau so wunderbar: z.B. die Umwandlung von Gras in Milch, die von den Kühen in großem Maßstab für uns Menschen geleistet wird. Allerdings nicht von den Kühen alleine. Nur die Mikroben, in erster Linie die Bakterien, die in ihrem Pansen leben, schaffen es, den Hauptbestandteil des Grases, die Zellulose, aufzuschließen und damit der Verdauung und letzten Endes der Umwandlung in Milch zugänglich zu machen,

Herbivoren, Konsumenten erster Ordnung, sind wichtige Bestandteile von Ökosy­stemen, sie haben entscheidenden Anteil an der Regulation von Stoff- und Ener­giefluss, und sie alle sind dabei auf Verdauungshelfer in ihrem Darm angewiesen. Außerdem sind viele Herbivoren, wie die Vorfahren unserer Hausrinder, die Auer­ochsen, soziale Tiere, die in großen Herdenverbänden zusammenleben, in denen es Rangordnung und Kommunikation, gemeinschaftliche Aufzucht der Jungtiere und gegenseitige Hilfe gibt. Kein Wunder, dass gerade solche sozial lebenden Tiere vom Menschen domestiziert und genutzt wurden, eine neue Form der Wechselbeziehun­gen zweier Arten- durchaus nicht nur zum Vorteil des Menschen, mindestens, wenn man den genetischen Erfolg und die heutige Verbreitung der Haustierarten betrachtet. Bei der Verarbeitung der Milch schließlich bedient sich der Mensch wiederum mikro­bieller Lebewesen, die man schon beinahe als „Hausmikroben“ bezeichnen könnte.

Schließlich gibt es einen  weiteren Aspekt des neuen Miteinander von Menschen und Haustieren: Durch die Domestikation kamen neue infektiöse Keime in die menschlichen Populationen wie Pocken, Masern oder Influenza. Die Viehzüchter wurden dagegen allmählich immun, menschliche Populationen ohne Haustiere blieben sehr anfällig . Dies ist mit ein Grund für den raschen Niedergang indigener Kulturen nach der Kolonisation durch Europäer bzw. Asiaten (vgl. Diamond 1997)..

So gibt dieses Beispiel „Milch“ einen Eindruck von der Vielschichtigkeit des Miteinander des Lebens und der Lebewesen auf unserem Planeten.

Einmal zeichnet sich Leben durch Individualität und damit durch Grenzen und Grenzziehungen aus, zum anderen sind alle diese Grenzen – angefangen von den intrazellulären Membranen – „semipermeabel“. Wechselwirkungen über Barrieren hinweg sind ein Charakteristikum aller Lebensvorgänge und auch aller Lebewesen, insbesondere auch Wechselwirkungen mit anderen Lebewesen.

Bei der weiteren Darstellung dieser Wechselbe­ziehungen wollen wir sie zunächst in intraspezifische und interspezifische Beziehun­gen unterteilen, auch wenn dies ge­rade bei den Gruppen schwierig ist, bei denen sich – wie bei den Prokaryoten – Arten nicht eindeutig definieren lassen. Ein weiterer Ab­schnitt wird sich mit den Wechsel­beziehungen innerhalb von Ökosystemen beschäf­tigen und schließlich soll die Rolle des Menschen als „hypersoziales Wesen“ in den Blick genommen werden.

Interspezifische Wechselbeziehungen

Forschungsarbeiten zum Thema „Symbiose“ bzw. „Kooperation“ haben lange Zeit eine relativ unterge­ordnete Rolle in der Biologie gespielt. Gerade im Hinblick auf die biologische Evolu­tion wurde dieses wichtige Prinzip bis heute nicht ins rechte Licht gerückt – mögli­cherweise als Folge des unglücklichen Begriffs vom „Kampf ums Da­sein“ und den mit diesem Schlagwort verbundenen populärwissenschaftlichen und biologistischen Interpretation der Evolutionstheorie (Sozialdarwinismus). Dabei gab es in der zweiten Hälfte des 19. Jahr­hunderts durchaus wichtige Ansätze und die Zukunft weisende Erkenntnisse (vgl. Sapp 1994). Anton de Bary, ursprünglich Pflanzenpathaloge und Mykologe, defi­nierte Symbiose als das Zusammenleben verschiedener Arten, wobei über den Nut­zen für die einzelnen Ar­ten noch nichts ausgesagt war. Er legte 1866 den Grundstein für die Erkenntnis, das Flechten einen Doppelorganismus aus Pilz und Alge darstellen. Der Begriff des Mutualismus wurde von dem Belgier Pierre-Joseph van Beneden 1873 geprägt (Vorlesung: Ein Wort zum Sozialleben Niederer Tiere). Albert Bernhard Frank – nach ihm sind die N2-assimilierenden Actinobakterien in den Erlenknöllchen „Frankia“ benannt – prägte 1877 den Begriff  „Symbiotismus“ für alle Formen des engen Zusammenlebens verschiedener Arten ohne Berücksichtigung , wem dieses Zusammmenleben Vorteile oder Nachteile bringt. 1885 entdeckte er die Mykorrhiza. Der Berliner Karl Brandt und der Edinburgher Pattrick Geddes  beschäftigten sich besonders mit „grünen“ niederen Tieren wie Hydra, Spongilla und Stentor. Geddes veröffentlichte 1881 einen Aufsatz über „Symbiosis of Algae and Animals“. Auch die Endosymbionten-Theorie der Eucyten wurde schon im letzten Jahrhundert geboren. A. F. W. Schimper äußerte 1883 als Erster die Vermutung, dass Plastiden Algen-Endosymbionten in Zellen sein könnten. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden diese Idee von den russischen Biologen Konstatine Sergejewitsch Mereschkowskii und Andrei Sergejewitsch Famintsyn aufgegriffen. Der von Famintsyn versuchte experimentelle Beweis – die isolierte in vitro Kultur von Plastiden und Mitochondrien – misslang allerdings. Die Theorie geriet zunächst in Vergessenheit. Erst in den letzten zwei Jahr­zehnten des 20. Jahrhunderts wurde sie vollständig anerkannt (vgl. z.B. Margulis 1981, Schwemmler/ Schenk 1980). Es gilt heute als gesichert, dass es bei verschiedenen Algen zu mehrfachen Endosymbiosen (sekundären und tertiären Endosymbiosen) gekommen ist. Diese kamen dadurch zustande, dass eukaryotische fotosynthetisch aktive Algen durch Phagocytose aufgenommen und dann nicht vollständig verdaut wurden. Heute noch kann man diese Mehrfachendosymbiosen an der Zahl der die Chloroplasten umgebenden Membranen erkennen. Teilweise finden sich auch noch Kernreste in den Chromatophoren.

Die Beziehungen verschiedener Arten kann man – entsprechend der Einteilung in Kasten 1 – in Konkurrenz, Karpose (= Parabiose), Symbiose und Antibiose einteilen. Der Nutzen oder Schaden, den die Wechselbeziehung den Partnern gibt, kann durch Plus- und Minuszeichen bzw. durch eine Null bei Indifferenz ausgedrückt werden. Konkurrenz erhält dann zwei Minuszeichen, Karpose ein Plus und eine Null, Symbiose zwei Pluszeichen und Antibiose ein Plus- und ein Minuszeichen. Im Gegensatz zu dieser Einteilung fasste de Bary (1879) den Begriff der Symbiose weiter. Er verstand darunter einen Überbegriff für Parasitismus, Symbiose und Karopse, schloss allerdings Vereinigungen kurzer Dauer (z.B. das Zusammenwirken von bestäubenden Insekten und Blütenpflanzen) aus. Diese Symbiosedefinition hat sich vor allem im angelsächsischen Sprachraum bis heute erhalten. In der folgenden Darstellung halten wir uns jedoch an den hier gebräuchlicheren Einteilungsvorschlag im Kasten.

Tab. 1 Formen des Zusammenlebens zwischen verschiedenen Arten

Konkurrenzausschlussprinzip

Nach Hardin (1960) kann die Konkurrenzsituation zwischen zwei Arten kein Dauerzustand sein: Entweder wird eine Art verdrängt oder sie wandelt sich in ihren Ansprüchen und es kommt zu einem räumlichen (Allopatrie) oder ökologischen (Sympatrie) Nebeneinander. Dieses Konkurrenzausschlussprinzip ist eng gekoppelt mit der Definition der ökologischen Nische. Eine solche kann definitionsgemäß ebenfalls nur von einer Art gebildet werden. In Wirklichkeit sind die Verhältnisse allerdings etwas komplizierter. Dies hängt vor allem damit zusammen, dass es unter natürlichen Bedingungen keine Konstanz der Umweltfaktoren gibt. Im Laborversuch konnte Park 1954 und 1962 zeigen, dass zwei Mehlkäferarten mit nahezu identischen Umweltansprüchen sich unter Laborbedingungen gegenseitig verdrängen und dass es auf die Umweltbedingungen ankommt, ob die eine Art die andere oder die andere die eine verdrängt. Wenn aber unter natürlichen Bedingungen z.B. das Klima dauernd schwankt, so können auch zwei oder mehr Arten mit nahezu gleichen Ansprüchen in einem Lebensraum erhalten bleiben.

Symbiosen im engeren Sinne

Unter Symbiose in diesem Sinne versteht man sowohl langdauernde, eventuell sogar lebenslange enge Gemeinschaften, wie sie zum Beispiel zwischen den genannten Darmbakterien und den Rindern , zwischen Korallen und einzelligen Zooxanthellen oder auch zwischen Einsiedlerkrebs und Aktinie beschrieben werden als auch Gemeinschaften, die nur von kurzer Dauer sind. Hierzu gehören z.B. die Beziehungen zwischen blütenbestäubenden Insekten und Blüten (vgl. UB 236 Pflanzen und die sie bestäubenden Insekte). Andere Beziehungen – auch als „Allianz“ bezeichnet – kennzeichnen vorübergehende lockere Gemeinschaften wie die zwischen Madenhackern und Herbivoren oder zwischen großen Rifffischen und Putzerfischen.

Einige Beispiele:

Sehr charakteristisch sind Stoffwechselsymbiosen zwischen Tieren und Prokaryoten und Pilzen. Dies hängt damit zusammen, dass bei Pilzen und insbesondere auch bei Prokaryoten eine Vielzahl von Stoffwechselwegen entwickelt sind, die bei Eukaryoten fehlen. Durch die Symbiose können sich die Eukaryoten so Nahrungs- und Energiequellen erschließen, die anderenfalls verschlossen geblieben wären. Gleichzeitig profitieren die endosymbiotischen Mikroben von den Stoffwechselendprodukten ihrer Symbiosepartner und von den relativ geschützten Lebensräumen, die ihnen von diesen geboten werden.

Eine besonders enge Symbiose dieser Art besteht zwischen Blattläusen und den endocytosymbiotischen Bakterien der Gattung Buchnera, die in besonders großen Darmzellen (Bakteriocyten) leben. Die Endosymbionten werden von Generation zu Generation über die Eier weitergegeben. Buchnera ist eng verwandt mit Escherichia coli aber im Gegensatz zu diesem weit verbreiteten Darmbakterium ist ihr Genom wesentlich kleiner. Dafür sind in einer Zelle über 100 Kopien enthalten. Eine vollständige Genomanalyse von Buchnera ergab, dass keine Gene für Zellober­flächen-Lipopolysaccharide und Phospholipide vorhanden sind. Ebenso fehlen die meisten Regulatorgene und Gene, die der Verteidigung der Zellen nach außen die­nen. Das enge Zusammenleben mit den Wirten wird dadurch deutlich, dass von Buchnera alle für seinen Wirt essentiellen Aminosäuren produziert werden. Dafür sind mindestens 55 Gene verantwortlich. Umgekehrt werden von dem Bakterium keine für den Wirt nicht essentiellen Aminosäuren produziert. Diese Komplementari­tät zeigt, dass die Symbiose schon sehr lange erfolgreich arbeitet. So bilden Blatt­läuse keine stickstoffhaltigen Exkrete, vielmehr produzieren sie Glutamin und dieses wird von den Bakterien als Ausgangsstoff für die Produktion von essentiellen Ami­nosäuren verwendet. Da Buchnera sogar seine Außenmembran vom Wirt erhält, kann man sagen, dass bei dieser Symbiose ein Stadium erreicht ist, das Buchnera schon fast als ein Zellorganell erscheinen lässt.

Noch komplizierter ist die Doppelendocytobiose in Darmzellen von Motten-Schildläu­sen. Wie durch Genanalysen nachgewiesen, enthalten die Bakterien in den Darmzellen ein weiteres endosymbiontisches Bakterium (von Dohlen, 2001: 433-436).

Viele ähnliche Beziehungen kommen bei Holz bzw.  Zellulose fressenden Insekten wie Tabakskäfer, Borkenkäfer und Termiten vor. Auch blutsaugende Egel, Zecken und Läuse bessern die Inhaltsstoffe ihrer relativ einseitigen Nahrung durch symbiontische Darmbakterien auf. Sie können in besonderen Darmzellen (Bacteriocyten, auch Mycetome genannt), in Darmaussackungen oder auch frei im Darmlumen vorkommen.

Ein anderer Stoffwechsel-Symbiosetyp besteht zwischen Höheren Pflanzen und Prokaryoten, die das Luftstickstoffmolekül (N2) assimilieren können. Besonders bekannt sind diese Stickstoffendosymbionten der Gattung Rhizobium von den Hülsenfrüchtlern (Wurzelknöllchen). Bei anderen Höheren Pflanzen wie Erlen oder Sanddorn kommen stickstoffbindende endosymbiontische Aktinobakterien der Gattung Frankia vor. Schließlich können auch Blaugrüne Bakterien symbiontisch mit Höheren Pflanzen zusammenleben z.B. das Blaugrüne Bakterium Anabena azollae in besonderen Taschen des Schwimmfarns Azolla und andere Blaugrüne Bakterien in korallenartigen in den Luftraum ragenden Wurzeln von Cycadeen.

Noch nicht sehr lange bekannt sind die symbiotischen Beziehungen zwischen Sphagnen und methanotrophen Bakterien. Die Bakterien, die in den Wasserspeicherzellen der Sphagnen leben, nutzen die Oxidation des in tieferen Torfschichten gebildete Methan zur Energiegewinnung und sind gleichzeitig dazu in der Lage, Luftstickstoff zu assimilieren. Sie profitieren von der Sauerstoffproduktion und den teilweise abgegebenen Kohlenhydraten der Photosynthese betreibenden Sphagnum –Chlorocyten.

Blaugrüne Bakterien kommen auch als Symbiosepartner bei Flechten vor. Noch wichtiger sind bei dieser Symbiose aber eukaryotische Algen und zwar aus der Gruppe der Grünalgen, die mit Pilzarten eine sehr enge Gemeinschaft eingegangen sind. Hier ist durch die Symbiose eine völlig neue morphologische, ökologische und physiologische Einheit entstanden: Flechten sehen anders aus als die beiden Partner alleine, sie können völlig andere Lebensräume, auch extreme Standorte in der Arktis in Hochgebirgen oder in Wüsten, besiedeln und es gibt zahlreiche typische Flechteninhaltsstoffe wie z.B. Depside, Butenoide oder Azofarbstoffe, die jeweils vom einen der beiden Partner nicht gebildet werden können.

Außer in Flechten spielen Algen als Synbionten auch in vielen niederen Tieren eine bedeutende Rolle, so in den Polypen der Korallen, in marinen Würmern und Schnecken, in verschiedenen Muscheln und Schwämmen (vgl. UB 225 Algen, UB 254 Riffe). In al­len diesen Fällen werden die heterotrophen Tiere durch die Algensymbionten teil­weise autotroph. Bei einigen Strudelwürmern (z.B. Convoluta roskovensis) kann dies bis zum Verlust des eigenen Darmkanals gehen. Keeble (1910) hat hierfür die treffende Bezeichnung „Plant animals“ – Pflanzentiere – geprägt.

Eine weitere typische Symbiose zwischen Prokaryoten und Tieren stellen die verschiedenen Leuchtsymbiosen dar. Meerestiere wie Manteltiere, Tintenfische und Knochenfische nehmen die im Seewasser weit verbreiteten Leuchtbakterien in besonderen Organen als Symbionten auf und betreiben mit der Bakterienkolonie besondere Leuchtorgane.

Auch zwischen vielzelligen Tieren und Pflanzen gibt es zahlreiche symbiotische Gemeinschaften. Besonders bemerkenswert sind in diesem Zusammenhang die sogenannten Ameisenpflanzen oder Myrmecophyten. Sie stellen Hohlräume in Blättern, Stielen oder Wurzeln berei, die vor allem von Ameisen aber auch von anderen Kleintieren bewohnt werden. Besonders zahlreich kennt man solche Ameisenpflanzen aus Südostasien. Mehr als 150 Arten aus 27 Pflanzenfamilien wurden beschrieben.

Der baumförmige Schmetterlingsblütler Humboldtia laurifolia aus Sri Lanka hat hohle Internodien mit einem sich selbst öffnenden Eingang.  Zusätzlich zu diesen „Wohn­höhlen“ (Domatium) bietet der Baum eine Reihe von extrafloralen Nektarien, die den Bewohnern gleichzeitig Futter liefern. Die Hohlräume werden vor allem von Amei­senarten besucht und besiedelt, besonders häufig von Technomyrmex albipes. Aber die Besiedelung kann auch durch verschiedene Ameisenarten erfolgen sogar in un­mittelbarer Nachbarschaft. In einer gründlichen Untersuchung (Krombein et al. 1999) wurden weitere zehn Ameisenarten, verschiedene andere Insekten sowie Pseu­doskorpione und Ringelwürmer als regelmäßige Bewohner der „Wohnhöhlen“ nach­gewiesen. Bei einigen dieser Arten handelt es sich um eine sehr enge Gemeinschaft mit Humboldtia. Eine Vernichtung dieser Baum-Art würde auch zum Verschwinden der symbiontischen Bewohner führen.

Für die Pflanzen bringen die besiedelnden Ameisen vor allem einen Schutz gegen Fressfeinde. Die Wirksamkeit dieses Pflanzenschutzes wurde für das Symbiosepaar Crematogaster-Ameise und Ameisenpflanze Macaranga (Wolfsmilchgewächse) ge­nauer untersucht. In diesem Falle werden von der Ameisenpflanze auch noch fett- und eiweißreiche Futterkörperchen für die Ameisen bereit gestellt. Die Ameisen re­vanchieren sich dafür, indem sie ständig die Oberfläche ihres Wirtsbaumes absu­chen und diesen dabei von allem Fremdmaterial reinigen. Sie entfernen Insekteneier ebenso wie Raupen, Käfer und andere pflanzenfressende Gliedertiere. Auch pilzliche Krankheitserreger werden von den Ameisen beseitigt. Man konnte nachweisen, dass Macaranga mehr als 80 Prozent seiner Blattfläche verliert, wenn man die symbionti­schen Ameisenkolonien entfernt (Linsenmaier, Heil 2001). Es konnte nachgewiesen werden, dass das Pflanzen­hormon Jasmonsäure bei Macaranga  die Blattnektarproduktion steuert  (Boland et al.2001): Kommt es zu einer starken Schädigung durch Insektenfraß, wird die Hormonaus­schüttung erhöht und dies wiederum führt zu einer stärkeren Nektarproduktion. Da­durch lockt die Pflanze Ameisen, Wespen und andere Nektarkonsumenten an, die ihr helfen, sich gegen die Fraßfeinde zu verteidigen. Damit ist eine Form der Wechselwirkung zwischen Höheren Pflanzen angesprochen, deren Erforschung erst in jüngerer Zeit begonnen hat. Das Methyljasmonat ist einer von vielen Stoffen, der der Kommunikation zwischen Pflanzen dient. Pflanzen, die von Herbivoren z.B. Raupen befallen werden, produzieren in erhöhtem Maße Signalstoffe wie Jasmonat und diese bewirken bei anderen Pflanzen – auch bei anderen Pflanzenarten – eine verstärkte Produktion von für die Pflanzenfresser schädlichen Stoffen. Die Beziehung zwischen Blütenbestäubern und bestäubten Pflanzen ist in der Regel weniger eng. Es gibt jedoch auch hier Beispiele einer engen Gemeinschaft zweier Arten, die für beide lebensnotwendig ist. Dies gilt etwa für die komplizierten Wechselwirkung von Feige und Feigen-Gallwespe oder von Yucca und Yucca-Motte (Abb.   ). Im natürlichen Lebensraum der Yucca-Arten im westlichen Nordamerika lebt ein kleiner Nachtfalter von etwa 13 mm Körperlänge, die Yucca-Motte (Pronuba yuccasella). Die Begattungsflüge der Yucca-Motten finden in der Dunkelheit statt. Das befruchtete Weibchen beginnt noch in der Nacht, die weißen duftenden Yuccablüten aufzusuchen und dort Pollen zu sammeln. Mit besonderen Fortsätzen der Kiefertaster wird der Pollen zu einem Klumpen geformt, der oft mehrere Millimeter Durchmesser haben kann und zwischen Kopf und Ansatz der Vorderbeine eingeklemmt und mit den Tentakeln seitlich festgehalten wird. Mit diesem Pollenpaket fliegt das Weibchen zu einer anderen Blüten derselben Art. Auf den dicken wachsachtigen Staubfäden sitzend, stößt es dann seine Legescheide durch die weiche Wand des Fruchtknotens in desse Höhlung hinein und legt an den Samenanlagen ein Ei ab. Sodann wandert das Tier entlang dem Stempel bis zur Narbe, stopft etwas von dem mitgebrachten Pollen in eine der drei Narbenfurchen oder in den dort offenen Griffelkanal, legt wieder ein Ei in den Fruchtknoten und so fort, bis sich eine Anzahl von Eiern im Inneren des Fruchtknotens befindet. Bald darauf wachsen die Pollenschläche von der Narbe durch den Griffelkanal zu den Samenanlagen und die Eizellen werden befruchtet. Während die Samenanlagen zum Samen heranwachsen, schlüpfen auch die jungen Räupchen aus den Eiern und sie beginnen, die heranwachsenden Samenanlagen aufzufressen. Nach einem Monat sind die Raupen ausgewachsen und verlassen den Fruchtknoten. Sie verpuppen sich in der Nähe der Yuccapflanze im Erdboden. Da die Raupen bis zum Verlassen des Fruchtknotens nur einen Teil der zahlreichen Samenanlagen verzehren, können sich viele noch zu reifen Samen entwickeln.

Antibiosen

Im Gegensatz zur Symbiose kennzeichnet die Antibiose eine Beziehung, die für ei­nen der beiden Partner vorteilhaft, für den anderen aber schädigend ist. Ganz ein­deutig gilt dies z.B. für die Beutegreifer-Beute-Beziehung . Nicht ganz so eindeutig ist dies für die für die Bezie­hung, die zwischen Pflanzen und Pflanzenfressern besteht, da die Konkurrenzkraft bestimmter Pflanzen durch regelmäßige Beweidung gestärkt wird. Auf solche Nahrungs­ketten soll jedoch hier nicht weiter eingegangen werden.

Demgegenüber bezeichnet man als Parasitismus, wenn ein Parasit einen Wirt aus­nützt ohne dessen unmittelbaren Tod zu bewirken. De Bary definierte den Parasitis­mus folgendermaßen: „… der vollständige Parasitismus, d.h. jene Einrichtung, bei welcher ein Tier oder eine Pflanze den ganzen Vegetationsprozess durchmacht auf oder in einem anderen, ei­ner ungleichnamigen Spezies angehörenden Organismus. Letzterer dient jenem, dem Parasiten, ausschließlich als Wohnort und liefert ihm sein gesamtes Nährstoff­material. Er ist in jeglichem Sinne des Wortes sein Wirt. Und jener lebt auf Kosten des Wirtes insofern sein Nährstoffmaterial die Lebendkörpersubstanz oder die zur eigenen Ernährung aufgenommene Nahrung dieses ist.“ Dabei weist schon De Bary darauf hin, dass es natürlich möglich sein wird, Parasiten auch außerhalb des Wirts künstlich am Leben zu erhalten, indem man ihnen eine geeignete Nährlösung bietet.

Eine für Parasiten besonders typische Erscheinung ist, dass sie oft auf mehrere Wirtsarten angewiesen sind, die sie im Laufe ihres Lebenszyklus sukzessive besie­deln. Häufig ist dieser Wirtswechsel auch noch mit einem Generationswechsel des Parasiten verbunden.

So gibt es vermutlich kaum eine höhere Pflanzenart, die nicht von einem oder meh­reren Rostpilzen parasitiert wird. Eine große Zahl von Rostpilzen parasitieren auf Nutzpflanzen und sie sind deshalb für den Menschen von besonderer Bedeutung. Si­cherlich ist dies ein Grund dafür, dass der Lebenszyklus vieler Rostpilze relativ gut erforscht ist (Gäumann 1959). Stellvertretend für die komplizierten Beziehungen der Rostpilze zu ihren Wirtspflanzen sei der Getreiderost (Puccinia graminis) erwähnt. Dieser Pflanzenparasit entwickelt sich einmal auf der Berberitze, zum anderen auf Getreidearten. Auf der Berberitze wächst das haploide Stadium des Basidiomyceten, auf der Getreidepflanze das Zweikernstadium. In überwinternden zweikernigen Dauersporen kommt es zur Kernverschmelzung und anschließend zur Meiose und zur Basidienbildung.

Nachdem der Entwicklungszyklus des gefährlichen Getriederostes aufgeklärt war, hat man in den 30er und 40er Jahren versucht, durch Ausrotten der Berberitze auch dem Rostpilz die Lebensgrundlagen zu entziehen. Dies gelang aber nicht, da in milden Wintern auch ungeschlechtlich produzierte Sporen überdauern und immer wieder zu einer Infektion der Getreidepflanzen führen können. Im übrigen werden solche Pflanzenparasiten immer durch große Monokulturen besonders gefährlich. Unter natürlichen Bedingungen können sich die Pflanzen gegen Parasiten sowohl tierlicher als auch pilzlicher Art recht gut verteidigen. Dabei kommt es teilweise auch zu einer Wechselwirkung zwischen recht verschiedenen Parasitenarten. So werden vom Verticillium-Pilz befallene Baumwollpflanzen weniger von parasitären Milben aufgesucht als nicht befallene und umgekehrt kann kein (kurzfristiger) Milbenbefall die Pflanzen resistenter gegen Pilzbefall machen (Martin 2002, S. 54/55).

Besonders zahlreiche Parasiten mit komplizierten Lebenszyklen kennt man vom Stamm der Plattwürmer (Plathelmintes). Typisch für die Saugwürmer (Trematoda), einer Klasse der Plathelminthes, ist eine endoparasitische Lebensweise in Darm, Leber, Lunge, Bindegewebe und Blutgefäßsystemen von Wirbeltieren. Sie haben einen relativ komplizierten Generationswechsel, der gleichzeitig mit einem Wirts­wechsel verbunden ist: Aus den befruchteten Eiern der Tiere, die im Hauptwirt leben, schlüpfen in der Regel Wimpernlarven (Miracidien), die im ersten Zwischenwert zur Sporocyste werden. Aus der Sporocyste entstehen sogenannte Redien, die im zweiten Zwischenwirt zu Cercarien heranwachsen. Aus ihnen entwickeln sich, nach­dem sie von Wirtstieren aufgenommen wurden, die adulten Geschlechtstiere. Bekannt ist das Beispiel des Kleinen Leberegels aus den Gallengängen von Schafen mit den Zwischenwirten Heideschnecke bzw. Zebraschnecke und Ameise. Das besondere an dieser Art von Parasitismus ist, dass der Parasit in diesem Fall die Ameise veranlasst, sich an Pflanzenstängeln festzukrallen. Dadurch wird sie besonders leicht von Schafen gefressen, was der weiteren Verbreitung des Parasiten dient. So abenteuerlich diese komplizierte, angepasste Lebensweise erscheint, so hat sich in jüngerer Zeit gezeigt, dass sie doch nicht einmalig ist. Ähnliche Erschei­nungen kennt man von anderen parasitischen Trematoden: Microphallus piriformis lebt einmal in einer Strandschnecke (Littorina saxatilis), zum anderen in der He­ringsmöwe. Es wurde nachgewiesen, dass von Trematoden befallene Strandschnecken die Tendenz haben, aufwärts zu krie­chen, also in eine Position, in der sie leichter von Möwen gefressen werden können (MacCarthy 2000, 1161-1166). Befallene Schnecken verändern auch ihre Verhaltensweise bezüglich der Gezeiten. Im Gegensatz zu nichtbefallenen, kriechen sie gerade bei fallender Tide aufwärts. Nicht nur von Wirbellosen sondern sogar von Säugetieren kennt man eine solche parasitenbewirkte Verhaltensänderung: Ratten, die von dem Einzeller Toxoplasma gondii befallen sind, den sie vor allem aufsammeln, wenn sie Katzenkot fressen, werden neugieriger und weniger furchtsam. Das lässt sie zu einer leichteren Beute für Katzen werden und hilft so Toxoplasma, in seinen Hauptwirt zurückzukehren ( Berdoy 2000,1591-1594).

Karposen

Auf die große Zahl der Beziehungen, die für einen Partner mehr oder weniger vor­teilhaft, für den anderen jedoch nicht schädigend sind, sei hier nur knapp eingegan­gen. Hierher gehören die Wohngemeinschaften (z.B. Fuchs und Brandgans) oder auch der zeitweilige Aufenthalt in Körperhöhlen von anderen Tieren. Die Nadelfische aus der Familie der Carapidae kommen mit etwa 25 Arten in wärmeren und warmtemperierten Meeren vor. Sie wohnen alle in Actinien, Seesternen, Seegurken, Feuerwalzen oder in Muscheln. Genauer wurde Carapus acus, ein mediterraner Nadelfisch untersucht. Er verlässt seien Wohnort Seegurke nur nachts. Um in die Seegurke hinein zu gelangen, schwimmt er mehr oder weniger senkrecht stehend mit wedelndem Schwanz um sie herum. Immer wieder wird dann der Versuch unternommen, am Hinterende in den Wirt einzudringen. Dazu stellt sich der Nadelfisch mit seinem Kopf dicht vor die Kloakenöffnung, führt seine Schwanzspitze am Körper entlang nach vorn und wahrscheinlich in dem Augenblick, in dem das Atemwasser in die Seegurke strömt, sich schnell umwendend, stößt er sein Hinterende in die Kloake. Dann dringt der Fisch nach und nach immer tiefer ein. Der Fisch dringt zunächst in die Wasserlunge der Seegurke ein, durchbricht diese aber dann, um sich in der Leibesöhle aufzuhalten. Während viele Nadelfische die Holothurien und andere Wirte nicht weiter schädigen, konnte man für Carapus acus nachweisen, dass er sich von den Geschlechtsdrüsen der Seegurke ernährt. Andere Arten kommen im Muscheln vor. Wenn die Fische in der Muschel sterben, werden sie als Fremdkörper mit einem Perlmuttüberzug versehen (z.B. Carapus homei aus der Karibik).

Auch die actinienbewohnenden Clownfische oder die als Muschelwächter bezeichneten Kurzschwanzkrebse, die in der Mantelhöhle von Muscheln zu finden sind, wären hier zu nennen. Die Aktinien könnten allerdings auch von den Futterresten der Clownfische profitieren, weshalb diese Partnerschaft oft auch als echte Symbiose bezeichnet wird.

Eine besonders große Rolle spielt die sogenannte Epökie (Aufsitzertum) – Lebewesen siedeln auf anderen. Besonders eindrücklich wird dieses Prinzip in den üppigsten Lebensräu­men, wie Regenwäldern oder Korallenriffen, demonstriert. Aber auch bei uns gibt es viele „Epiphyten“ (Moose und Flechten auf Baumrinde) und „Epizoen“ (z.B. Seepoc­ken auf Muschelschalen oder Krebspanzern, Glockentierchenkolonien auf Wasser­flöhen und Ruderfußkrebsen.)  Eine besondere Form der Wechselwirkung ist die der Transportgemeinschaft (Phoresie). Dungmilben und Fadenwürmer heften sich an Mistkäfer an, andere Milben werden von Weberknechten transportiert. Schiffshalter lassen sich von großen Fischen mitnehmen.

Intraspezifische Kooperation

„Wo ich auch immer das Tierleben in reicher Fülle auf engem Raum beobachtete, sah ich gegenseitige Hilfe und gegenseitige Unterstützung sich in einem Maße betätigen, dass ich in ihnen einen Faktor von größter Wichtigkeit für die Erhaltung des Lebens und jeder Spezies sowie ihrer Fortentwicklung zu ahnen begann.“ (Kropotkin 1902).

Artgenossen sind evolutionsbilogisch betrachtet von Natur aus Konkurrenten. Trotzdem kann man bei den Interaktionen zwischen Individuen einer Art, im allgemeinen auch als „Sozialverhalten“ bezeichnet, eine Vielzahl von Verhaltensweisen erkennen, die eindeutig koopertiv sind. Die ultimaten Ursachen solcher Verhaltensweisen sind z.B. die Fortpflanzung, die Brutpflege, die Fürsorge für die Jungtiere, der Schutz vor dem Gefressenwerden, der gemeinsame Beutefang oder die Sicherung von Weidegründen usw. Proximate Ursachen können in Erbkoordinationen oder in Lernvorgängen liegen.

Konkurrenz und Kooperation

Zu den Interaktionen zwischen Artgenossen gehören nicht nur kooperative Verhaltensweisen sondern auch Aggression und Konkurrenz, Rangord­nung oder sogar Täuschung. Die Anpassungsselektion im Sinne Darwins ist, wenn auch nicht die einzige, so doch eine wichtige Grundlage der Evolution. Sie beruht auf dieser in­nerartlichen Konkurrenz und eventuell auf zwischenartlicher Kooperation. Die Individuen einer Art, die am meisten lebensfähige und überlebensfähige Nachkommen zeugen, geben damit ihre Gene und so auch viele ihrer Merkmale weiter. Der Kampf um einen Paarungspartner oder um eine Nah­rungsressource ist häufig ritualisiert, d.h. für die Gegner besteht keine ernsthafte Verletzungsgefahr. Dies muss allerdings nicht so sein, wie man es z.B. von Kampfhähnen und Kampffischen weiß. Aber es ist einsehbar, dass bei Arten, bei denen die kämpfenden Rivalen sich verletzen , eine frühzei­tige Beendigung des Kampfes die Fitness fördert, da sie auch den Sieger vor unnöti­gen Verletzungen schützt.

 Unterschiedliches Balzverhalten ist eng gekoppelt mit un­terschiedlichen Paarungssystemen. Während es bei vielen Tierarten keinerlei län­ger dauernde Paarbindungen gibt, kennt man andererseits monogame und polygame Beziehungen, wobei sowohl  Polygynie als auch- seltener – Polyandrie vorkommen. Für die Paarungssysteme entscheidend dürften die besonderen Bedürfnisse der Jungen sein. So müssen Vögel nicht nur ihre Eier langwierig ausbrüten, die Jungen müssen dann auch mit erheblichen Nahrungsmengen gefüttert werden. Für beides ist eine Kooperation der Eltern von großem Vorteil. Deshalb ist eine monogame Paarbindung bei Vögeln häufig vorteilhaft – mindestens während der Brutzeiten und der Aufzucht der Jungen. Andererseits muss dies nicht unbedingt mit der rein mono­gamen Weitergabe der Gene, also mit der ausschließlichen Kopulation mit einem Geschlechtspartner, gekoppelt sein (vgl. Campell S. 1303, UB 185 Soziobiologie).

Häufig kommen in Tiersozietäten bestimmte Rangordnungen vor, die durch aggres­sive Auseinandersetzungen immer wieder gefestigt oder auch neu strukturiert wer­den. Für den reibungslosen Ablauf der innerartlichen Kooperation in einem Tierver­band sind solche Rangordnungen u.U. von Vorteil, insbesondere wenn es um kom­pliziertes Zusammenarbeiten geht,  wie etwa beim gemeinsamen Jagen. Bei Wölfen und anderen Hundeverwandten konnte nachgewiesen werden, dass die Rangordnung der weiblichen Tiere eines Rudels auch der Geburtenkontrolle dient: Wenn die Nahrung knapp ist, lassen die ranghöchsten Weibchen kaum Paarungen anderer, rangniedrigerer Weibchen zu. Sie sorgen damit dafür, dass nur ihre Gene weitergegeben werden. Ist reichlich Nahrung vorhanden, so lockern sie diese Re­striktionen.

Schließlich ist das Revierverhalten ein wichtiger Bestandteil tierlichen Sozialverhal­tens. Territorien oder Reviere dienen in der Regel der Sicherung der Nahrung, der Paarung und der Jungenaufzucht. Bei Vögeln werden solche Reviere häufig von Brutpaaren während der Brutzeit besetzt. Bei vielen Singvögeln müssen die Reviere relativ groß sein, weil sie auch der Nahrungsbeschaffung dienen. Bei Meeresvögeln können sie viel kleiner sein, da die Nahrung außerhalb des Reviers gesucht wird. Territorien werden häufig besonders markiert (Kot, Urin, Drüsensekrete). Auch aku­stische Markierungen wie lautes Brüllen der Seelöwen oder Gesänge der Singvögel dienen der Reviermarkierung. Territorialverhalten kann eine Population stabilisieren, da die Verteidigung des Territoriums verhindert, dass bei üppigem Nahrungsangebot eine Überpopulation entsteht, die dann u.U. wieder einen Zusammenbruch der Ge­samtpopulation zur Folge hätte.

Altruismus

Altruismus oder uneigennützige Hilfeleistungen zwischen Individuen einer Art sind bei Tieren weit verbreitet. Besonders verbreitet sind Formen der Brutpflege, bei denen nur die Mütter, zum Teil Mütter und Väter und selten auch nur die Väter beteiligt sein können. Dabei geht es nicht nur darum, die Jungen zu füttern, zu wärmen und für ihr Wohlbefinden zu sorgen, son­dern auch um die Verteidigung gegen Beutegreifer. Dies kann bis zur Aufoperfung des eigenen Lebens gehen. Die Soziobiologie versucht solche altruistischen Verhal­tensweisen über die Fitness zu erklären. Bei der Brutpflege und bei der altruistischen Hilfe für Verwandte argumentiert die Soziobiologie mit dem Verwandtschaftskoeffizi­enten. Der Anteil der Gene, der bei zwei Individuen aufgrund gemeinsamer Abstam­mungen identisch ist. Der Verwandtschaftskoeffizient von Geschwistern beispiels­weise beträgt 0,5, da 50 % der Gene von Geschwistern übereinstimmen. Für Cou­sins ersten Grades beträgt dieser Verwandtschaftskoeffizient 0,125. Es ist nach der soziobiologischen Theorie zu erwarten, dass sich Verwandte umso eher gegenseitig helfen, je höher dieser Koeffizient ist. Dies führt dann zu der sogenannten Familien- oder Verwandtschaftsselektion. (kin selection, Smith, Hamilton). Wenn man also sein Leben für zwei Kinder oder für acht Cousins opfert, so hat man genetisch bzw. evolutionsbiologisch gesehen, nichts verloren. Bei manchen altruistischen Verhaltensweisen ist eine Erklärung über den Verwandtschaftskoeffizienten allerdings nicht so eindeutig möglich. So warnen sich Murmeltiere gegenseitig durch Pfiffe vor Beute­greifern wie etwa Steinadlern. Wenn ein Adler oder ein anderer Fressfeind sich einer Murmeltierkolonie nähert, stößt eines der Murmeltiere einen schrillen Pfiff aus. Da­durch werden auch die anderen auf den Räuber aufmerksam und fliehen in ihre Baue. Das Pfeifverhalten allerdings wird für den Warner zu einem erhöhten Risiko. Nur wenn man davon ausgeht, dass die Murmeltiere einer Kolonie mehr oder weniger nahe verwandt sind, lässt sich dies ebenfalls über den Verwandtschaftskoeffizi­enten erklären. Eine andere Erklärungsmöglichkeit: Wenn alle Murmeltiere einer Kolonie zu diesem Verhalten bereit sind und es immer wieder ein anderes Tier trifft und dadurch der Nutzen und der Schaden ausgegli­chen wird kann dieses Verhalten ebenfalls einen Fitnessgewinn bringen („Reziproker Altruismus“).

Tiergesellschaften

Die Vergesellschaftung von Individuen einer Art kann sehr unterschiedliche Organi­sationsmerkmale aufweisen. Unkoordinierte Verbände sind z.B. Schlafgemeinschaf­ten, Überwinterungsgemeinschaften, Futtergemeinschaften. Ein gemeinsamer Ort und ein gemeinsames Ziel führen die Tiere zusammen. Man kennt solche Ansamm­lungen von vielen Insekten, aber auch bei Spinnentieren, Krebsen, Mollusken und bei allen Klassen der Wirbeltiere kommen sie vor. Solche Vergesellschaftungen sind in der Regel zeitlich begrenzt, die einzelnen Individuen können sich leicht wieder von der Gruppe lösen, und die Koordination zwischen den einzelnen Individuen ist ge­ring. Schon etwas anders sieht es bei koordinierten Verbänden aus, wie sie etwa bei ziehenden Vogelschwärmen, wandernden Libellen, Heuschrecken und Schmetterlin­gen oder Fischschwärmen vorliegen. Hier findet oft eine erstaunliche Koordination der Flug- oder Schwimmbewegungen statt. Der soziale Gesichtspunkt ist deutlich, gemeinsamer Aufbruch zur Wanderung, gemeinsame Bestimmung des Zieles oder Lösung des Orientierungsproblemes. Gefahr von außen, etwa ein herabstürzender Raubvogel auf einen Starenschwarm, führt zu koordinierten Reaktionen. Der Schwarm kondensiert sich, bildet einen Stoßpulk, der gemeinsam zum Angriff über­gehen kann. Anders reagiert ein Elritzenschwarm, bei dem ein Mitglied vom Hecht ergriffen wurde. Der ganze ergreift panikartig die Flucht, was damit zusammenhängt, dass von der Bißwunde der verletzten Elritze ein hochwirksamer Schreckstoff freigesetzt wird. Die so gewarnten Elritzen meiden den Ort, an dem ihr Genosse gefressen wurde, wochenlang. Hier handelt es sich also um ein soziales Warnsignal, das in Haut­zellen gespeichert wird und dass ohne jeden biologischen Nutzen für das individuelle Leben ist, das aber für den Gesamtverband große Vorteile bringt.

Andere Schutzgemeinschaften finden sich z.B. bei verschiedenen Insekten. So kön­nen sich Feuerwanzen zu größeren Verteidigungsgemeinschaften zusammenschlie­ßen. Sie besitzen Verteidigungsdrüsen und damit verbunden eine Warnfärbung. Die Warnwirkung wird durch die Gruppierung erhöht.

Soziale Verbände höherer Organisation sind charakteristisch für die Insektenstaaten. Hier ist die soziale Bindung obligatorisch. Der Verband bildet eine geschlossene Gemeinschaft und es kommt zu einer Differenzierung der Individuen. Sämtliche Ent­wicklungsstadien von Eiern, Larven über Puppen bis zu den geschlechtsreifen Ima­gines sind Bestandteil dieses Verbandes. Alle Tätigkeiten, die für den Fortbestand für die Gemeinschaft wesentlich sind, werden im Kollektiv und arbeitsteilig ausgeführt.  Häufig kommt es zu einer Kastenbildung, d.h. die ausgewachsenen  Tiere haben – entsprechend ihren unterschiedlichen Aufgaben  einen unterschiedlichen Körperbau. Typisch für das Funktionieren solcher Tierstaaten ist eine meist angeborene, sehr differenzierte Fähigkeit zur Kommunikation. Teilweise werden solche Staten als „Überorganismen“ bezeichnet.

Termiten z.B. sind besonders hoch organisierte staatenbildende Insekten mit mindestens drei Kasten: Königin und König als Geschlechtstiere leben immer zusammen, außerdem werden Arbeiter und Soldaten oft noch in verschiedenen Ausprägungen ausgebildet. Soldaten und Geschlechtstiere können sich nicht selbständig ernähren und sind auf die Fütterung durch die Arbeiter angewiesen. Insgesamt beruht das Zusammenspiel innerhalb des Termitenstaates auf komplizierter Kommunikation, teilweise auf der Basis von Pheromonen. Außerdem leben Termiten auch noch mit anderen Lebewesen in Symbiose. Als Pflanzenfresser können sie mit Hilfe von endosymbiontischen Bakterien und Einzellern Zellulose zersetzen. Andere Arten können sogar den Ligninstoff mit Hilfe von Pilzendosymbionten aufschließen. Außerdem werden von Termiten Pilzgärten angelegt, und zwar auf einem Gemisch aus Kot und zerkauter Nahrung und Holz. Die Pilzgeflechte dienen vor allem den Larven als Nahrung.

Die Zusammenarbeit im Termitenstaat sorgt für gleichbleibende Innentemperaturen, günstige Feuchtigkeitsbedingungen und sichere Aufzucht der Nachkommen (vgl. UB 169, S. 45).

Im Prinzip ähnlich, aber meist nicht ganz so kompliziert, sind die Verhältnisse bei Ameisen und bei anderen Hautflüglern. Bemerkenswert ist die besonders kompli­zierte Form der Kommunikation der Honigbienen (vgl. Hedewig 2000 in UB 260).

Symbiose in Ökosystemen

Für das Wirkungsgefüge eines Ökosystems bilden symbiotische Beziehungen eine entscheidende Rolle, obwohl sie bisher in der ökologischen Literatur noch relativ we­nig berücksichtigt wurden. Ganz allgemein kann man sagen, dass Ökosysteme dazu tendieren, im Laufe ihrer Entwicklung an Komplexität zuzunehmen. So sind die älte­sten Ökosysteme gleichzeitig die komplexesten und die Wechselbeziehungen sol­cher Systeme sind besonders kompliziert. Hier soll etwas ausführlicher auf die Be­deutung der Symbiosen für den Stoffkreislauf in Ökosystemen eingegangen werden. Da die Chloroplasten aller Höheren Pflanzen und Algen aus endosymbiontischen Prokaryoten hervorgegangen sind, wird der größte Teil der Primärproduktion in der Biosphäre durch eine Symbiose geleistet. Abgesehen davon spielen Flechten als Primärproduzenten auf etwa einem Achtel der Landfläche (1,2 x 107 km2) eine ent­scheidende Rolle. Bedeutend ist weiterhin der Beitrag der Korallenriffe zur Primär­produktion.

Die enge Partnerschaft von Pilzen und Landpflanzen besteht vermutlich seit der Eroberung des Landes im ausgehenden Silur. Für Primärproduktion und Stoffkreislauf in der Biosphäre ist diese Symbiose von Höhe­ren Pflanzen und Pilzen (Mykorrhiza) besonders wichtig. Man nimmt an, dass My­korrhizapilze 10 bis 20% der fotosynthetischen Primärproduktion von Pflanzen aufnehmen, das sind bis zu 2 x1013 kg pro Jahr. Besondere Bedeutung haben Mykorrhiza-Pilze für de Phosphor- und Stickstoff-Kreislauf in Ökosystemen . (vgl. Agerer, UB         ), Sie stellen eine Kurzschluss artige Verbindung zwischen orga­nischen Abfallstoffen und Primärproduzenten her. Dadurch kann der Export dieser Ele­mente aus Ökosystemen deutlich verringert werden. Wie Perakis und Hedin (2002, S. 416-418) nachweisen konnten, ist der Austrag an anorganischem Stickstoff in na­turnahen, vom Menschen wenig beeinflussten Regenwäldern des gemäßigten Süd­amerika viel geringer als in entsprechenden, stark vom Menschen beeinflussten Wäldern Nordamerikas (Abb.     ) . Dies könnte darauf hindeuten, dass es in diesen Wäldern kaum zu einer totalen Remineralisierung von Stickstoffverbindungen kommt. Ähnli­ches dürfte für Phosphorverbindungen gelten.

 Die Verbreitung von Mykorrhizapilzen ist viel größer, als man dies ursprünglich angenommen hatte. So gilt als sicher, dass in tropischen Wäldern etwa 90 % aller Gehölze Mykorrhizen ausbilden. Da viele Pilze mit mehreren Baumarten Partnerschaften eingehen, ist nicht nur ein Stofftransport von einem Baum zum anderen sondern auch von einer Baumart zur anderen möglich. Besonders spektakulär ist in diesem Zusammenhang, dass durch Pilzwurzeln vermittelt auch Pflanzen existieren können, die kein Chlorophyll mehr bilden und dann als reine Parasiten auf den Pilzen leben. So findet man das bleiche Wintergrüngewächs Fichtenspargel unter Fichten und Buchen. Vermittelt durch einen Mykorrhizapilz lebt der Fichtenspargel von der Primärproduktion der Buchen bzw. Fichten.

Schließlich können Pilze auch tierische Eiweißquellen für Höhere Pflanzen erschlie­ßen, die sonst nur den Extremspezialisten – den sogenannten Carnivoren oder In­sektivoren – vorbehalten bleiben. So konnte nachgewiesen werden, dass Laccaria bicolor (Zweifarbiger Lacktrichterling) Springschwänze (z.B. der Art Folsomia can­dida) „fressen“ kann. Der Pilz immobilisiert die Springschwänze zunächst. Dann dringt das Mycel in deren Körper ein und fängt an, sie zu „verdauen“. Da Laccaria gleichzeitig mit Waldbäumen eine Mykorrhiza eingeht, werden tierliche Stickstoffver­bindungen über den Pilz an die Bäume weitergegeben. Durch 15N-Isotopenmarkie­rung konnte nachgewiesen werden, dass bis zu 25 Prozent des pflanzlichen Stick­stoffs aus Springschwänzen stammen, die von Laccaria gefressen wurden. Als Ge­genleistung versorgt der Baum den Pilzpartner mit Kohlenhydraten, auch mit sol­chen, die dann zu proteolytischen Enzymen umgebaut werden können (Klironomos, Hart 2001,p.651,652).

Untersuchungen an isolierten Rasenstücken ergaben, dass durch den von Mykorrhi­zapilzen vermittelten Stoffaustausch die Konkurrenz zwischen den Pflanzenarten vermindert wird. Dies führt dazu, dass die Zugangsmöglichkeiten zu Mineralstoffen ausgeglichen werden und dass die Koexistenz verschiedener Arten leichter ist. Eine Zunahme der Artenvielfalt ist die Folge (A.E. Douglas Symbiotic interactions 1994).

Auch im Zusammenhang mit Primärsukzessionen (Neubesiedelung von vorher ve­getations- bzw. organismenfreien Substraten etwa nach Vulkanausbrüchen oder beim Gletscherrückzug) können Symbiosen eine wichtige Rolle spielen. Dies gilt etwa für die Neubesiedelung von Gletschern freigegebener Felsflächen durch Flechten und anschließend durch Pflanzen, die in Symbiose mit Luftsticksoff – fixie­renden Bakterien leben. Genauere Untersuchungen in Glacer Bay/ Alaska, wo ein Gletscher sich in überlieferten Zeiträumen um etwa 100 km zurückgezogen hat, zeigt eine ständige Zunahme von Stickstoff in den Böden. Als Erstbesiedler an Höheren Pflanzen spielt die Silberwurz (Dryas) eine entscheidende Rolle. Sie enthält stick­stofffixierende Bakterien der Gattung Frankia. In der Folgezeit besiedeln Erlen, Wei­den und Pappeln die Gletscherrückzugsgebiete. Die endosymbiontischen Actinomy­ceten der Gattung Frankia können in Erlenbeständen bis zu 180 kg Stickstoff/ ha und Jahr fixieren (Abb. Grafik zur Stickstoffzunahme in Gletscherböden von Glacer Bay). In bestimmten limnischen Lebensräumen, z.B. in ostasiatischen Reisfeldern, dürfte die Stickstofffixierung durch mit dem Schwimmfarn Azolla zusammenlebenden Blau­grünen Bakterien der Gattung Anabena eine wichtige Rolle spielen (50 bis 150 kg Stickstoff/ ha und Jahr). In tropisch-subtropischen marinen Lebensräumen des pazi­fischen Raumes spielt die Diatomee Rhizosolenia mit endosymbiontischen Blaugrü­nen Bakterien eine ähnlich bedeutende Rolle beim Zugang des Ökosystems zur Luftstickstoffquelle.

Erst in jüngster Zeit beginnt man, die komplizierten Wechselwirkungen zu studieren, die zwischen den Mikroorganismen und dem höheren Leben der Ozeane bestehen. Die Bedeutung der Prokaryoten und insbesondere der ursprünglichen „Domäne“ der Archaea ist mengen- und massenmäßig in den Ozeanen viel bedeutender als lange Zeit angenommen. So ist reiches Archaea-Vorkommenie keineswegs auf die Umgebung der schwefelspucken­den Tiefseeschlote begrenzt. Vielmehr dürften sie 40 % der Tiefseeorganismen ins­gesamt ausmachen und die Tiefsee ist bei weitem der größte Lebensraum der Erde. Aber auch in oberflächennahen Wasserschichten der Ozeane spielen Archaebakte­rien eine große Rolle. Die zur Fotosynthese fähigen a-Proteobacteria machen vemutlich wenigstens 10 % aller Bakterien in den Ozeanen aus (Copley 2002)  und sie sind damit für  ca. 5 % der Fotosynthese bedingten Primärproduktion verantwortlich. Dabei läuft ihre Fotosynthese allerdings etwas anders ab. Sie produzieren nämlich keinen Sauer­stoff, sondern verwerten den bei der Fotosynthese freigesetzten Sauerstoff sofort wieder für eigene Synthesen. Außerdem nutzen sie Lichtenergie, um organische Verbindungen abzubauen (Fotoheterotrophie). Diese Fähigkeit, von der man bis vor kurzem nichts wusste, hat bedeutende Auswirkungen für den Kohlenstoffkreislauf und die mögliche Bedeutung der Ozeane als Kohlenstoffsenke. Ein großer Teil des Kohlen­stoffdioxids, das in den Ozeanen durch die Fotosynthese fixiert wird, bleibt – wenn die Planktonorganismen absterben – in gelöstem oder suspendiertem organischem Ma­terial zurück. Dieses organische Material dürfte in größerer Menge als bisher ange­nommen von Proteobakterien genutzt werden. So tragen diese Prokaryoten dazu bei, dass der Kohlenstoff stärker als bisher angenommen in den oberen Wasser­schichten bleibt – eine schlechte Nachricht für diejenigen, die bisher hofften, dass übermäßiger Anstieg des Kohlenstoffdioxidgehaltes der Atmosphäre durch die Ozeane ausgeglichen werden kann. Wie neue Arbeiten zeigen, gibt es noch eine große Zahl anderer Prokaryoten mit außergewöhnlichen Stoffwechsel- und Fotosyn­thesewegen, die bisher noch nicht erforscht sind und die eine Vielzahl neuer Bezie­hungen und Stoffflussschleifen erwarten lassen, die das Zusammenspiel in dem von Planktonorganismen bestimmten Ökosystem der freien Ozeane viel komplizierter erscheinen lassen wird, als dies bisher angenommen wurde. So dürfte die von Halobakterien als Fotergie bekannte Erscheinung, bei der Sonnenlicht über Rhodopsin und verwandte Pigmente als Energiequelle für eine Membran-Protonenpumpe genutzt wird, in oberflächennahen marinen Habitaten weit verbreitet sein. Auch die Bedeutung Stickstoff-(N2)-fixierender Prokaryoten in marinen Ökosystemen ist vermutlich unterschätzt worden. So dürfte insbesondere die Zahl der entocytosymbiotischen Stickstofffixierer in den einzelligen Planktonalgen eine viel größere Rolle spielen als bisher angenommen (Zehr 1998). Auch Viren sind häufig in marinen Ökosystemen. Sie können bei Algenblüten regulierend wir­ken. Wenn die virusbefallenen Zellen solcher großen Algenblütengebiete plötzlich sterben, setzen sie eine große Menge organischer Materie frei. Auf diese Art und Weise können Viren möglicherweise zur plötzlichen massenhaften Freisetzung von Dimethylsulfid (DMS) beitragen. Wie zum ersten Mal von Lovelock nachgewiesen, fördert DMS in der Atmosphäre die Wolkenbildung und erhöht damit die Menge der an der Atmosphäre reflektierten Sonnenstrahlen. Dies kann eine deutliche Abkühlung des Erdklimas bedeuten. Es ist durchaus naheliegend, anzunehmen, dass die große Stabilität der Biosphäre solchen mikrobiellen Wechselwirkungen zu verdanken ist. Im Kleinen kennt man solche eng  kooperierende Mikrobensysteme, in denen sich die einzelnen Bestandteile gegenseitig stabilisieren, z.B. von denen von Kefir oder Kombucha.

Eine besondere Form der Wechselwirkung ist der durch Viren vermittelte horizontale Gentransfer. Auch diese Form der Wechselwirkung wurde vermutlich in der Vergangenheit eher unterschätzt.

Menschliche Macht, Mitgefühl und Zukunftsfähigkeit

Je höher entwickelt das Nervensystem und das Lern- und Erinnerungsvermögen ei­ner Tierart, desto flexibler und anpassungsfähig kann auch das Sozialverhalten wer­den. Junge werden „geprägt“, Kinder lernen von ihren Eltern, schließlich können sich sogar Traditionen herausbilden. An der Spitze dieser Entwicklung stehen zweifellos die Primaten und schließlich die Menschen.

Sicherlich wirkt sich dies auch auf das Kooperationsverhalten aus. So konnte durch Computersimulationen nachgewiesen werden, dass kooperatives Verhalten den kooperierenden Individuen Selektionsvorteile bringt, wenn die Individuen innerhalb einer Population erkennen können, ob andere Individuen kooperationsbereit sind oder nicht. Dies setzt ein hochdifferenziertes Wahrnehmungsvermögen voraus.  (Sigmund, Nowak 2001, 403,404).

Auch die sogenannte Altruistische Bestrafung (Altruistic punishment, Fehr, Gächter, 2002, 137-140) stellt eine Verhaltensweise dar, die Altruismus fördert: Sie beschreibt ein typisch menschliches Verhalten gegenüber Individuen, die agressiv ihre eigenen Interessen verfolgen. Solche Individuen werden bestraft, auch wenn der Strafende davon keinen direkten eigenen Vorteil hat.  Diese Verhaltensweise setzt voraus, dass man sich relativ gut in andere Individuen hineinversetzen kann – eine Fähigkeit  die Menschen in höherem Maße haben als andere Arten.

Wahrnehmungsfähigkeit und Gehirn gestatten es den Menschen, sich ein Bild ihrer Umwelt zu machen, das planvolles und gezieltes Handeln erlaubt. Die abstrakte Sprache macht es möglich, sich intensiv und detailliert mit anderen Menschen auszutauschen, Erkenntnisse, Einsichten, Erfahrungen und Ideen weiterzugeben. Die Schrift und seit Kurzem die elektronischen Medien erlau­ben eine Konservierung von Information und in Zukunft vielleicht auch eine enge Ko­operation von Gehirnen und Systemen der elektronischen Datenverarbeitung. So wird von manchen Informatikern eine Symbiose zwischen menschlichem Gehirn und Maschine angedacht: „Schließlich werden wir darangehen die externen Hilfsmodule mit dem Gehirn zu verbinden – beispielsweise durch Millionen mikroskopischer Elek­troden; man könnte sie in das große Faserbündel namens Corpus callosum implan­tieren, das als gewaltiger Datenbus die beiden Gehirnhälften miteinander verbindet.“ (Minsky 1994).

Mit Hilfe seines Gehirns kann der Mensch Szenarien in Gedanken durchspielen, die Folgen bestimmter Handlungen vorhersehen. Dadurch, dass Beziehungen und Wechselwirkungen in die Zukunft projiziert werden, kann man ihre Folgen abschät­zen. Diese Modellbildungsfähigkeiten sind ein enormer Machtfaktor. Menschen nei­gen allerdings dazu, diese Macht zu überschätzen und damit gleichzeitig die Verant­wortung zu unterschätzen, die aus der Erkenntnisfähigkeit erwächst. Denn die Mo­delle, die eben doch nur Modelle und damit unvollkommene Bilder der Wirklichkeit sind, werden oft als ganz real genommen und man verlässt sich voll auf ihre Aussagen. So werden mit der Zunahme menschlicher Macht und Manipulationsmöglichkeiten die als Folgen menschlicher Eingriffe auftretenden Katastrophen immer größer und gefährlicher.

Vielleicht hilft ein Nebeneffekt unseres Weltbildapparates dabei, das richtige Maß zu finden: Er gestattet es den Menschen nämlich auch, sich in andere Indivi­duen hineinzuversetzen, die Welt „mit ihren Augen“ zu sehen. Diese Fähigkeit ist Voraussetzung für Mitgefühl, Mitleid und die Möglichkeit, sich mit Anderen zusammen zu freuen und damit die Voraussetzung für Wertempfin­den, Ethik und Moral.

Dabei betrifft Mitfühlen und Mitleiden  nicht nur Mitglieder der eigenen Art, sondern auch andere  Mitgeschöpfe. In ihrem Versuch „Leben“ zu beschreiben und verständlich zu machen weisen Lynn Margulis und Dorian Sagan  besonders auf dieses menschliche Bewusstsein hin, das im Grunde ein Bewusstsein der Biosphäre oder des gesamten Lebens der Erde dar­stellt, da es allmählich mit der Evolution gewachsen ist. „In diesem Sinne ist das in­tuitive Wissen und Werden, nach dem jedes Einzelbewusstsein eine Illusion ist und wir alle einem einzigen Urgrund, nämlich Brahman angehören, vielleicht völlig richtig: Nicht nur unsere chemische Zusammensetzung ist ein gemeinsames Erbe, sondern auch unser Bewusstsein und die Notwendigkeit in einem Kosmos zu überleben, der aus der gleichen Materie besteht wie wir, der aber unserem Leben und unseren Be­langen gleichgültig gegenübersteht.“ (Margulis, Sagan 1997).

Literatur

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Exkursionsangebot für die PH Weingarten im Sommersemester 2021

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Liebe Exkursionteilnehmer*innen,

auf dieser Seite findet ihr alle wichtigen Informationen zum Exkursionsangebot im Rahmen der Veranstaltung „Regionale außerschulische Lernorte Oberschwabens“.

In der folgenden Übersicht haben wir die geplanten Exkursionsorte und -zeiten angegeben. Sollten einige Teilnehmer*innen auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen sein, müssen wir die Exkursionsziele eventuell ändern. Dies werden wir auf der ersten Veranstaltung in Oberteuringen klären.

Ausrüstung: Außer einer exkursionsgerechten Kleidung

  • Schreibzeug und Notizbuch
  • Mobiltelefon mit Fotofunktion,
  • Botanikerlupe und Fernglas
  • Behälter (Stofftasche oder Plastikbeutel; kleine Sammelbehälter ) zum Unterbringen von Sammlungsstücken
  • eventuell eine Sitzunterlage für Pausen im Gelände

Studienleistungen: Portfolio zu den Exkursionen, in dem zu jeder Exkursion mindestens zwei Objekte, Themen, Aktivitäten … beschrieben und kommentiert werden. Bei den Objekten können auch Scans oder Fotos verwendet werden, sodass auch ein digitales Portfolio möglich ist.

Artenkenntnis : Wichtiges Ziel der Exkursionen ist die Verbesserung der Artenkenntnis. Deshalb werden auf jeder Exkursion von zwei Teilnehmenden alle angesprochenen Arten notiert. Sie werden anschließend auf dieser Homepage veröffentlicht.

Kommentare und Fragen sind erwünscht, während den Exkursionen, als Kommentar auf dieser Seite oder per E-Mail. Wenn sie Pflanzen- oder Tierarten betreffen, ist ein beigefügtes Foto hilfreich.

Die erste Veranstaltung findet am 8. Mai in Oberteuringen statt. Von Weingarten/Ravensburg aus ist der Ort über die B 33 (Richtung Meersburg) zu erreichen. Außerdem gibt es eine Busverbindung von Ravensburg nach Oberteuringen, die ihr unter folgender URL finden könnt:

https://www.rome2rio.com/de/map/Ravensburg/Oberteuringen

https://www.rome2rio.com/de/map/Oberteuringen/Ravensburg

Auf die Exkursionen freuen sich Sabrina Brendle und Wilfried Probst.

Übersicht über die Exkursionsorte und -termine

Exkursionsorte, geändert am 8.5.2021
ZeitTreffpunktThemen
8.5.21 13.30-17.30hOberteuringen, Franz-Roth-PlatzBaumgeschichten; Bestimmungsschlüssel; Suchen und Finden; Kletterpflanzen; Wiese
15.5.21 10.00-14.00  Weingarten, FreibadNatur wahrnehmen und erleben
29.5.21 13.30-17.30hOberteuringen, NSG Altweiherwiese*Landschaftsgeschichte; Gräser; Zeigerwerte von Pflanzen; Saumbiotope; Biber
12.6.21 10.00-1400h    Völlkofen, GrillhütteWildkräuter und ihre Verwendung
3.7.21 13.30-17.30hWilhelmsdorf, NaturschutzzentrumInsekten, Landschaftsgeschichte:Hoch- und Niedermoor
24.7.21 18.30-22.30hWilhelmsdorf, NaturschutzzentrumFledermäuse
* geändert am 8.5.2021

8. Mai 2021 Oberteuringen

Anfahrt zum Treffpunkt in Oberteuringen, Franz-Roth-Platz

1. Von Ravensburg auf der B 33 Richtung Meersburg bis Oberteuringen, Ortsteil Hefigkofen und weiter bis Ortsteil Neuhaus.

2. In Neuhaus an der ersten Kreuzung  links in die Teuringer Straße abbiegen.

3. Der Straße bis zum Ortsschild „Oberteuringen“und bis zur 30iger Zone folgen, dann erste Abzweigung  links zum Parkplatz  „Franz-Roth-Platz“ abbiegen.

Vorlagen: Google maps

Oberteuringen

Foto W.Probst

Oberteuringen  ist ein Beispiel für die lange Besiedelungsgeschichte Oberschwabens und des Bodenseegebietes. Die älteste Urkunde, welche die Existenz der Siedlung Teuringen belegt, stammt aus dem Jahre 752. Dabei handelt es sich um einen Beleg für die Schenkung Teuringens und einiger anderer Siedlungen an das Kloster St. Gallen. Eine solche lange Geschichte ist durchaus charakteristisch für Ortschaften deren Namen mit – ingen endet. Dabei handelt es sich um alemannische Siedlungen die vermutlich im fünften und sechsten Jahrhundert gegründet wurden und mit denen die intensivere landwirtschaftliche Bewirtschaftung Oberschwabens begann. Diese lange Siedlungsgeschichte war landschaftsprägend. Rund um die vielen kleinen Ortschaften, Weiler und Einzelhöfe ist eine reich strukturierte Landschaft entstanden. Große zusammenhängende Waldgebiete sind selten, auch die landwirtschaftlichen Flächen sind meist kleiner strukturiert. Erst die Industrialisierung in jüngerer und jüngster Zeit hat viele Ortschaften durch Gewerbegebiete und neue Wohngebiete sehr anwachsen lassen. Das gilt auch für Oberteuringen, das mittlerweile über 5000 Einwohner zählt und gerade neue Bebauungspläne aufstellt.

Ein Grund dafür, dass der erste außerschulische Lernort  unserer Exkursionen ein solcher aus biologischer Sicht eher durchschnittlich erscheinender Ort Oberschwabens ist und nicht ein spektakuläres Naturschutzgebiet wie der Federsee oder das Wurzacher Ried, liegt daran, dass wir zeigen wollen, dass ergiebige außerschulische Lernorte eigentlich überall zu finden sind, ein zweiter, dass ich seit 14 Jahren in Oberteuringen wohne.

Literatur: Sanktjohanser, G. K. -Hrsg. (2002): Obeteuringen – Ein Streifzug durch die Jahrhunderte. Gemeinde Oberteuringen

Rotach bei Oberteuringen (Foto W. Probst)

Oberteuringen liegt an der Rotach, etwa in der Mitte ihres knapp 40 km langen Laufes über etwa 225 Höhenmeter vom Pfrunger-Burgweiler Ried bis zum Bodensee bei Friedrichhafen. Nach Argen und Schussen ist die Rotach der dritte größere Zulauf in den nordöstlichen Bodensee. Dieser kleine Fluss macht in Oberteuringen einen durchaus naturnahen Eindruck, der aber vor allem Renaturierungsmaßnahmen zu verdanken ist. Ursprünglich standen an der Rotach 22 Mahl- und Sägemühlen, die Oberteuringer Mühle beherbergt mittlerweile das Teuringer Kulturzentrum. Das Betreiben dieser Mühlen erforderte viele wasserbauliche Maßnahmen mit Stauwehren und Kanälen, die den natürlichen Bachlauf stark veränderten.

Gefälle der Rotach (aus Wikipedia)

Besondere Bäume am Sankt Martinsplatz

Der heutige Kirchenbau Sankt Martinus stammt aus der Zeit 1516/1517, der Ort war aber schon lange vorher der Standplatz einer christlichen Kirche. 1846 erhielt der Kirchturm seine heutige weithin sichtbare, über 60 m hohe Spitze. Der Platz zwischen Kirche und Rathaus, der Sankt Martinsplatz, ist das Zentrum Oberteuringens.

Unser Interesse galt vier besonderen Baumarten am Sankt Martinsplatz. Jeweils eine Gruppe beschäftigte sich kurze Zeit mit einer der Arten und versuchte, sie in einer möglichst kurzen Form eindeutig zu charakterisieren. Zwei „ahnungslose“ hielten sich während dessen außer Sichtweite auf. Dann versammelten sich alle vor dem Rathaus und die Gruppen charakterisierten ihren Baum. Alle vier Bäume wurden – es war zugegebenermaßen nicht sehr schwierig – sofort erkannt.

Gewöhnlicher Trompetenbaum (Catalpa bignonioides)

Trompetenbaum am 8.5.2021, Foto A.Winter
Trompeebaum im Juni, Foto W. Probst

Weitere Namen: Zigarrenbaum, Bohnenbaum; der Name ist aus der Sprache der Cherokee übernommen und bedeutet „Bohnenbaum“.

Heimat: Südosten der Vereinigten Staaten, vor allem in Auwäldern und an Flussufern, 1726 durch den englischen Naturforscher Mark Catesby (1683-1749) von Carolina nach Europa gebracht.

Der Baum kann 15-18 m hoch werden. Alte Trompetenbäume bilden Absenkeräste, die einwurzeln (auf der Insel Mainau zu sehen!) und damit der Ausbreitung dienen.

Die herzförmigen bis schwach gelappten, glattrandig Blätter treiben erst sehr spät aus. Beim Zerreiben riechen sie unangenehm. In letzter Zeit kommt es in Deutschland zur Auswilderung, was vermutlich mit der Klimaerwärmung zusammenhängt.

Das Verbreitungsgebiet von Catalpa deckt sich etwa mit dem ursprünglichen Siedlungsgebiet Chirokee und vier weiterer Indianerstämme, die wegen ihrer Anpassung an die Lebensweise der Kolonisten auch als die „ Fünf zivilisierten Nationen“ bezeichnet wurden. Sequoyah (1763-1843), Sohn einer Cherokee-Indianerin und eines europäischen Händlers erfand die Cherokee Schrift, die heute noch für die Cherokee-Sprache verwendet wird. Der Mammutbaum Sequoia sempervirens wurde nach ihm benannt. Der Vertrag von New Echota von 1835 führte zur Vertreibung der Cherokee aus dem südöstlichen Waldland in Carolina und Georgia in ein karges Territorium im Staate Oklahoma. Bei dieser gewaltsamen Umsiedlung, die als „Trail of Tears“ in die Geschichte eingegangen ist, kamen vermutlich um die 8000 der Deportierten ums Leben (teilweise nach Wikipedia).

Purpur-Magnolie (Magnolia liliiflora)

Purpur-Magnolie – Magnolia liliiflora, 8.5.2021,Foto A. Winter

Heimat: China (Prov. Yunnan und Hubei); als Zierbaum in China weit verbreitet.

Das Gehölz ist meistens fast von der Basis an verzweigt und erreicht etwa 5m Wuchshöhe. Die Krone ist meist breit, Stamm und Äste sind oft unregelmäßig gekrümmt. Die Zweige sind hellgrau bis braun und nicht behaart. Auch an dickeren Stämmen bleibt die graue Rinde glatt.

Die Magnolien (Magnolia) sind eine Pflanzengattung der Familie der Magnoliengewächse mit über 200 Arten in Ostasien und Nordamerika. Ihren Namen gab ihr Linné zu Ehren des französischen Botanikers Pierre Magnol (1638–1715). Einige Magnolien haben sind beliebte Ziergehölze vor allem die Stern-Magnolie und die Tulpen-Magnolie, ein Hybrid aus Magnolia denudata und Magnolia liliiflora.

Magnolien sind sehr ursprüngliche Blütenpflanzen. Bei einer auf genetischen Analysen beruhenden Rekonstruktion einer Urblüte kam eine Blüte heraus, die dem Habitus der heutigen Magnolienblüten sehr ähnlich sieht.

Rekonstruktion einer Urblüte nach Sauquet, H. et al. (2017): The ancestral flower of angiosperms and its early diversification.Nature communications, DOI: 10.1038/ncomms16047

Gewöhnlicher Judasbaum (Cercis siliquastrum)

Gewöhnlicher Judasbaum – Cercis siliquastrum am Martinsplatz in Oberteuringen, 8.5.2021, Foto A. Winter

Heimat: Südeuropa bis Vorderasien

Angeblich hat sich Judas an einem solchen Baum erhängt. Andere Namen: Salatbaum, Liebesbaum, Stammhülsenbaum

Die Gattung hat einen Verbreitungsschwerpunkt in China (5 Arten), 4 Arten kommen in Nordamerika und eine in Zentralasien vor.

Typisch ist die Kauliflorie (Stammblütigkeit). Die biologische Erklärung ist, dass dies auch schwerere Tiere wie Kleinsäugern und Vögeln die Bestäubung ermöglicht. Kauliflore Pflanzen gibt es fast nur bei tropischen Pflanzen.

Gemeindemitteilungen Oberteuringen,20.11.20

Aus unserer Gemeinde

Der von Michaela und Manuel Knöpfler gespendete Cercis reniformis (= C. canadensis*) -Baum, auch Ju-dasbaum genannt, verschönert ab sofort den Vorplatz der Kirche St. Martin und soll als Zeichen des Lebens gerade in diesen Zeiten Mut machen. Auch wenn der Baum ausgerechnet den Namen des Jün-gers trägt der Jesus verraten und an die Römer ausgeliefert hat, nahm Jesus Schicksal durch ihn seinen Lauf. Mit seiner Auferstehung finden wir heute Hoffnung im Glauben auf das ewige Leben. Der Baum steht zwischen 2 Bänken, die bereits im Jahr 2011 ebenfalls von Michaela und Manuel Knöpfler gespendet wurden. Diese laden zum Innehalten ein und ermöglichen den Blick auf die wunderschöne Kirche St. Martin.

*Die Blattform spricht dafür, dass es sich bei der Art um Cercis siliquastrum handelt (W. Probst)

In dem gemulchten Beet, in dem der Judasbaum steht, entdeckten wir den Fruchtkörper einer Spitz-Morchel (Morchella elata).

Spitz-Morchel (Morchella elata) unter dem Judasbaum neben der Martinskirche in Oberteuingen; man beachte die Feuerwanze(!), 9.5.2021 (Foto S. Probst)

Lawsons Scheinzypresse, Oregon-Scheinzypesse (Chamaecyparis lawsoniana)

(nach dem schottischen Botaniker Peter Lawson benannt)

Oregon-Scheinzypresse (Chamaecyparis lawsoniana) am St. Martinsplatz in Oberteuringen, 9.5.2021, Foto W. Probst

Heimat: Südwest-Oregon und Nordwest-Kalifornien.

Der Unterschied zu den Echten Zypressen (Cupessus) besteht darin, dass Scheinzypressen stärker abgeflachte Zweige und zweierlei schuppenartige Blätter sowie kleinere, kugelige Zapfen besitzen und Samen früher reifen. Die ebenfalls sehr ähnlichen Lebensbäume (Thuja) haben im Gegensatz zu den Scheinzypressen kleine, längliche Zapfen. Die etwa fünf Arten (Chamaecyparis) sind in den nördlicheren Breiten Nordamerikas und Ostasiens verbreitet. Die Oregon-Scheinzypresse kann in ihrer Heimat bis 65 m hoch werden – so hoch wie der Kirchturm von St. Martin!

Das hellgelbe, harzfreie Holz wird für Schiffsbau und Möbel verwendet. In Europa ist der Baum, von dem es zahlreiche Sorten gibt, ein häufiges Ziergehölz. Mittlerweile gibt es wild wachsende Vorkommen.

Artenarmut mitteleuropäischer Wälder im Vergleich mit Nordamerika und Ostasien

In Mitteleuropa gedeihen viele Gehölzarten aus Nordameria oder dem nördlichen Ostasien, die dort unter ähnlichen Klimabedingungen wie hier existieren können. Dies hängt damit zusammen, dass die Waldvegetation Mitteleuropas während der vor etwa 2,6 Millionen Jahren beginnenden Kaltzeiten fast vollständig vernichtet wurde. Im Gegensatz zu Ostasien und Nordamerika, wo die Hauptgebirgsketten vorwiegend von Norden nach Süden verlaufen,war der Vegetation Mitteleuropas beim Vordringen der kaltzeitlichen Gletscher ein Rückzug nach Süden durch die Alpenkette weitgehend versperrt. Darin sieht man den Grund dafür, dass die mitteleuropäische Gehölzvegetation sehr viel artenärmer ist, als die entsprechenden Pflanzengesellschaften in Nordamerika und Ostasien. Im Pliozän, vor dem Beginn der Kaltzeiten (des Pleistozäns) kamen viele der heute bei uns angepflanzten Arten oder nahe Verwandte dieser Pflanzen auch in Mitteleuropa vor. Dies ist ein Argument mancher Forstleute, nun in Mitteleuropa die Aufforstung mit amerikanischen und asiatischen Baumarten zu versuchen, die mit dem Klimawandel besser zurechtkommen könnten.

Gehölze an der Rotach

Im Ortsgebiet von Oberteuringen wird die Rotach von einer Vielfalt einheimischer Gehölze gesäumt. Wir lernten sie kennen, indem wir für sie einen Bestimmungsschlüssel bastelten.

Diese Blattmerkmale werden auf einem weißen Laken ausgelegt.

Die Aufgabe besteht nun zunächst darin, zu jedem der sechs hier grün markierten Endpunkte des Bestimmungsganges Beispiele zu finden. Alle Blätter, die zu einer Art gehören, werden auf einem Haufen angeordnet. Anhand der gefundenen Blätter werden mögliche Merkmalsalternativen zur weiteren Bestimmung besprochen. Alle Arten werden mit Namen beschriftet.

Fotos A. Winter

Seifenkraut (Saponaria offcinalis)

Am Wegrandentdecken wir einen großen Bestand des Seifenkrautes. Das Nelkengewächs wird von einer Teilnehmerin, die sich sehr gut auskennt, entdeckt, obwohl die zart rosavioletten Blüten noch lange nicht entwickelt sind. Der Name der Pflanze weist auf ihre frühere Verwendung als Seifenersatz hin. Alle Pflanzenteile insbesondere die Wurzelstöcke enthalten Wasseroberflächen-entspannende Triterpensaponine. Wir zerreiben einige Triebe und schütteln Sie in einem Behälter mit Wasser und wir können die Schaumbildung beobachten.

Seifenkraut-Extrakte werden bis heute bei der schonenden Reinigung von alten Textilien und Möbelstücken verwendet (Wikipedia).

Foto A. Winter

Suchen und finden

Alle Teilnehmenden erhalten eine Suchkarte für eine Pflanzenart:

Die Arten werden ziemlich schnell gefunden: Bär-Lauch (Allium ursinum), Winter-Schachtelhalm (Equisetum hiemale), Einbeere (Paris quadrifola), Schuppenwurz (Lathraea squamaria). Letztere ist ein völlig Chlorophyll-freier Parasit an Laubbäumen.

Schuppenwurz – Lathraea squamaria – an der Rotach bei Oberteuringen, Foto W. Probst

Kletterpflanzen

Je höher eine Pflanze wächst, desto kräftiger muss ihr Stamm sein. Aber das gilt nicht für alle! Kletterpflanzen nutzen die Stabilität ihrer Unterlagen.

Bei der Brücke über die Rotach wachsen zwei Kletterpflanzen-Arten, die verholzte Liane Gewöhnliche Waldrebe (Clematis vitalba) und der krautige, jedes Jahr neu aus dem unterirdischen Wurzelstock auswachsende Echte Hopfen (Humulus lupulus). Die Waldrebe hält sich mit ihren rankenden Blattstielen an der Unterlage fest, der Hopfen windet mit seiner Sprossachse um die Unterlage, und zwar so, dass in der Seitenansicht ein S zu erkennen ist (Rechtswinder). Diese Richtung des Winden ist bei Kletterpflanzen im allgemeinen genetisch festgelegt, d. h. die Pflanzen können nur nach rechts oder nach links winden. Bei Linkswindern erkennt man in der Seitenansicht ein  Z.

Lianen können hoch in Bäume hinaufklettern und viel Laubwerk entwickeln, dabei bleiben ihre Sprossachsen viel dünner als die Stämme der Bäume. Sie müssen aber fast gleich viel Wasser transportieren. Deshalb ist es wichtig, dass ihre Wasserleitungsbahnen sehr effektiv sind. Lianen haben deshalb die weitesten Tracheen aller Pflanzen (Durchmesser bis 0,7 mm). Auch die Leitungsbahnen der Waldrebe kann man schon mit bloßem Auge sehen. Wir schneiden einen etwa 1,50 m langen Sprossabschnitt der Waldrebe heraus: es gelingt ohne Mühe, durch diesen Stab Luft in ein Wasserglas zu blasen. Bei der Erweiterung der Leitungsbahnen gibt es allerdings eine Grenze: Werden die Durchmesser zu groß, reichen die Adhäsion und Kohäsionskräfte der Wassermoleküle nicht mehr aus um den hydrostatischen Unterdruck auszugleichen. Es bilden sich Luftblasen und die Wassersäule reist ab („Gasembolie“).

Spross der Gewöhnlichen Waldrebe- Clematis vitalba – quer- mit großlumigen Tracheen, Foto A. Winter

Wiesen

Wiesen und Weiden sind in unserem Klima fast ausschließlich Folgen landwirtschaftlicher Nutzung. Sie können sich nur halten, wenn sie regelmäßig von Weidetieren abgefressen oder gemäht werden. Aber sie machen mittlerweile in Mitteleuropa 50 % der landwirtschaftlich genutzten Fläche und 20 % der Gesamtfläche aus. Die Art der Bewirtschaftung ist für die Biodiversität entscheidend.

Typisch für Wiesen ist ihre Schichtung. Ähnlich wie die Frühjahrsblüher im Wald so haben die Wiesenpflanzen der Unterschicht ihre beste Entwicklungsmöglichkeiten im Frühjahr, wenn die Wiese noch nicht hoch gewachsen sind.

Wir sortieren die Wiesenpflanzen nach der Zugehörigkeit zur Unterschicht, Mittelschicht und Oberschicht.

Schichten einer Wiese

Die ersten Landlebewesen

Kolonie von Nostoc commune

Auf dem Weg zurück zum Ortszentrum bzw. zum Franz-Roth-Platz kommen wir an eine vertetene ziemlich feuchte Wegstelle mit eigenartig schwärzlichen Belägen, die mit Wasser zu olivfarbenen Gallertklumpen aufquellen. Es handelt sich um das Blaugrüne Bakterium Nostoc. So ähnlich könnten die ersten Lebewesen ausgesehen haben, die vor mehr als 3 Milliarden Jahren das Festland besiedelten.

Foto W. Probst

Artenliste

(Zusammengestellt von Jennifer Friedrich)

Bäume auf dem Kirchplatz:

Trompetenbaum (Catalpa bignonioides)

Purpur-Magnolie (Magnolia liliflora)

Judasbaum (Cercis siliquastrum)

Lawsons Scheinzypresse (Chamaecyparis lawsoniana)

Im Beet beim Judasbaum:

Vielblütige Weißwurz (Polygonatum multiflorum)

Spitz-Morchel (Morchella elata) – Schlauchpilz

Bäume und Sträucher aus dem Bestimmungquiz:

Blätter gefiedert:

Schwarzer Holunder (Sambucus nigra)

Gemeine Esche (Fraxinus excelsior)

Echte Walnuss (Juglans regia)

Blätter handförmig gelappt:

Spitz-Ahorn (Acer platanoides)

Berg-Ahorn (Acer pseudoplatanus)

Feld-Ahorn (Acer campestre)

Gemeiner Schneeball (Viburnum opulus)

Gemeiner Efeu (Hedera helix)

Blätter nicht handförmig gelappt:

Stiel-Eiche (Quercus robur)

Blätter nicht gelappt, Rand glatt:

Roter Hartriegel (Cornus sanguinea)

Weide – Salix spec.

Rote Heckenkirsche (Lonicera xylosteum)

Gewöhnlicher Liguster (Ligustrum vulgare)

Blätter nicht gelappt, gesägt/gezähnt:

Berg-Ulme (Ulmus glabra)

Gewöhnliche Traubenkirsche (Prunus padus)

Schwarz-Erle (Alnus glutinosa)

Eberesche (Vogelkirsche) (Sorbus aucuparia)

Gemeine Hasel (Corylus avellana)

Europäisches Pfaffenhütchen (Euonymus europaeus)

Weitere Arten:

Selbstkletternde oder Fünfblättrige Jungfernrebe – (Parthenocissus quinquefolia) Gewöhnliches Seifenkraut (Saponaria officinalis)

Gewöhnlicher Giersch (Aegopodium podagraria)

Wasseramsel (Cinclus cinclus) – haben wir auf der Exkursion zwar nicht gesehen, kann hier aber regelmäßig beobachtet werden. Immer wieder hörten wir den Gesang von Amsel, Buchfink, Zilp-Zalp (Weidenlaubsänger) und Mönchsgrasmücke

Kletterpflanzen

Echter Hopfen (Humulus lupulus) (S-Winder)

Gewöhnliche Waldrebe (Clematis vitalba) (Z-Winder; außerdem dienen die Blattstiele und Spindeln zwischen der Fiedern als Ranken)

Suchspiel mit Karten:

Gewöhnliche Schuppenwurz (Lathraea squamaria)

Vierblättrige Einbeere (Paris quadrifolia)

Winter-Schachtelhalm (Equisetum hyemale)

Bär-Lauch (Allium ursinum)

Auf der Streuobstwiese:

Oberes Wiesenstockwerk/Wiesenschicht:

Wiesen-Sauerampfer (Rumex acetosa)

Scharfer Hahnenfuß (Ranunculus acris)

Wiesen-Labkraut (Galium mollugo)

Stumpfblättriger Ampfer (Rumex obtusifolius)

Gold-Kälberkropf (Chaerophyllum aureum)

Gewöhnliches Knäuelgras (DactylIs glomerata)

Mittelschicht:

Gewöhnliches Ruchgras (Anthoxanthum odoratum)

Wiesen-Schaumkraut (Cardamine pratensis)

Wiesen-Rispengras (Poa pratensis)

Unterschicht:

Gewöhnlicher Löwenzahn (Taraxacum sect. Ruderalia) (Taraxacum officinale)

Zaun-Wicke (Vicia sepium)

Wiesen-Klee (Rotklee) (Trifolium pratense)

Faden-Klee (Kleiner Klee) (Trifolium dubium)

Kleine Braunelle (Prunella vulgaris)

Kriechender Günsel (Ajuga reptans)

Gundermann (Glechoma hederacea)

Scharbockskraut (Ficaria verna )

Kriechendes Fingerkraut (Potentilla reptans)

Quellen-Hornkraut (Cerastium fontanum)

Quendel-Ehrenpreis (Veronica serpyllifolia)

Faden-Ehrenpreis (Veronica filiformis)

Spitz Wegerich (Plantago lanceolata)

Auf dem Rückweg

Nostoc sp.; gehört zu den Cyanobakterien

15. Mai 2021 Weingarten

Treffpunkt: Eingang zum Freibad.

Natur wahrnehmen und erleben

„Wenn wir eine Gesellschaft schaffen wollen, die die Natur wirklich liebt und ihr mit Ehrfurcht begegnet, müssen wir den Mitgliedern dieser Gesellschaft Erlebnisse in der Natur anbieten, die ihr Leben verändern.“ Joseph Cornell

Längst ist bekannt, dass das reine Wissen über die Bedrohung und die Schutzwürdigkeit der Natur allein nicht ausreicht. Aus diesem Grund stand die Exkursion am 15. Mai 2021 unter dem Thema „Natur wahrnehmen und erleben“.

Innerhalb der 4 Stunden mussten die Studierende der Pädagogischen Hochschule alle ihre Sinne einsetzten. Der Tag begann zunächst mit kleineren Kennenlernspielen um wach zu werden und die eigene Konzentration hochzufahren.

Hören

Der erste Sinn, das Hören, wurde als erstes angesprochen. Die Studierende sollten bei der Aktion „Geräusche hören“ sich auf ihr Gehör verlassen und die Geräusche in ihrer Umwelt wahrnehmen. Schritt für Schritt wurden sie an die Aktion herangeführt. Zunächst durften sie einfach darauf los hören, danach wurden gezielte Aufgaben gestellt um das Gehör zu schulen. Die Studierende stellten mit erstaunen fest, dass es anfangs gar nicht so leicht war, mit etwas Übung die Geräusche jedoch lauter und deutlicher wurden.

Tasten

Der Tastsinn war als nächstes an der Reihe. Nachdem die einzelnen Teilnehmer einen Naturgegenstand in die Hand gelegt bekommen und diesen erfühlt hatten, gingen sie auf die Suche, ihren Partner mit dem gleichen Gegenstand zu finden. Hier stolperten die Studierende über die Schwierigkeit, die richtigen Worte für ihren Gegenstand zu finden. Aber auch hier wurden die Fähigkeiten schnell immer besser, sodass jeder seinen Partner fand, und sie zu Zweit in die nächste Aktivität konnten… „Bäume fühlen“.  Zunächst sollte jeweils einer des Teams, blind in den Wald geführt werden und durch „Schwingungen“ erfühlen, wo der nächste Baum sich befand. In der zweiten Runde durften die Teilnehmer einen Baum mit ihren Händen erfühlen und diesen so kennenlernen. Die Studierenden berichteten begeistert davon, dass es zwar nicht immer leicht war, aber jeder Baum dennoch etwas Einzigartiges an sich hatte, an dem man ihn durchaus wiedererkennen würde.

Sehen

Die dritte Aktivität zielte auf das Sehen ab. Mit der Aktion „Umwelt im Umschlag“ wurden die Studierenden gezielt mit konkreten Aufgaben los geschickt um ihre Umwelt zu untersuchen und Gegenstände mitzubringen. Bei der Nachbesprechung und der Entwicklung weiterer möglicher und interessanter Fragen, brachte Noemi (ich hoffe an dieser Stelle, den richtigen Namen genannt zu haben) die Idee ins Spiel, den Geruchsinn mit anzusprechen. „Sammle mindestens 5 Dinge, die typisch nach Wald riechen.“ Gesagt, getan…

Gleichgewicht

Der letzte Sinn an diesem Tag war der Gleichgewichtssinn. Mit dem Spiel „Der schlafende Geizhals“ sollten die Studierende einem schlafenden Geizhals, welcher mit einer Wasserspritzflasche bewaffnet war, auf möglichst leisen Sohlen, die Schokolade, die vor ihm auf dem Waldboden lag, abnehmen. Gar nicht so einfach, wenn es bei jedem Schritt und Tritt knackst und raschelt.

Resumee

Nach einer schnellen Runde „Luftballon-Resümee“ war der Tag auch schon wieder vorbei.

„Ich habe heute gelernt, ohne zu merken, dass ich etwas lerne.“

29. Mai 2021 Obrteuringen, NSG Altweiherwiese

Treffpunkt an der Unterführung der Straße nach Bibruck unter der L 329 nach Meckenbeuren

1. Anfahrt von Ravensburg bis Oberteuringen auf der B33 bis Oberteuringen Ortsteil Hefigkofen

2. Dort am Gasthaus Adler nach links abbiegen Richtung Meckenbeuren

3. Der Straße folgen bis zur Abzweigung einer kleinen Straße links nach Bibruck

Quelle: Google Maps

Zum Naturschutzgebiet Altweiherwiese

Das 78 ha große Naturschutzgebiet Altweiherwiesen wurde 1981 vom Regierungspräsidium Tübingen ausgewiesen. Es liegt nordöstlich von Oberteuringen auf einer Meereshöhe von rund 450 m.

Im späten Mittelalter legten hier Mönche des Klosters St. Gallen durch Aufstau des Taldorfer Baches in Höhe der heutigen L329 einen Fischweiher an. Mitte des 18. Jahrhunderts wurde der Teich abgelassen und die feuchten Niederungen wurden bis Mitte des 20. Jahrhunderts als Streuwiesen genutzt. Heute werden die Wiesen von Naturschutz regelmäßig gemäht und das Mähgut wird entfernt. Dadurch wird das Mineralstoffangebot niedrig gehalten und das Aufkommen von Gehölzen verhindert.

Das umgebende Landschaftsschutzgebiet „Altweiherwiese und Taldorfer Bach“ soll das Naturschutzgebiet gegen störende Einflüsse von der Umgebung abschirmen.

Zur Landschaftsgeschichte

Auf einer topographischen Karte und noch deutlicher in einem digitalen Geländemodell erkennt man, dass das Naturschutzgebiet Altweiherwiese in der Fortsetzung eines Tals liegt, dass eine Verbindung zwischen Schussenbecken und der Niederung südlich des Gehrenbergs darstellt. Dabei handelt es sich um eine alte Schmelzwasserrinne, die am Ende der letzten Kaltzeit vor etwa 15.000 Jahren am damaligen Gletscherrand entstand. Dieses Rückzugsstadium des Gletschers, das sich einige Zeit hielt und kleine Endmoränen ablagerte, wird auch als Konstanzer Stadium bezeichnet. Die Schmelzwasserrinne war ein Teil der Ur-Argen, in der sich die Schmelzwasser vom nördlichen Gletscherrand sammelten und dem damals schon in Teilen existierenden Überlinger See zuflossen. In der Schmelzwasserrinne kam es immer wieder zu kleinen Aufstauungen, und Seenbildungen und darin zu Ablagerungen von Feinmaterial. Dadurch entstanden gegen das eiszeitliche Schottermaterial abgedichtete Bereiche, über denen es zu Torfbildung kommen konnte.

Ausdehnung des Rheingletschers vor ca. 15 000 Jahren. Die Schmelzwasserrinne am nördlchen Gletscherrand dieses als Kostanzer Stadium bezeichneten Gletscherrand-Verlaufs bildete die heutige Niederung des NSG Altweiherwiese (Zeichnung nach T. Gittner aus F. Beran 2002)

Heute wird die breite Talniederung von dem kleinen Taldorfer Bach durchflossen

Gräser

Gräser sind keine besonders auffälligen Pflanzen. Als Windbestäuber fehlen ihnen auffällige Blüten. Auf den ersten Blick kann man deshalb die verschiedenen Arten nur schwer unterscheiden. Bei genauem Hinsehen lassen sich jedoch meistens gute Bestimmungsmerkmale finden.

Zunächst probieren wir, ob man Grasarten auch blind unterscheiden kann, wenn man sie im Gesicht fühlt oder mit den Fingern ertastet. Es zeigt sich dass dies erstaunlich gut funktioniert, insbesondere, da bestimmte Merkmale, die man leicht übersieht – wie samtige Behaarung oder feine Grannen – sich ganz gut ertasten lassen.

Dann werden die verschiedenen Bestimmungsmerkmale der Süßgräser (Familie Poaceae) mithilfe eines Puzzles und realen Gräsern vorgestellt:

Blütenstand und Blüte

Als Einheit der Grasblütenstände gilt das Ährchen, das aus einer bis vielen Blüten bestehen kann. Diese Ährchen sind charakteristischerweise in einer Rispe angeordnet, seltener können die einzelnen Ährchen auch direkt an der Hauptachse sitzen, dann spricht man von einem Ährengras. Manchmal sind die Listen Äste sehr kurz, sodass der Blütenstand – obwohl er stärker verzweigt ist – wie eine Ähre aussieht (Ährenrispengras).

Jedes Ährchen hat an der Basis zwei Hüllspelzen, dann folgt vor jeder Blüte des Ährchens eine Deckspelze, eine Vorspelze und zwei Schwellkörper, die dafür sorgen, dass die Blütenteile bei der Reife auseinandergedrückt werden. Nach innen folgen drei Staubblätter und ein Stempel mit zwei fiederigen Griffelästen. Aus jeder Blüte schieben sich zunächst die Staubblätter mit langen beweglichen Fäden heraus und entlassen viele Pollen. Später entwickeln sich die federartigen Griffeläste mit den Narben die hervorragend zum auffangen der Pollen geeignet sind.

Halm

Die Sprossachse der Gräser ist meist unverzweigt und bildet mehrere auffällige Verdickungen. An diesen Knoten entspringen die wie eine Scheide den Stängel umfassenden Blätter. Nach einigen Zentimetern geht die Blattscheide in die Blattspreite über. An dieser Übergangsstelle finden sich entscheidende Bestimmungsmerkmale: das Blatthäutchen (Ligula) und die Öhrchen. Wenn man an einem Grashalm zieht, reißt er in der Regel an den Knoten, denn dort befindet sich wenig stabiles, teilungsfähiges Gewebe (interkalares Meristem). Im Unterschied zu den meisten anderen Pflanzen können sich die Sprosse wachsenden Gräser an den Knoten strecken und aufrichten, wenn sie vom Wind umgelegt wurden, oder sogar Wurzeln bilden. Das Bildungsgewebe an der Bruchstelle der Sprossachsen schmeckt süß.

Ausgewachsene Grashalme haben im Inneren oft einen Hohlraum (Trinkstrohhalm).

Verzweigungen

Die meisten Grasarten – eine Ausnahme bilden die Bambusse – verzweigen sich nur ganz nahe der Basis oder im Boden. Je nachdem, ob sich die Seitenzweige schnell nach oben krümmen oder ein Stück weit waagrecht wachsen, unterscheidet man Horstgräser, Rasengräser und Ausläufergräser.

Zum Schluss sammeln wir Gräser und ordnen sie entsprechend einem Merkschema.

Zwei weitere mit der Süßgräsern verwandte Familien sind die Sauergräser und die Binsengewächse

Zur Biberburg

Kurz vor der Brücke über den Taldorfer Bach nehmen wir den Weg rechts bergauf in den Wald. Der Weg verläuft etwas oberhalb des Baches. Wir beschäftigen uns mit einigen Pflanzen des Wegrandes zum Beispiel mit den Stickstoffzeigern (Zeigerpflanzen siehe unten) Klebriges Labkraut und Große Brennnessel. Zwischen den Brennnesseln wachsen Wald-Ziest und Hohlzahn, die ohne Blüten den Brennnesseln sehr ähnlich sehen. Andere Beispiele für Pflanzen-Mimikry (Nachahmen der Brennhaar-bewehrten Brennnesseln) sind Taubnesseln und Nesselblättrige Glockenblume.

Schließlich können wir durch das Unterholz die stattliche Biberburg erkennen. Ihre Eingänge liegen unter Wasser, aber die Wohnhöhle liegt über dem Wasser. Möglicherweise finden sich dort gerade junge Biber, denn normalerweise bringen Biber Ende April bis Anfang Mai ihre Jungen zur Welt. Sie bleiben bis zu einem Alter von 4-6 Wochen im Bau. Biber waren früher als Fastenspeise begehrt, da sie wegen ihres Schwanzes zu den Fischen gezählt wurden. Besonders wertvoll war der sehr dichte Biberpelz (23.000 Haare pro cm2, im Vergleich dazu kommt der Mensch nur  auf ca. 200 Haaren pro cm2). Ein weiteres wertvolles, von Biber stammendes Handelsgut war das Bibergeil, ein Exkret, das in zwei etwa Hühnerei großen Blasen gesammelt und durch eine Ausführöffnung im Analbereich ausgeschieden wird. Dem Biber dient die Flüssigkeit der Fellpflege und der Reviermarkierung. Die Menschen nutzten sie wegen ihrer Inhaltsstoffe – zum Beispiel Hydroxybenzoesäuren und Abkömmlinge – als Medikament. Die Inhaltsstoffe oder ihre Vorläufer stammen vermutlich aus der pflanzlichen Nahrung des Bibers, zum Beispiel der Rinde von Weiden.

Der Biber ist das größte einheimische Nagetier. Mit seinem kräftigen Nagezähnen kann er große Bäume fällen. Ihre Zweige nutzt er einmal für den Bau seiner Burgen und Dämme, zum anderen dienen Knospen und Rinde als Nahrung. Für den Winter legt er Nahrungszweigdepots im Wasser an.

Zwischen Bast und Borke

Den nährstoffreichen Teil der Rinde, den Bast, der dem Assimilatetransport der Bäume dient, nutzen viele Tiere als Nahrung. Dazu zählen nicht nur Mäuse, Kaninchen, Hasen und Rehe, die an den Bäumen ihre Nagelspuren hinterlassen, sondern auch viel kleinere Tierchen, die Borkenkäfer. Sie gelten als Schwächeparasiten und die trockenen Sommer der vergangenen Jahre haben dazu geführt, dass insbesondere sehr viele Fichten von Borkenkäfern besiedelt wurden. Die rindenbrütenden Borkenkäfer legen ihre Eier unter der Rinde ab und die Larven fressen sich in langsam vergrößernden Gängen in den Bast. Diese Gänge kann man auf der Innenseite abgeschälter Rindenstücke sehr gut als Spuren erkennen. Form und Verlauf dieser Fraßgänge sind von Art zu Art unterschiedlich.

Gangsysteme des Buchdruckrs (Ips typographica) in Fichtenrinde, Teuringer Holz, 29.5.2021, Foto A. Winter

Außerdem gibt es sogenannte holzbrütende Borkenkäfer, deren Larvengänge in den Holzkörper hinein führen. Diese Käfer können sich von dem Holz nur mithilfe von Holz zersetzenden Pilzen ernähren, deren Hyphen die Gänge auskleiden und die sie fressen. Von außen kann man als Spuren dieser Käfer nur die Löcher im Holzkörper sehen. Größere Löcher stammen zum Beispiel von Bockkäfern. Wir finden die schon verlassene Puppenwiege eines Schrotbocks (Rhagium instructor), die aus kreisförmig ausgelegten Holzspänen besteht. Unter der abgestorbenen Rinde und unter den am Boden liegenden Rindenstücken kann man zahlreiche andere Tiere finden, die sich entweder von den organischen Abfallstoffen oder als Beutegreifer ernähren. Uns fallen vor allem zahlreiche Schließmundschnecken, einige Asseln, Tausendfüßler, Spinnen und kleinere sehr flinke Laufkäfer (wahrscheinlich Gattung Pterostichus) auf. Die meisten Borkenkäfer sind vermutlich ausgeflogen, aber wir finden noch einige Exemplare. Bei der Betrachtung durch die Becherlupen erkennen wir, dass an einigen Käfern Milben sitzen, welche die Käfer vermutlich nur als Transportmittel benutzen (phoretische Milben).

Weitere Beobachtungen

In dem Gebiet befinden sich zahlreiche alte Baumstümpe und abgestorbene Bäume. An mehreren Stellen solcher morscher (von Pilzen zersetzter) Stümpfe oder Stämme finden sich tiefe Hacklöcher, die vermutlich vom Schwarzspecht stammen, der regelmäßig im Gebiet zu hören und zu beobachten ist. Einen Pilzfruchtkörper identifizieren wir als Abgeflachten Lackporling (Ganoderma applanatum).

Hackloch eines Schwarzspechts (?) in einem morschen Eichenstamm (Weißfäule). Links sind die Reste eines Fruchtkörpers des Abgeflachten Lackporlings zu erkennen , Teuringer Holz 29.5.2021, Foto A. Winter

Ein typischer Pilzbefall an Rispengras-Halmen (rings um den Halm gehender weißer Belag) kann dem endophytische Pilz Epichloë typhina zugeordnet werden.

Nagelfluh-Kiesgrube

Der für mich mit dem Rollstuhl befahrbare Weg endet an einer verbreiterten Stelle mit steilen Wänden, die in der topographischen Karte als „Teurerer Holz“ markiert ist. Es handelt sich dabei um eine alte Kiesgrube, in der Interstadialer Nagelfluh abgebaut wurde, also verbackene Kiesablagerungen aus einer wärmeren Periode der Würm-Kaltzeit. In der Liste der Geotope im Bodenseekreis findet sich dazu folgende Beschreibung:

Aufgelassene Kiesgrube am Prallhang des Taldorfer Bachs, 1000 Meter östlich von Oberteuringen, an deren Südrand rund fünf Meter mächtige, zu Nagelfluh verfestigte interstadiale Schotter („alte Kiese von Oberteuringen“) zutage treten. Sie sind wahrscheinlich der „Laufenschwankung“, einem großen Rückzugsstadium zwischen Würm I und Würm II zuzuordnen. Der Aufschluss befindet sich am Südrand des Oberteuringer Eisrandtals, das erst später entstanden ist und hier mit einer Breite von etwa 500 Meter einen ehemaligen Gletscherrand markiert.

Geologische Einheit: Quartär
Status: schutzwürdig

Ehemalige Kiesgrube im Teuringer Holz, 29.5.2021, Foto A. Winter

Riedwiesen

Botanisch besonders interessant ist die Riedfläche südlich der Straße, die nach Bibruck bzw. Wammeratswatt führt. Die Fläche wird von Naturschutz regelmäßig aber nicht jährlich gemäht. Wir können verschiedene Knabenkraut-bzw. Fingerwurz-Arten (Dactylorhiza majalis und. D. incarnata) finden, außerdem das Mittlere Zittergras (Briza media), Gelbe Segge (Carex flava) und Hirse-Segge (Carex panicea).

Breitblättriges Knabenkraut (Dactylorhiza majalis) und Mittleres Zittergras (Briza media), NSG Altweiherwiese, 9.5.2021, Fotos A. Winter

Zeigerwerte von Pflanzen

„Die Zeigerwerte sind Kurzbezeichnungen für das ökologische Verhalten, d. h. der Standortsbeziehungen der Pflanzen unter dem Einfluss zahlreicher Konkurrenten“ (Ellenberg 1991). 

Pflanzen können Zeiger für bestimmte Standortfaktoren sein. Der Pflanzenökologe und Vegetationskundler Heinz Ellenberg, ordnete ab den 1950er Jahren den mitteleuropäischen Pflanzenarten aufgrund empirischer Erfahrungen Zeigerwerte für sieben verschiedene Umweltfaktoren zu, und zwar für die Standortfaktoren Licht (Lichtzahl), Temperatur (Temperaturzahl), Kontinentalität (Kontinentalitätszahl), Feuchtigkeit (Feuchtezahl), Stickstoff (Stickstoffzahl) und Bodenreaktion,pH-Wert (Reaktionszahl).

URL zur Zeigerwertliste: http://botanik.mettre.de/alpha_liste.shtml

Als Beispiel seien hier die Zeigerwerte von drei Süßgräsern unterschiedlicher Standorte verglichen:

 Art StandortLTKFNR
Taube Trespe (Bromus sterlis)Wegrand7744X5
Glatthafer (Arrhenaterum elatius)Fettwiese853577
Mittleres Zittergras (Briza media)Streuwiese bzw. Ried8X3XX2

Artenliste

(Zusammengestellt von Jenifer Friedrich und Anastaia Winter)

Gräser:

Süßgräser (Poaceae):

Glatthafer (Arrhenatherum elatius)

Kammgras (Cynosurus cristatus)

Wohlriechendes Ruchgras (Anthoxanthum odoratum)

Wolliges Honiggras (Holcus lanatus)

Gewöhnliches Rispengras (Poa trivialis)

Taube Trespe (Bromus sterilis) (Ruderalgras)

Weiche Trespe (Bromus hordaceus)

Wiesen-Fuchsschwwanz (Alopecurus pratensis)

Wiesen-Schwingel (Festuca pratensis)

Hunds-Quecke (Elymus caninus)

Fieder-Zwenke (Brachypodium pinnatum)

Mittleres Zittergras (Briza media)

Sauergräser (Cyperaceae):

Steife Segge (Carex elata)

Zittergras-Segge (Carex brizoides)

Wald-Segge (Carex sylvatica)

Gelbe Segge (Carex flava)

Hirsen-Segge (Carex panicea)

Binsengwächse (Juncaceae):

Feld-Hainbinse( auch Hain“simse“, aber „Simsen“ kommen auch bei der Familie Sauergräser vor) (Luzula campestris agg., Sammelart, unsere Pflanze war vermutlich L. multiflora))

Andere Pflanzen, Sträucher, Bäume:

Wolliger Schneeball (Viburnum lantana)

Gewöhnlicher Schneeball (Viburnum opulus)

Europäisches Pfaffenhütchen (Euonymus europaeus)

Rot-Fichte(Picea abies)

Stiel-Eiche (Quercus robur)

Rot-Buche (Fagus sylvatica)

Gewöhnlicher Haselstrauch (Corylus avellana)

Hänge-Birke (Betula pendula)

Schwarz-Pappel (Populus nigra)

Silber-Weide (Salix alba)

Schöllkraut (Chelidonium majus)

Hohlzahn (Gattung Galeopsis)

Große Brennnessel (Urtica dioica)

Wald Ziest (Stachys sylvatica)

Echte Nelkenwurz (Geum urbanum)

Ross-Minze (Mentha longifolia)

Waldmeister (Galium odoatum)

Klebriges Labkraut (Galium aparine)

Gamander-Ehrenpreis (Veronica chamaedrys)

Wiesen-Pippau (Crepis biennis)

Wiesen-Schaumkraut (Cardamine pratensis)

Breitblättriges Knabenkraut (Dactylorhiza majalis)

Fleischfarbenes Knabenkraut (Dactylorhiza incarnata)

Pilze

Birkenporling (Fomitopsis betulina)

Flacher Lackporling (Ganoderma applanatum, syn. Ganoderma lipsiense)

Tiere:

Europäischer Biber (Castor fiber))

Schneeballblattkäferlarve (Pyrrhalta viburni)

Schrotbock (Rhagium inquisitor)

Borkenkäfer (Scolytinae)

Larve einer Schaumzikade(Familie Aphohoridae) in Schaumhülle („Kuckucksspeichel“)

Zilp-Zalp ,Weiden-Laubsänger, (Phylloscopus collybita)

Buchfink (Frinilla coeleps)

Eichelhäher (Garrulus glandarius)

12. Juni 2021 Völlkofen

Treffpunkt: Völlkofen, Grillhütte 10.00h

3. Juli 2021 Naturschutzzentrum Wilhelmsdorf

Treffpunkt am Naturschutzzentrum Wilhelmsdorf

Das Naturschutzzentrum liegt am nördlichen Rand von Wilhelmsdorf

Naturschutzzentrum Wilhelmsdorf im Pfrunger-Burgweiler Ried

Frau Margit Ackermann, Diplombiologin und Naturpädagogin und seit 2006 Mitarbeiterin des Naturschutzzentrums Wilhelmsdorf, gibt uns einen Einblick in Ziele und Aufgaben des Naturschutzzentrums und ihrer Arbeit. Das Zentrum wurde 1994 unter der privaten Trägerschaft des Schwäbischen Heimatbundes e. V. gegründet und mit Unterstützung des Landes Baden-Württemberg und der Gemeinde Wilhelmsdorf als Informationszentrum eingerichtet. 2016 übernahm die Stiftung Naturschutz Pfrunger-Burgweiler Ried die Trägerschaft. Neben den pädagogischen Aufgaben – Information der Öffentlichkeit Besucherangebote – geht es um Beobachtung und Dokumentation von Flora und Fauna, Durchführung von Artenschutzmaßnahmen, Organisation und Koordination von Pflegemaßnahmen einschließlich der extensiven Beweidung sowie der Flächenverwaltung und Verkehrssicherung. Derzeit läuft ein Verfahren zur Anerkennung des Pfrunger-Burgweiler Rieds als UNESCO-Biosphärenreservat.

Entstehungsgeschichte des Pfrunger-Burgweiler Rieds

In dem 2012 erstellten Ausstellungs- und Veranstaltungsgebäude versammeln wir uns vor einem Luftbild, in dem das Pfrunger-Burgweiler Ried mit Blick nach Süden – Bodensee und Alpen im Hintergrund – zu sehen ist. Vor 20.000 Jahren, beim Hochstand der letzten Kaltzeit  (Würm-Kaltzeit) füllte eine Zunge des Rheingletschers das Tal zwischen den heutigen Orten Wilhelmsdorf und Ostrach. Beim Rückzug des Gletschers blieb am nördlichen Rand eine Endmoräne zurück (Äußere Würm-Endmoräne). In Höhe des heutigen Wilhelmsdorf kam es vor etwa 15.000 Jahren zu einem Stillstand der Gletscher-Rückentwicklung, eventuell auch einem weiteren Gletschervorstoß. In jedem Fall befand sich dort längere Zeit ein Gletscherrand und es lagerte sich Moränenmaterial ab (Innere Würm-Endmoräne). Das Schmelzwasser sammelte sich in dem Becken bis zur Endmoräne beim heutigen Ostrach, die den Abfluss nach Norden behinderte. Nach weiterem Abschmelzen wurde der Abfluss nach Süden durch die südliche Endmoräne blockiert, sodass ein Eisstausee erhalten blieb, in dem sich zunächst feines Tonmaterial ablagerte und den See nach unten abdichtete. Der Zufluss kalkreichen Wassers aus den umgebenden Höhenzügen, die teilweise aus interstadialen kalkreichem Nagelfluh aufgebaut sind, führte zur Ablagerung einer Seekreideschicht, das einsetzende Wachstum von Planktonalgen ließ eine erste Ablagerung mit hohem Anteilan organischen Material entstehen, die wegen ihrer braungrünen Farbe und der elastischen Eigenschaften als Lebermudde bezeichnet wird. Das mit der Klimaerwärmung zunehmende Pflanzenwachstum lieferte das Material für weitere Sedimente mit hohem organischem Anteil und Niedermoortorf. Im Laufe der Jahrtausende wurde der See dadurch immer flacher und aufgrund geringen Nährmineralgehalts und der hohen Regenmengen konnten sich auf den verlandenden Bereichen erste Torfmoose ansiedeln. Damit begann die Entwicklung zum Hochmoor.

Perspektivansicht des Pfrunger Zungenbeckens, des Rotach-Zungenbeckens und des westlichen Teils des Altshausener Beckens. Neben der Äußeren (blau gestrichelte Linie) und der Inneren Würm-Endmoräne (rote gestrichelte Linie) erkennt man auch eine Reihe von lokalen Moränenrücken (weiß gestrichelt). Das Pfrunger Zungenbecken entstand im Stadium der Äußeren Würm-Endmoräne. Weitere, jedoch wesentlich kleinere Zungenbecken des Stadiums der Äußeren Würm-Endmoräne entstanden bei Ilmensee (a) und im Altshausener Becken (b, c, d, e) Blickrichtung von Südosten nach Nordwesten (siehe Nordpfeil).

Alt: Altshause, Ebb: Ebersbach, Ebw: Ebenweiler, Ech: Echbeck, Fle: Fleischwangen, Fro: Fronhofen, Gug: Guggenhausen, Has: Hasenweiler, Hoß: Hoßkirch, Ill: Ilmensee. Kön: Königseggwald, Ost: Ostrach, Wal: Waldbeuren, Wil: Wilhelmsdorf

Der Illmensee und der Lengenweiher gehen auf Toteislöcher zurück, ursprünglich vom Gletscherrand abgetrennte Eispartien, die zunächst von Sediment überdeckt wurden und dann nach Abschmelzen wassergefüllte „Löcher“ bildeten.

Die Entwicklung bis zum heutigen Landschaftsbild wurde sehr stark durch menschliche Einflüsse geprägt. Nach der Gründung der Gemeinde Wilhelmsdorf durch württembergische Pietisten (Herrnhuter Brüdergemeinde) unter der Obhut des württembergischen Königs Wilhelm I. im Jahre 1824 wurde mit der Entwässerung und Kultivierung des Moorgebietes begonnen. Im 20. Jahrhundert wurde kurze Zeit ein intensiver  industrieller Torfabbau betrieben. Diese Torfgruben sind bis heute als offene Wasserflächen erhalten.

Exkursion zum Hochmoorrest Eulenbruck

Unser Exkursionsweg -grün- (Karte aus einem Flyer des Naturschtzzentrums Wilhemsdorf)

Um einen Eindruck einer typischen Hochmoorlandschaft zu bekommen unternehmen wir eine Exkursion zum Eulenbruck. Wir folgen zunächst dem Asphaltssträßchen Richtung Lindenhof und biegen dann links ab und noch einmal links in den Kiefern-Moorwald mit einem dichten Unterwuchs aus Heidelbeeren (grüne Sprossachsen), an einigen Stellen auch Rauschbeeren (braune Sprossachsen). An einigen besonders feuchten Stellen kann man erste Ansiedlungen von Torfmoosen beobachten. Die Torfmoos-Pflänzchen haben einen typischen Aufbau aus Hauptachse (Stamm) und zu mehreren angeordneten dicht mit Blättchen besetzten Seitentrieben . Einige Seitenästchen laufen am Stämmchen herab und verleihen diesem eine dochtartige Struktur (Abb.).

Über einen Steg erreichen wir eine Aussichtsplattform, die den Blick auf einen relativ intakten Hochmoorbereich freigibt. Die geschlossene Torfmoosdecke, die wie ein Schwamm Wasser aufsaugt und festhält, wächst kontinuierlich nach oben, während die unteren Teile absterben und nur sehr langsam abgebaut werden. Dadurch entsteht kontinuierlich ein Zuwachs an Torf, in unserem Klima etwa 1 mm pro Jahr. Das bedeutet, dass in den 10.000 Jahren seit dem Ende der letzten Eiszeit maximal 10 m Torf gebildet werden konnte. Tatsächlich haben Bohrungen gezeigt, dass die Torfschichten unter dem Eulenbruck diese Mächtigkeit haben.

Durch einen Versuch demonstriert Margit Ackermann das schwammartige Wasseraufnahmevermögen von Torfmoosen. Aus einer Handvoll Torfmoose ausgepresstes Wasser wird in Sekundenschnelle wieder aufgenommen. Durch Auspressen gewinnt man allerdings nur einen Teil des in Torfmoosen gespeicherten Wassers, der größere Teil ist in einem Netz aus toten Wasserspeicherzellen in Blättchen und Stämmchen gespeichert, insgesamt das bis zu 30fache des Trockengewichts (Abb.). Da das gespeicherte Wasser nur aus dem Regen stammt, enthält es sehr wenig Mineralstoffe. Zudem haben Torfmoose die Fähigkeit, Mineralstoff-Kationen (K*; Ca++ u.a.) gegen H+-Ionen auszutauschen. Dadurch wird das Wasser stark abgesäuert. Wir messen in dem ausgepressten Wasser einen pH-Wert von ca. 4,0.

Torfmoose sind Regenwasserspeicher, sie ermöglichen die Hochmoorbildung. a) Torfmoospflänzchen, Habitus, b) Stämmchen quer mit Wasserspeicherzellen, Blättchen: c) Querschnitt und d) Aufsicht, e) räumliche Darstellung

Für Gefäßpflanzen sind Hochmoore deshalb ein sehr extremer Standort, weshalb hier nur wenige charakteristische Arten vorkommen. Die Heidekrautgewächse Moosbeere und Rosmarinheide können mithilfe ihrer Mykorrhizapilze und aufgrund ihres langsamen Wachstums hier gedeihen. Der Rundblättrige Sonnentau bessert seine Stickstoffversorgung durch Insektenfang und -verdauung auf (Carnivore Pflanze).

Blick von der Plattform Eulenbruck in den Hochmoorbereich mit Rundblättrigem Sonnentau (Drosera rotundifolia), Torfmoosen und Ranken der Moosbeere (Vaccinium oxycoccus) (Foto Rostan 25.7.2021)
Aufbau eines Hochmoors in Mitteleuropa

Am Birkenaufwuchs und der stark aufkommenden Besenheide kann man erkennen, dass der Wassergehalt des Hochmoores einen kritischen Punkt erreicht hat. Die beiden letzten sehr trockenen Sommer konnten durch den diesjährigen bisher ziemlich regenreichen Sommer noch nicht ausgeglichen werden. Die Austrocknung bedeutet, dass die Zersetzung der organischen Materialien unter Sauerstoffeinfluss rascher voranschreitet . Das bedeutet nicht nur, dass das Moor nicht mehr in die Höhe wächst, sondern dass auch die tieferen Schichten abgebaut werden und der so über Jahrhunderte gespeicherte Kohlenstoff wieder als CO2 freigesetzt wird. Dies ist der Hauptgrund dafür, dass man angesichts der CO2-bedingten Klimaerwärmung Hochmoore unter besonderen Schutz gestellt hat.

Benennung verschiedener Feuchtbiotope

Insekten

Zurück am Naturschutzzentrum werden wir von schwärmenden Honigbienen empfangen. Wir entdecken eine Schwarmtaube an einem der Findlinge, die vor dem Naturschutzzentrum aufgestellt wurden. Der mit dem Naturschutzzentrum zusammenarbeitende Imker und Lehrbeauftragter der PH Weigarten, Herr Guggolz,wird informiert.

Nach wir eine kleinen Getränkepause und beschäftigen wir uns dann mit der Gruppe der Insekten, die aufgrund der zahlreichen Berichte über den dramatischen Rückgang ihrer Arten und Individuen im besonderen Interesse der Öffentlichkeit steht. Der starke Rückgang der Insekten-Biomasse ist mittlerweile so auffällig, dass er auch von Laien und der Entomologie fernstehenden Personen nicht mehr übersehen werden kann. Der starke Rückgang des Singvogelbestandes und insbesondere der Fledermäuse dürfte eine direkte Folge dieser Entwicklung sein. Auch die Ursachen sind nicht wirklich ein Geheimnis. Da ist erst einmal der hohe Pestizideinsatz in der Landwirtschaft zu nennen, andererseits aber auch der Verlust geeigneter Lebensräume mit einer vielseitigen Flora. Mit Blumenstreifen an Ackerrändern versucht man, einen Ausgleich zu schaffen. Da diese aus Saatmischungen stammenden Pflanzen häufig exotische, oft einjährige Arten enthalten stehen sie allerdings in der Kritik. Auch die Nähe zu den gespritzten Äckern und der Mangel an Brutmöglichkeiten und Nahrungspflanzen für die Larven der Insekten mindert  den ökologischen Wert der bunten Ackerrandstreifen.

Eine wichtige Voraussetzung dafür, dass Insektenschutzmaßnahmen in der Öffentlichkeit breite Zustimmung finden, ist eine bessere Kenntnis der Insekten. Deshalb sind sie ein wichtiges Thema für den Biologieunterricht.

Dass man mit dem Thema durchaus Begeisterung wecken kann, beschreibt Dave Goulson in seinem Buch „Die seltensten Bienen der Welt“: „Es war ein sonniger Nachmittag gegen Schuljahresende im Juni 2009, und ich ging mit der Klasse meines ältesten Sohns Finn an der Newton Primary School Dunblane auf Insektenjagd….. Als wir am Wald waren, reichte ich den eifrigen Sieben- und Achtjährigen Netze und sonstiges Material und zeigte ihnen, wie man sie verwendet. … Einen Wiesenkescher zu öffnen, ist immer eine spannende Sache – wie bei den hübsch verpackten Geschenken unter dem Weihnachtsbaum weiß man nie, was Wunderbares drinsteckt. Unter lautem Ah und Oh sahen die Kinder zu, wie Scharen winziger Tiere – Ameisen, Spinnen, Wespen, Käfer, Fliegen und Raupen – aus dem Netz krabbelten, flogen und hüpften. Ich zeigte ihnen, wie man die kleinsten, empfindlichsten von ihnen in einen Exhaustor saugt. Dann verteilte ich eine Handvoll Becher, in denen jeder seinen Fang sammeln konnte, und die Kinder schwärmten aus, rannten durchs Unterholz, wedelten, kescherten und saugten nach Herzenslust, die Augen vor Aufregung weit aufgerissen. …“. Diese Beschreibung stammt aus dem Jahre 2009. Die Ergebnisse unserer Fangversuche waren deutlich schlechter – ein bisschen lag das vielleicht daran, dass die Witterung ziemlich schwül und wir durch unsere Exkursion schon etwas erschöpft waren, aber nicht nur. Ich habe mit Studierenden der PH Weingarten hier in Wilhelmsdorf zum ersten Mal 2017 Wieseninsekten gefangen und da waren unsere Ergebnisse deutlich vielseitiger. Auch die Fänge der parallel arbeitenden Wasserinsekten-Fanggruppe waren vergleichsweise dürftig (vgl. Artenliste).

Mittlerweile ist der Imker zu seinen Bienen gekommen und dadurch ergibt sich die Gelegenheit, aus erster Hand Informationen über dieses wichtigste Nutztier aus der Klasse der Insekten zu bekommen.

Die über 40.000 (immer noch?) mitteleuropäischen Insektenarten zu kennen, ist unmöglich, aber nicht so schwierig ist es, die wichtigsten 15-20 Ordnungen einheimischer Insekten zu erkennen und dann mithilfe eines Bestimmungsbuches auch einige Arten herauszufinden. Mir hilft dabei oft das mittlerweile leider schon längere Zeit vergriffene „Parays Buch der Insekten“ von Michael Chinery. Die über 2300 in diesem Buch mit sehr guten, treffenden Zeichnungen dargestellten Arten stellen nach meiner Erfahrung eine ausgezeichnete Auswahl dar, die zwar ursprünglich für Großbritannien getroffen wurde, aber auch für Mitteleuropa gilt.

Für Unterrichtszwecke hat Ulrich Kattmann eine Einteilung der Insekten in „Elfen, Ritter und Gaukler“ vorgeschlagen (vgl. Abb.)

Verwandtschaftsgruppen der Insekten

Die systematische Einteilung der Insekten nach Verwandtschaftsgruppen unterscheidet

  • ursprünglich flügellose Ordnungen, zu denen zum Beispiel Springschwänze und Silberfischen gehören,
  • Insekten mit unvollkommener Verwandlung, bei denen zwischen Larvenstadium und voll ausgebildeten Insekt (Imago) kein Puppenstadium eingeschoben ist, (zum Beispiel Libellen, Heuschrecken und Schaben) und
  • Insekten mit vollkommener Verwandlung (Ei – Larve – Puppe – Imago), zu denen zum Beispiel Käfer, Schmetterlinge und Hautflügler gehören.

Die meisten Bäume des Moorwaldes sind  Wald-Kiefern (kenntlich an der braunrötlichen Färbung der oberen Stammbereiche), dazwischen stehen aber auch immer wieder Moor-Kiefern (mit durchgehend braunschwärzlichen Stämmen). Außerdem gedeihen hier Moor-Birken, die sich von Hänge-Birken durch die aufrechteren Zweige und die Behaarung der jungen Triebe unterscheiden.

Liste der beobachteten Pflanzenarten, chronologisch geordnet

(zusammengestellt von Darius Targan)

NameWissenschaftlicher Name
Echtes MädesüßFilipendula ulmaria
Echter BaldrianValeriana officinalis
Gewöhnlicher BlutweiderichLythrum salicaria
Sumpf-HornkleeLotus pedunculatus
HeidelbeereVaccinium myrtillus
RauschbeereVaccinium uliginosum
RosmarinheideAndromeda polifolia
Hain-GilbweiderichLysimachia nemorum
Wiesen-WachtelweizenMelampyrum pratense
Gewöhnliche MoosbeereVaccinium oxycoccos
Rundblättriger SonnentauDrosera rotundifolia
Roter FingerhutDigitalis purpurea
Kohl-KrazdistelCirsium oleraceum
Moor-Kiefer; Spirke, MoorspirkePinus mugo ssp. rotundata
Wald-KieferPinus sylvestris
Moor-BirkeBetula pubescens
Rasen-SchmieleDeschampsia cespitosa
Wiesen-LieschgrasPhleum pratense
Flutender SchwadenGlyceria fluitans
Wald-SimseScirpus sylvaticus
Gewöhnlicher DornfarnDryopteris carthusiana
TorfmoosSphagnum

Liste einiger beobachteter Tierarten

Säugetiere

Europäischer Biber  (Castor fiber) -Biberausstiieg – Biberrutsche – am Weg begleitenden Bach

Vögel

Goldammer

Buchfink

Mönchsgrasmücke

Rabenkrähe

Insekten an Land

Brennnesselzünsler (Anania hortulata, Syn.: Eurrhypara hortulata): eingefaltete Brennnesselblätter lassen erkennen, dass sich hier Raupen eingesponnen hatten.

Landkärtchen (Araschnia levana) : Sommergeneration des Falters und Raupe

Kleiner Fuchs (Aglais urticae)

Brauner Waldvogel, Schornsteinfeger (Aphantopus hyperantus)

Grasmotte (Fam. Crambidae – Rüsselzünsler)

Kohlweißling (Pieris brassicae)

Baumwanze (Fam. Pentatomidae)

Kugelwanze (Coptosoma scutellata)

Schaumzikadenlarve (Fam. Cercopidae)

einige Schwebfliegen (Fam.Syrphidae, z. B. Episyrphus balteatus)

Raubfliege (Fam. Asselidae) mit Beute

Wasserinsekten und andere Wassertiere

Kleinlibellenlarven

Eintagsfliegenlarven

Büschelmückenlarven, „Glasstäbchen“ (Fam. Chaoboridae)

Zuckmückenlarve (Fam. Chironomidae)

Rückenschwimmer (Notonecta glauca)

Muschelkrebse (Ostracoda)

Süßwassermilben (Hydrachnidiae)

24. Juli 2021 Naturschutzzentrum Wilhelmsdorf

Die Anfahrt nach Wilhelmsdorf wird durch einige Gewitter und lokale Starkregen beeinträchtigt, wodurch einige Teilnehmer*innen abgeschreckt werden.

Der Abend beginnt im Unterrichtsraum des Naturschutzzentrums und er steht ganz unter dem Thema „Fledermäuse“. Diese außergewöhnliche Verwandtschaftsgruppe fliegender Säugetiere ist ein besonderer Schwerpunkt in der Arbeit des Naturschutzzentrums Wilhelmsdorf. Es geht dabei nicht nur um den Schutz und die Dokumentation der im NSG Pfunger-Burgweiler Ried vorkommenden Arten sondern auch um die Vermittlung von Wissen und den Abbau von falschen Informationen über die Flatterttiere. Frau Margit Ackermann führt uns in abwechslungsreicher und spannender Form in die Biologie der Fledermäuse ein. Dabei kommen verschiedene Spiele (Memory, Puzzle, Zuordnungsspiele), Anschauungsmaterial, ein Video und eine PowerPoint Präsentation zum Einsatz. Schließlich werden vier „Säuglinge“ der Zwergfledermaus (Pipistrellus pipistrellus)aus einer mit Tüchern abgedunkelten Box geholt und mithilfe einer Spezial-Minipipette und angerührter Milch für Hundewelpen gefüttert. Vor der Fütterung werden die Kleinen mithilfe einer Wärmflasche aufgewärmt um sie beweglicher zu machen.

Fütterung eines Zwergfledemaus-Babies (Foto S. Brendle)

Zum Abschluss – es ist mittlerweile 21:15 Uhr und beginnt langsam dunkel zu werden – wollen wir einige Fledermäuse in freier Natur erleben. Dabei helfen Fledermaus-Detektoren, durch welche die Ultraschall-Echolot-Signale der Fledermäuse in für uns hörbare Laute übertragen werden. In einem der beiden uns zur Verfügung stehenden Geräte werden nicht nur die Töne übersetzt, im Display wird auch noch ein Sonagramm  (auch Sonogramm genannt) dargestellt, das den zeitlichen Verlauf der Lautäußerungen gegen die Frequenz aufzeichnet. Bei manchen Geräten wird auch noch die Lautstärke durch unterschiedliche Farben dargestellt.

Wir gehen vom Unterrichtsraum zum Bürogebäude des Naturschutzzentrums, an dessen Wänden verschiedene Fledermauskästen bzw. Fledermausbretter aufgehängt sind. Kaum stehen wir davor, wird schon die erste Fledermaus beobachtet, die Margit Ackermann mit dem Detektor als Zwergfledermaus identifiziert. Danach können wir längere Zeit einen großen Abendsegler am Himmel beobachten und mit dem Detektor hören. Wir wandern dann über die Straße und einen Weg zu einem größeren See und dort hören und sehen wir Zwergfledermaus, Wasserfledermaus und Großen Abendsegler, die meist dicht über die Wasseroberfläche fliegen.

Auf dem Rückweg taucht überraschend ein Biber vor uns auf und verschwindet später mit großem Platsch im Wasser.

Pflanzenfamilien erkennen

Je nach Zählung gibt es in Mitteleuropa mindestens 3000 verschiedene Pflanzenarten. Aber auch wenn viele davon selten sind oder nur in ganz bestimmten Gebieten vorkommen, so ist erscheint dem Laien auch die Anzahl von verschiedenen Pflanzenarten in der näheren Umgebung ziemlich unüberschaubar. Ganz allgemein gilt, dass man sich viele unterschiedlichen Objekte leichter merken kann, wenn man sie in Gruppen einteilt. Manche Pflanzenbestimmungsbücher nutzen hierfür zum Beispiel die Blütenfarben, andere Einteilungsmöglichkeiten sind der Lebensraum oder der Blühzeitraum. Eine Möglichkeit, die auch von Botanikern genutzt wird, ist die Einteilung nach der Verwandtschaft.

Die ersten Lebewesen auf der Erde sind vor mehr als 3 Milliarden Jahren entstanden. Alle heutigen Erdbewohner stammen von Ihnen ab und sind deshalb miteinander ver­wandt, aber nicht in gleichem Maße: Es gibt nähere und entferntere Verwandt­schaften. Nahe verwandte und deshalb meist ähnliche Arten fasst man zu Gattun­gen, ähnliche Gattungen zu Familien zusammen, diese dann weiter zu Ordnun­gen, Klassen und Abteilungen.

Beispiel für die systematische Einordnung der Echten Nelkenwurz

Abteilung:                 Samenpflanzen

Klasse:                      Bedecktsamer                      Nacktsamer

Ordnung:                  Rosenartige                         Magnolienartige      …

Familie:.                    Rosengewächse                 Brennnesselgewächse     …

Gattung:                    Nelkenwurz                          Erdbeere       …

Art:                             Echte Nelkenwurz             Bach-Nelkenwurz  …

Für das Bestimmen und Wiedererkennen von Pflanzen sind die Familien, in manchen Fällen auch die Gattungen, besonders wichtig und hilfreich. Wenn man die acht in den Kästchen vorgestellten, in der heimischen Flora häufigen Familien wiedererkennt, wird der Einstieg in die Artenkenntnis der Pflanzen leichter.

Quellen:

Beran, F. (2002): Die Entstehung des Natur- und Lebensraumes am nördlichen Bodenseeufer und um Oberteuringen. In: Gemeinde Oberteuringen (Hrsg., 2002): Teuringen. Ein Streifzug durch die Jahrhunderte, S.13-23.

Elenberg, H. (1991): Zeigerwerte der Gefäßpflanzen (ohne Rubus). In: Ellenberg, H. et al. (1991): Zeigerwerte von Pflanzen in Mitteleuropa. Scripta Geobotanica XVIII. Göttingen: E. Goltze

und die Materialien zu den früheren Exkursionen für die PH Weingarten ab 2016

Bioplanetenschutz

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Dieser Beitrag beruht auf Recherchen, die ich im Zusammenhang mit dem Unterricht Biologie Heft „Naturschutz auf neuen Wegen“ (UB 465) durchgeführt habe. Das Heft ist im Sommer 2021 erschienen.

Seit Beginn der Industrialisierung haben sich die Verhältnisse auf unserem Bioplaneten Erde (Kattmann 1991,2004) durch exponentielles Wachstum von Wirtschaft und Bevölkerung drastisch verändert, besonders deutlich in den letzten Jahrzehnten. Dank der elektronischen Datenverarbeitung und immer genaueren Registrierungsmöglichkeiten durch Satelliten lassen sich diese Veränderungen recht genau beschreiben. Schon lange vorher gesagt aber erst in den letzten Jahren in den Mittelpunkt des kollektiven Bewusstseins gerückt ist die durch menschliche Aktivitäten verursachte Klimaerwärmung, um die Dimension dieser drastischen Entwicklung besonders zu betonen, wird neuerdings von „Klimaerhitzung“ gesprochen. Obwohl diese negativen Veränderungen besorgniserregend rasch voranschreiten, besteht nach wie vor Hoffnung auf eine Stabilisierung. Es gibt viele Ideen und auch schon realisierte Beispiele, wie man die Zukunft des Bioplaneten nachhaltiger gestalten könnte.

Bioplanetenschutz heißt Schutz der Funktionsabläufe

Nach konservativen Verständnis geht es im Naturschutz um den Erhalt oder gegebenenfalls auch die Wiederherstellung eines jetzigen oder früheren Zustandes, der den Menschen und seine Aktivitäten weitgehend ausklammert. In einem erweiterten Verständnis bedeutet der Schutz der Natur Schutz des Bioplaneten, d. h. insbesondere Schutz und Erhalt der Funktionsabläufe. In diesem Sinne können auch weitgehende Eingriffe und Manipulationen durch den Menschen (Geoengineering, synthetische Biologie), ökonomisch Maßnahmen wie Steuererhebungen oder juristische Maßnahmen wie Verbote von Verbrennungsmotoren oder Kohlekraftwerken als Naturschutzmaßnahmen verstanden werden.

Für die Rechtfertigung solcher Eingriffe sind einmal auf breiter wissenschaftlicher Basis erstellte Analysen und Prognosen erforderlich. Zum anderen müssen diese Erkenntnisse Grundlage von Bildung und Ausbildung werden. Neben neuen technischen Lösungen muss  Naturschutz deshalb verstärkt um die menschliche Akteure einschließen. Sozio-ökonomische Aspekte müssen mit gedacht und interdisziplinär behandelt werden. Dazu gehören besondere Anreize für umweltfreundliches oder naturschutzkonformes Verhalten, deren Vorteile unmittelbar wirksam werden. Nur dann wird es möglich sein, den demokratischen Konsens herzustellen, der für eine politische Durchsetzung sinnvoller Maßnahmen notwendig ist.

Landschaftsgestaltung, Renaturierung, Regeneration

Landschaftsgestalterische Maßnahmen können zur Renaturierung oder sogar Regenerierung von Ökosystemen führen oder neue artenreiche Ökosysteme entstehen lassen.

  • Die Wiedervernässung von Mooren kann deren Fähigkeit wieder herstellen, Kohlenstoff in unvollständig abgebautem Pflanzenmaterial zu speichern. Außerdem wirken die Torfkörper der Moore regulierend auf den Wasserhaushalt.
  • Die Restauration und Neugewinnung ausgedehnter Schilfgürtel um Gewässer, kann die Qualität belasteter Gewässer verbessern, insbesondere den Nitrat- und Phosphatgehalt mindern, aber auch viele andere Schadstoffe binden.
  • Die naturnahe Gestaltung von stillgelegten Kiesgruben, Steinbrüchen  und Tagebauflächen  (z. B. Braunkohle)  kann ökologisch wertvolle Biotope und Landschaften entstehen lassen und damit die Biodiversität fördern.
  • Entrohrung, Renaturierung und Remäandrierung von Bachläufen kann die Wasserqualität verbessern, Überschwemmungsgefahren mindern und im Sinne eines natürlichen Wasserkreislauf wirken. Außerdem entstehen dadurch vielseitige Lebensräume, welche die Biodiversität fördern.
  • Die Anlage von marinen Hartsubstratböden, z. B. um Offshore-Windparks kann die Biodiversität fördern, insbesondere durch die Schaffung neuer Siedlungsflächen für Aufwuchsorganismen und Brutgebiete  für Fische.
  • Durch geeignete Maßnahmen können bisher eher als Plantagen genutzte Waldgebiete in naturnahe Wälder umgebaut werden.
  • In potenziellen Waldgebieten kann der Anteil der Bewaldung durch Aufforstungsmaßnahmen erhöht werden.
  • Extensiv genutzte Weideflächen („Wilde Weiden“) lassen vielseitig strukturierte Landschaften mit hoher Biodiversität entstehen.
  • Vor allem in Trockengebieten können überweidete Landschaften durch Regulierung des Weidegangs aufgewertet werden.
Durch Überweidung desertifizierte Landschaft in Nordafghanistan bei Kunduz,25.7.1974 (Foto W.Probst)

Für diese Renaturierungs- und Regenerationsmaßnahmen werden viele Arbeitskräfte benötigt. Durch entsprechende Förderprogramme können Landwirtschaft und Forstwirtschaft in Renaturierungsprogramme eingebunden werden.

Eine weitere Möglichkeit bestünde darin, für solche Aufgaben verstärkt das Militär einzusetzen und dafür entsprechende Kenntnisse und Fertigkeiten in die militärische Ausbildung einzubauen (J. Ellington in Randers 2012).

Besonders spektakuläre Großprojekte sind Chinas „Grüne Mauer“ und die 2005 diesem Vorbild folgende von der Afrikanischen Union initiierte grüne Mauer durch die Sahelzone . Sie sollen Wüstenbildung aufhalten und teilweise rückgängig machen. 

Die chinesische „Grüne Mauer“ verdankt ihren Namen der chinesischen „Großen Mauer“: Während die Große Mauer Schutz gegen die Völker aus dem Norden bieten sollte, soll die Grüne Mauer vor Wüstenstürmen schützen. Das Projekt wurde schon 1978 begonnen und soll bis 2050 fortgesetzt werden. Bis dahin sollen 350.000 km² – dies entspricht etwa der Fläche der Bundesrepublik – mit Bäumen bepflanzt sein. Dabei besteht allerdings die Gefahr, dass durch die Bewässerung der neu angelegten Schutzwälder alte, flussbegleitende Wälder geschädigt werden (Missall u.a. 2018).

Afrikas „Grüne Mauer“ (GGWSSI; Great Green Wall of the Sahara and the Sahel Initiative) ist als 7775 km langer, mindestens 15 km breiter Baumstreifen geplant, der die Trockenregion am südlichen Rand der Sahara von Dakar bis Dschibuti durchziehen soll. Die Idee geht auf den 1987 ermordeten Präsidenten von Burkina Faso Thomas Sankara und auf die kenianische Professorin und Nobelpreisträgerin Wangari Maathai und ihr „green belt movement“ zurück. Unter der Präsidentschaft des damaligen Präsidenten von Nigeria Olusegun Obasanjo übernahm die Afrikanische Union das Projekt. Bisher wird es von 22 afrikanischen Staaten unterstützt. Mittlerweile sprechen viele Verantwortlichen nicht mehr von einer Mauer sondern eher von einem Mosaik, da verstärkt in Dorfgemeinschaften verwurzelte Projekte unterstützt werden sollen. Außerdem soll auch der Erhalt und  Schutz bereits existierender Baumbestände stärker gefördert werden.  Auf dem „One Planet Summit“ im Januar 2021 in Paris hat die internationale Gemeinschaft 11,8 Mrd. Euro für das Projekt zugesagt.

Über diese und zahlreiche weitere Aufforstungsprojekte berichtet Daniel Schilk in seinem 2019 erschienenen Buch „Die Wiederbegrünung der Welt“.

Ökosystemerhalt durch assistierte Evolution

Die Idee, gefährdete Arten dadurch zu erhalten, dass man sie in Gefangenschaft oder im Labor züchtet und dann in natürlichen Ökosystemen freilässt, ist schon mehr als 100 Jahre alt.1895 hat der Geschäftsmann und Ornithologe Edward McIlhenny auf diese Weise in Louisiana die vom Aussterben bedrohten Schmuckreiher erhalten. Zwischen 1885 und 1807 konnte Richard Henry den neuseeländischen Kakapo (flugunfähiger Papagei) und den Kiwi durch Translokation von Tieren auf die vor der Westküste Neuseelands liegenden Insel Resolution Island vor dem Aussterben retten (Seddon 2017). Mittlerweile gibt es viele mehr oder weniger erfolgreiche Beispiele solcher Versuche, durch Translokation oder Zucht und Aussetzen gefährdete Arten zu erhalten, in Mitteleuropa zum Beispiel Luchse, Biber und Waldtrappe. Dabei geht es nicht nur um den Erhalt der betreffenden Arten sondern auch um die Funktion der Ökosysteme. Durch die Wiederetablierung von Schlüsselarten hofft man, Ökosysteme zu regenerieren oder auch neue wertvolle Ökosysteme zu schaffen.

Doch auch über weitergehende Schritte wird nachgedacht. Dabei könnte die synthetischen Biologie eine wichtige Rolle spielen, indem ausgestorbene Arten wie das Wollhaar-Mammut oder der Auerochse gentechnisch rekonstruiert werden (De-Extinction, Redford 2017). Als Quelle könnte genetisches Material aus alten Sammlungen oder aus Fossilien und verwandte noch lebende Arten genutzt werden.

Die Überlegungen gehen noch einen Schritt weiter: Es können nicht nur natürliche Arten künstlich vermehrt oder wiederhergestellt, sondern auch „verbessert“, also durch Zucht oder Gentechnik gezielt verändert werden. Bei Riffkorallen soll zum Beispiel versucht werden die endosymbiontisch Zooxanthellen gentechnisch so zu verändern, dass sie auch bei höheren Meerestemperaturen funktionsfähig bleiben und dadurch Korallenbleiche vermieden werden können. Allgemein soll es durch das Einbringen solcher „verbesserter“ Lebewesen, die veränderte Umweltbedingungen besser aushalten,gelingen Ökosysteme als Ganzes zu erhalten.

Bisher wird Assistierte Evolution vor allem an Korallenriffen erprobt.

Erhalt, Regeneration und Neuschaffung von Ökosystemen mit Hilfe Assistierter Evolution (Grafik W.Probst)

Verhinderung der Klimaerwärmung durch Geoengineering

Durch technische Eingriffe in das Klimasystem (Geoengineering) soll die Klimaerwärmung vermindert werden. Dabei sind vor allem zwei Möglichkeiten denkbar:

  • Der Atmosphäre werden direkt Treibhausgase, insbesondere Kohlenstoffdioxid, entzogen (Carbon Dioxid Removal CDR, Carbon Capture and Storage, CCS).
  • Die auf die Erde eintreffende Sonnenstrahlung wird verringert (Solar Radiation Management SRM).
Methoden des Geoengeneering (W. Probst verändert nach Angaben in Gynsky u.a. 2011)

Die Bindung von Kohlenstoffdioxid kann entweder terrestrisch oder marin erfolgen. Klassische Vorschläge beruhen auf Methoden, durch die der Aufbau von Biomasse – zum Beispiel durch großflächige Aufforstung – gefördert wird oder Kohlenstoff haltiges Material in den Boden eingearbeitet wird (Beispiel Terra Preta). Auch Möglichkeiten, CO2 direkt aus der Luft zu filtern und unterirdisch dauerhaft zu speichern – zum Beispiel durch Einpressen in tiefliegende geologische Formationen (Carbon Capture and Storage, CCS). Die meisten derzeit laufenden Pilotprojekte testen die Integration dieser Art der CO2 Abscheidung direkt in der Kombination mit Kohlekraftwerken, weil dort in den Abgasen der CO2 Gehalt hoch ist. Die Möglichkeit der direkten Filterung aus der Luft, in der CO2 derzeit höchstens zu 0,5 Volumenpromille enthalten ist, wäre bisher zwar möglich aber sehr kostenaufwendig.

Um CO2 verstärkt in den Ozeanen zu binden, wird die Ozeandüngung diskutiert. Dabei bedient man sich der sogenannten biologischen Pumpe. Kohlenstoffdioxid wird von Mikroalgen assimilert und ein Teil davon wird als dauerhaftes Kohlenstoff-haltiges Sediment am Meeresboden abgelagert. Durch Düngung könnte die Phytoplanktonproduktion angeregt werden. Da man von den Makronährmineralien Nitrat und Phosphat sehr große Mengen benötigen würde, hat man bei bisherigen Versuchen mit dem Mikronährmineral Eisen gearbeitet Entsprechende verhältnismäßig kleinräumige, zeitlich begrenzte Versuche, die zu Beginn des Jahrhundert durchgeführt wurden, hatten allerdings wenig überzeugende Ergebnisse. Zwar konnte man zunächst Algenblüten bewirken, aber das Absinken des Phytoplanktons trat nur in sehr geringem Maße ein. Ein großer Teil wurde vom Zooplankton aufgenommen und dadurch veränderten sich die Nahrungsnetze. Auch die Blüte von toxischen Kieselalgen konnte beobachtet werden. Zudem ist die kontinuierliche Düngung sehr energieaufwendig und die Bilanz des tatsächlich gebundenen CO2 ist dadurch viel geringer als zunächst theoretisch berechnet wurde.

Eine weitere Möglichkeit, die Phytoplanktonproduktion zu erhöhen, läge in der Manipulation der marinen Schichtung. Wenn man verstärkt nährmineralreiches Tiefenwasser in obere Wasserschichten verlagern könnte – wie dies unter derzeit natürlichen Bedingungen zum Beispiel an der Westküste des amerikanischen Kontinents geschieht – könnte man die Phytoplanktonproduktion anregen. Entsprechende aus langen Rohren bestehende Pumpen, die vom Wellenschlag angetrieben werden, wurden zwar erfolgreich konstruiert. Um einen messbaren Effekt bei der marinen CO2– Speicherung zu erreichen, wären allerdings eine sehr große Zahl solcher Pumpen notwendig und die Folgewirkungen sind schwer abzuschätzen.

Außer durch die biologische Pumpe wird auch durch eine physikalische Pumpe CO2 von der Oberfläche in die Tiefen der Weltmeere befördert. Kalte Wassermassen mit hohem Salzgehalt im Nordatlantik und in dem antarktischen Zirkularstrom sinken ab und setzen globale Meeresströmungen in Gang, bei denen es an anderer Stelle zum aufsteigen von Tiefenwasser kommt. Da CO2 in kaltem Wasser eine höhere Löslichkeit hat als in wärmeren Wasser, wird durch diesen Prozess langfristig CO2 aus der Atmosphäre in die tieferen Wasserschichten transportiert. Aber alle Methoden, die bisher versucht wurden, um diesen Absinkeprozess zu verstärken, waren nicht erfolgreich, insbesondere, weil das Absinken des Wassers an anderen Stellen den Auftrieb verstärken und damit kohlenstoffdioxidreiches Wasser an die Oberfläche befördern würde. Ob die Bilanz dann tatsächlich zu einer verstärkten marinen CO2– bzw. C-Speicherung führen würde, ist fraglich.

Die zweite Möglichkeit ist die Verringerung der auf der Erde auftretenden Sonnenstrahlung, also die Beeinflussung des Strahlungshaushaltes (Solar Radiation Management SRM). Sie beruht einmal auf Methoden, welche die Reflexion der Strahlung verstärken, also die Erhöhung des Albedos der Erdoberfläche. Diskutiert wird zum Beispiel das Weißeln von Dachflächen oder die Installation von großen Reflektorflächen in Wüsten oder auf Meeren. Zur zum anderen könnte das Einbringen von Aerosolen in die Stratosphäre oder von großflächigen Spiegeln in den Weltraum das Durchdringen der Sonnenstrahlen bis zur Erdoberfläche verringern. Alle diese Methoden sind höchst umstritten, da man nur schwer Aussagen über die dabei auftretenden Nebeneffekte und Folgen machen kann. Außerdem ist der finanzielle Aufwand sehr hoch.

Insgesamt birgt Geoengineering große Risiken. Wenn sich aber zeigt, dass die vom Weltklimarat 2018 festgelegten Klimaziele  anders nicht erreicht werden können, wird man die Risiken einiger solcher Methoden wahrscheinlich in Kauf nehmen (Ginsky u.a. 2011).

Kreislaufwirtschaft zur Abfallvermeidung

Vermeidung von Abfall und Umweltverschmutzung  muss nicht (nur) auf Sparsamkeit und Verzicht aufgebaut sein, mindestens genauso wichtig ist eine konsequente Kreislaufwirtschaft: Alle Produkte müssen so konzipiert und  hergestellt werden, dass sie „rematerialisierbar“ sind, ob Möbel, Kleider, Autos, Baumaschinen Häuser oder Lebensmittelverpackungen. Nach Ansicht des Chemiker und Designers Michael Braungart und des Architekten William McDonough ist dieses „cradle to cradle-Prinzip“ (C2C, „Von der Wiege zur Wiege“)  sogar alleine entscheidend. (McDounough, Braungart 2009). Sie berufen sich dabei auf die Natur als Vorbild. Die üppigsten und artenreichsten Ökosysteme, die tropischen Regenwälder, sind nicht nur die produktivsten, sie setzen auch die größten Stoffmengen um. Daraus folgert Braungart, dass es nicht darum gehen kann, zu „sparen“ also, weniger umzusetzen, sondern darum, nicht zu „verbrauchen“ sondern zu „gebrauchen“. „Verschwendet! Aber richtig: Macht keinen Müll!“ fordert er. Sonnenenergie steht im Prinzip soviel zur Verfügung, dass es kein Problem ist, verschwenderisch damit umzugehen. Soziale Ungerechtigkeit und das Nord-Süd-Ungleichgewicht können nicht durch Sparsamkeit gelöst werden. Ihre Lösung ist aber Voraussetzung für geordnete, friedliche Verhältnisse auf unserem Planeten.

Dieses Konzept steht in gewissem Widerspruch zu der Forderung einer verminderten Ressourcennutzung wie sie vom Wuppertal Institut für Klima,Umwelt, Energie, zunächst als „Faktor 4“ (v. Weizsäcker, Lovins, Lovins 1995) später als „Faktor 10“ (Schmidt-Bleek 1997) propagiert wurde. Sicher kann es bei einer zukunftsfähigen, nachhaltigen Wirtschaft nur um ein „Sowohl-als-auch“ gehen, denn Kreislaufprozesse ganz ohne Abfall und Umweltschäden – das zeigt auch das Vorbild Natur – gibt es nicht. Fossile Brennstoffe sind ein Beispiel für solche natürlichen Abfälle und globale Katastrophen. Gutes Beispiel für die menschliche Wirtschaft  ist die große Verschwendung von Nahrungsmitteln und die damit verbundene Zerstörung von gut funktionierenden Kreislauf-Ökosystemen und inhumaner Nutztierhaltung.

Wie zukünftiges Wirtschaften verbessert werden könnte zeigt ein in Dänemark entwickelter Industriepark, in dem eine „Symbiose“ zwischen verschiedenen Industrieunternehmen nicht nur eine starke Abfallverminderung sondern auch eine bessere Energienutzung ermöglichen (Kalundborg Symbiosis 2020).

Das größte Problem beim Plastikabfall sind die Verpackungen. Eine konsequente Einführung von kompostiertem Verpackungsmaterial könnte hier große Verbesserungen bringen. Weltweit hat die sehr erfolgreiche Einführung von Kaffeepads aus Kunststoff oder Aluminium zu einem enormen Anstieg von Verpackungsmüll und Ressourcenverbrauch geführt, jährlich mittlerweile über 40 Milliarden Kapseln. Aber immer mehr Firmen versuchen, kompostierbare Verpackugen zu produzieren. Ein Beispiel ist die Firma Nexe Innovations, die derzeit mit ihren kompostierbaren Kaffeepads recht erfolgreich ist, die in allen gängigen Kaffeemascinen verwendet werden können.

Neobiota-Management

Im Laufe der Erdgeschichte zerbrachen Kontinente oder schoben sich zusammen, Inseln und Inselarchipele entstanden neu oder gingen unter, aus Grabenbrüchen wurden Ozeane, Meeresbuchten wurden abgetrennt, Binnenmeere öffneten sich zum Ozean. Diese geologischen Ereignisse wurden begleitet  von Ausbreitung, Rückgang, Einwanderung und Auswanderung von Lebewesen. Die Invasion neuer Arten und die Ausbreitung von Krankheitserregern und die dadurch bedingten Veränderungen von Ökosystemen sind ein natürlicher Vorgang in der Geschichte des Lebens. Doch im Gegensatz zu den geologischen Veränderungen haben die anthropogen verursachten globalen Veränderungen der letzten Jahrhunderte und vor allem der letzten Jahrzehnte zu einer enormen Beschleunigung dieser Invasionen beigetragen.

Schon im Zeitalter der europäischen Eroberungen und Kolonisationen und der Einwanderung von Europäern nach Amerika und Australien  wurden Tier- und Pflanzenarten von Menschen gezielt von Kontinent zu Kontinent verbreitet.

In den letzten Jahrzehnten haben der globale Warenaustausch und der Reiseverkehr, aber auch die gezielte Einfuhr gebietsfremder Arten, zu einer starken Zunahme von Neobiota (Neubürgern) geführt. Diese Einwanderer sind ein ernst zu nehmendes Naturschutzproblem geworden. Durch die Verdrängung einheimischer Arten können sie Ökosysteme verändern und schließlich das Aussterben von Arten bewirken („invasive Arten“). In der EU-Liste invasiver gebietsfremder Tier- und Pflanzenarten („Unionsliste“) werden derzeit 66 Tier- und Pflanzenarten als möglicherweise invasiv aufgelistet. Bereits in Deutschland etabliert sind zum Beispiel der Riesen-Bärenklau (Heracleum mantegazzianum), das Indische Springkraut (Impatiens glandulifera), der Kamberkrebs (Orconectes limosus) und die Amurgrundel (Percottus glenii) (NABU 2019). Neben einer Konkurrenz mit einheimischen Arten geht es dabei auch um Schädlinge wie Kartoffelkäfer, Asiatischem Marienkäfer, Varoamilbe oder Buchsbaumzünsler, gegen die ansässige Arten kaum Abwehrkräfte entwickelt haben.

Wegsaum mit Drüsigem Springkraut (Impatiens glandulifera) im Rotwildpark Stuttgart, September 1991. Die Art stammt aus dem Himalaja und wurde 1839 nach England eingeführt. Von dort gelangte sie auf den Kontinent. Heute gilt sie als invasiver Neophyt und wird teilweise bekämpft. Verschiedene Untersuchungen zeigen jedoch, dass die Pflanze die natürliche Waldverjüngung kaum negativ beeinflusst (Foto W. Probst).

Besonders gefährdet durch invasive Arten waren und sind Inseln mit speziellen Ökosystemen und vielen endemischen Arten. Die absichtliche Aussetzung von Ziegen und Schweinen und die unabsichtliche Einfuhr von Ratten durch die frühen Seefahrer des 16.-19. Jahrhunderts hatten schon verheerende Auswirkungen auf pazifischen Inseln, aber auch die Besiedlung von Amerika, Australien und Neuseeland durch Europäer hat einen gewaltigen Invasionsschub verursacht, der das Ende zahlreicher einheimischer Arten bewirkte. Gut dokumentiert ist der Artenrückgang auf der Pazifikinsel Guam, der durch die eingeschleppte Braune Nachtbaumnatter (Bioga irregularis) verursacht wurde (Probst 2010).

Aber sind alle Neobiota problematisch? Einer der führenden Neobiota-Forscher, Ingo Kowarik, gibt darauf folgende Antwort:

  • Ja, wenn Veränderungen von Natur als Problem gesehen werden.
  • Ja wenn „Fremdes“ als negativ gesehen wird.
  • Nein, wenn unterschiedliche Auswirkungen berücksichtigt werden.

(Ingo Kowarik bei einem Vortrag zum Landesbiologentag an der Universität Hohenheim am 7.11.2020).

Durch auf wissenschaftlichen Grundlagen erarbeitete Management-Pläne versucht man, schädliche Auswirkungen von Neobiota auf die Biodiversität zu begrenzen. Ein Beispiel: Durch den organsierten Austausch von Ballastwasser in der marinen Schifffahrt seit 2017 soll die Einschleppung gebietsfremder Arten verhindert werden.

Pandemien und Naturschutz

Mit dem globalisierten Austausch von Menschen und Waren haben sich auch Krankheitserreger ausgebreitet. Dies führte nicht selten in den neuen Ausbreitungsgebieten zu verheerenden Epidemien. Besonders betroffen waren  indigene Bevölkerungsgruppen Amerikas, zum Beispiel die mittlerweile (fast?) ausgestorbenen Ureinwohner Feuerlands, die Yagan oder Yamana (Kaiser 2013).

Auch in umgekehrter Richtung wurden schon lange Keime übertragen, zum Beispiel der Cholera-Erreger Vibrio cholerae aus Indien. Auch die Übertragung von Krankheitserregern von Tieren auf Menschen geht bis in das Neolithikum zurück, als durch die Einführung der Nutztierhaltung der Kontakt zwischen Tieren und Menschen enger wurde. Masern und Tuberkulose stammen von Kühen, Keuchhusten von Schweinen und Grippe von Enten (Shah 2020).

Die rasant voranschreitende Globalisierung der letzten Jahrzehnte hat die rasche Ausbreitung von Krankheitserregern, insbesondere von Bakterien und Viren, weiter gefördert. Dabei spielen nicht nur die größere Mobilität der Bevölkerung und der Reiseverkehr über große Entfernungen eine wichtige Rolle, sondern auch die immer stärkere Einschränkung von Wildtierpopulationen durch Verlust natürlicher Lebensräume, zum Beispiel tropischer Regenwälder. In den kleineren Populationen können sich Erreger schneller ausbreiten. Außerdem fördert der immer intensivere Kontakt der ständig wachsenden menschlichen Bevölkerung mit Tieren früher sehr abgelegener Regionen den Übergang von Krankheitskeimen von Wildtieren zu Menschen (Beispiel AIDS, Ebola, Vogelgrippe H1N5, SARS-Corona, Covid 19; vgl. Ruppert 2021, Keesing 2010, Jones 2008).

Man kann nur hoffen, dass die derzeitigen Erfahrungen mit der Covid 19 Pandemie zu einem Umdenken und einer vorsichtigeren Vorgehensweise führen.

Die immer intensivere Einflussnahme des Menschen auf alle Lebensräume und die räumliche Einschränkung naturnaher Biotope sollte gestoppt und womöglich rückgängig gemacht werden. Dabei geht es insbesondere darum, die Vielfalt der Arten in ausreichender Populationsgröße zu erhalten. Dadurch kann erreicht werden, dass sich Viren, auch neue mutierte Viren, nicht flächendeckend ausbreiten, sondern eher in einer Nische bleiben und nach einiger Zeit wieder Aussterben (infektionsbiologischer Verdünnungseffekt). Auch Generalisten wie Ratten oder Sperlinge, die für die Übertragung auf menschliche Populationen besonders gefährlich sind, sind in intakten Ökosystemen weniger verbreitet .

Inklusiver Naturschutz

Naturschutz sollte nicht nur in abgegrenzten Gebieten oder Biotopen stattfinden sondern überall. Die Einrichtung von Naturschutzgebieten hat zwar insofern eine gewisse Berechtigung, als es leichter ist, ökologisch wertvolle Lebensgemeinschaften, Schlüsselarten und Habitate auf diese Weise zu schützen. Außerdem sind naturnahe, von Menschen wenig beeinflusste Gebiete eine wichtige Voraussetzung für die ökologischen Funktionen des Bioplaneten. Es besteht aber die Gefahr, dass außerhalb von Schutzgebieten auf Natur und natürliche Funktionsabläufe keine oder zu wenig Rücksicht genommen wird. Angesichts der immer intensiveren Nutzung der Erde durch den Menschen wird es außerdem immer schwieriger, ausreichende Flächen für ungenutzte Gebiete bereitzuhalten. Flächendeckender „inklusiver“ Schutz der Natur auch in Städten und Gewerbegebieten, in Agrarlandschaften und entlang von Verkehrswegen wird deshalb immer wichtiger. Es gibt mittlerweile viele Ansätze, wie Natur auch außerhalb von Schutzgebieten nicht „ausgeschaltet, sondern eingeschaltet“ werden kann (Le Roy 1973), und Biodiversität und natürliche Funktionsabläufe erhalten bleiben.

Städte und Siedlungen

Zwischen 1985 und 2015 hat die die Ausdehnung von Städten und Siedlungen jährlich um 9687 km² zugenommen, mit steigender Tendenz (Liu et al. 2020). Damit ist der Flächenverbrauch der Städte schneller gewachsen als die Bevölkerung. Für eine nachhaltige Entwicklung müssen Städte deshalb „ökologisch“ werden. Eine Stadt mit großen Grünanlagen wie Parks und Gärten bietet zwar eine hohe Lebensqualität und eine bessere Ökobilanz. Dies geht aber insofern auf Kosten der Umgebung, als sie mehr Fläche für denselben umbauten Raum benötigt. Eine Erfolg versprechende Möglichkeit für dicht bebaute Großstädte ist die Integration von Bauwerken und Grünanlagen.

Neben Minderung des Klimawandels durch eine Verbesserung der CO2-Bilanz können dadurch auch die Auswirkungen einer Klimaerwärmung verringert werden (Grewe 2020). Schließlich wirken mit Sachverstand begrünte Städte auch dem Verlust der Biodiversität entgegen.

Die dynamische Vergrößerung städtischer Flächen von1985-2015. Datengrundlage sind Landsataufnahmen mit einer Auflösung von 30m. b) Steigungsrate des Stadtflächen-Wachstums auf den verschiedenen Kontinenten (Quelle Liu et al. 2020).
Vernetzte Dachgärten (Zeichnung W.Probst)

Dächer

Schon lange zählt es zu Attributen ökologischer Bauweise, Dächer zu begrünen. Die Etablierung und Ausgestaltung solcher Dachgärten und Wiesen ist aber noch sehr stark ausbaufähig, wie man auf Luftbildern von Städten leicht erkennen kann. Begrünte Dächer können durch Brücken vernetzt werden. Durch treppenartige Anordnung von Gebäudeteilen können Verbindungen zur bodenständigen Grundflächen hergestellt werden.

Fassaden

Auch begrünte Fassaden gibt es schon lange, aber eher an alten Bauernhäuser auf dem Land als an mehrgeschossigen Stadthäusern, Bankhochhäusern und Industrieanlagen. Eine Möglichkeit: Flächenhafte Begrünungsmodule, die mit einfachen Mitteln an Fassaden angebracht werden können und die durch Anschluss an eine Bewässerungsanlage wartungsarm sind. Die Elemente können aus einem Gerüst bestehen, an dem mehrere auswechselbare Pflanzgefäße aufgehängt werden. Fensterfassaden könnten  durch berankte Schnurgerüste – Hopfenfeldern vergleichbar – begrünt und beschattet werden.

Ein interessanter Vorschlag sind vorbegrünte Pflanzennetze. Solche „Urban Pergolas“ sollen als Verschattungssystem der Aufheizung von Fassaden entgegenwirken und die Städte in einen „diversen Großstadtdschungel“ verwandeln. Die Pflanzennetze können an einem oder zwischen mehreren Gebäuden angebracht werden und dadurch Grünflächen schaffen, ohne andere Nutzungen den Platz wegzunehmen (Urban Pergola 2021).

Balkone

Eine weitere Möglichkeit der vertikalen Begrünung, die in wenigen Beispielen schon verwirklicht ist, wäre die Ausgestaltung von Pflanzbalkonen mit Sträuchern und Bäumen (Boeri 2015).

Städte mit grünem Pelz

Ergänzend zu den genannten Maßnahmen können Verkehrswege, insbesondere Straßen und Schienenverkehr, wie U-Bahnen unter die Oberfläche verlegt werden, wodurch Platz für bodenständige Grünanlagen aber auch Rad- und Fußwege gewonnen würde. Regenwasser können den Zisternen gespeichert und in Trockenperioden zur Bewässerung genutzt werden wodurch die Kanalisation entlastet würde.

So könnten schließlich Städte entstehen, die ganz in einem grünen Pelz eingehüllt sind und die sich fast übergangslos in die umgebende Landschaft einfügen (vgl. Jean Nouvel 2014, Boeri 2015).

Begrünte Wohnblocks (Modellbau W.Probst)

Landwirtschaft

In der Landwirtschaft sollten großflächige Monokulturen durch ökologisch wertvollere Netze (Feldhecken, Blumenstreifen, Bachläufe) und Inseln (Feldgehölze, Feuchtgebiete) unterbrochen werden. Mischkulturen aus Gehölzen, mehrjährigen und einjährigen Nutzpflanzen (Agroforestry) könnten vor allem in wärmeren Klimaregionen eine ökologische Alternative zu Monokulturen darstellen. Die sehr aufwändige arbeitsintensive Bewirtschaftung würde durch einen Einsatz intelligenter Maschinen zu vertretbaren Produktionskosten möglich.

Nachhaltige Landwirtschaft: Vertical Farming spart Flächen und erleichter Stoffkreisläufe; Vernetzung durch Feldhecken und Wildpflanzenstreifen erhöht die Biodiversität in Agrarflächen und wird durch intelligente Maschinen möglich; Agroforestry, Anbau von Kulturpflanzen in mehreren Vegetationsschichten, fördert die Biodiversität und eignet sich vor allem für wärmere Klimazonen (z.B. in Kombination mit Kaffee- und Kakaoanbau) (Zeichung W.Probst)

Landwirtschaft 4.0

Lange Zeit wurden Landmaschinen – den Dinosaurier vergleichbar – immer größer und größer. Vergleicht man einen Traktor aus den 19hundertfünfziger Jahren mit einer heutigen Maschine wird dieser Hang zum Gigantismus deutlich. Er hängt natürlich direkt zusammen mit der Vergrößerung der landwirtschaftlichen Betriebee und vor allem der bewirtschafteten Flächen. Die Dinosaurier sind nicht zuletzt auch wegen ihrer Größe ausgestorben. Die immer größeren Landmaschinen stellen für die Landwirte eine große finanzielle Belastung dar und sicher sind sie ein Grund dafür, dass immer mehr landwirtschaftliche Betriebe aufgeben müssen. Auch die Verdichtung der Böden durch die Riesentraktoren ist ein großer Nachteil. Die Entwicklung kleiner intelligenter Landmaschinen könnte eine neue, ökologisch verträglichere und damit nachhaltigere Form der Landbewirtschaftung einleiten. Diese Maschinen könnten – ähnlich wie ein Schweizer Armeemesser – viele Funktionen in sich vereinen: ein Roboter, der jede Pflanze individuell behandelt, nicht nur mit Herbiziden, Insektiziden und Fungiziden, sondern auch mit angepassten Düngemitteln, und der auch für eine gezielte Bewässerung sorgt. Dies alles könnte in einem Arbeitsgang und in individuell angepassten Mengen geschehen. Die Folgen einer solchen Behandlung von Einzelpflanzen statt von ganzen Feldern bedeutet nicht nur eine deutliche Reduktion benötigter Chemikalien und anderer Ressourcen. Diese Maschinen könnten von Drohnen oder von Satelliten gesteuert die jeweiligen Zielorte erreichen. Eine Weiterentwicklung der Erntemaschinen könnte Mischkulturen und Agroforestry wirtschaftlicher machen.

Vertical Farming

Eine zukunftsweisende und flächensparende Form zur Produktion von Nahrungsmitteln und anderen nachwachsenden Rohstoffen wird mit dem Begriff „Vertical Farming“  bezeichnet. Der New Yorker Professor für Umweltgesundheit und Mikrobiologie Dickson Despommier entwickelte mit seinen Studenten ab 1999 entsprechende Ideen  zunächst für die Nahrungsmittelversorgung der 50000 Einwohner Manhattans. Ausgangspunkt waren Überlegungen zum möglichen Gemüseanbau auf Dachflächen. In der Weiterentwicklung  wurden Hochhäuser geplant, die insgesamt der Pflanzenkultur dienen sollen. Diese Einbindung von Farmen in das Innere von Gebäude wird mit dem Begriff „Sponge City- Architecture“ oder „Agritecture“ bezeichnet. In mehreren oder allen Stockwerken eines solchen  Hochhauses sollen Pflanzen auf optimale Weise automatisch gesteuert und reguliert kultiviert werden. Gleichzeitig sind diese Kulturen in Kreislaufsysteme, insbesondere der  Wasserwiederverwendung und Abwasseraufbereitung, eingebunden (Despommier 2011). Auch eine Kopplung mit Aquakulturen und anderen Formen der Nutztierhaltung ist möglich.

Der Vorteil solcher Plantscraper ist nicht nur der gegenüber normalem Farmland  10-20mal geringere Flächenverbrauch. Erhebliche Ressourcen könnten dadurch ein gespart werden, dass es einen geschlossenen Wasserkreislauf gibt und kontrollierte Umgebungsbedingungen den Einsatz von Pestiziden und Düngemitteln reduzieren. Die Kulturen sind unabhängig von Außenbedingungen wie Dürre, Frost, Starkniederschläge, Hagel und Sturm und sie können ganzjährig betrieben werden. Künstliches Licht kann Pflanzenwachstum rund um die Uhr auch in dunklen Jahreszeiten ermöglichen. Die schnellere und einfachere Versorgung der städtischen Bevölkerung mit frischen Nahrungsmitteln erfordert weniger Transportkosten, verbessert die Luft und mindert über Wasserspeicher die Überflutungsgefahr. Die Energieversorgung kann über Solarzellen, Windenergieanlagen und die Produktion von Biogas aus organischen Abfällen in einem Kreislaufsystem gesichert werden.

Der extrem dicht bevölkerte Stadtstaat Singapur plant seine Nahrungsmittelversorgung durch schwimmende Hochhäuser zu verbessern.

Geplante schwimmend Plantscraper für Singapur (Quelle
https://www.designboom.com/architecture/forward-thinking-architecture-japa-floating-responsive-agriculture-07-18-2014/ )

Voraussetzungen für den erfolgreichen Betrieb solcher Hochhausfarmen ist eine ausgefeilte Technik, die von intelligenten Computersystemen gesteuert wird. Das schwedische Architekturbüro Plantagon plant ein Forschungszentrum für urbane Landwirtschaft in Linköping zu entwickeln. Ausgangspunkt soll ein im Bau befindlicher Plantscraper sein, an dem technische Systeme erprobt und verbessert werden können.

Modell-Plantscraper in Linköping,Schweden, im Bau (Quelle: http://www.plantagon.com/about/business-concept/the-linkoping-model/ )

Verkehrswege

Durch Brücken und Tunnel kann der Zerschneidungseffekt von Verkehrswegen gemindert werden (Zeichnung W.Probst)

Je dichter die Besiedelung, desto dichter sind nicht nur Städte, Siedlungen  und Industrieanlagen, desto dichter ist auch das Netz von Verkehrswegen, insbesondere Straßen und Autobahnen (in Deutschland  derzeit nach Erhebung des Umweltbundesamt knapp 20000 km², das entspricht rund 5,5% der  Landesfläche). Das wirkt sich r nicht nur über den Flächenverbrauch und die Versiegelung sondern vor allem über den Zerschneidungseffekt nachteilig auf die Funktion von Ökosystemen aus. Mehr noch als Pflanzenarten sind Tierpopulationen durch die dadurch bedingte Verinselung betroffen. Auch die direkte Tötung von Tieren durch den Verkehr spielt eine Rolle. Indirekt wirkt sich dies über die Bestäuber und die Verbreitung von Früchten und Samen auf die Vegetation aus.

Eine Verbesserung kann einmal durch geeignetes Straßenbegleitgrün erreicht werden (Kühne/Freier 2012). Vor allem aber kann die trennende Wirkung von Verkehrsflächen durch Brücken, sowohl Brücken über schützenswerte Landschaftsteile als auch verbindende Grünbrücken, und Tunnel erreicht werden. Schutzgräben oder Zäune können in Kombination mit kleinen Tunneln insbesondere  Amphibien bei ihren Laichwanderungen schützen (Krötenzaun, Krötentunnel).   Nicht mehr benötigte Verkehrswege sollten renaturiert (entsiegelt) werden.

Schließlich sind die hohe Verkehrsdichte und die damit verbundenen Emissionen der Verkehrsmittel ein großes Problem. Sie wird einmal durch den Individualverkehr, zum anderen durch den Güterverkehr verursacht. Beide haben in den letzten Jahrzehnten ständig zugenommen. Eine größere Verlagerung dieses Verkehrs auf die Bahn wird schon lange als Ziel formuliert, ließ sich aber bisher politisch nicht durchsetzen. Auch eine Förderung dezentraler Produktion könnte der ständigen Zunahme des Güterverkehrs entgegenwirken.     

Quellen

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Kompartimentierung – aufgeteilt und doch verbunden (zu UB 340)

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Grenzen und Ordnung

Ein Schulhof in der großen Pause: Kinder und Jugendliche scheinen ungeordnet durcheinander zu laufen. Einige bilden Gruppen, die stehen oder sich langsam bewegen, andere rennen kreuz und quer, wieder andere gehen gemächlich einzeln oder zu zweit, sitzen auf Banketten oder auf dem Boden. Schaut man dem Treiben länger zu, erkennt man Regeln und Strukturen. Es gibt die sich lebhaft unterhaltenden Gruppen älterer Schüler, ebenso Mädchenzirkel oder auch einen handgreiflichen Streit mit Zuschauern, Pärchen und Einzelgänger, jüngere und ältere Schüler und Schülerrinnen, die sich räumlich streng getrennt aufhalten. Man kann feststellen, dass es eine unsichtbare, aber allen bekannte Kompartimentierung des Schulhofes gibt, die dem bunten Treiben deutliche Grenzen setzt. Dabei kann man zwischen räumlichen (Klassenraum, bestimmter Bereich des Pausenhofes, Lehrerzimmer…) und nicht räumlichen Kompartimenten (Jahrgänge, Klicken) unterscheiden.

Betrachtet man das Innere  einer Zelle mit einem starken Lichtmikroskop, kann man auch scheinbar Ungeordnetes beobachten, nicht zuletzt die zitternde Bewegung kleiner Cytoplasmabestandteile, die Robert Brown 1827 als „Molekularbewegung“ erklärt hat. Die exakte Beobachtung durch immer besser auflösende bildgebende Verfahren, Färbungen und Markierungen  hat  jedoch gezeigt, dass die „Protoplasten“ ein in viele definierte Kompartimente aufgeteiltes  sehr komplexes System darstellen.

Immer wenn Wechselwirkungen und Austauschvorgänge eingeschränkt werden, entstehen abgegrenzte Bereiche, in denen mehr solche Austauschvorgänge stattfinden, als in den Bereichen außerhalb des Kompartiments. Die Einschränkungen können auf verschiedene Weise stattfinden. Neben physischen Barrieren können dies auch Bindungen sein, die freie Beweglichkeit verhindern: Man kann einen Hund am Streunen hindern, indem man ihn in einen Käfig sperrt, aber auch indem man ihn an eine Kette legt. Schließlich ist auch in der Biologie eine Kompartimentierung nicht nur räumlich zu denken.  Auf molekularer Ebene gibt es bestimmte Markierungen von Molekülen  oder Zellorganellen,  die Kontakte und Wechselwirkungen begrenzen, z.B. bei der selektiven Wirkung von Hormonen oder Neurotransmittern. Andere nichträumliche Kompartimente sind biologische Arten und die Unterscheidung zwischen „eigen“ und „fremd“.

Im Zustand maximaler Unordnung oder maximaler Entropie gibt es keine Barrieren. Demgegenüber bedeutet Kompartimentierung Ordnung, aber auch unterschiedlich intensive Wechselwirkungen, Hierarchien, Netze, Transportsysteme, Informationen, Informationsverarbeitung, Steuerung und Regelung. Solche Ordnung durch Abgrenzung ist charakteristisch für den gesamten Kosmos. Hier soll es jedoch um die Kompartimente des Lebens und der Lebewesen gehen. Leben wie wir es kennen, ist an einzelne Lebewesen, an Individuen gebunden, die von ihrer Umwelt deutlich abgegrenzt sind. Individuen sind die „Grundkompartimente“ des Lebendigen. Aber jeder Organismus ist auch in seinem Inneren in mehr oder weniger abgeschlossene Reaktionsräume unterteilt. Ebenso geht die Kompartimentierung auf Ebenen oberhalb des Individuums weiter.

In der Regel geht man von einer Komplexitätszunahme dieser Grundkompartimente im Laufe der Evolution aus. Prokaryoten sind weniger kompartimentiert als Eukaryoten, Einzeller weniger als Vielzeller usw. Gleichzeitig bedeutet diese Komplexitätszunahme immer auch eine Überschreitung von vorher bestehenden Grenzen: Eukaryoten sind ein Symbioseprodukt verschiedener Prokaryoten, Vielzeller sind Aggregationen von Zellen, zwischen denen mehr Stoff- und Informationsaustausch stattfindet, als zwischen Einzellern. Seltener ist auch eine Reduktion der Kompartimentierung im Laufe der Evolution möglich, z.B. bei manchen Parasiten.

„Vernetzung“ ist  nur möglich, wo es abgegrenzte Bereiche gibt, aber eben auch nur, wo diese Grenzen ausreichend offen sind. In Science-Fiction Entwürfen werden immer wieder Visionen entwickelt, in denen durch neuartige und umfassende Vernetzungen „Superintelligenzen“ entstehen (vgl. z. B.  Stanislaw Lems „Solaris“, Crightons „Die Beute“ oder Schätzings „Der Schwarm“. Aber auch in der realen Biologie gibt es Beispiele für „extended organisms“ wie Polypenstöcke, Termiten- und Ameisenkolonien und natürlich alle Formen von Symbiosen.

Lebensentstehung

Schon die Entstehung des Lebens aus unbelebten Vorstufen ist mit zusätzlicher Kompartimentierung verknüpft. Die meisten Vorstellungen von der Biogenese gehen  davon aus, dass diese Abgrenzung bereits durch Membranen stattgefunden hat, deren Grundaufbau den heutigen Biomembranen ähnelte. Andere Vorstellungen nehmen an, dass die Grenzbereiche selbst Ausgangspunkt der Lebensentstehung waren, z. B. dass sich Lebensmoleküle an mineralische Oberflächen festgeheftet haben und dadurch ein geordneter Ablauf von Stoffwechselreaktionen möglich wurde (vgl. z. B. Wächtershäuser 2000).

Das „Genkonzept“ von der Entwicklung des Lebendigen sieht in den Nucleinsäuren die „Startmoleküle“ des Lebens. Am Anfang standen RNA-Moleküle, die auch als Enzyme wirken können. Aus der Kooperation solcher Nucleinsäuren mit einer zweiten Molekülklasse, den Proteinen, soll sich dann LUCA (Last Universal Common Ancestor), der letzte gemeinsamen Vorfahr aller Lebewesen, entwickelt haben. Eine Suche nach den Genresten von Luca war jedoch bisher nicht sehr erfolgreich. Deshalb wurde die  Vorstellung entwickelt, dass es eine Lebensgemeinschaft von Urlebewesen gab, die zwar gegeneinander abgegrenzt waren, und dadurch jeweils einen eigenen Stoffwechsel hatten, aber ihre Gene teilten. Der bis heute weitverbreitete horizontale Genaustausch bei Prokaryoten wäre dann Rest dieses Urzustandes, eines Zustandes, indem es das Kompartiment „Art“ noch nicht gab (Whitfield 2004).

Die inneren Kompartimente der Eucyten

Charakteristisch für die Zellen der Eukaryoten ist, dass sie stark differenzierte innere Membransysteme ausgebildet haben. Die meisten dieser Membransysteme sind entweder unmittelbar miteinander verbunden oder sie stehen über den Austausch von Vesikeln miteinander in Verbindung, Membran umschlossenen Blasen, die sich von Membranen abschnüren oder sich mit Membranen vereinigen können . Zu diesen Membransystemen gehören

  • Kernhülle und Endoplasmatisches Retikulum (ER)
  • Golgiapparat (Dictyosomen)
  • Lysosomen
  • Vakuolen
  • Peroxisomen bzw. Microbodies
  • Plasmamembran (als Abschluss des Zellkörpers nach außen)

Nicht mit den übrigen Membransystemen in Verbindung stehende Kompartimente, die durch Doppelmembranen vom Zytoplasma abgegrenzt sind:

  • Plastiden
  • Mitochondrien

Eine Erklärung für die Sonderstellung dieser beiden Zellorganelle ergibt sich aus ihrer stammesgeschichtlichen Entstehung aus Endosymbionten. Während die Innenmembran der Mitochondrien stark aufgefaltet ist, enthalten die Plastiden insbesondere die grünen Chloroplasten in ihrem Inneren ein weiteres Membransystem aus sogenannten Thylakoiden, das durch Abschnürung aus der inneren Plastidenmembran entsteht, aber im Endzustand nicht mehr mit ihr verbunden ist. In als Grana bezeichneten Thylakoidstapeln sind die Pigmente und Enzyme der Photosynthese untergebracht. Plastiden sind über dünne, von beiden Membranen umgebene ?lasmakanale, den sogenannten Stromuli untereinander und auch mit Zellkern und Mitochondrien verbunden (Krupinska et al. 2010).

Das zweite Kompartimentierungssystem der Zellen besteht aus fädigen Proteinstrukturen: Aktinfilamenten, Mikrotubuli und intermediären Filamenten. Alle drei stellen Polymere aus kleineren Proteinmolekülen dar (Abb.  ). Sie bilden in der Zelle ein netzartiges Gerüst, das auch an der Zellmembran verankert ist. Aktinfilamente sind, oft in Verbindung mit dem Motorprotein Myosin, für Bewegungen der ganzen Zelle – besonders augenfällig bei Muskelzellen – sowie unterschiedliche Viskositätszustände des Cytoplasmas zuständig. Sie können äußere Gestaltänderungen der Zellen bewirken. Mikrotubuli bewegen Zellorganelle durch das Cytosol und Chromosomen bei der Mitose. Sie sind die bewegenden Strukturen von Cilien und Geiseln. Intermediäre Filamente sind sehr stabile seilartige Fadenstrukturen, die z.B. für die Stabilität des Zellkerns und der Nervenfasern und für die Zerreiß- und Zugfestigkeit von Epithelien verantwortlich sind.

Kompartimente bei Prokaryota

Das innere Membransystem der Eucyten ermöglicht die vielfältigen nebeneinander ablaufenden Reaktionen in der Zelle, in dem es Reaktionsräume, Speicherräume und Entsorgungsräume gegeneinander abgrenzt. In Procyten ist das innere Membransystem im Allgemeinen nicht so stark ausgeprägt, wenngleich auch die Zellen vieler Prokaryoten reichlich innere Membranen enthalten, die aus Einstülpungen der Zellmembran hervorgehen. Bei den Cyanobakterien tragen diese intracytoplasmatischen Membranen (ICM) die Pigmente und Enzyme für die Photosynthese, bei aeroben Bakterien sind die Enzyme für die Zellatmung an inneren Membranen verankert. Dafür, dass auch in Prokaryoten viele Stoffwechselreaktionen parallel stattfinden können, ohne sich gegenseitig zu behindern, sind neben Membranabgrenzungen Proteinstrukturen verantwortlich, die im Cytosol oder an der Zellmembran relativ fest verankert sind und Stoffwechselpartner an sich binden.

Es gibt Hinweise, dass die stärkere Kompartimentierung der Eucyten mit dem steigenden Sauerstoffgehalt der Atmosphäre zusammenhängt. Nach Acquisti et al. (2007) sind sauerstoffreiche Membranproteine bei einer reduzierenden Umgebung weniger stabil als sauerstoffarme. Gerade für Signal übertragende Transmembranproteine sind solche sauerstoffreichen Domänen aber charakteristisch. Mit der Erhöhung des atmosphärischen Sauerstoffgehaltes  konnte der Einbau solcher Proteine in Biomembranen zunehmen. Dies betrifft insbesondere die für die Signalübertragung durch Membranen nötigen Proteine mit relativ großen auf der Außenseite der Membran liegenden Rezeptorstrukturen.

Struktur und Funktion von Biomembranen

Schon bevor man Biomembranen im Elektronenmikroskop sichtbar machen konnte, ließen bestimmte chemische und physikalische Eigenschaften darauf schließen, dass Lipide ein wichtiger Bestandteil dieser Membranen seien. So beobachtete man, dass fettlösliche Substanzen von den Zellen viel leichter aufgenommen wurden, als wasserlösliche. Außerdem stellte man fest, dass Zellmembranlipide auf Wasser einmolekulare Schichten bilden, um die Zelle aber in einer Doppelschicht vorliegen müssen (Gorter, Grendel 1925 nach Helmich 2001/2005). Dass Zellmembranen auch für Wasser und anorganische Ionen in gewissem Umfang durchlässig sind, kann man sich nur erklären, wenn man annimmt, dass in die Lipiddoppelschicht auch Proteinmoleküle eingelagert sind. Eine der ersten Vorstellungen vom Aufbau der Membranen ging von einer Lipiddoppelschicht, vorwiegend aus Phospholipiden, aus, auf der Proteine aufgelagert sein sollten. In einer Weiterentwicklung dieses Modells gingen Singer und Nicolson 1972 davon aus, dass die Proteinmoleküle in der Lipidschicht wie Eisberge im Meer schwimmen. Einige Proteinmoleküle durchdringen die Lipidschicht (Tunnelproteine, Kanalproteine), sie können passiven oder aktiven Stofftransport und Signalübertragung durch die Membran vermitteln.

Die Vorstellung einer Membran als Flüssigkeitsfilm mit frei beweglichen Proteinen stimmt jedoch nicht ganz, die Proteine sind in ihrer Beweglichkeit durchaus eingeschränkt, dabei kann z. B. das Cytoskelett an der Membraninnenseite eine Rolle spielen, das Bereiche mit bestimmten Proteinmolekülen „einzäunt“. Gleichzeitig wirken bestimmte Proteine wie „Zaunpfosten“ (Fence-and-Picket-Modell, Suzuki 2005). Diese abgegrenzten Bezirke können aber von bestimmten Proteinen auch übersprungen werden (Abbot 2005). Eine andere Modellvorstellung geht davon aus, dass es in den Membranen floßartige Lipidschollen („lipid rafts“) gibt, die zähflüssiger sind und mit ihren Proteinen in dem Lipidfilm driften. Dabei können einzelne Proteine von diesen Flößen aufgenommen oder abgegeben werden (Simons, Ikonen 1997).

Der Aufbau der Lipiddoppelschicht ist für deren Flüssigkeit von Bedeutung. Ungesättigte Fettsäuren in den lipophilen Schwänzen der Phospholipide haben einen Knick, der die Moleküle am dichten Zusammenrücken hindert, und fördern dadurch die Fluidität. In die Lipiddoppelschichten eingebaute Cholesterinmoleküle vermindern bei mäßigen Temperaturen die Membranflüssigkeit, weil sie die Beweglichkeit der Phospholipide einschränken. Bei niedriger Temperatur stören sie jedoch die regelmäßige, dichte Packung und verhindern dadurch, dass die Membranen „kristallisieren“.

Die wichtigsten Funktionen der Membranproteine sind:

  • Transport (passiv, aktiv)
  • Enzymaktivität
  • Signalübertragung
  • Verbindung von Zellen
  • Zellerkennung
  • Verankerung am Cytoskelett und an der extrazellulären Matrix

Neben Proteinen sind für die Zellerkennung auch Membran gebundene Kohlenhydrate von großer Bedeutung (Glykoproteine und Glykolipide).

Vom Einzeller zum Vielzeller

Auch Vielzeller entstehen normalerweise aus einer Zelle. Nach den Mitosen bleiben die Zellen jedoch verbunden und geben damit einen Teil ihrer Selbständigkeit auf. Während sie zunächst noch weitgehend identisch und damit „totipotent“ sind, differenzieren sie sich im Laufe der weiteren Entwicklung und damit können nur noch bestimmte Zelltypen aus ihnen hervorgehen („multipotent“). Schließlich sind sie überhaupt nicht mehr teilungsfähig. Damit ist der natürliche Tod der Zellen der Vielzeller vorprogrammiert.

Dieser Übergang von Einzellern zu Vielzellern , der vor etwa einer Milliarde Jahre stattfand, konnte nur funktionieren, wenn weitere Probleme gelöst wurden. Bei Einzellern läuft die natürliche Selektion zwischen den einzelnen Zellen ab. Sie sind die Einheiten der Selektion. Bei Vielzellern darf es keine Selektion zwischen den Körperzellen geben. Das kann nur gelingen, wenn es einen Erkennungsmechanismus von „eigen“ und „fremd“ gibt. Ein solches Selbsterkennungssystem kann als der Anfang eines Immunsystems aufgefasst werden.

Dieses Selbsterkennungssystem ist bei „niederen“ Vielzellern noch nicht sehr ausgeprägt. Deshalb funktioniert z.B. das Propfen bei Pflanzen – sogar zwischen Individuen verschiedenen Arten – meist sehr gut. Auch bei koloniebildenden Tieren ist das Erkennungssystem im Allgemeinen so, dass es zwischen den Einzelindividuen einer Kolonie nicht unterscheidet. Relativ gut untersucht sind die Verhältnisse bei dem koloniebildenden Manteltier Botryllus schlosseri. Das genetisch verankerte „Selbsterkennungssystem“ dieser Seescheide erlaubt nur die Fusion von genetisch nahe verwandten Kolonien. Von manchen Forschern wird daraus gefolgert, dass der ursprüngliche  Sinn des Immunsystems die Verhinderung solcher Zellinvasionen war, die eine Konkurrenz unterhalb des Individuums bewirken würden. Evolutionsbiologisch gesehen könnte man sagen, das Selbsterkennungssystem sorgt bei Vielzellern dafür, dass  der Gesamtorganismus und nicht einzelne Zellen oder Zelllinien die Einheit der Evolution sind.

Diese Sicht  könnte auch ein neues Licht auf das Wirkungsgefüge von Krebsbildungen werfen. So weiß man heute, dass spezielle Krebsstammzellen für die Krebsbildung und die Metastasenbildung entscheidend sind (Clarke, Becker 2007). Weissmann (Ainssworth 2006) sieht gewisse Parallelen zwischen Krebszellen und den Gewinner-Stammzellen von Botryllus. Er meint, wenn man die Gene der Botryllus-Übernahme-Zellen entschlüsseln würde, würde man wahrscheinlich Ähnlichkeiten bei den Genen finden, die Krebszellen ihre tödliche Entwicklung ermöglichen.  Aus dieser Sichtweise könnte man Krebs als ein Relikt bzw. einen Atavismus aus der Zeit des Übergangs von Einzellern zu Vielzellern ansehen.

Zellen und Gewebe

Die Plasmamembran ist die äußere Grenze einer Zelle, aber die meisten Zellen bilden weitere Strukturen aus, die außerhalb der Plasmamembran liegen. Pflanzenzellen z. B. sind von einer festen Zellwand aus Zellulose umgeben. Bei Pilzen besteht diese Zellwand aus Chitin. Die Zellen vielzelliger Tiere besitzen zwar keine den Pflanzenzellen vergleichbare Zellwände, sie verfügen aber über eine hoch entwickelte extrazelluläre Matrix, die vorwiegend aus von der Zelle abgesonderten Proteinfasern (Kollagene, elastische Fasern) und einer Grundsubstanz aus Glykosaminglykanen, Proteoglykanen und  Adhäsionsproteinen (Glykoproteinen) besteht. Diese extrazelluläre Matrix ist mit Proteinen der Zellmembran verbunden (Integrine) und über diese in die Membran integrierten Proteinmoleküle ist auch ein Signalaustausch von der extrazellulären Matrix in das Cytosol der Zelle hinein möglich.

In einem Verband aus vielen Zellen (Gewebe) kann die extrazelluläre Matrix koordinierende Signale übertragen. Dies spielt eine wichtige Rolle bei der embryonalen Gewebe- und Organentwicklung, aber auch bei der Tumorbildung. Dabei spielt die Basallamina als besondere Ausbildung der Extrazellulären Matrix, die Zellen und Epithelien von umgebenden Bindegeweben trennt, eine wichtige Rolle.

In vielzelligen Tieren und Pflanzen sind viele Einzelzellen zu funktionsfähigen Geweben und Organen verbunden. Durch spezielle Plasmaverbindungen können nicht nur kleine Moleküle, Wasser und Ionen sondern auch Proteine und RNA-Moleküle ausgetauscht werden. Für den Transport dieser größeren Moleküle sind Cytosklelettfasern verantwortlich. Bei Pflanzen nennt man diese Verbindungen Plasmodesmen. Bei Tieren gibt es verschiedenen Typen von Zellverbindungen. Besonders häufig sind solche Zellverbindungen in Epithelgeweben, welche die inneren und äußeren Oberflächen eines Tierkörpers auskleiden. Gap Junctions (Kommunikationskontakte) bilden winzige Cytoplasmakanäle zwischen benachbarten Tierzellen. Durch diese Kanäle können Salze, Zucker, Aminosäuren und andere kleine Moleküle bis zu einem Molekulargewicht von 2.000 diffundieren. Weitere Zellverbindungen sind Tight Junctions oder Verschlusskontakte, die Epithelzellen gürtelartig verbinden und verhindern, dass extrazelluläre Flüssigkeit durch ein Epithel hindurchsickert. Im Gehirn bilden die dichten Tight Junctions  zwischen den Endothelzellen der Blutkapillaren die Blut-Hirn-Schranke. Desmosomen und Adhärenz-kontakte („Haftkontakte“) wirken nietenartig und verbinden verschiedene Zellen zu einer Gewebeschicht.

Von Geweben zu Organen

Gewebe setzen sich aus einheitlichen Zellen zusammen, verschiedene Gewebe sind im Tierkörper zu Organen zusammengefasst. Die verschiedenen Organe stehen zwar in enger Wechselwirkung miteinander, durch die  starke Abgrenzung dieser Einheiten sind aber verschiedene Funktionen wie Verdauung, Atmung, Blutkreislauf oder Exkretion erst möglich. Solche Organe bilden als Ganzes relativ abgeschlossene Systeme im Organismus und erst dadurch wird z. B. die Organtransplantation möglich.

Größere Organismen benötigen zum Stofftransport spezielle Transportsysteme. Bei Pflanzen handelt es sich dabei überwiegend um Durchflusssysteme, bei Tieren um Kreislaufsysteme. Auch diese Systeme müssen vom übrigen Körpergewebe mehr oder weniger abgeschlossen sein, um einen wirkungsvollen Stofftransport zu ermöglichen. Aber auch offene Kreislaufsysteme, wie es z. B. für die große Gruppe der Insekten charakteristisch sind, können sehr effektiv arbeiten.

Ein besonders wichtiges, stark kompartimentiertes Stoffwechselorgan des menschlichen Körpers und des Körpers der Wirbeltiere ist die Leber. Beim Menschen liegt sie im oberen Teil der Bauchhöhle unmittelbar unter dem Zwerchfell Sie ist mit einer Masse von rund 2 Kilogramm die größte Körperdrüse. Pro Minute wird sie  von einem Liter Blut durchflossen.

Die diffizile Kompartimentierung der Leber gestattet, dass mehr als 500 verschiedene Stoffwechselvorgänge hier stattfinden können. Zunächst sorgen zwei Zufluss- und zwei Abflusssysteme dafür, dass sich in den Hepatocyten die richtigen Konzentrationsgefälle einstellen können, die für die Umbaureaktionen Voraussetzung sind:

  • Die Pfortader stellt die Verbindung zum Darm her und sorgt dafür, dass die vom Darm resorbierten Nährstoffe zur Leber gelangen.
  • Über die Leberarterie werden den Hepatocyten Sauerstoff und Signalstoffe, aber auch Aufbaustoffe zugeführt.
  • Über die Lebervene werden Abfallstoffe zur Ausscheidung durch die Niere und CO2 zu Abgabe in der Lunge abtransportiert.
  • Auch mit Gallenflüssigkeit werden Abfallstoffe über die Gallengänge und die Gallenblase zum Dünndarm abtransportiert., z.B. die Abbauprodukte des Häms, die gelben Bilirubine.

Die Leber besteht aus einem größeren rechten und einem kleineren linken Lappen, die sich jeweils in Tausende Leberläppchen unterteilen. In der Mitte jedes dieser Läppchen von etwa 1 mm Durchmesser liegt eine kleine Zentralvene, die das Blut zur Lebervene leitet. Zwischen den Läppchen liegen Bindegewebsfelder, durch die sich je ein feiner Ast der Leberschlagader und der Pfortader zeiht, deren Blut durch das Leberläppchen zur Sammelvene sickert, sowie ein Gallenkanälchen, das im Läppchen produzierte Gallenflüssigkeit in zum Blutstrom entgegen gesetzter Richtung zur Gallenblase abtransportiert. Das kleinste Kompartiment des Organs Leber ist die Leberzelle (Hepatozyt). Die Leberzellen sind lamellenartig angeordnet und lassen Kanälchen frei, durch die das Blut sickern kann (Sinusoide).

In den Leberzellen werden viele Eiweißmoleküle aufgebaut, außerdem werden Giftstoffe und Stoffe, die aus dem Körper befördert werden, sollen für die Ausscheidung vorbereitet. Die Glucose aus der Verdauung der Kohlenhydrate kann in den polymeren und damit osmotisch unwirksamen Speicherstoff Glykogen umgewandelt werden, der zum Teil in der Leber selbst gespeichert werden kann. Verschiedene Lipide werden in der Leber aus ihren Bestandteilen aufgebaut und umgebaut, u. a. das Cholesterin.

Bei dem Abbau und Umbau von stickstoffhaltigen Proteinen wird mehr Stickstoff frei als für den neuen Eiweißaufbau benötigt wird. Dieser überschüssige Stickstoff wird in der Leber in Harnstoff umgewandelt, ein Sekretionsprodukt, das an die Lebervene abgegeben, von den Nieren herausgefiltert und mit dem Urin ausgeschieden wird. Auch die Gallenflüssigkeit wird in der Leber produziert und durch besondere Gallengänge zur Gallenblase befördert, von der aus sie über den Gallengang in den Dünndarm ausfließt. Sie besteht aus Gallensäuren bzw.-salzen, Lipiden, Cholesterin und Farbstoffen. Diese Farbstoffe sind Abbauprodukte des Hämoglobins, die sogenannten Bilirubine. Sie sind sowohl für die Gelbfärbung der Gallenflüssigkeit und des Urins als auch für die Braunfärbung des Stuhls verantwortlich. Die Gallensäuren sind Abbauprodukte des Cholesterins. Sie helfen als Emulgatoren bei der Fettverdauung im Dünndarm. Wird der Abfluss der Gallenflüssigkeit verhindert – z.B. durch Gallensteine oder eine Leberentzündung – kann der Bilirubinüberschuss im Blut eine Gelbsucht bewirken.

Durch Schädigungen, wie sie z. B. durch reichlichen Alkoholkonsum hervorgerufen werden können, kann es zur sogenannten Leberzirrhose kommen. Dabei handelt es sich um eine teilweise Zerstörung der Leberzellen. Abgestorbene Hepatozyten werden durch Bindegewebe ersetzt, welches das Organ durchzieht und noch funktionsfähige Zellen isoliert. Diese isolierten Inseln sind von den Zufuhr- und Abfuhrsystemen mehr oder weniger abgetrennt und können deshalb die vielseitigen Stoffwechselaufgaben nicht mehr erfüllen. Dadurch, dass weniger Pfortaderblut aufgenommen werden kann, kommt zu einem Rückstau. Durch die Gefäßwände wird Wasser in die Leibeshöhle filtriert. Der Abtransport der Gallenfarbstoffe über die Gallenblase wird behindert, wodurch es zu gelbsuchtartigen Zuständen kommt usw.

Kompartimente oberhalb des Individuums

Auch oberhalb der Organisationsebenen Zelle, Gewebe, Organ, Organismus ist die Biosphäre in viele Kompartimente gegliedert, wie Populationen, Arten, Biozönosen, Ökosysteme, Biome, Reviere, Areale usw. Dabei wird hier noch deutlicher, dass es neben räumlich definierbaren Kompartimenten auch Kompartimente gibt, die sich aus den besonderen Eigenschaften ihrer Bestandteile ergeben: Populationen und Arten sind durch den gemeinsamen Genpool und die Fähigkeit zum Genaustausch (Sexualität) gekennzeichnet. Räumlich kann sich eine Population aber über den ganzen Erdball erstrecken. Reviere und Areale können sich räumlich vielfach überlappen und überdecken. Derselbe geographische Raum kann z.B. viele Reviere verschiedener Arten enthalten. Ein geographischer Raum mit vielen gemeinsamen Artarealen wird als Floren- oder Faunenregion bezeichnet.

Besonders einschneidend ist die Grenze, die einen Organismus bzw. ein Individuum gegen seine Umwelt abgrenzt. Kreislaufsysteme überschreiten diese Außengrenze ebenso wenig, wie Zellen mit dem speziellen genetischen Programm, das nur für dieses Individuum gilt.  Ein  spezielles Signalsystem sorgt für  die Koordination aller Zellen, Gewebe und Organe innerhalb des Individuums, nur wenig davon dringt  nach außen. Innerhalb des Organismus wird durch aufeinander abgestimmte Stoffwechselvorgänge ein stoffliches Gleichgewicht aufrecht erhalten, das man mit einem eigenen Begriff „Homöostase“ kennzeichnet und das die Grenzen des Organismus nicht überschreitet.  Wenn die genannten individuellen Schranken überschritten werden, nehmen wir das als etwas Besonderes wahr: Bei Säugetieren ist der Kreislauf des Muttertieres mit dem Embryo verbunden, bei Kolonie  bildenden oder Staaten bildenden Tieren  sind die Individualgrenzen ebenfalls mehr oder weniger stark aufgelöst.

Auch der Sexualvorgang ist eine besondere Grenzüberschreitung, durch die gleichzeitig ein höheres Kompartiment gebildet wird, die Gemeinschaft aller Individuen, zwischen denen Gene ausgetauscht werden können, die Art. Die individuellen genetischen Programme machen die innerartliche Evolution möglich, die Genpools  der Populationen und Arten sind die Grundlage für die Evolution oberhalb des Artniveaus.

Die Individuen, die zu einer Art gehören, haben in der Regel ähnliche Ansprüche an ihre Umwelt. Im Bezug auf bestimmte Umweltfaktoren spricht man vom „Toleranzbereich“ der Art. Diese verschiedenen Toleranzbereiche beschränken die Verbreitung der Art. Die räumliche Verbreitung, das Artareal, wird aber auch durch erdgeschichtliche Entwicklungen bestimmt. Dazu gehören tektonischen Vorgänge, insbesondere Verschiebungen der Kontinentalplatten, Gebirgsbildungen und Überflutungen (Meerestransgressionen), Klimaeinbrüche und in der Folge auch Konkurrenzbeziehungen zu Arten, zu denen vorher kein Kontakt bestand.

Arten stehen in vielen Wechselbeziehungen mit der Umwelt und mit anderen Arten. Vorwiegend durch geografische und geologische Gegebenheiten werden diese Wechselbeziehungen aber beschränkt und gelenkt. In bestimmten Gebieten und zwischen den darin vorkommenden Arten sind die Wechselbeziehungen vielfältiger als nach außen. Die Folge ist, dass sich die Biosphäre abgestuft in viele Teilräume untergliedern lässt, die allgemein als Ökosysteme bezeichnet werden. Ein solches Ökosystem kann ein kleines Feldgehölz, eine Weidetümpel oder eine Blockhalde an einem Bergsturz sein, aber auch der Amazonas-Regenwald, das Kongobecken,  die circumpolare Tundra oder ein Ozean. Großökosysteme, die sich in viele Teilsysteme untergliedern,  werden auch Biome genannt (Whittaker 1975, Walter 1976, UB 299). Sind sie vorwiegend von den Klimazonen der Erde bestimmt, nennt man sie Zonobiome, in den verschiedenen Höhenstufen der Gebirge unterscheidet man Orobiome, besondere Bodenbedingungen führen zu speziellen Pedobiomen.

Kleine Ökosysteme, die eine Landschaft untergliedern, werden oft auch als „Biotope“ bezeichnet,  obwohl dieser Begriff in der ökologischen Terminologie ursprünglich nur den Lebensraum ohne die Lebensgemeinschaft bezeichnet. Der Begriffswandel lässt sich aus der Naturschutzpraxis erklären: Wenn man ein bestimmtes Ökosystem durch Naturschutzmaßnahmen einrichten will, muss man zunächst die standörtlichen Bedingungen schaffen. So „legt man einen Biotop an“ –  z.B. einen Gartenteich oder eine Natursteinmauer –, der dann durch Bepflanzung oder natürliche Ansiedlung von Arten zum Kleinökosystem wird.  Oft wird mit dem Begriff „Biotop“ auch gleich ein bestimmter ökologischer Wert verbunden.  „Biotopkartierungen“ in der Kulturlandschaft  erfassen in der Regel nur besondere, „ökologisch wertvolle“, „naturnahe“ Landschaftselemente.

Eine andere Kompartimentierung der Landschaft ergibt sich aus den Revieren verschiedener Tierarten. Die Grenzen werden hier vorwiegend durch das agonistische Verhalten der Revierbesitzer errichtet. Aber auch spezielle akustische, optische oder chemische Signale wirken begrenzend.

Grenzen in Naturlandschaften sind oft nicht sehr scharf, sondern durch Übergänge gekennzeichnet, die man mit einem eigenen Begriff erfasst: Ökotone. So ist es oft nicht möglich, die Grenzen zwischen zwei Ökosystemen (oder zwei Pflanzengemeinschaften) genau festzulegen. In Kulturlandschaften sind die Grenzen jedoch in der Regel scharf, da sie durch menschliche Aktivitäten bedingt sind. Sehr gut lässt sich dies von Flugzeug aus oder an den Bildern von Google Earth erkennen. So ist es auch kein Wunder, dass die durch die „Pflanzenoziologie“ gekennzeichneten Pflanzengesellschaften vor allem für Mitteleuropa zu einem sehr differenzierten System ausgebaut wurden. Allerdings wird sich „ein mehr Außenstehender … die Frage aufwerfen, ob die Katalogisierung aller, auch der kleinsten Vegetationseinheiten Mitteleuropas die dafür aufgewendete Mühe lohnt. Dies wäre vom wissenschaftlichen Standpunkt aus durchaus zu bejahen, wenn die derzeitigen Pflanzengesellschaften ähnlich unveränderliche Einheiten wären wie die taxonomischen, aber das sind sie nicht“ (Walter 1973, S.115).

In den heutigen Kulturlandschaften ist die „Überkompartimentierung“ ebenso ein Naturschutzproblem wie die „Unterkompartimentierung“ durch riesige Monokulturen. Von einem durch Ackerflächen umschlossenen Kleinkompartiment „Feldgehölz“ aus ist es z. B. für viele Tiere schwierig, in andere, ähnliche Biotope zu gelangen. Feldhecken begrenzen Kulturflächen, sie sind aber auch Verbindungswege zwischen Ökosystemen. Besonders stark wirkende Grenzen sind Verkehrswege, weshalb man an einigen wenigen Stellen sinnvoller Weise so genannte Biotopbrücken über Autobahnen gebaut hat, um deren Landschaft zerschneidende Wirkung zu mindern.

Das „Basiskonzept „Kompartimentierung“ im Unterricht

„Lebende Systeme zeigen abgegrenzte Reaktionsräume. Dieses Basiskonzept hilft z. B. beim Verständnis der Zellorganellen, der Organe und der Biosphäre“. So steht es in der „Einheitlichen Prüfungsanforderung in der Abiturprüfung Biologie“ nach dem Beschluss der KMK-Konferenz vom 05.02.2004. In Lehrbüchern tritt der Begriff jedoch meistens nur im Zusammenhang mit der „Zellkompartimentierung“ auf, seltener auch im Zusammenhang mit der „Kompartimentierung des Organismus“ (z.B. Biesalski, Grimm 2002).

Damit wird die Intention der „Basiskonzepte“ oder „Erschließungsfelder“ nicht erfüllt. Denn dadurch, dass Basiskonzepte biologische Phänomene umreißen, die in der Regel durch viele, wenn nicht alle Organisationsebenen des Lebendigen hindurchreichen, sollen sie biologische Fachkenntnisse strukturieren und dadurch fassbarer und merkbarer machen.

Wie könnte gerade das Basiskonzept „Kompartimentierung“ helfen, Lernen zu verbessern? Wie könnte es kumulatives und outputorientiertes Lernen fördern?

Die wichtigste Gemeinsamkeit der Kompartimente auf allen biologischen Organisationsebenen ist die selektive Abgrenzung. Dies betrifft den Austausch von Stoffen, von Energie und von Information. Diese Einschränkungen können aber – ähnlich wie eine Zollstation und eine Grenzkontrolle an einer Ländergrenze – zur Steuerung und  Regelung, auch zur gezielten Signalweitergabe genutzt werden.

Damit hat man ein strukturierendes Prinzip für viele biologische Sachverhalte gewonnen, das so unterschiedliche Inhalte, wie „Stoffkreisläufe in Ökosystemen“ und „Intrazelluläre Regelprozesse“ oder „Biomembranen“ und „Vernetzung von Biotopen“ in Beziehung bringen kann. Gleichzeitig kann man neue Inhalte mit diesem Prinzip aufschließen, erklären, besser verstehen und einordnen (Outputorientierung).

Kompartiment Grenze für Abgrenzung durch Grenzüberwindung durch
Membranumschlossenes Zellkompartiment Moleküle, Ionen Lipiddoppelschicht Tunnel- und Carrierproteine, signalübertragende Proteine, lipophile Moleküle
Organ Blut, Lymphe u.a. Körperflüssigkeiten Epithelien Blutgefäße, Lymphe
Organismus Stoffe, Energie, Signale Haut, Epithelien Verdauungssystem, Sinnesorgane, Kommunikationssysteme
Art, Population Gene Kreuzungsbarrieren, Inkompatibilitätsfaktoren Migration, Hybridisierung, horizontaler Gentransfer
Areal (Verbreitungsgebiet) Individuen einer Art (oder einer höheren Verwandtschaftsgruppe) Geographische und geologische Barrieren, Konkurrenzdruck anderer Arten Verschleppung von Individuen durch natürliche oder vom Menschen verursachte Vorgänge
Revier Individuen Agonistisches Verhalten; akustische, optische, chemische Signale Revierkämpfe
Ökosystem Individuen, Stoffe, Energie Geografische Barrieren Tierwanderungen, Transport von Vermehrungseinheiten, Stofftransport über Gewässer, Wettergeschehen wie Luftströmungen
Biom Ökosysteme,  Arten/Populationen, Individuen Klimagrenzen, geographische Barrieren Klimaänderungen, Erosion, Tektonik

Wenn man erkannt hat, dass Grenzen auch etwas mit Austausch zu tun haben, versteht man das in lebenden Systemen  immer wiederkehrende Prinzip der Oberflächenvergrößerung zur Förderung von Austauschprozessen besser. Auch der modulartige Aufbau von Lebensstrukturen kann mit dem Prinzip der Kompartimentierung in Verbindung gebracht werden (Grundorgane der Pflanze, die sich immer wiederholen; Metamerie bei Tieren). So kann dieses Basiskonzept, wie auch andere, helfen, über Querverbindungen  vernetztes Lernen zu erleichtern und doch bei dieser Vernetzung Chaos zu vermeiden. „Alles hängt mit allem zusammen“, ist zwar eine korrekte Beschreibung der Welt, verhilft aber kaum zu einem besseren Weltverständnis.

In diesem Artikel sind wir von den kleinsten Kompartimenten des Lebendigen in den Zellen ausgegangen und haben uns dann über Organe und Organismen zu den Überindividuellen Kompartimenten der Biosphäre emporgearbeitet. Dies muss aber nicht der Weg sein, der sich auch für den Schulunterricht anbietet. Die frühe Behandlung cytologischer und sogar molekularbiologischer Inhalte  führt zwangsläufig dazu, dass die „organismische Biologie“ an Bedeutung verliert. Gerade in den Klassenstufen 5 bis 7 hat die unmittelbare Begegnung mit Tier- und Pflanzenarten, möglichst in ihren natürlichen Lebensräumen, einen besonders animierenden und prägenden Einfluss. Dies ist nämlich der Zeitabschnitt, in dem sich bei mangelnder Förderung das Interesse an der „grünen Biologie“ allmählich verliert. Ziel einer ausgewogenen Allgemeinbildung sollte es aber sein, Interesse und Kenntnis der „Vielfalt des Lebendigen“ in den makroskopischen Dimensionen zu erhalten und zu fördern. Deshalb wäre es durchaus sinnvoll, von Individuen und Arten ausgehend in den unteren Klassen der SI einen deutlichen Schwerpunkt auf Lebensräume und Ökosysteme zu legen und diese „Landschaftsbiologie“ auch mit Unterrichtsabschnitten im Gelände zu vermitteln. Das würde z. B. bedeuten, dass man wichtige heimatliche Lebensräume wie Fließgewässer und Teich, Hecke und Wald, Wiese und Weide aus eigener Anschauung kennen lernt und dass man möglichkeiten der landschaftsgestaltung im eigenen Schulgarten erfährt.. Cytologische und molekularbiologische Inhalte sollten schwerpunktmäßig auf die letzten Klassenstufen verlegt werden. Die in der Makrobiologie gewonnen Vorstellungen  zur Kompartimentierung könnten dann als Modelle für mikroskopische und submikroskopische Vorstellungen dienen. Begriffe wie „Tunnelprotein“, „Fence-and-Picket-Modell“ oder „aktiver und passiver Transport“ bauen  ja ohnehin makroskopischen Vorstellungen auf.

Literatur und URLs

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Der Mensch als Beschützer der Natur

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In dem Beitrag „Zehn Jahre Nachhaltigkeitsstrategie“ habe ich G. C. Daily zitiert: ‚Until the next big asteroid hits us, the future of life on earth will depend much more on humanity than on anything else“  (G. C. Daily, Nature 411, 17 . Mai 2001,p.245). Damit wird – zwar mit einem relativierend fatalistischen Ausblick – die Erkenntnis zum Ausdruck gebracht, dass die Menschheit eine große Verantwortung für den Bioplaneten Erde trägt. In dieser Rolle des Erdenbeschützers sehen sich vor allem Naturschützer und Umweltschützer. „Natur- und Umweltschutz“ ist eine Wortkombination, die sich in vielen politischen Programmen, Forderungskatalogen und Absichtserklärungen findet. Doch zunächst einmal sind diese beiden Schutzziele keineswegs identisch.

Natur- und Umweltschutz

Während es dem Naturschutz darum geht, die Natur vor dem Menschen und den menschlichen Aktivitäten zu schützen, ist es das Ziel des Umweltschutzes, die Umwelt für den Menschen zu bewahren (Hupke 2015). In den 1990 er Jahren wurde versucht, diese anthropozentrische Orientierung des Umweltschutzes durch den Begriff der „Mitwelt“ und des „Mitweltschutzes“ zu ersetzen und damit Natur- und Umweltschutz zu vereinen (Meyer-Abich 1990),  Dieser Begriff hat sich allerdings nicht durchgesetzt.

Ein wichtiges Ziel des Naturschutzes, vielleicht sogar das wichtigste Ziel, ist der Erhalt der biologischen Vielfalt. Dabei geht es um die Vielfalt der Arten und die Vielfalt der Lebensräume bzw. Ökosysteme und schließlich auch noch um die genetische Vielfalt innerhalb der Arten, in den Populationen.

Alle Fachleute sind sich weitgehend einig darüber, dass das von der menschlichen Zivilisation verursachte Aussterben von Arten eine katastro­phale Dimension angenommen hat. In der Folge der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro wurde deshalb schon 1993 ein „Übereinkommen zum Schutz der biologischen Vielfalt“, die sogenannte Bi­odiversitätskonvention (Convention on Biological Diversity – CBD) getroffen. Dieses Abkommen wurde mittlerweile von 188 Staaten – auch von der EU – unterzeichnet und in deren Gesetzgebung übernommen. Als Begründung für die Notwendigkeit, biologische Vielfalt zu erhalten, werden in dieser  in dieser Konvention folgende Punkte angeführt:

  1. Ökonomische Interessen. Vielfalt ist eine genetische Ressource und eine Ressource an Naturstoffen. Artenverlust führt zu einer Beeinträchtigung poten­tieller Nutzungsfähigkeit. Wenn eine Art ausgerottet wird, wird damit menschliche Handlungsmöglichkeit für die Zukunft unwiderruflich beschränkt.
  2. Ökologische Interessen. Das Wirkungsgefüge der Biosphäre, die Prozesse des Energieflusses und des Recyclings, sind auf Vielfalt angewiesen. Sie sind die Basis für den Erhalt der „natürlichen Lebensgrundlagen“.
  3. Gesellschaftliche und kulturelle Interessen. Biologische Vielfalt spricht uns unmittelbar emotional an. Sie dient der Befriedigung emotionaler Bedürfnisse. Natur, insbesondere auch ursprüngliche, vom Menschen nicht oder wenig beein­flusste, kann als „Kraftquelle“ genutzt werden. Aber auch reich strukturierte traditionelle Agrarlandschaften, wie sie für Mitteleuropa bis vor 50 Jahren charakteristisch waren, haben einen besonderen ästhetischen Wert für Erholungssuchende.
  4. Biologische Vielfalt ist ein Wert in sich. Die Schöpfung ist es Wert, um ihrer selbst willen erhalten zu werden. Dieser Argumentation folgt vor allem die Tiefen­ökologie und die „radikale Ökologie“.

Genaugenommen sind allerdings nur der letzte Punkt  und eingeschränkt der zweite Punkt wirkliche Naturschutzargumente. Die beiden anderen Begründungen sind letztlich auf den Menschen bzw. die menschliche Gesellschaft bezogen und damit als Ziele des Umweltschutzes zu werten.

Artenschutz: Seltene Arten häufig machen?

Artenschutz ist bis heute ein wichtiger wenn nicht der wichtigste Teil der Naturschutzarbeit. Rote Listen dienen dazu, die Gefährdung von Arten einzuschätzen. Sie spielen bei der Bewertung von allen Eingriffen in den Naturhaushalt eine wichtige Rolle. Aber was bedeutet „Artenschutz“ eigentlich? Schon 1987 fragte Hermann Ellenberg „Was will der Naturschutz eigentlich – seltene Arten häufig machen?“. Er weist zu Recht auf die Probleme mit „Roten Listen“ hin, die nicht nur zeitlich begrenzt sind (etwa auf die letzten 120 Jahre) sondern vor allem auch räumlich auf die jeweilige politischen Grenzen. Außerdem haben seltene Arten nur einen geringen Anteil an der Individuenzahl einer Lebensgemeinschaft. Daraus ergibt sich logischerweise, dass sie auch für das Wirkungsgefüge eines Ökosystems, für Energieflüsse und Stoffkreisläufe, nur von untergeordneter Bedeutung sind. Ist es deshalb wirklich gerechtfertigt, dem Schutz solcher seltener Arten eine so hohe Bedeutung beizumessen? Ein besser begründbares Ziel ist der Erhalt einer großen Artenvielfalt. Sie hängt einmal von einer Vielfalt der Lebensräume zum anderen aber auch in starkem Maße von dem Nährmineralgehalt des Bodens ab. Der hohe Nitrat-und Phosphatseintrag, der einmal der Landwirtschaft zum anderen den Verbrennungsmotoren geschuldet ist, trägt dazu bei, dass auf hohe Nährmineralgehalt des Bodens angewiesene Pflanzen (sogenannte Stickstoff-Zeigerpflanzen) sehr gut gedeihen. Bei den krautigen Pflanzen sind das durchweg sehr schnell wachsende und hochwüchsige Arten. Schnell verdrängen sie die niederwüchsigen, langsam wachsenden („sparsamen“) Konkurrenten. Eine wichtige Voraussetzung für den Erhalt der Artenvielfalt ist deshalb, zumindest in Mitteleuropa, ein ausgeglichener Stoffhaushalt.  Artenvielfalt kann nur gesichert werden, wenn nicht mehr Nitrate und Phosphate in das System eingebracht als entzogen werden. Die im Rahmen des Klimaschutzes erhobene Forderung der CO2-Neutralität müsste im Hinblick auf die Biodiversität auch für Stickstoff- und Phosphorverbindungen erhoben werden.

Selektiver Artenschutz

Diptam – Dictamnus albus -, in Deutschland geschützte Art, nach der Roten Liste für Deutschland „gefährdet“ (Foto Probst 2004, Edelweiß bei Retzbach/Main)

Das öffentliche Engagement für zu schützende Arten verteilt sich nicht gleichmäßig auf alle Verwandtschaftsgruppe. Es gibt besondere Tier- und Pflanzengruppen, denen der Naturschutz mehr Aufmerksamkeit widmet als anderen. Bei den Pflanzen sind es zum Beispiel die Orchideen, bei den Wirbeltieren die Vögel und die Amphibien, bei den Wirbellosen etwa die Schmetterlinge oder die Bienenverwandten. Dies mag daran liegen, dass diese Organismengruppen besonders viele Menschen ansprechen und dass es besonders viele Hobbybotaniker und Hobbyzoologen gibt, die sich mit diesen Tiergruppen beschäftigen. Dies ist auch eine Ursache dafür, dass die Gefährdungssituation für diese Gruppen besonders gut untersucht ist. Im strengen Sinne naturwissenschaftliche Gründe, diese Artengruppen besonders zu schützen, sind aber nicht so leicht erkennbar. Teilweise werden ökonomische Gründe genannt: Bienen und „Wildbienen“ sind Bestäuber von Nutzpflanzen, Singvögel und Kröten vertilgen Schädlinge. Bei bestimmten seltenen Arten –  wie vielen Orchideen, Diptam oder Frühlings-Adonisröschen – wird angenommen, dass das Vorkommen dieser spektakulären Arten gleichzeitig ein Zeiger für ein insgesamt ein schützenswertes Ökosystem sind.

Ein weiterer Aspekt der besonderen Hervorhebung einzelner Arten ist ihre Werbewirksamkeit. Wenn bestimmte Tiere – wie der Fischotter, der Storch oder der Laubfrosch – vom Naturschutz in den Vordergrund gerückt werden, so hat dies damit zu tun, dass sich der Schutz und Erhalt dieser Tierarten bei einer breiten Öffentlichkeit besonders gut „verkaufen“ lässt.

Ein naturwissenschaftlich fundiertes Argument dafür, einzelne Arten als besonders schutzwürdig einzustufen, ist ihre Rolle als Schlüsselarten in bestimmten Ökosystemen. Darunter versteht man Arten, die einen unverhältnismäßig großen Einfluss auf die Artenvielfalt und Artenzusammensetzung eines Ökosystems nehmen können. Oft handelt es sich um Konsumenten höherer Ordnung, durch deren Fraßdruck auf besonders häufige Beutearten deren Konkurrenzkraft verringert wird, wodurch andere, vorher unterlegene Arten koexistieren können. Auch die Naturschutzmaßnahme der Beweidung wirkt sich so aus: durch den Fraßdruck der Robustrinder  – in diesem Falle Primärkonsumenten – werden Gehölze zugunsten offener Landschaftsformen zurückgedrängt. Auf den extensiv beweideten Flächen bleibt eine hohe Artenzahl an Pflanzen erhalten, davon profitieren auch Insekten und Vögel.

Naturschutz contra Umweltschutz

Es gibt einige unüberbrückbar scheinende Kontroversen zwischen Naturschutz und Umweltschutz, die sich mit der unterschiedlichen Zielsetzung erklären lassen. Besonders deutlich wird dies zum Beispiel bei den sogenannten „alternativen Energien“. Aus Sicht des Umweltschutzes ist es dringend erforderlich, bei der Bereitstellung von Energie auf regenerative Energiequellen zu setzen, denn nur dadurch können Ressourcen geschont und die – vor allem für die Menschheit gefährlichen –  Klimaveränderungen in Grenzen gehalten werden. Aus Sicht des Naturschutzes gefährden Windräder viele Vogelarten, Biogas und Biotreibstoffe führen zu großen Monokulturen, in Mitteleuropa zum Beispiel von Raps und Mais, welche der Biodiversität schaden. Auch Freiland-Solarparks erregen nicht ganz zu Unrecht die Kritik von Naturschützern, zum Beispiel vom BUND: „Für Vögel können Irritationen beim lokalen, regionalen und internationalen Vogelzug durch eine Spiegelwirkung der Paneel-Oberflächen entstehen. Bei sehr großen Freiland-Solarparks kann es zu einer Trennwirkung (Barrierewirkung) kommen, die durch die erforderliche Einzäunung verstärkt wird. Durch die Aufstellung der Anlagen gehen wertvolle Nahrungsflächen verloren, insbesondere für Tiere, die freie Räume benötigen.“ (http://www.bund-sh.de/uploads/media/Freiland-Solarparks.pdf )

Ein weiteres Beispiel für die unterschiedlichen Sichtweisen ist die Einstellung zu Wäldern und Waldbewirtschaftung. Die Forstwirtschaft argumentiert mit dem Ziel des Klimaschutzes, dass es im Sinne einer maximalen Kohlenstoffspeicherung am besten sei, Bäume dann zu fällen, wenn die Hauptzuwachsphase zu Ende geht. Der Naturschutz hält den Erhalt bzw. die Wiederherstellung von Urwäldern erstrebenswert, in die der Mensch nicht eingreift. In einem solchen Wald bleiben Bäume so lange stehen, bis sie durch natürliche Einflüsse umfallen oder absterben. Der Förster und Bestsellerautor Peter Wohlleben (2013,2017) argumentiert im Sinne dieses Urwaldschutzes (und damit gegen viele seiner Kollegen): Mit dem derzeit gängigen Begriff des Naturschutzes würde der Schutz echter, unberührter Natur verwässert. Wohlleben fände es viel sinnvoller, die Vielfalt ursprünglicher Lebensräume zu schützen und nur dafür den Begriff „Naturschutz“ anzuwenden. Damit folgt er den Argumenten der nordamerikanischen Naturschutzbewegung, die unberührte und unbeeinflusste Natur, „wilderness“, als höchstes Schutzziel sieht (Hendersen o.J.). Dies bedeutet aber auch, dass aus seiner Sicht die vielen mitteleuropäischen Naturschutzbemühungen, die dem Erhalt einer vielseitigen, extensiv genutzten Kulturlandschaft dienen, weniger dem Bereich Naturschutz als den Bereich Denkmalschutz zuzuordnen wären. „Da werden ursprüngliche Haustierrassen, etwa Konikpferde oder Heckrinder, in Naturschutzgebieten ausgesetzt, um eine Beweidung ausgestorbener europäischer Wildpferde und Auerochsen nachzustellen. Das ist zwar idyllisch, aber nichts anderes als extensive Landwirtschaft“ (Wohlleben 2013,S.139). Also soll man nicht länger Wachholderheiden beweiden, Riedwiesen mähen, Moore entkusseln, Heidegebiete plaggen und Wallhecken auf den Stock setzen?

Naturschutz und Landschaftspflege

Lanschaftspflege durch Schafe (Foto Probst, 2004, Fröruper Berge bei Flensburg)

Ich meine, eine differenzierte Betrachtung ist wichtig. Die in Mitteleuropa seit der letzten Kaltzeit in etwa 12 000 Jahren – also einer erdgeschichtlich sehr kurzen Zeitspanne – entstandene Landschaft war von Anfang an vom Menschen beeinflusst. Die menschliche Nutzung hat ein kleinräumiges Mosaik von Lebensräumen geschaffen und zu einer Artenvielfalt geführt, die sich vermutlich ohne den Menschen und seine Nutztiere nicht oder zumindest nicht so schnell entwickelt hätte. Diese Situation ist nicht ganz mit den großflächigen, weitgehend unberührten Naturräumen Nordamerikas zu vergleichen, die zudem durch die Kaltzeiten wegen der vorwiegend von Norden nach Süden streichenden Gebirge nicht so stark dezimiert wurden wie die Biozönosen Mitteleuropas.

Aus diesem Grunde kann Landschaftspflege im Sinne eines Landschaftsschutzes in Mitteleuropa durchaus dem Erhalt der biologischen Vielfalt und damit dem Naturschutz dienen. Allerdings sollten Pflegeeingriffe immer dem Prinzip der Eingriffsminimierung unterliegen und sich deutlich von Landschaftsarchitektur und Gartenbau unterscheiden. Diese Einschränkung gilt nicht unbedingt für Städte und Ballungsräume. Hier könnte eine „grüne“ Architektur und Gestaltung durchaus Biodiversität und Umwelt verbessern.

Die dicht besiedelten Landschaften Mitteleuropas sind – wie hier im Bodenseekreis – sehr reizvoll und haben ökologisches Potenzial. Skizze aus meinem Tagebuch vom Juni 2005, als wir uns nach einem Wohnort in Bodenseenähe umgesehen haben.

Der Erhalt unberührter, von menschlichen Eingriffen frei gehaltener Flächen hat auch in Mitteleuropa seine Berechtigung. Eine Beschränkung des Naturschutzes auf die „unberührte Natur“ wäre aber ein Fehler. Dies sei an einigen Beispielen gezeigt: In den heutigen Kulturlandschaften ist die „Überkompartimentierung“, also die Zerschneidung durch Verkehrswege und die Verinselung von Kleinbiotopen, ebenso ein Naturschutzproblem wie die „Unterkompartimentierung“ durch riesige Monokulturen. Von einem durch Ackerflächen umschlossenen Kleinkompartiment „Feldgehölz“ aus ist es z. B. für viele Tiere schwierig, in andere, ähnliche Biotope zu gelangen. Feldhecken begrenzen Kulturflächen, sie sind aber auch Verbindungswege zwischen Ökosystemen. Schutz, Pflege, Erhalt und Neupflanzung von Feldhecken  sind deshalb sinnvolle Naturschutzmaßnahmen. Ähnliches gilt für die Einrichtung und den Schutz von Ackerrandstreifen mit blühenden (mehrjährigen) Wildkräuter (Kirmer 2016). Besonders stark wirkende Grenzen sind Verkehrswege, weshalb man an einigen Stellen sinnvoller Weise so genannte Biotopbrücken über Autobahnen gebaut hat, um deren Areale zerschneidende Wirkung zu mindern. Auch die Einrichtungen von Krötentunneln unter Straßen dienen diesem Zweck.

Meeresschutz

Mangrove auf Qeshm,Straße von Hormuz,Iran; Einschub: Schlammspringer – Periophthalmus barbarus (Fotos Probst, 1976)

Meere bedecken 71 % der Erdoberfläche. Dieser größte zusammenhängende Lebensraum der Erde ist seit langem vielen verschiedenen menschlichen Einflüssen ausgesetzt, doch erst in den letzten Jahrzehnten wurde deutlich, dass auch die Ressourcen des Meeres und seine Kapazität für die Aufnahme von Abfällen und Schadstoffen – Stichwort Plastikmüll – begrenzt sind. Meeresschutz ist deshalb ein wichtiger Teil des Naturschutzes und des Umweltschutzes geworden. Moderne Fischereimethoden haben dazu geführt, dass Fischbestände bis zum Verschwinden zurückgegangen sind. Es konnte aber gezeigt werden, dass strenge Schutzvorschriften schnell zu einer Erholung von Beständen führen können. Besonders bedrohte dein Lebensräume sind die Korallenriffe, mit die artenreichsten Lebensräume der Erde, und die Mangrove-Gebiete als wichtige Brutstätten für Fische und Wirbellose und „natürliche Pflanzenkläranlagen“. Für beide Ökosysteme greifen die bisher ergriffenen Schutzmaßnahmen noch nicht. Die Wiederaufforstung von verschwundenen Mangroven erweist sich als sehr schwierig und bei den Korallenriffen dürfte die klimabedingte Veränderung der Meere (höhere Temperaturen, niedrigere pH-Werte) effektive Schutzmaßnahmen verhindern. Ein weiteres Problem bei Meeresschutz ist die politische Zuständigkeit für Schutzbestimmungen.

Plastikmüll war schon vor Jahrzehnten ein Problem, hier am Strand von Euböa, Griechenland, 1984  (Foto Probst)

Die große Zunahme von marinen Aquakulturen könnte zwar ein Weg sein, die Nutzung mariner Produktion nachhaltiger zu gestalten, derzeit sieht es aber so aus, als würden bei der Meeresbewirtschaftung die Fehler wiederholt, die man von der Landbewirtschaftung kennt.

Tierschutz

Hausschweine auf der Peloponnes,Griechenland, Sommer 2004 (Foto Probst)

Einige der Organisationen, die sich für Naturschutz und Umweltschutz stark machen, engagieren sich auch für Tierschutz. Dabei geht es nicht um den Erhalt der Artenvielfalt, dem Schutz gefährdeter Tierarten oder dem Schutz der Umwelt insgesamt, sondern um den individuellen Schutz von Tieren. Tieren soll ein „artgerechtes“ Leben ermöglicht werden. Vom Menschen verursachte Torturen sollen ihnen erspart bleiben. Deshalb ist es naheliegend, dass sich Tierschützer vor allem um Tiere bemühen, die sich in der Obhut des Menschen befinden. Besonders große Kritik wird in diesem Zusammenhang an der Haltung von Tieren geübt, die der menschlichen Ernährung dienen sollen, also der Massentierhaltung von Geflügel, Schweinen, Rindern. Aber auch das oft qualvolle Leben in Pelztierfarmen wird angeprangert. Die Forderung von Tierschützern, bei der Herstellung von Kleidungsstücken auf Tierpelze und -häute zu verzichten, hat etwas mit der tierquälerischen Haltungsweise von Pelztieren zu tun, aber auch mit dem grausamen Abschlachten junger Seehunde oder – und hier trifft sich der Tierschutz mit dem Artenschutz – mit der Gefährdung großer Pelztiere wie Ozelot, Jaguar oder Leopard. Tierschützer wie Artenschützer bemühen sich, dass die Jagd auf Elefanten des Elfenbeins wegen unterbunden wird, ebenso die illegale Jagd auf Nashörner.

Die schrecklichen Haltungsbedingungen bei der Schweine- und Hähnchenmast, die abschreckende Praxis bei Tiertransporten und Schlachtungen, werden zum einen vom Tierschutz kritisiert, weil er das Tierwohl im Auge hat. Andererseits sind mit diesen Formen der industriellen Fleischproduktion auch nachteilige Einwirkungen auf die Umwelt verbunden. Dies betrifft zum Beispiel die Produktion von Treibhausgasen oder die Gefahren, die mit übermäßigem Medikamenteneinsatz, insbesondere von Antibiotika, verbunden sind. Der Import von Futtermitteln schädigt die Ökosysteme und die landwirtschaftlichen Produktionsbedingungen in den Herkunftsländern. Die großen Mengen an Tierexkrementen (Gülle) tragen nicht nur zur Eutrophierung von Gewässern sondern auch zu einem hohen Stickstoffgehalt terrestrischer Ökosysteme bei, was sich wieder negativ auf die Biodiversität auswirkt. In Kombination mit der Stickstoffoxidproduktion von Verbrennungsmotoren prägt Massentierhaltung über die Bildung von Ammoniumnitrat auch zur Feinstaub Problematik bei.

Ein wichtiger Antrieb für eine vegetarische oder vegane Ernährungsweise ist der Wunsch, dass für die Produktion von Nahrungsmitteln kein Tier sterben oder leiden soll. Aber auch die ökologischen Auswirkungen des hohen Fleischkonsums und damit der Umweltschutz und der Naturschutz werden immer häufiger als Gründe für eine vegetarische Lebensweise genannt.

Pflanzenschutz

Apfelplantagen werden besonders häufig mit Pestiziden gespritzt. Die Verdriftung ist dabei – wegen der hohen Lage der Spritzdüsen besonders groß. (Bodenseekreis bei Kluftern, 2.4.2012, Foto W. Probst)

Dieser Begriff sei hier erwähnt, er passt aber nicht in die Reihe der übrigen Schutzbegriffe. Denn man versteht darunter nicht den Schutz von Wildpflanzen, sondern „die Gesamtheit der Bemühungen, Schäden und Leistungsminderungen von Nutzpflanzen durch Ausnutzung aller einschlägigen wissenschaftlich Erkenntnisse in einer ökologisch und ökonomisch angemessenen Weise zu verhindern oder zu mildern“ (Heitefuß 2000). Es geht also in erster Linie um den von Natur- und Umweltschutz  oft heftig kritisierten Einsatz von Pestiziden gegen Krankheiten und Schädlinge von Nutzpflanzen.

Ziele und Wege

Ist das ein Blick in die Zukunft? Agrarlandschaft in Iowa,USA, Google Earth Aufnahme vom 26.7.2016

Auch wenn sich die verschiedenen Schutzziele deutlich unterscheiden und die einzelnen Schutzmaßnahmen sogar zum Teil widersprechen, so kann man doch eine gemeinsame Zielsetzung feststellen: Die vielen Einflüsse des Menschen auf natürliche Abläufe und Entwicklungen des Bioplaneten Erde sollen nicht dazu führen, dass sich die Lebensbedingungen drastisch verändern. Auch wenn solche drastischen Veränderungen – wie die Erdgeschichte zeigt – nicht das Ende des Bioplaneten bedeuten würde, so hätten sie doch für viele Ökosysteme und  insbesondere für die Menschen  katastrophale Folgen. Es wird deshalb angestrebt, die menschlichen Aktivitäten und die menschlichen Wirtschaftssysteme so zu gestalten, dass es keinen Verbrauch gibt, der nicht ersetzt werden kann. Im allgemeinen werden diese Ziele mit „Nachhaltigkeit“ oder „nachhaltiger Entwicklung“ bezeichnet.

Diese Zielsetzungen sind kaum umstritten. Umstritten sind allerdings die Wege, auf denen diese Ziele erreicht werden könnten. Zwar ist klar, dass es auf der Erde „Grenzen des Wachstums“ gibt, trotzdem gibt es unterschiedlice Auffassungen zum Thema Konsum:

  • Ist eine Konsumsteigerung grundsätzlich schädlich und muss mindestens für die westliche Welt gelten, dass nur eine strenge Konsumbeschränkung eine nachhaltige Entwicklung ermöglicht, oder
  • muss es nur darum gehen, den Konsum durch Kreislaufwirtschaft nachhaltig zu gestalten? (Ökoeffektivität erhöhen)

https://de.wikipedia.org/wiki/%C3%96koeffektivit%C3%A4t

Für eine sofortige Konsum-bzw. Wachstumsbeschränkung spricht, dass es keinen Stoffkreislauf ohne Verluste gibt und die Erdbevölkeung derzeit schon Ressourcen „über ihre Verhätnisse“ verbraucht. Andererseits sind Konsumbeschränkungen weltweit kein  realistisches Ziel angesichts der großen Armut, die weite Teile der Weltbevölkerung betrifft. Für eine stärkere Ausrichtung auf eine strikte Kreislaufwirtschaft spricht, dass der Energiefluss von der Sonne zur Erde noch eine deutliche Steigerung der Primärproduktion zulassen würde . Damit wäre ein weiteres Wachstum der Stoffumsätze möglich und dies wäre für eine friedliche Koexistenz aller Menschen förderlich. Allerdings wird auch eine konsequente Kreislaufwirtschaft nur dann Nachhaltigkeit ermöglichen, wenn es in gewissen Bereichen zu einem Konsumverzicht kommt. Dies gilt zum Beispiel für den Fleischkonsum in westlichen Industrieländern und für die Nutzung aller fossilen Ressourcen, nicht nur der Energieträger sondern auch anderer Rohstoffe.

Bei der Frage, ob es sinnvoller ist,  Natur zu schützen, indem man sie sich selber überlässt oder indem man sie sinnvoll „managet“, würde ich für eine differenzierte Vorgehensweise plädieren, wie sie Trommer schon 1994 vorgeschlagen hat:

  • Tu nichts-Leitbild für Gebiete, die den ursprünglichen Naturzustand repräsentieren, zum Beispiel Bannwälder, aber auch verwilderte Gärten, Ruinen, Brachflächen und allen Bereiche, wo „wachsen lassen“ nicht wichtigen Interessen entgegensteht
  • Pflege-Leitbild für Formen der traditionellen Kulturlandschaft mit dem Ziel, nachhaltige Bewirtschaftungs- und Pflegeformen für Weidelandschaften, Feuchtwiesen, Streuobstwiesen usw. zu finden
  • Tu was-Leitbild für urban-industrielle Räume. Hierher gehören zum Beispiel die Konzepte der „Green Cities“ (vgl. https://www.stefanoboeriarchitetti.net/en/portfolios/liuzhou-forest-city/ )

Green Cities (Grafik Probst 2012)

Quellen

Baur B (2010) Biodiversität. Bern: Haupt

Ellenberg, H. (1987): Fülle – Schwund – Schutz: Was will der Naturschutz eigentlich? Vehandlungen der Gesellschaft für Ökologie 16: 449-450

Heitefuß. R. (2000,3.A.): Pflanzenschutz. Grundlagen der praktischen Phytomedizin. Stuttgart: Thieme

Hendersen, D. : American Wilderness Philosophy. In: Internet Encyclopedia of Philosophy (IEP)  http://www.iep.utm.edu/am-wild/  (zuletzt aufgerufen am 5.9.2017)

Hobohm,C. (2000): Biodiversität. Wiebelsheim: Quelle und Meyer

Hupke, K.-D. (2015):: Naturschutz. Ein kritischer Ansatz. Heidelberg: Springer Spektrum

Kirmer, A. et al. (2016): Erfolgreiche Anlage mehrjähriger Blühstreifen  auf produktiven Standorten  durch Ansaat wildkräuterreicher Samenmischungen und standortangepasste Pflege. Natur und Landschaft 91(3): 109-118

McDounough, W./Braungart, N. (2009): Cradle-to-cradle. New York: Vintage

Meyer-Abich KM (1990) Aufstand für die Natur. Von der Umwelt zur Mitwelt. Hanser, München

Piechocki, R. (2010): Landschaft – Heimat – Wildnis. Schutz der Natur – aber welcher und warum? München: Beck

Probst, W. (2017): Saumbiotope – Grenzen und Übergänge. Untericht Biologie 425: 2-11

Trommer, G. (1992): Wildnis – die pädagogische Herausforderung. Weinheim: Deutscher Studienverlag

Trommer, G. (1994): Didaktisch differenzierte Leitbilder – ein Drei-Umwelten-Modell zum pägagogischen Umgang mit Natur und Landschaft. Workshop Ökologische Leitbilder, Cottbus 9.6.1994. TUC Aktuelle Reihe 6/94:57-62

Wohlleben, P. (2013): Der Wald. Ein Nachruf. München: Ludwig

Wohlleben, P. (2017): Gebrauchsanweisung für den Wald. München/Berlin: Piper

http://www.nabu-selfkant.de/2011/12/plaggen-oder-schoppern-von-heideflachen/

Pilze (zu UB 405)

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Die Fadengeflechte der Pilze bilden dichte Netzwerke in Böden und durchwachsen die unterschiedlichsten organischen Abfallstoffe. Die große Effektivität, mit der die Pilze diese Netzwerke aufbauen und zum Stofftransport nutzen, werden seit einiger Zeit mit dem Ziel erforscht, auch von Menschen konstruierte Netzwerke – zum Beispiel Stromnetze, Verkehrsnetze und Kommunikationsnetze – zu verbessern (Heaton 2012). Die zweite herausragende Fähigkeiten dieser Fadengeflechte ist die Verdauung unterschiedlichster energiereicher Stoffe. Dazu werden von den verschiedenen Pilzarten sehr viele verschiedene Enzyme gebildet. Mittlerweile wird diese Vielfalt von spezialisierten Chemiefirmen genutzt, um neue Enzyme und Enzymkombinationen für die Anwendungen in Haushalt, Technik und Medizin zu entwickeln. Das Rohmaterial, die Pilze, werden aus allen Ecken der Erde zusammengetragen, in Kultur genommen und in tiefgekühlten Containern aufbewahrt.
Durch ihre Fruchtkörper sind viele Pilze – ganz anders als andere Mikroorganismen – auch ohne optische oder andere Hilfsmittel wahrnehmbar und erfahrbar. Diese „Pilzfrüchte“, die landläufig als „Pilze“ bezeichnet werden, faszinieren nicht nur Wissenschaftler sondern viele Schwammerlsucher und Hobbymykologen. Neben Vögeln, Schmetterlingen und Orchideen gehören Pilze deshalb zu den Organismengruppen mit der größten Fangemeinde. Auf der Homepage der pilzkundlichen Zeitschrift „Der Tintling“ werden allein für Deutschland 91 pilzkundliche AGs und Ausbildungsstätten angeführt.
Doch obwohl Pilze in unserer Umwelt und unserem Leben allgegenwärtig sind, werden sie doch oft übersehen und unterschätzt, manchmal auch falsch beurteilt. Lange Zeit als Pflanzen eingestuft gelten sie seit einiger Zeit als eigenes Reich der Lebewesen und dies wird nicht nur ihrer verwandtschaftlichen Stellung sondern auch ihrer großen Bedeutung für unseren Bioplaneten gerecht.

https://lehrermarktplatz.de/material/18898/vorlagen-fuer-die-gestaltung-einer-pilzausstellung

https://lehrermarktplatz.de/material/16562/grafiken-und-abbildungen-zu-schlauchpilzen-und-staenderpilzen

(vgl. die UB-Hefte 405 „Pilze“ und 406 (UB Schülerkompakt) „Ab in die Pilze“)

Die Funktion der Pilze in Ökosystemen

Funktionen der Pilze im Ökosystem Wald

Funktionen der Pilze im Ökosystem Wald

Die drei großen Reiche vielzelliger Lebewesen, Pflanzen, Tiere und Pilze stehen gleichzeitig in einem (terrestrischen) Ökosystem für die drei Haupternährungsformen:
• Primärproduzenten (Plantae),
• Konsumenten (Animalia) und
• Destruenten bzw. Reduzenten (Fungi).
Dabei kommt Pilzen außerdem als Symbiose- und Kooperationspartner von Pflanzen und Tieren eine besondere Bedeutung zu.

Als Destruenten zersetzen die Pilze alle Arten von organischen Abfällen, besonders auffällig in Wäldern (Laubstreu und Holz) aber auch in Grasländern (Streu, Dung). Seit es üblich geworden ist, in großer Menge Rindenmulch in Garten- und Parkflächen auszubringen, kann man dort besonders viele Pilze beobachten. Das aus einzellreihigen Zellfäden bestehende Mycel der Pilze ist besonders gut dafür geeignet, feste organischen Abfallstoffe zu durchwuchern und die darin enthaltenen Nährstoffe enzymatisch aufzuschließen und aufzunehmen. Ohne Pilze würde den Ökosystemen der Erde so etwas Ähnliches passieren wie einer Großstadt, bei der die Müllarbeiter streiken. Dabei scheiden die Pilzfäden (Hyphen) Enzyme aus, welche die organischen Makromoleküle in ihrer Umgebung in kleinere Bestandteile zerlegen („verdauen“), die dann von den Hyphen aufgenommen werden. Die Speicherung von Kohlenstoff durch Boden- und Streu- bewohnende Pilze und insbesondere durch Mykorrhizapilze wurde bisher vermutlich unterschätzt (Perkins 2013). Pilze sind entscheidend wichtig für die Bildung und Erhaltung der Böden (Moore/Robsen/Trinci 2011).
In flüssigen Substraten kommen Pilze als Zersetzer zwar auch vor, aber hier sind Bakterien noch wichtiger. Unter bestimmten Bedingungen, vor allem bei vorliegen von Zuckermolekülen, kommt hier eine spezielle, meist nicht fädig wachsende Form pilzlicher Destruenten zum Einsatz, die Hefepilze. Sie kommen in unterschiedlichen Verwandtschaftsgruppen vor.

Doch auch als Konsumenten spielen Pilze eine wichtige Rolle. Von besonderer Bedeutung sind parasitische Pilze an Pflanzen. Neben den Baumpilzen, die sich häufig auch parasitisch von lebenden Bäumen ernähren, sind dies vor allem phytopathogene Pilze wie Mehltaupilze, Brandpilze und Rostpilze, letztere z. T. mit komplizierten Wirts- und Generationswechseln (Abb. XX). Für manche Baumarten stellen phytopathogene Pilze eine echte Bedrohung dar, zum Beispiel die Schlauchpilze Ophiostoma ulmi bzw. O. novi-ulmi für Ulmen und Hymenoscyphus pseudoalbidus für Eschen. Manche phytoparasitischen Pilze stimulieren ihre Wirtspflanzen zur Bildung von Pflanzengallen und „Hexenbesen“ (Probst 2012).
Bei Tieren und Menschen kommen pathogene Pilze (Mykosen) vor allem auf der Haut und auf und in Hautbildungen wie Haaren und Nägeln vor, auch innere Oberflächen und Organe können – insbesondere beim schwachem Immunsystem – von Pilzen befallen werden. Nicht selten werden Insekten von parasitischen Pilzen infiziert. Besonders spektakulär sind Pilze, die von in der Erde eingegrabenen Puppen von Nachtschmetterlingen leben (Kernkeulenpilze). Eine ganze Wirbeltierklasse, die Amphibien, werden durch den parasitischen Geißelpilz Batrachochytrium dendrobatidis (s. S. XX) bedroht. Pilzliche Zooparasiten werden zu Nützlingen, wenn sie gefährlichen Krankheitserregern, wie zum Beispiel Malariamücken, schaden (Khamsi 2005).

Die Rolle der Pilze als Predatoren wurde lange unterschätzt. Bisher sind über 120 Pilzarten bekannt, die Nematoden, Rotatorien, Amöben und andere Protozoen mit Hilfe spezieller Einrichtungen ihres Mycels (Schlingfallen, Klebefallen) fangen und verdauen. Die meisten nematophagen Pilze gehören zu den Schlauchpilzen, aber auch bei den Ständerpilzen und bei den Jochpilzen kommen solche Tierfänger vor. Der Schopftintling, ein Ständerpilz, betäubt die Fadenwürmer mit einem Toxin aus Mycelauswüchsen und verdaut sie dann (Lyssek/Rubner in UB 183, 1993).
Es ist nicht verwunderlich, dass Pilze im Laufe der Evolution „gelernt“ haben, Fadenwürmer zu fressen, denn diese Tierchen finden sich in großen Mengen in allen Lebensräumen der Erde. Neben frei lebenden Arten gibt es viele Pflanzenparasiten und auch zahlreiche Tierparasiten. Überall wo Pilze vorkommen, lebt auch eine individuenreiche Nematodenfauna und so ist es nahe liegend, dass Pilze einen Weg gefunden haben, diesen Nährstoffvorrat zu nutzen.

Typisch für „Echte Pilze“ oder „Chitinpilze“, wie das Reich der Fungi auch genannt wird, sind chitinhaltige Zellwände. Als Destruenten und Konsumenten ist Stickstoff für Pilze – anders als für Pflanzen – meist kein begrenzender Faktor. Deshalb können sie es sich leisten, ein stickstoffhaltiges Polysaccharid als Hauptzellwandsubstanz zu nutzen. Dieser besonders robuste Baustoff schützt Pilzhyphen wie Insektenkörper. Möglicherweise dient diese Wandsubstanz ursprünglich auch dazu, überschüssigen Stickstoff loszuwerden.

Symbionten und Kooperationspartner

Zahlreiche Pilzarten leben in mehr oder weniger enger Symbiose mit Tier- oder Pflanzenarten. Als Spezialisten des Stoffabbaus helfen sie ihren Symbiosepartnern dabei vor allem, sonst unzugängliche Stoffquellen aufzuschließen.
Besonders wichtige und weit verbreitete Symbiosen zwischen Pflanzen und Pilzen sind die „Pilzwurzeln“ (Mykorrhiza). Die meisten Pflanzen gehen solche Mykorrhizasymbiosen ein und man vermutet, dass der Übergang der Pflanzen zum Landleben – also die Entstehung von Pflanzen im engeren Sinne (Embryophyta: Moose, Farne, Samenpflanzen) – ohne diese Pilzsymbionten nicht möglich gewesen wäre.
Pflanzen können mithilfe der Fotosynthese ihre Nähr- und Baustoffe selbst produzieren. Aber die dazu notwendigen Elemente Stickstoff, Phosphor, Kalium, Eisen und andere nehmen sie aus dem Boden auf. Den meisten Pflanzen helfen dabei bestimmte Pilze. Bei der Ektotrophen Mykorrhiza bildet das Mycel der Pilze einen dichten Mantel um die Wurzelspitzen und einige Pilzfäden dringen zwischen die Zellen der Wurzelrinde ein. Dabei ist die große Oberfläche des Pilzmycels von Vorteil. Die Pflanzen versorgen die Pilze dafür mit Kohlenhydraten, die sie über die Fotosynthese meist im Überfluss herstellen können. Die Ektomykorrhiza ist typisch für Waldbäume wie Eichen, Buchen oder Fichten.
Bei den verschiedenen Formen der Endomykorrhiza bildet sich kein dichtes Pilzgeflecht um die Wurzelspitzen. Dafür dringen die Pilzhyphen in die Zellen der Wurzelrinde der Pflanzen ein. Diese Mykorrhizatypen kommen vor allem bei krautigen Pflanzen aber auch bei verschiedenen Gehölzen vor.
Orchideen können ohne eine solche Endomykorrhiza nicht leben.
Insbesondere auf „mageren“ Böden, das heißt Böden mit wenig stickstoff- und phosphorhaltigen Mineralstoffen, sind die Mykorrhizapilze für Pflanzen oft lebensnotwendig.

Es gibt einige Pflanzen, die kein Blattgrün ausbilden und alle Nähr- und Mineralstoffe sowie das Wasser von ihrem Mykorrhizapilz beziehen. Nach Merckx (2013) ist eine solche vollständige Mykoheterotrophie für mindestens 514 Pflanzenarten nachgewiesen. Teilweise Mykoheterotrophie kommt jedoch bei sehr vielen Mykorrhiza bildenden Pflanzen vor, zum Beispiel bei allen Orchideen, bei denen zumindest die Keimlinge ihre Nährstoffe von einem Pilz beziehen. Ein Beispiel für eine vollständig mykoheterotrophe Pflanze ist die Vogel-Nestwurz, die man relativ häufig in Buchenwäldern finden kann. Der Fichtenspargel, eine chlorophylllose Pflanze aus der Verwandtschaft der Heidekrautgewächse, bildet mit Ritterlingsarten eine Mykorrhiza. Diese Pilze haben außerdem Fichten, Buchen und noch einige andere Waldbäume als Mykorrhizapartner. Von diesen erhalten sie organische Kohlenstoffverbindungen, von denen auch der Fichtenspargel profitiert. Diesen indirekten Parasitismus, auch Epiparasitismus genannt, konnte man dadurch nachweisen, dass man Zuckerverbindungen in den Bäumen radioaktiv markierte.
Vermutlich kommt ein solcher Stofffluss von grünen Pflanzen über Mykorrhizapilze zu bleichen, mykoheterotrophen Pflanzen häufig vor. Auch für einen Pilzpartner der Nestwurz, die Erd-Wachskruste (Sebacina incrustans), ist ein solcher Transfer nachgewiesen. Dieser Pilz bildet eine Ektotrophe Mykorrhiza mit dem Haselstrauch und bezieht von ihm Kohlenhydrate, die er teilweise an die Nestwurz weitergibt .

Die Vernetzung verschiedener Pflanzenindividuen und -arten eines Ökosystems durch Mykorrhizapilze spielt vermutlich eine größere Rolle, als lange Zeit vermutet.
Für den globalen Kohlenstoffkreislauf ist von Bedeutung, ob Ektotrophe-Mykorrhiza (EM)- oder Arbuskuläre-Mykorrhiza (AM)-Symbiosen – die häufigste Form der Endomykorrhiza – vorherrschen. Im ersten Fall konkurrieren die Mykorrhizapilze mit anderen Mikroben um organische Abfallstoffe, dadurch wird der C-Gehalt des Bodens erhöht, im zweiten Fall nehmen die Pilze vorwiegend anorganischen Stickstoff auf und sind deshalb keine Konkurrenz für andere Destruenten. Organische Abfallstoffe werden deshalb schneller abgebaut und der Kohlenstoffspeicher im Boden ist kleiner (s. S. XX, Averill, Turner, Finzi 2014).

Flechten sind Doppelorganismen aus Pilzen, Algen oder/und Cyanobakterien. Mit Ausnahme der Gallertflechten gibt der Pilz der Flechte ihre Form. Die meist nur aus einer oder wenigen Zellen aufgebauten grünen Organismen sorgen durch ihre Fotosyntheseleistung für die Energieversorgung des Doppelorganismus..
Es ist kein Wunder, dass Flechten lange für eine eigenständige Organismengruppe angesehen wurden. Nicht nur die besondere Flechtenform sondern auch bestimmte Flechtenstoffe – wie zum Beispiel der gelbe Farbstoff der überall häufigen Gelbflechte (Xanthoria) – können nur in Symbiose produziert werden. Solche speziellen Stoffwechselleistungen sind auch dafür verantwortlich, dass Flechten noch gedeihen können, wo „echte Pflanzen“ keine Chance mehr haben: Auf eisigen Berggipfeln, auf trockenen Felsen und Wüstenböden und an Baumrinde, wo es auch Moosen zu trocken wird. Dank besonderer Proteine und Polysaccharide können sie vollständig austrocknen ohne abzusterben. Bei erneuter Befeuchtung kommen die Lebensvorgänge sofort wieder in Gang.

Bei vielen endophytischen (in Pflanzen lebenden) Pilzen ist nicht ganz klar, ob es sich um Parasiten oder Symbionten handelt. In jedem Fall sind sie eine besonders vielversprechende Gruppe, wenn es um die Entdeckung neuer biotechnisch bzw. medizinisch nutzbarer Stoffwechselleistungen geht. Sie sind deshalb in den Fokus moderner Screenings nach verwertbaren Enzymen gerückt. 2011 wurde im ecuadorianischen Amazonasgebiet ein endophytischer Pilz, Pestalotiopsis microspora, entdeckt, der ein Enzym produziert, mit dem er Polyurethane abbauen kann (Russell et al. 2011).
Gleichzeitig haben endophytische Pilze vermutlich eine große ökologische Bedeutung, indem sie z. B. Giftstoffe produzieren, die Pflanzen wie dem Taumel-Lolch (Lolium temulentum) und der Prunkwinde (Ipomea) als Fraßschutz dienen. Möglicherweise schützen Abwehrstoffe endophytischer Pilze die Wirtspflanzen auch vor Infektionen durch andere Mikroorganismen. Auch eine Verbesserung der Trocken- und Kälteresistenz der Wirtspflanzen wird diskutiert (Proksch et al. 2010).

Als Symbiosepartner von Tieren helfen Pilze z. B., den schwer zugänglichen Holzstoff für die Verdauung aufzuschließen.
Die sogenannten Ambrosia-Käfer, die bei zwei verschiedenen Gruppen der Rüsselkäfer vorkommen, leben in Bohrgängen im Holz toter oder absterbender Bäume. Diese Gänge beimpfen sie mit dem Myzel von Ambrosia-Pilzen. Die Pilze ernähren sich vom Holz und kleiden die Bohrgänge mit einem speziellen Myzel dicht aneinander schließender Hyphen aus. Die Käfer und ihre Larven fressen ausschließlich dieses Myzel. Indem sie das Pilzmyzel und teilweise auch Konidien des Pilzes auf andere Bäume übertragen, helfen sie der Ausbreitung. Während jedoch die Käfer nur mithilfe des Pilzes leben können, ist der Pilz nicht unbedingt auf die Käfer als Partner angewiesen.
Eine ganz ähnliche Partnerschaft gehen Holzwespen mit Pilzen ein. Hier legen die Weibchen mit ihrem Legestachel zusammen mit den Eiern Pilzmyzel der Weißfäule erregenden Schichtpilze Stereum und Amylostereum in das Holz toter oder absterbender Nadelbäume. Von diesen Pilzen ernähren sich dann ihre Larven.

Besonders ausgefeilt ist die symbiotische Beziehung zwischen Pilzen und zwei Gruppen von sozialen Insekten, den Blattschneiderameisen und den Termiten (Angersbach/Groß 2005 in UB 306).
Blattschneiderameisen leben in tropisch-subtropischen Amerika zwischen 40° Nord und 44° Süd. Sie können in kurzer Zeit große Waldstücke entlauben. Die Blattstücke tragen sie in ihren Bau, dort werden sie zu Blattbrei zerkleinert und mit Pilzen der Gattungen Leucocoprinus und Leucoagaricus beimpft, von deren Mycel sich die Ameisen ernähren. Die Hyphenenden schwellen zu „Nährkörperchen“ an, die reich an Nährstoffen sind und von den Ameisen leicht geerntet werden können. Die Ameisen pflegen ihre Pilzkulturen, insbesondere sorgen sie dafür, dass sie nicht von anderen Pilzen überwuchert werden. Vor Befall durch den Schadpilz Escovopsis schützen die Ameisen ihren Kulturpilz mit speziell wirkenden Bakterien (Streptomyces, Pseudonocardia u.a.), die sie an ihrem Panzer mit sich führen. Diese Bakterien produzieren Candicidine (Stoffe, die auch gegen die humanpathogene Candida albicans wirken). Man kennt über 200 verschiedene Arten von Blattschneiderameisen vor allem aus den Gattungen Atta und Acromyrmex. Auf Grund von molekulargenetischen Untersuchungen nimmt man an, dass die Atta-Leucocoprinus-Symbiose schon mindestens 50 Mio. Jahre alt ist (Stephenson 2010).
Die zweite Gruppe von Pilzgärtnern, bei der es ebenfalls um den Aufschluss ligninreichen Pflanzenmaterials geht, findet sich bei den Termiten. Die „Höheren Termiten“ (Fam. Termitidae,) – sie sind auch für die hohen Termitenbauten verantwortlich – vermischen Holzschnitzel und andere Pflanzenteile mit Speichel und Kot zu einem Nährsubstrat für die Pilze. Solange die Bauten von Termiten bewohnt sind, bilden die kultivierten Pilze – vor allem der Gattung Termitomyces – keine Fruchtkörper. Doch aus verlassenen Termitenbauten wachsen die großen schirmförmigen Fruchtkörper, die auf afrikanischen Märkten als Speisepilze verkauft werden (Barnekow/Probst in UB 306).
Auch pflanzenfressende Säugetiere, insbesondere Wiederkäuer, sind bei der Verdauung der Cellulose auf pilzliche Endosymbionten angewiesen: Die erst in den 1970 er Jahren entdeckten Neocallimastigomyceten, seit 2007 als eigene Abteilung gewertet, sind anaerobe Darmbewohner, der große Bedeutung sich hier in den letzten Jahrzehnten herausgestellt hat.

Die Ameisenart Allomerus decemarticulatus bildet einer Dreiersymbiose mit dem tropischen Strauch Hirtella physophora und einem Pilz. Die den Baum besiedelnden Ameisen nutzen die abgeschnittenen Haare der Pflanze, um aus diesen mithilfe von Pilzhyphen effektive Insektenfallen zu bauen (Dejean et al. 2005)

In Pflanzengallen können manche Gallinsekten Pilzpartner nutzen, indem sie sich von deren die Galle auskleidendem Mycel ernähren (Kehr/Kost 1999)

Auch eine ernährungsphysiologische Symbiose zwischen Pilzen und Nicht-Insekten konnte nachgewiesen werden. Strandschnecken an der nordostamerikanischen Küste infizieren Schlickgras mithilfe ihrer Kotbällchen mit einem Pilz, den sie dann verzehren. Das Schlickgras alleine können die Schnecken nicht verdauen (Whitfield 2003).

Fortpflanzung, Vermehrung, Ausbreitung

Pilze können sich geschlechtlich und ungeschlechtlich fortpflanzen. Die ungeschlechtlich sich fortpflanzende Form bezeichnet man als Nebenfruchtform oder Anamorphe, die geschlechtlich sich fortpflanzende als Hauptfruchtform oder Telomorphe, die Gesamtheit der Entwicklungsstadien als Holomorphe (Dörfelt 2001, 2014). Da man dabei oft nicht erkannte, dass es sich um dieselbe Art handelt, wurden beide Formen zuweilen unterschiedlich benannt. So wurde der Verursacher des Eschentriebsterbens zunächst als Chalara fraxinea identifiziert, später erkannte man, dass es die Anamorphe zur Telomorphen Hymenoscyphus pseudoalbidus ist. Hat man die Zusammengehörigkeit nachgewiesen, gilt der Name der Telomorphen als der korrekte wissenschaftliche Artname.

Während bei den Töpfchenpilzen (Chytridiomycota) noch begeißelte Gameten und Zoosporen vorkommen – sie werden deshalb auch Geißel- oder Flagellenpilze genannt –, gibt es bei den übrigen Pilzen keine begeißelten Fortpflanzungsstadien.
Die heute in mehrere Abteilungen aufgeteilten Jochpilze (Zygomycota) pflanzen sich vorwiegend ungeschlechtlich fort, wie der überall häufige Brotschimmel Rhizopus stolonifer: Aus stark verzweigten Hyphen im Substrat wachsen lange Lufthyphen, die wie die Ranken einer Erdbeerpflanze der Ausbreitung dienen. Schließlich bilden sich Sporenträger mit einer endständigen Sporocyste, die viele asexuell entstandene Sporen enthält und in den Luftraum entlässt. Ihren Namen haben sie jedoch aufgrund der besonderen Form der geschlechtlichen Fortpflanzung bekommen: Zwei Hyphenenden, die vom selben oder von unterschiedlichen Mycelien stammen können, bilden so genannte Gametocysten, die sich vereinigen und dabei eine jochartige Struktur bilden. Aus dieser derbwandigen Zygospore bildet sich nach Kernverschmelzung und Meiose eine gestielte Sporocyste mit vielen Sporen, die äußerlich den asexuell entstandenen Sporocysten gleicht (Nomenklatur vgl. Dörfelt 2001).
Auf Grund molekulargenetischer Untersuchungen hat man die Arbuskulären Mykorrhizapilze oder kurz AM-Pilze als eigene Abteilung Gomerulomycota von den Jochpilzen abgetrennt. Es sind die phylogenetisch ältesten und bis heute verbreitetsten Mykorrhizapilze. Bisher ist nur eine asexuelle Fortpflanzung bekannt. An den Hyphenenden bilden sich Verdickungen, die sich schließlich mit einer festen Wand umgeben. Bei manchen Arten – wie bei Gigaspora margarita – können diese Sporen nahezu 1 mm Durchmesser erreichen.

Für die Abteilungen Schlauchpilze (Ascomycota) und Ständerpilze (Basidiomycota) ist charakteristisch, dass sie Hyphen mit Querwänden bilden,die allerdings einen Porus besitzen, durch den eine Verbindung des Cytoplasmas besteht. Dieser Durchlass ist bei den verschiedenen Verwandtschaftsgruppen recht unterschiedlich – teilweise sehr kompliziert – aufgebaut.
Bei den Ascomycota wird die geschlechtliche Fortpflanzung durch Gametocystenbildung eingeleitet. Die männliche Gametocyste entlässt ihre Kerne in die weibliche Gametocyste (Ascogon). Dort paaren sich je ein weiblicher und ein männlicher Kern ohne zu verschmelzen. Anschließend wachsen aus dem Ascogon so genannte ascogene Hyphen, die in jeder Zelle zwei Kerne enthalten. Schließlich kommt es in der Endzelle zur Kernverschmelzung und zur anschließenden Meiose und meist zu einer weiteren mitotischen Teilung. Um diese acht Kerne bilden sich Zellwände(„freie“ Zellbildung). So entsteht eine Zelle mit acht Ascosporen, ein Ascus oder Schlauch.
Bei den Basidiomycota verschmelzen zwei normale Hyphen mit haploiden Kernen zu einem Paarkernmyzel. Bei der Zellteilung teilen sich beide Kerne, einer wird über eine Schnalle an die nächste Zelle weitergegeben. Durch Verschmelzung dieser zwei Kerne – normalerweise erst nach vielen mitotischen Teilungen und der Bildung eines ausgedehnten dikaryotischen Myzels – kann es in bestimmten Zellen zur Bildung eines diploiden Kerns kommen, der sich anschließend durch Meiose wieder in vier haploide Kerne teilt, die in vier Auswüchse der Zelle einwandern. Das ganze Gebilde wird Basidie oder Ständer genannt. Funktionell wird durch die Zweikernigkeit ein Zustand erreicht, welcher der Ausbildung eines diploiden Chromosensatzes entspricht.

Die großen „Fruchtkörper“, besser eigentlich Sporenkörper, vieler Schlauchpilze und Ständerpilze sorgen für eine effektive Verbreitung der winzigen Sporen durch die Luft oder durch Tiere. In diesem Fruchtkörpern bilden sich meist eine große Zahl – oft Millionen – Asci bzw. Basidien. Bei den Schlauchpilzen werden die Fruchtkörper auch Ascoma genannt. Sie bilden sich jeweils nach der Verschmelzung von Gametocysten. Die Fruchtkörper der Ständerpilze – auch Basidioma genannt – können sich immer wieder in großer Anzahl aus einem Paarkernmyzel bilden, das aus der Verschmelzung von zwei Einkernmyzelien hervorgegangen ist (Dörfelt 2012).
Diese „Pilzfrüchte“, die landläufig als „Pilze“ bezeichnet werden, faszinieren Menschen seit alters her aus verschiedenen Gründen:
• sie erscheinen unverhofft und ziemlich plötzlich und sind auch schnell wieder verschwunden,
• sie haben oft auffällige Formen, Farben und Gerüche,
• man kann sie sammeln und essen,
• eine ganze Reihe sind giftig, manche sogar lebensgefährlich,
• manche enthalten halluzinogene Stoffe und eigen sich als Rauschdrogen.
Viele Jahrhunderttausende mussten die Menschen ihre Nahrung sammeln. Das Pilze Sammeln und das Zubereiten dieser selbst gesammelten Pilze ist möglicherweise deshalb so befriedigend, weil es an diese archaische Tradition anknüpft. Pilzexkursionen mit anschließender Besprechung und Bearbeitung der Funde – gegebenenfalls mit einem Pilzkenner zusammen – können ein Erlebnis sein, das Interesse an Naturbegegnungen weckt und fördert und als Einstieg in verschiedene ökologische Themen dienen kann.
Außer der klassischen Pilzform kommen noch viele verschiedene andere Fruchtkörperformen vor. Für die Windverbreitung von Sporen hat ein Fruchtkörper aus Stiel und Hut jedoch durchaus Vorteile: Durch den Stiel wird die sporentragende Schicht in etwas bewegtere Luftschichten emporgehoben, durch den Hut wird sie vor Regen geschützt, Lamellen oder Röhren sorgen für eine große Oberfläche. Dadurch, dass der Hut zunächst wie ein zusammengefalteter Schirm dem Stiel anliegt, wird die sporentragende Schicht vor Austrocknung geschützt. Bei vielen Fruchtkörpern – wie beim Grünen Knollenblätterpilz oder beim Fliegenpilz – werden die jungen Fruchtkörper durch zusätzliche Hüllen vor Verdunstung geschützt. Wenn der Hut aufschirmt, bleiben die Reste der Hüllen als Scheide, Ring und weiße Punkte auf der Hutfläche zurück.

Pilzfruchtkörper fallen nicht nur durch auffällige Farben und Formen sondern manchmal auch durch ihre besondere Größe auf: Macrocybe titans aus Mittelamerika und der afrikanische Termitomyces titanicus bilden die größten bisher bekannt gewordenen Fruchtkörper bei Blätterpilzen (Agaricomycetes). Gewaltige Fruchtkörper bis über 50 cm Durchmesser bildet auch der Riesen-Bovist , auch die konsolenförmigen, mehrjährigen Fruchtkörper von Baumpilzen können sehr groß werden, beim Abgeflachten Lackporling bis zu 1 m im Durchmesser.

Pilze als Umweltindikatoren

Pilze können bestimmte Stoffe aus dem Boden aufnehmen und in ihrem Mycel anreichern. Besonders deutlich wurde dies nach dem Reaktorunfall von Tschernobyl. Einige Zeit wurde die radioaktive Kontamination von Böden über die Messung der Radioaktivität von Pilzfruchtkörpern dokumentiert und noch bis heute gibt es Regionen, in denen die Pilze – z. B. Maronenröhrlinge – relativ hoch belastet sind. Hauptursache ist von den Pilzen aufgenommenes Cäsium 137 mit einer Halbwertszeit von 30 Jahren.
Auch Schwermetalle wie Cadmium und Blei können von Pilzen angereichert werden. Diese Fähigkeiten kann auch positiv genutzt werden, indem man Pilze zur Dekontamination schwermetallverseuchter Böden einsetzt. 2012 konnten britische Wissenschaftler nachweisen, dass aus Bleiminen isolierte Pilze elementares Blei in das besonders schwer lösliche Chloropyromorphit Pb5(PO4)3Cl umwandeln und damit verseuchte Böden entgiften können (Rhee/Hiller/Gadd 2012).

Ähnlich wie Fauna und Flora beeinflussen Umweltveränderungen auch die Funga – also die Gesamtheit der vorkommenden Pilzarten – eines Ökosystems. In Waldökosystemen können Pilzarten als Indikatoren für „Naturnähe“ verwendet werden. So gelten zum Beispiel Bergporling, Tannen-Stachelbart und Tannen-Stielporling als Zeigerarten für naturnahe Bergmischwälder (vgl. z. B. Blaschke et al. 2009). Die meist auffällig gefärbten Saftlings-Arten (Hygrocybe) sind Zeigerarten für magere Wiesen- und Rasengesellschaften, die als besonders schützenswert gelten. Flechten sind klassische Indikatoren für Luftverschmutzung, vor allem durch Schwefelverbindungen.

Seit einiger Zeit versucht man, Arten zu ermitteln, deren Erhalt in bestimmten Regionen eine besondere Bedeutung für die weltweite Erhaltung der Biodiversität hat. Eine Liste solcher „Verantwortungsarten“ wurden vom Bundesamt für Naturschutz für Deutschland bereits aufgestellt. Mittlerweile gibt es auch 19 Pilzarten, die als Verantwortungsarten für Deutschland ausgewählt wurden, weil ein hoher Anteil der Weltpopulation in Deutschland zu finden ist und weil die Biotope, in denen sie vorkommen, zu den gefährdeten zählen. Beispiele sind der Hauhechel-Samtfußrübling, die Strandlings-Erdzunge oder der Lilastielige Rötelritterling. Warum gerade diese 19 Arten ausgewählt wurden, hängt allerdings auch noch mit weiteren Kriterien zusammen, zum Beispiel, ob die Arten nicht schon durch eine andere Schutzverordnung ausreichend geschützt sind (Lüderitz/Gminder 2014).

Pilze und Menschen

Nahrungsmittel

Pilze werden vermutlich schon seit Urzeiten von Menschen als Nahrung genutzt. Sicher wurden Pilze auch schon von steinzeitlichen Menschen als Heilmittel und Rauschdrogen verwendet. Bei der 5300 Jahre alten Gletschermumie aus dem Ötztal („Ötzi“) hat man Reste vom Zunderschwamm gefunden, die auf seine Verwendung beim Feuermachen hindeuten. Ebenso trug Ötzi zwei Birkenporlinge mit sich, deren antibakterielle und entzündungshemmende Wirkung er möglicherweise zur Wundbehandlung nutzte.
Der gezielte Anbau von Pilzen ist nicht so alt. Die älteste Überlieferung von Pilzkulturen stammt aus China. Dort wurden Shiitake-Pilze (Lentinula edodes) schon vor mehr als 1000 Jahren kultiviert, indem man tote Baumstämme mit dem Pilzmycel beimpfte (Stephenson 2011). Bis heute zählen Shiitake-Pilze in Asien zu den wichtigsten Kulturpilzen , sie werden mittlerweile aber weltweit auf unterschiedlichsten Substraten kultiviert. Die in Europa am häufigsten angebauten Pilze sind Champignons.

Immer häufiger spielt beim Pilzanbau eine Rolle, dass man damit Abfallstoffe „upcyclen“, also sinnvoll weiter nutzen kann. Das gilt für Dung, Stroh, Sägemehl oder andere Holzabfälle, aber auch für Abfälle aus der Bierbrauerei (Biertreber) und aus der Kaffeeproduktion, sogar aus Kaffeesatz lassen sich Austernseitlinge gewinnen. Der Wiener Pilzzüchter Haidvogl http://www.pilz-kultur.at/Die%20Seite/ startete 1996 eine Aktion, bei der er alte Wiener Telefonbücher erfolgreich als Kultursubstrat für Austernseitlinge nutzte (Kasten Kaffeepilze).
Mittlerweile spielen Speisepilze und Heilpilze auch in der Hobbygärtnerei eine wichtige Rolle. Im Internet gibt es viele Angebote für Startkulturen, Kultursubstrate und fertige Ansätze, die nur ausgepackt und bewässert werden müssen.

Nahrungsmittelbearbeitung

Neben der direkten Verwertung von Pilzen als Nahrungsmittel spielen Pilze eine wichtige Rolle bei der Nahrungsmittelbearbeitung bzw. –fermentation.
Die Bedeutung der Hefepilze für die Geschichte der Menschheit kann kaum überschätzt werden. Die Art Saccharomyces cerevisiae, wörtlich übersetzt “Zuckerpilz des Bieres“, und bekannt als die Gewöhnliche Bierhefe kann Zucker zu Ethanol („Alkohol“) und Kohlenstoffdioxid abbauen. Beide Abbauprodukte werden von Menschen seit Jahrtausenden genutzt, das Ethanol zur Herstellung alkoholischer Getränke, das Kohlenstoffdioxid zum Brotbacken (Hefeteig). Einige Historiker glauben, dass das Bierbrauen aus gekeimten Getreidekörnern der erste Anlass für den Beginn des Ackerbaus war. Wenn dies stimmt, wäre die unbewusste Kultivierung von Hefepilzen die erste Voraussetzung für die Entwicklung von Hochkulturen gewesen (Reichholf 2008).
Neben der Bierhefe spielen auch noch zahlreiche andere Mikropilze eine wichtige Rolle in der biotechnischen Produktion und in der Mikrobiologie. Eine lange Tradition haben die verschiedenen Pilze, die in der Käseherstellung eingesetzt werden, wie Penicillium camembertii oder P. roquefortii, oder die verschiedenen Pilzarten, die man in Ostasien zur Fermentierung von Soja, Reis oder anderen Getreidearten nutzt. Der Schlauchpilz Fusarium venenatum wird seit den 1980iger Jahren in Großbritannien zur Herstellung eines als „Quorn“ bezeichneten Fleischersatzes verwendet. Der gefürchtete Pflanzenparasit Botrytis cinerea (s. S. XX) bewirkt auf reifen Weintrauben eine sogenannte „“Edelfäule“, die für die Produktion von besonderen Weinen (Beerenauslese, Trockenbeerenauslese) genutzt werden.

Antibiotika und Statine

Pilze sind seit der Entdeckung von Alexander Fleming die klassischen Lieferanten von Antibiotika. Ohne pilzliche Cyclosporine könnte man die Immunreaktion bei Organtransplantationen kaum unterdrücken. Auch die als Cholesterrolsynthesehemmer eingesetzten Statine stammen aus Schimmelpilzen.

Im mikrobiologischen Labor werden Pilze meist unter sterilen Bedingungen in Petrischalen auf festem Substrat (Agar mit Zusätzen) oder in flüssigen Medien kultiviert. Aus solchen Kulturen werden – heute oft unter Anwendung gentechnischer Methoden – immer wieder Stämme mit neuen Stoffwechselleistungen gewonnen. In der Biotechnik verwendet man große Bioreaktoren zur Produktion zum Beispiel von Zitronensäure (Aspergillus niger), weiteren organische Säuren, Antibiotika, Enzymen und Steroiden.

Pilzgifte

Viele Pilzgifte sind Stoffwechselbestandteile von Großpilzen. Obwohl schon seit dem Altertum bekannt, werden immer wieder neue Giftpilze und neue Gifte entdeckt, z. B. der Glutamatantagonist Acromelsäure aus dem Parfümierten Trichterling (Clitocybe amoenolens, 1987 nach DGfM) oder 2001 die in dem lange Zeit als guter Speisepilz geltenden Grünen Ritterling (Tricholoma equestre) enthaltene Cycloprop-2-en-carboxylsäure, die zumindest bei manchen Menschen Skelettmuskelzerfall (Rhabdomyolyse) verursacht. Die verschiedenen giftig wirkenden Substanzen aus Pilzen und die Funktionszusammenhänge im Organismus sind in vielen Fällen noch nicht genau erforscht. Üblicherweise werden die Vergiftungserscheinungen unter verschiedenen Syndromen zusammengefasst (Tabelle XX Pilzvergiftungen).
Von den rund 8000 in Mitteleuropa vorkommenden Großpilzen sind nur 150-200 Arten giftig. Als tödlich giftig werden von der französischen Gesellschaft für Mykologie 28 Arten genannt. Von 2003 – 2012 starben nach Angaben des Statistischen Bundesamtes durch Verzehr von giftigen Pilzen allerdings nur 31 Personen, insbesondere am häufigen Grünen Knollenblätterpilz (Amanita phalloides). Trotzdem sind Giftpilze eine nicht zu unterschätzende Gefahr, die nur vermieden werden kann, wenn man nur solche Pilze zu Speisezwecken verwendet, die man ganz sicher kennt. Diese Erkenntnis muss das wichtigste Unterrichtsziel bei der Behandlung von Giftpilzen sein. Im übrigen kann man auf die Möglichkeit der Pilzberatung und die verschiedenen Giftnotrufzentralen aufmerksam machen (s. S. XX).
In Abgrenzung zu den Giften in Fruchtkörpern der Großpilze werden giftige Inhaltsstoffe in Schimmelpilzen und anderen Mikropilzen (Aflatoxine, Ochratoxine u. a.) als Mykotoxine bezeichnet. Besonders Getreideprodukte und Nüsse können durch Schimmelbefall vergiftet werden. Über das Futter können die Gifte auch von Nutztieren aufgenommen werden und in Nahrungsmittel gelangen („carry-on“). Auch der giftige Mutterkornpilz (Claviceps purpurea) ist dieser Kategorie zuzuordnen (s. S. XX).

Halluzinogene Pilze

Psychoaktive Pilzinhaltsstoffe haben vor allem bei Azteken und Mayas schon seit Jahrtausenden eine wichtige Rolle gespielt. Die bekannten Pilzsteine der Mayas aus Guatemala wurden im 1. Jahrtausend unserer Zeitrechnung hergestellt. Von der Hippiekultur der 1960iger und 70iger Jahre wurden Pilze – insbesondere Psilocybe-Arten – als Rauschdrogen wiederentdeckt. Der Fliegenpilz (Amanita muscaria) spielte als wichtiger psychoaktiver Pilz vor allem in Nordasien und Nordamerika, wahrscheinlich auch in Europa, eine bedeutende Rolle. Dass er bis heute als Glückssymbol gilt, dürfte auf diese Verwendung zurückzuführen sein. Der Ethnologe Wasson vertrat die nicht endgültig gesicherte Ansicht, dass die in Sanskrittexten beschriebene göttliche Droge Soma der Fliegenpilz sei (Wasson 1968, Bauer/Klapp 2012).

Heilpilze

Heilpilze haben vor allem in der traditionellen chinesischen Heilkunde einen große Bedeutung, werden aber auch zunehmend in westlichen Ländern genutzt und oft über das Internet vertrieben. Kernkeulen (Cordiceps) sollen das Immunsystem stärken, der Stachelbart (Hericium) wird gegen Sodbrennen und empfindliche Magenschleimhäute empfohlen, der Eichhase (Polyporus umbellatus) soll herzstärkend wirken und Wassereinlagerungen verhindern, der Glänzende Lackporling (Ganoderma lucidum) wird nahezu als Allheilmittel gepriesen, besonders aber als Mittel gegen neurotische Erkrankungen. Der Brasilianische Mandelchampignon (Agaricus subrufescens, syn. A. blazei) gilt nicht nur wegen seines Gehalts an β-D-Glucanen als Immunsystem unterstützend, auch seinem hohen Selengehalt wird gesundheitliche Bedeutung zugemessen.

Vorratsschädlinge, Holzzersetzer

Als Saprobionten vernichten Pilze natürlich auch alle Arten von organischen Materialien, die vom Menschen genutzt werden: Nahrungsmittel (Vorratsschädlinge), Textilien und Lederwaren und Baumaterialien, vor allem Holz. Der Hausschwamm (Serpula lacrymans) ist für Holz- und Fachwerkäuser eine besondere Gefahr, da er ein höchst effektives Wasserleitungssystem besitzt und damit auch für völlig trockene Holzkonstruktionen gefährlich werden kann (Bavendamm 1974). Über die Bedeutung von Schimmelpilzen in feuchten Räumen ist viel geschrieben und gestritten worden. Gefährlicher als die Vernichtung von Bausubstanz sind hier vor allem allergische Reaktionen der Bewohner auf Pilzsporen.

Pathogene

Auf die Wirkung pflanzen- und tierpathogener Pilze wurde schon im Zusammenhang mit ihrer Rolle als Konsumenten in Ökosystem hingewiesen. „Although viruses and bacteria grab more attention, fungi are the planet’s biggest killers“ schrieb Nicola Jones 2013 in einem Artikel über mögliche zukünftige globale Bedrohungen. Dabei könnte der Klimawandel die Ausbreitung von Pilzparasiten begünstigen. So hat sich der ursprünglich tropische humanpathogene Pilz Cryptococcus gattii an Amerikas Pazifikküste nach Nordwesten ausgebreitet und 2010 bereits 280 Personen infiziert, von denen zahlreiche starben. Angegriffen werden die Atemwege. Der Pilz ist auch Pflanzenparasit, eine Infektion ist auch über befallene Bäume, vor allem Eukalyptusarten, möglich.

Kompostierbare Baustoffe

Schließlich eignen sich Pilze auch zur Herstellung von kompostierbaren Baustoffen und Verpackungsmaterialien. Als Beispiel sei die New Yorker Firma, Ecovativedesign genannt, die dafür mit mehreren Umweltpreisen ausgezeichnet wurde.

Verwandtschaft und Phylogenie

Pilze werden als „Fadenwesen“ bezeichnet (Holzer 2011). Dieser Name charakterisiert das Reich der Pilze recht gut, denn auch bei den nicht fädigen Hefepilzen gibt es zahlreiche Übergänge zu einer fädigen Lebensform. Andererseits gehören nicht alle fädigen chlorophyllfreien Lebewesen zur engeren Verwandtschaft der Pilze. Schon bei Prokaryoten kommen chlorophylllose „Fadenwesen“ vor, die folgerichtig zunächst auch als „Strahlenpilze“ oder „Actinomyceten“ bezeichnet wurden, heute aber korrekt Actinobacteria genannt werden. Die „Eipilze“ oder „Oomycota“ entwickeln Echten Pilzen ähnliche Fadengeflechte, ihre Zellwände enthalten jedoch kein Chitin sondern Cellulose, weshalb sie auch „Cellulosepilze“ genannt werden. Zu ihnen gehören gefährliche Pflanzenparasiten wie die Kartoffelfäule (Phytophthora infestans) und die „Falschen Mehltaupilze“ (Peronosporaceae). Verwandtschaftlich lassen sie sich zusammen mit Braunalgen, Goldalgen und Kieselalgen der Protistengruppe Chromista (Stramenopila) zuordnen.
Auch die Schleimpilze (Myxomycota) sind keine Pilze im engeren Sinne. Große Teile ihres Lebenszyklus leben sie als Einzeller, nur zur Fortpflanzung bilden sie größere Aggregate und morphologisch sehr unterschiedliche und auffällige Sporenkörper. Bei einer Untergruppe bilden sich vielkernige, nicht in einzelne Zellen unterteilte Syncytien (s. S. XX).

Die ersten Versuche einer systematischen Gliederung der Pilze im 18. und 19. Jahrhundert basierten auf der Makromorphologie der Fruchtkörper. Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts rückten mikromorphologische Merkmale immer mehr in den Vordergrund. Seit Ende des 20. Jahrhunderts wurden zunehmend molekulargenetische Methoden zur Aufklärung der Verwandtschaftsbeziehungen der Pilze eingesetzt. 67 Mykologen erarbeiteten im Rahmen des Projekts „Assembling the Fungal Tree of Life“ ein vorläufiges Gesamtergebnis, das 2007 veröffentlicht wurde (Hibbett et al. 2007). Dieses System bedeutet in vieler Hinsicht eine völlige Neuordnung. So wurde die lange sehr gut etablierte Gruppe der Bauchpilze mit Bovisten, Erdsternen und Teuerlingen vollständig aufgelöst. Die einzelnen Taxa wurden unterschiedlichen systematischen Gruppen zugeordnet, der Kartoffelbovist zum Beispiel den Röhrlingsartigen, die Stäublinge und Teuerlinge in eine Familie mit den Champignons. 2001 wurde in Guyana ein Pilz entdeckt, der aussah wie ein Stielbovist (Gattung Tulostoma), sich aber bei genetischer Untersuchung als Verwandter der Hirschtrüffeln (Elaphomycetaceae, Ascomycota) herausstellte (Miller et al. 2001).
Die Schlauchpilze und Ständerpilze insgesamt blieben als einheitliche Verwandtschaftsgruppen (Abteilungen) erhalten, die früher als „Algenpilze“ oder „Niedere Pilze“ zusammengefassten Gruppen mit Jochpilzen und Geißelpilzen wurden – nach Ausschluss der Oomycota – neu aufgeteilt, ihre systematische Gliederung in neue Abteilungen ist jedoch noch im Fluss. Als gesichert gilt die Monophylie der Verursacher der vesikuär-arbuskulären Mykorrhizen, der Abteilung Glomeromycota.

Die stammesgeschichtliche Entstehung der Pilze reicht vermutlich weit ins Präkambrium zurück, sicherlich weiter als 1 Mrd. Jahre. 2017 entdeckten schwedische Forscher Pilzmyzel-ähniche Strukturen in 2,4 Mrd. J. alten südafrikanischen Basalten (Bengtson et. al 2017). Die Zuordnung der gefundenen Fadenstrukturen zu Pilzen ist jedoch nicht unumstritten. In 410 Mill. Jahre alten Sedimenten des Unterdevons kommen zusammen mit den ersten Landpflanzen auch schon alle Pilzgruppen außer den Basidiomyceten vor. Basidiomycota dürften wesentlich später entstanden sein, sichere Fossilfunde sind 90 Mill. Jahre alt (Stephenson 2010; Moore et al. 2011). Von einem bemerkenswerten Riesenfossil aus dem Devon, Prototaxites mit bis über 8m langen Stammstrukturen, wird heute angenommen, das es pilzlicher Natur war – ein wahrer Pilzbaum in der damals noch ziemlich niedrigen Vegetation (Boyce et al 2007, Abb. XX). Dieses größte Landlebewesen seiner Zeit hat sich aber nicht von den Abfällen der ersten Landpflanzen ernährt, das Isotopenverhältnis seiner Kohlenstoffverbindungen deutet darauf hin, dass es sich von den biogenen Abfallstoffen ernährt hat, die in den vorausgegangenen 2 Mrd. Jahren von Protisten angehäuft worden waren. Das große Artensterben vor 251 (Perm – Trias) und vor 65 (Kreide – Tertiär) Millionen Jahren hatte vermutlich jeweils zur Folge, dass saprobiotische Pilze besonders gute Entwicklungsbedingungen vorfanden. Entsprechend viele Pilzfossilien kennt man aus diesen Zeitabschnitten (Moore/Robsen/Trinci 2011).

Im Stammbaum der Lebewesen stehen Pilze zusammen mit den Tieren und den einzelligen Kragengeißlern (Choanoflagellatae) in einer großen Verwandtschaftsgruppe (Schubgeißler, Opisthokonta). Deren Schwestergruppe sind die Amoebozoa mit Amöben und Schleimpilzen. Zusammen werden sie auch als Amorphea bezeichnet und als monophyletische Gruppe von allen übrigen Eukaryoten abgegrenzt (Adl et al. 2012).

Resumé

In den folgenden Unterrichtsvorschlägen kann nur eine kleine Auswahl aus den möglichen pilzkundlichen Themen gegeben werden. Wir mussten auswählen, genau so, wie jede Lehrperson immer auswählen muss, wenn sie ein komplexes Thema bearbeiten will. Wir hoffen aber, dass deutlich wurde, dass Pilze in fast allen Teilgebieten der Life Sciences eine Rolle spielen, insbesondere auch in Bereichen der angewandten Biologie, und dass es sich lohnt, im Biologieunterricht nicht nur beim „Ökosystem Wald“ auf die Bedeutung dieser fantastischen Fadenwesen zu sprechen zu kommen.

Literarur und Quellen unter

https://www.wilfried-probst.de//wp-admin/post.php?post=709&action=edit

Saumbiotope – Grenzen und Übergänge (zu UB 425)

Immer häufiger sieht man an Straßenrändern, auf Verkehrsinseln oder an Ackerrandstreifen bunte Blumen blühen. Das sind nicht nur Klatsch-Mohn und Kornblume, Schafgarbe, Wilde Möhre und Wegwarte sondern auch Sommermalve (Malope trifida), Großblütiger Lein (Linum grandiflorum), Büschelschön (Phacelia tanacetifolia), Vogelfuß-Mädchenauge (Coreopsis palmata), Doldige Schleifenblume (Iberis umbellata) und andere Exoten, vorwiegend aus etwas wärmeren Regionen Europas und Amerikas. Für „Blühstreifen“ an Äckern gibt es für Landwirte sogar Fördermittel. Mittlerweile bieten Saatgutfirmen bereits ein differenziertes Angebot an Samenmischungen an. Sind es nur ästhetische Gesichtspunkte, die zu diesen „Blumenstreifen“ Anlass geben? Stehen dahinter auch ökologische Überlegungen und Ziele? Diese blühenden Wegränder sehen zweifellos schön aus, sie werden auch von blütenbesuchenden Insekten gerne angenommen. Ist es sinnvoll, dafür vor allem nicht einheimische Arten zu nutzen?

Diese Fragen führen zu der übergeordneten Frage, welche besonderen Merkmale solche Übergänge und Grenzen zwischen verschiedenen Landschaftselementen kennzeichnen. Was zeichnet Saumbiotope aus?

Das Unterricht Biologie Heft 425 „Saumbiotope – Grenzen und Übergänge“ ist im Juli 2017 erschienen

Grenzen und Übergänge

Räumlich begrenzte Lebensgemeinschaften, deren Organismen untereinander besonders zahlreiche Wechselbeziehungen zeigen, bezeichnet man zusammen mit ihrer unbelebten Umwelt als Ökosystem. Ein solches System kann ein begrenzter Waldbestand, ein kleines Moor, ein Dorfteich oder eine Felskuppe sein. Aber auch viel größere Einheiten, etwa ein großer See oder Meeresteil oder ein riesiges Waldgebiet wie das Amazonasbecken kann man als Ökosystem auffassen.
Bei naturnahen Landschaften sind die Grenzen zwischen verschiedenen Ökosystemen oft keine scharf gezogenen Linien, vielmehr sind es allmähliche Übergänge. Dies gilt für großräumige Übergänge, etwa vom tropischen Regenwald zur Savanne oder von der Taiga in die Tundra. Diese Übergangsbereiche werden auch als Ökotone bezeichnet.

Vegetationszonierung im Vorderrheintal bei Sedrun

Vegetationszonierung im Vorderrheintal bei Sedrun (Foto Probst)

Es gilt aber auch für kleinere Gebiete, zum Beispiel für die Baumgrenze an einem Gebirgsmassiv.

Scharfe Grenzen hängen oft mit menschlichen Aktivitäten zusammen: Waldränder, Feldraine und Straßenränder sind dafür typische Beispiele. Aber auch katastrophenartige Naturereignisse wie Waldbrände, Sturmschäden, Lawinen, Vulkanausbrüche oder Überschwemmungen haben die Ausbildung scharfer Grenzen zur Folge, die allerdings meist im Laufe der Zeit wieder ausgeglichen werden.
Auch steile Umweltgradienten, zum Beispiel die Wassertiefe an einem Gewässerufer oder die Meereshöhe in einem Gebirge, können zu deutlich erkennbaren Zonierungen führen, bei denen die einzelnen Pflanzengemeinschaften scharf gegeneinander abgegrenzt sind.

Der besondere Reiz solcher Grenzen besteht darin, dass es hier zu einer Vermischung von zwei verschiedenen Lebensgemeinschaften kommt. Solche „Säume“ oder „Ökotone“ bieten besonders viele ökologische Nischen und sind deshalb oft besonders artenreich. Sie erfüllen wichtige ökologische Funktionen, zum Beispiel als Brutplatz für Vögel, Wanderwege für Reptilien und Amphibien, Überwinterungsquartiere für Wirbellose oder Nahrungsspender für Blüten besuchende Insekten.

Saumbiotope in der mitteleuropäischen Kulturlandschaft

Mitteleuropäische Kulturlandschaft (Baden-Württemberg)

Mitteleuropäische Kulturlandschaft (Baden-Württemberg; Foto Probst)

Saumbiotope sind wesentliche Elemente der traditionellen Kulturlandschaft. Sie sind mit der Entwicklung des Ackerbaus seit dem Neolithikum und der Bronzezeit unter dem Einfluss des Menschen entstanden. In Mitteleuropa haben sich diese kleinräumigen Strukturen mit der Auflockerung und Zurückdrängung der ursprünglichen Urwälder in den vergangenen 6000 Jahren allmählich entwickelt. Dadurch hat sich die Anzahl der Pflanzen- und Tierarten, die Biodiversität, stark erhöht. Schaut man sich die Verteilung der Tier- und Pflanzenarten in einer kleinräumig strukturierten, von Wallhecken, Wegrändern, kleinen Gehölzen und Wasserläufen geprägten Landschaft an, so sind die flächigen Landschafselemente relativ artenarm, die meisten Arten konzentrieren sich in den Saumbiotopen. Viele Arten aus den bewirtschafteten Arealen haben

Hochgewachsener Straßenrand mit Glatthafer und Margeriten

Hochgewachsener Straßenrandstreifen mit Glatthafer und Margeriten (Foto Probst)

in den Saumbiotopen eine Rückzugsmöglichkeit gefunden. Dabei kam es im Laufe der Jahrhundrte auch zu Einnischungsprozessen, die Arten haben sich in Anpassung an die besonderen Bedingungen der Saumbiotope  etwas verändert. Auch für eine Reihe neu eingewanderter Arten bieten Saumbiotope günstige Bedingungen.

Eine besondere Bedeutung kommt Saumbiotopen für die Vernetzung von Ökosystemen zu. In einer wenig strukturierten Agrarlandschaft kann die ökologische Qualität durch Ökotone wesentlich verbessert werden. Ein besonderes Problem riesiger Felder in einer ausgeräumten Landschaft ist die Bodenerosion. In Mecklenburg-Vorpommern, einen Bundesland mit besonders vielen großflächigen Äckern, gelten mehr als die Hälfte der Böden als erosionsgefährdet, in ganz Deutschland immerhin 14% (Umweltbundesamt). Das ist ein Grund dafür, dass der Naturschutz ein besonderes Augenmerk auf die Ökotondichte einer Landschaft legt.

Schutz und Pflege von Saumbiotopen

Durch Beweidung stark degradierter Knick, Ausacker b.Flensburg, 1984 (Foto Probst)

Durch Beweidung stark degradierter Knick, Ausacker bei Flensburg, 1984 (Foto Probst)

Allerdings sind Grenzen in einer Kulturlandschaft nicht immer ein wertvoller Saumbiotop. Wallhecken wachsen zu weniger nischenreichen Baumreihen aus, wenn sie nicht regelmäßig „auf den Stock gesetzt“ werden. Dabei sollte man allerdings darauf achten, dass die zurückgeschnittenen Strecken nicht zu lang sind, damit sich für die Arten Rückzugsmöglichkeiten eröffnen. Durch Beweidung können die Wälle erodieren und die Krautvegetation vernichtet werden, durch Pestizideinsatz auf dem angrenzenden Acker können Tiere und Pflanzen geschädigt werden.

Herbicideinsatz am Wegrand (Foto Probst)

Herbicideinsatz am Wegrand (Foto Probst)

Ähnliches gilt für Wegränder und Straßenränder. Frühzeitiges und häufiges Mähen mindert ihren Wert. Erst wenn die Pflanzen blühen, können sie Blütenbestäuber ernähren und erst wenn sie reife Früchte ausbilden können sie sich selbt vermehren und auch als Futterpflanzen für Vögel und andere Tiere zur Verfügung stehen. Auch noch im Winter bieten Fruchtstände („Wintersteher“) Futter und Unterschlupf- und Überwinterungsmöglichkeiten für Insekten.

Waldränder sind umso artenreicher, je dichter der Gebüschsaum und der Hochstaudenbestand ausgebildet sind.Allerdings wird sich von einem Waldrand ausgehend in einem Waldklima der Wald allmählich ausdehnen, wenn man der Natur ihren Lauf lässt. Durch Wurzelausläufer und Keimlinge vordringende Gehölzpflanzen wird der Landwirt deshalb abmähen  und umpflügen müssen. Mäht man allerdings mit dem Schlegelmäher hart an der Waldgrenze entlang, führt dies schnell zu einer Auflockerung des dichten Gebüschstreifens, der dadurch viele seiner ökologischen Funktionen verliert.

Gewässerränder können je nach Uferprofil und Gewässertyp sehr unterschiedlich aussehen.Besonders stark wurden die Fließgewässer in der mitteleuropäischen Landschaft im Laufe der Jahrhunderte verändert. Um die landwirtschaftlich nutzbaren Flächer zu vergrößern wurden nicht nur die Übergangszonen, verschmälert, die Bäche selbst wurden begradigt, tiefer gelegt, und regelmäßig ausgeräumt und ihre Ufervegetation abgemäht. Die Renaturierung von Bachläufen ist deshalb heute ein wichtiger Bereich des Natur- und Umweltschutzes.

Die charakteristischen Saumbiotope an großen Wasserläufen, die Auwälder, sind fast vollständig aus unserem Landschaftsbild verschwunden. Dabei handelt es sich um ursprünglich besonders artenreiche für den Naturhaushalt einer Landschaft wichtige Biotope: “ In den Auen der Schweiz wurden bisher gegen 1200 Pflanzenarten erfasst, wobei die tatsächliche Zahl wahrscheinlich 1500 Arten übersteigt. Dies entspräche der Hälfte der Schweizer Flora auf einem halben Prozent der Landesfläche. Wie die botanische ist auch die zoologische Vielfalt gross: Schmetterlinge, Libellen, Heuschrecken nutzen die verschiedenen Auenbiotope im Lauf ihres Lebenszyklus; Amphibien und Fische, zahlreiche Vogel- und Säugetierarten finden hier Nahrung und Unterschlupf.“ http://www.waldwissen.net/wald/naturschutz/gewaesser/wsl_auen_schweiz/index_DE?dossierurl=http://www.waldwissen.net/dossiers/wsl_dossier_auen/index_DE

Auch an stehenden Gewässern kommt dem Schutz der Gewässerrandstreifen eine besondere Bedeutung zu und auch hier sind natürliche Verhältnisse nur noch an sehr wenigen Stellen zu finden.

Gewässerränder sollten durch Schutzstreifen vor Einträgen aus der Landwirtschaft (Dünger, Pestizide) aber auch vor menschlichem Zutritt geschützt werden.

Auch Meeresküsten zeigen eine charakteristische Zonierung, die allerdings je nach Küstenform sehr unterschiedlich aussehen kann. Bei den an der deutschen Nordseeküste so charakteristischen Wattflächen handelt es sich um flächenhafte Ökosysteme, die nicht  als Saumbiotope im eigentlich Sinne bezeichnet werden können.

Halophytenflur auf Baltrum, 1982 (Foto Probst)

Halophytenflur auf Baltrum, 1982 (Foto Probst)

Dünen und Salzwiesen zeigen schon eher die Charaktristika von Saumbiotopen, in denen sich Elemente der angrenzenden Lebensräume mit den typischen Vertretern mischen. Sehr enge Säume bilden sich an Felsküsten, die  in Deutschland allerdings weitgehend auf die Insel Helgeland begrenzt sind. Sie sind aber charkteristisch für mediterrane Küsten.

Natüriche Küstensäume sind durch anthropogene Einflüsse vielfach verändert worden. Ein Rolle spielen künstliche Befestigungen und Schutzanlagen (Deiche, Grabensysteme und Befestigungen zur Landgewinnung), Verbauungen, Hafenanlgen usw. . Hinzu kommen Einleitungen von Abwässern sowie Düngemitteln und Pestiziden. Tropische Mangroveküsten sind insbesondere durch Aquakulturen, vor allem Garnelenfarmen, bedroht.

Fragmentierung

Oft sind Saumbiotope besonders artenreich, da in ihnen die Arten beider angrenzender Biotope zu finden sind. Es wäre allerdings die falsche Schlussfolgerung, wenn man daraus ableiten würde, dass eine Zerstückelung großer Lebensräume grundsätzlich die Biodiversität erhöhen würde. Im Gegenteil, die Habitatfragmentierung, also die Aufspaltung der Lebensräume von Tier- und Pflanzenarten, wird als eine wichtige Ursache für die Verminderung der Biodiversität angesehen. Lebensraumzerschneidungen, der Aufbau von Barrieren und Grenzen zwischen verschiedenen Teilen einer Population, schränkt den genetischen Austausch ein und kann letzlich zum Aussterben von Arten führen, wenn die Teilpopulationen eine bestimmte Größe unterschreiten.  Um diese nachteiligen Effekte zu vermeiden, ist es wichtig, dass Korridore erhalten bleiben, durch die eine Verbindung der Teillebensräume bestehen bleibt. Der Zerschneidungseffekt von Verkehrswegen kann zum Beispiel durch grüne Brücken über Autobahnen oder durch Krötentunnel unter Landstraßen ein bisschen gemindert werden.

Besonders gefährlich ist die Fragmentierung für artenreiche, großflächige Ökosysteme, die eine lange Evolution hinter sich haben, wie zum Beispiel das Amazonasbecken. Rodungen und der Bau von Verkehrswegen haben hier zu vielen neuen Waldgrenzen geführt. Die Veränderungen durch eine solche Grenze wirken sich oft 100m in das Innere des Ökosystems aus. Das veränderte Mikroklima begünstigt die Einwanderung von neuen, auch invasiven Arten, dichterer Unterwuchs kann das Übergreifen von Feuern von angrenzenden Wirtschaftsflächen fördern. Dadurch verändert sich das Artengefüge, je kleiner die neuen Teillebensräume, desto größer ist der Verlust an Biodiversität.

Saumbiotope im Biologieunterricht

Saumbiotope haben oft etwas mit menschlichen Aktivitäten zu tun. Damit können Menschen aber auch Einfluss nehmen auf die  Qualität solcher Übergänge. Dabei bietet es sich besonders an, Beispiele aus dem direkten Umfeld der SchülerInnen, aus der eigenen Gemeinde, in den Mittelpunkt des Unterrichts zu stellen. In ländlichen Gemeinden können sich SchülerInnen  zum Beispiel über Aussehen und Pflege von Ackerrandstreifen informieren und eigene Vorstellungen mit betroffenen Landwirten diskutieren. In Städten können Parkpflegekonzepte und die Pflege von Weg- und Straßenrändern thematisiert und wenn möglich mit Anwohnern und Mitarbeitern des Umwelt- und Grünamtes besprochen werden. Dabei können  ökologische Grundkenntnisse über Artenschutz und Biodiversität, Verinselung und Vernetzung, Einnischung und Konkurrenz, Eutrophierung und Anreicherung von Schadstoffen in der Nahrungskette vermittelt werden. Es zeigt sich aber auch, dass wirtschaftliche Interessen, Fragen der Verkehrssicherheit und ästhetische Vorstellungen und Bdürfnisse der Bevölkerung berücksichtigt werden müssen. Auf dieser Basis kann es gelingen,  die Folgen von Pflegemaßnahmen und Eingriffen zu verstehen und dieses Verständnis zu nutzen, um sich in der Gemeinde aktiv für sinnvolle Naturschutzmaßnahmen einzusetzen.

Mögliche Themen

Vielfalt an Straßenrändern
Anzahl blühender Pflanzen in verschiedenen Saumbiotopen
Lebensraum Wallhecke (Knick)
Ackerrandstreifen
Bachufer
Seeufer (z. B. Kartierung eines Gewässerufers)

Uferkartierung mit Klebepunkten (Foto: Probst)

Uferkartierung mit Klebepunkten (Foto: Probst)

Meeresküste, Spülsaum
Leben am Waldrand (z. B. Tierspurensuche am Waldrand, Vegetationstransekt vom Wald auf die Wiese)
Transektmethode zur Aufnahme von Übergängen
Waldgrenze im Gebirge
Höhenzonierung
Luftbildauswertung zu Saumbiotopen in unterschiedlichen Landschaften
Verbesserung der Ökotondichte (Ausarbeitung von Vorschlägen für die eigene Gemeinde)
Biotopverbund

Literaturauswahl und URLs

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