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Leben und Konsum

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Titelfoto: Zucker als Abfall Phloemsaft konsumierender Blattläuse auf Lindenblatt.

Im September 2020 ist UB 457 „Leben und Kosum“ erschienen.

Konsum und Konsument

Der Begriff „Konsum“ und „Konsument“  bzw. „Verbraucher“ spielt in der modernen Gesellschaft eine wichtige Rolle. Man spricht von einem Konsumklima und es gibt sogar einen Konsumklimaindex, ein Verbraucherministerium und Verbraucherzentralen, die dem Verbraucherschutz dienen sollen. In Schleswig-Holstein gibt es seit einigen Jahren das Schulfach „Verbraucherbildung“, seit 2017 werden von der  Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv)  Schulen mit besonders vielfältigem Engagement in der Verbraucherbildung mit der Auszeichnung „Verbraucherschule Gold“ bzw. „Verbraucherschule Silber“ gewürdigt.

In Wirtschaftsberichten ist Konsumsteigerung positiv belegt. Der Konsum muss gesteigert werden, um das für die Wirtschaft notwendige Wachstum zu ermöglichen. Allerdings wird diese marktwirtschaftliche Prämisse mindestens seit 40 Jahren, seit der Studie des Club of Rome über die „Grenzen des Wachstums“ von 1972, auch kritisch gesehen,  wird über den Zusammenhang von Wirtschaftswachstum und ökologischem Wachstum nachgedacht. Dabei spielt der Begriff der Nachhaltigkeit eine zentrale Rolle. Seit 2008 findet als wichtigste Veranstaltung der Wachstumskritiker die Internationale Degrowth-Konferenz statt. Diese Kritiker fordern, dass Wirtschaftsmodelle an die realen Bedingungen angepasst werden müssen. Die ökonomischen Theorien dürfen nicht zu einem Wachstumszwang führen.

Häufig wird die Biosphäre als Vorbild für mögliche menschliche Wirtschaftsweisen herangezogen. Konsumbedingte Umweltprobleme könnten durch Konsumverzicht, aber auch durch Kreislaufwirtschaft gemindert werden. Welche Methode für nachhaltige Entwicklung vielversprechender ist, wird kontrovers diskutiert (Probst 2009).

Waxchstum der Weltbevölkerung von 1700 bis heute und prognostizierte zukünftige Entwicklung

Durch das Studium der Wachstums- und Konsumproblematik in der Biologie können Einsichten in ökologische und ökonomische Probleme gewonnen werden. Formen exponentiellen Wachstums, wie sie zum Beispiel in Bakterienkulturen oder bei Krebsgeschwüren auftreten, scheitern relativ schnell an der eigenen Dynamik. Andere Wachstumsprozesse, die kurzfristig zu einem „Umkippen“ des Systems führen sind zum Beispiel die Hypertrophierung eines Gewässers, die Massenvermehrung einer eingeschleppten Art oder das Aussterben einer Schlüsselart. Beispiele für das Zusammenspiel von Wachstum, Konsum und Abfall, die in längeren Zeiträumen ablaufen, sind Prozesse wie die Verlandung eines Gewässers, Wüstenbildung oder Walddegradation.

Das in den letzten 200 Jahren abgelaufene exponentielle Wachstum der menschlichen Bevölkerung von etwa 1  Mrd. Menschen 1804 bis auf heute 7,3 Mrd. hat eine enorme Konsumsteigerung mit sich gebracht. Die Ressourcen an Rohstoffen und Energie werden immer stärker in Anspruch genommen und Bemühungen um Recycling  der Abfälle konnten bisher nicht verhindern, dass die Lücke zwischen Verbrauch und Regenaration immer größer wird. Die wichtigste Zukunftsaufgabe der Menscheit ist es, diese Lücke zu schließen.

Konsument Lebewesen

Leben ist immer mit Konsum verbunden. Dieser Konsum bedeutet zunächst einen ständigen Bedarf an Nährstoffen, sodann eine ständige Abgabe von Abfallstoffen. Da es für Lebewesen außerdem charakteristisch ist, dass sie ständig wachsen und sich vermehren, steigen damit auch Verbrauch und Abfall an. Das Ende einer solchen Entwicklung ist abzusehen: Irgendwann sind entweder die Nährstoffe erschöpft oder die Abfallstoffe lebensgefährlich angehäuft. Die Lebewesen verhungern oder vergiften sich. Die Grenzen des Wachstums sind eng verbunden mit Verbrauch und Abfall.

Obwohl solche Grenzen im Laufe der Erdgeschichte regelmäßig zu Engpässen und auch zur Vernichtung von Lebensräumen und zum Aussterben von Arten geführt haben, konnte das Leben auf der Erde dieser gefährlichen Entwicklung  immer wieder  dadurch entgehen, dass Lebewesen in der Lage sind, sich zu verändern. Durch die Mechanismen der Anpassungsselektion gelang es ihnen, neue Nahrungsquellen zu erschließen und der Gefährdung durch Abfälle zu entgehen. Dabei haben große Mengen zunächst gefährlicher Abfallstoffe oft zu besonders großen Schüben in der Evolution geführt, in dem die Abfallstoffe als neue Rohstoffe genutzt und recycelt wurden:

  • Sauerstoffanhäufung durch photosynthetisch aktive Cyanobakterien führte zu „Erfindung“ der aeroben Dissimilation und damit zum Beginn eines sehr effektiven Stoffkreislaufs.
  • Überschuss an Zucker bei fotosynthetisch aktiven Pflanzen ermöglichte die verstärkte Bildung von stabilisierenden Stoffen auf Kohlenhydratbasis wie Zellulose und Lignin. Diese Stoffe waren eine wesentliche Voraussetzung für die Stabilität großer Landpflanzen und damit der Entwicklung von Wäldern.
  • Kalküberschuss durch Nutzung von Hydrogenkarbonat bei der Photosynthese ermöglichte Skelett- und Schalenbildung. Die endosymbiotischen Algen  in Steinkorallen verschieben durch ihre Assimilation  das Gleichgewicht zwischen Kohlenstoffdioxid und Karbonat und schaffen damit die Voraussetzung für die Bildung der Korallenriffe.
  • Proteinüberschuss war die Voraussetzung zur Bildung von Hornschuppen, Haaren und Federn.
  • Die Notwendigkeit überschüssige Stickstoffverbindungen loszuwerden, begünstigt silbrige (guaninhaltige) Fischschuppen und bei Pflanzen die Bildung von Alkaloiden.

Stoffkreisläufe

Laubstreu im Buchenwald

Ökosysteme bestehen aus Produzenten,  Konsumenten und Destruenten. Dabei kann man die Konsumenten verschiedenen Trophiestufen zuordnen. Der Konsum der höheren Stufe wird häufig durch Produktion auf der niederen Stufe reguliert (Bottom-up Regulation), umgekehrt können aber auch die Konsumenten höherer Ordnung die Konsumenten der nächstniederen Stufe regulieren (Top-down Regulation).

Die Abfall-verwertenden Destruenten sind für die Stoffkreisläufe von besonderer Bedeutung. Durch die Wiederverwertung von Abfällen haben sich die großen Stoffkreisläufe der Biosphäre herausgebildet. Photosynthese und Atmung sind bis heute die Grundlage des Kohlenstoffkreislaufs. Der Abbau organischer Stickstoffverbindungen bis zum Ammoniak bzw. durch Nitrifikation zum Nitrat ermöglichen den Stickstoffkreislauf.

Solche Stoffkreisläufe haben sich auf dem Bioplaneten Erde in seiner mehr als 4 Milliarden Jahre langen Geschichte entwickelt und dabei auch immer wieder verändert. Das wirkte sich zum Beispiel auf die Zusammensetzung der Atmosphäre und damit auf das Klima aus. So vermutet man, dass es im späten Proterozoikum, in einer Zeit zwischen 750-580 Mill. Jahren, mehrfach zu Gesamtvereisungen der Erde gekommen ist (Schneeballerde). Als Ursache wird der Zerfall des damaligen Superkontinents Rodinia angesehen. Die Aufteilung in kleinere Kontinente soll zu einer Erhöhung der Niederschläge geführt haben, dass im Regenwasser gelöste Kohlenstoffdioxid bewirkte eine chemische Verwitterung von kalkhaltigen Gesteinen und die Einschwemmung von Hydrogencarbonat in die Ozeane. Dort kam es zur Ausbildung von Kalk und zur Bildung von Kalksedimenten auf diese Weise wurde Kohlenstoffdioxid der Atmosphäre entzogen und in der Folge kam es zu einer starken Abkühlung wegen fehlendem Treibhausgaseffekt (Schüring 2001). Aber auch starke vulkanische Tätigkeit und der Ausstoß großer Mengen an Schwefelgasen in die Stratosphäre könnten die Sonneneinstrahlung abgeschwächt haben (Fischer 2017).

Die verschiedenen Teilkreiläufe des Kohlenstoffs auf der Erde

Abfallüberschuss

Abfallüberschuss, die dauerhafte Sedimentation der Abfälle von Lebewesen, führte im Laufe der Erdgeschichte zu Sedimentgesteinen. Bestandteile dieser oft kilometerdicken Sedimente können in erdgeschichtlichen Zeiträumen über geochemische Kreisläufe wieder aufs Neue von Lebewesen genutzt und in Lebewesen eingebaut werden. Auch die Nutzung solcher Sedimente als Brennstoffe und Ausgangsmaterial für die chemische Industrie ist ein Recycling von Abfallüberschüssen aus früheren geologischen Epochen. Bei dieser Nutzung werden aber in für geologische Zeiträume sehr kurzer Zeit große Mengen neuer Abfallstoffe produziert, zum Beispiel nicht abbaubare Kunststoffabfälle und klimawirksames Kohlenstoffdioxid.

Geiseltalsee, ehemaliges Braubkohleabbaugebiet (Google-Earth)

Energiefluss

Bei den Lebensprozessen werden die aufgenommenen Stoffe umgewandelt. Bei dieser Umwandlung in chemischen Reaktionen wird Energie umgesetzt. Gemäß dem zweiten Hauptsatz der Thermodynamik wird dabei immer ein Teil der umgesetzten chemischen Energie irreversibel in Wärmeenergie umgewandelt. Praktisch bedeutet dies eine Energieentwertung, die umgangssprachlich im allgemeinen als „Energieverbrauch“ bezeichnet wird. Für die Aufrechterhaltung der Lebensvorgänge ist deshalb eine ständige Energiezufuhr von außen notwendig. Auf der heutigen Erde kommt diese zugeführte Energie zum großen Teil von der Sonne.

Da die Sonne noch über 6 Milliarden Jahre in gleicher Form Energie liefern wird, werden auf der Erde alle Energieformen, die sich von der Sonnenenergie ableiten lassen, also neben der direkten Solarenergie Wind- und Wasserenergie und Energie aus Biomasse, als regenerative Energien bezeichnet. Den Gegensatz  bilden Energieformen, die durch die Verbrennung von fossilen Brennstoffen (Kohle, Erdöl, Erdgas) bereitgestellt werden, denn diese organischen Abfallstoffe früherer Erdzeitalter sind begrenzt und ihre Ergänzung durch neue organischen Abfallstoffe benötigt geologische Zeiträume, in geschichtlichen Zeiträumen können Sie sich nicht regenerieren.

Mögliche Beispiele

Lebewesen als Konsumenten:

Grundsätzliche Fragen:

Was wird „verbraucht“?

Was bedeutet „Sparsamkeit“, was „Verschwendung“?

Wie hängen Konsum, Produktion und Abfall zusammen?

Wie hängen „Energiekonsum“ und „Stoffkonsum“ zusammen?

  • Konsum von Spitzmaus und Elefant (Abhängigkeit des Stoffumsatzes von der Körpergröße, Bergmann’sche Regel, Kleinheit von Inselarten). „Die Beziehung zwischen dem Energiehaushalt und der Körpergröße der Tiere ist eine der spannendsten, ungelösten Fragen in der vergleichenden Physiologie.“ (Heldmaler,Neuweiler,Rössler 2013)
  • Zucker, der aus Bäumen regnet (Zucker als Abfall Phloemsaft konsumierender Blattläuse, siehe Titelfoto) „Die Blattlaus als Verschwender (?)“ https://www.e-periodica.ch/digbib/view?pid=fng-001:1978:67::208#64
  • Chilesalpeter (die Lagerstätten in der Atacama-Wüste und in anderen Trockengebieten und Inseln sind Reste von abgelagertem, harnsäurereichem Vogelkot)
  • Kreislaufwirtschaft benötigt Energie (Erdwärmeheizung als Modell für Kreislaufwirtschaft, hinterfragen des Begriffes „Energieverbrauch“)
  • Leben und Konsum in einer Raumstation (Für lange Reisen in einem Raumschiff oder lange Aufenthalte in Stationen auf dem Mond und auf dem Mars ist die Frage des Konsums essenziell. Denn die Möglichkeiten, Vorräte mitzunehmen, sind begrenzt. Deshalb beschäftigen sich Wissenschaftler schon seit längerem mit den Möglichkeiten, in dem begrenzten Raum eines Raumschiffes oder einer Raumstation mit bioregenerativen Lebenserhaltungssystemen, also Photobioreaktoren, die biologische Stoffkreisläufe ermöglichen, wodurch das Mitführen von Vorräten und die Produktion von Abfall minimiert wird. Neben Pflanzen spielen dabei vor allem Mikroalgen eine entscheidende Rolle).

Lebensstrategien bzw.  Lebensformen und Konsum

Welche besonderen Lebensformen sind mit bestimmten Formen des Konsums verbunden?

  • Wasserverbrauch von Wüstentieren (z.B. Kängururatte Dipodomys, Oryxantilope, Dromedar, Dunkelkäfer Onymacris)
  • Wie Pflanzen Wasser sparen (Sukkulenz, Verdunstungsschutz, zum Beispiel durch Oberflächenverringerung und Oberflächenverdichtung; physiologische Anpassungen wie C4, diurnaler Säurezyklus)
  • Massenvermehrung (Gradation): Heuschreckenschwärme (wie sie entstehen und sich entwickeln)
  • Konsumstopp: Winterruhe, Winterschlaf, Winterstarre, Austrocknungsresistenz

Der Einfluss von Konsum und Abfall auf Ökosysteme

  • Sauerstoffverbrauch in Gewässern („Umkippen“ von Gewässern, Prinzip der Pflanzenkläranlage)
  • Berge aus Abfall – Gebirge aus Sedimenten und was mit ihnen geschehen ist und geschehen wird oder Erdgeschichte als Konsumentengeschichte
  • Von Erdöl zu Plastik (biogene Abfallstoffe aus früheren erdgeschichtlichen Epochen werden zu anthropogenen Abfallstoffen der Gegenwart)
  • Torf, Kohle, Erdöl, Erdgas
  • Hochmoore: Mehr Abfall als Verbrauch
  • Was wird aus dem Abfall vom Blattfall? – Durch den jährlichen Laubfall fällt in sommergrünen Wäldern jeden Herbst eine große Menge organischen Abfalls an, der schnell aufgearbeitet wird.
  • Primärproduktion und Trophieebenen (Nahrungsketten können umso länger werden, je höher die Primärproduktion ist: Vergleiche von Wüste – Regenwald, tropisches Meer – marines Auftriebsgebiet)

Menschen als Konsumenten

  • Der letzte Baum der Osterinseln (die Osterinseln sind – möglicherweise – ein Beispiel dafür, wie eine menschliche Gesellschaft durch unbedachte Nutzung der natürlichen Ressourcen ihre eigenen Lebensgrundlagen zerstörte und daran zu Grunde ging, Diamond 2011)
  • Der Mensch als Verursacher quartärer Aussterbewellen (anthropogen bedingter Verlust der Biodiversität)
  • Kunststoffe (Plastikmüllstrudel in Pazifik und Atlantik; Mikro- und Nanoplastik in Lebensmitteln; abbaubare Kunststoffe)
  • Verbrauch von Sand und Kies
  • Seltene Erden – die Würze von High Tech (Herkunft, Verbrauch, Recycling)
  • Fleischkonsum

Quellen

Braungart, M., McDonough, W. (2008): Einfach intelligent produzieren. Cradle to cradle. Berlin: Berliner Taschenbuchverlag.

Bauman, Z. (2009): Leben als Konsum. Hamburg: Hamburger Edition.

Diamond, J (20113): Kollaps: Warum Gesellschaften überleben oder untergehen. Frankfurt: Fischer-Taschenbuch.

Gerten, G. (2018): Wasser-Knappheit, Klimawandel, Welternährung. München: C.H. Beck.

Heldmaler,, G., Neuweiler, G., Rössler, W. (2013): Vergleichende Tierphysiologie. Berlin, Heidelberg:  Springer.

Hengeveld, R. (2012): Wasted World – How our consumption challenges the Planet. Chicago: Chicago Univ.Press.

Kattman, U. (Hrsg., 2004): Bioplanet Erde. UB 299 (28.Jg.), Seelze: Friedrich.

Lampel, G. (1978): Die Blattläuse, eine wenig beachtete Insektengruppe. In: Bulletin der Naturforschenden Gesellschaft Freiburg. Band 67, Heft 1, S. 45–68

Looß, M. (1999): Abfall und Recycling. UB 247 (23.Jg.): 4-13, Seelze: Friedrich.

Probst, W. (2009): Stoffkreisläufe. Unterricht Biologie 349 (33. Jg.), S. 2-11, Seelze: Friedrich.

Reichholf, J. H. (1992): Der schöpferische Impuls: eine neue Sicht der Evolution. Stuttgart: DVA

Schmidt-Bleek, F. (1997): Wieviel Umwelt braucht der Mensch? Faktor 10 – das Maß für ökologisches Wirtschaften. München: dtv.

Zuckerkonsum von Kindern

Plastik sammelnde Aqua-Drohne

Algen für Bioplastik

Schneeballerde

Lars Fischer: https://www.spektrum.de/news/machten-schwefeltropfen-die-erde-zur-eiskugel/1457163

Joachim Schüring: Schneeball Erde. (Memento vom 12. Februar 2013 im Webarchiv archive.is) spektrumdirekt, 13. August 2001.

Die vergoldete Schaukel

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Balken eines Schaukelgestells mit Trentepohlia-Überzug

Balken eines Schaukelgestells mit Trentepohlia-Überzug

Mikroskopisches Bild von Trentepohlia umbrina aus dem gelborangen Belag des Schaukelpfostens

Mikroskopisches Bild von Trentepohlia umbrina aus dem gelborangen Belag des Schaukelpfostens

Vor sechseinhalb Jahren, im Sommer 2010, haben wir in unserem Garten in Oberteuringen für unsere Enkelkinder eine Schaukel aufgestellt. Bis heute wird sie sehr gerne genutzt und die Holzbalken des Gerüstes zeigen eigentlich noch keine Alterserscheinungen. Allerdings ist seit zwei Jahren zu beobachten, dass sich an den etwas beschatteten Pfostenteilen ein orange-gelblicher Überzug bildet und immer weiter ausdehnt. Dieser Überzug lässt sich leicht abschaben und im Mikroskop erkennt man, dass der Belag sich aus rundlichen Zellen zusammensetzt. Es handelt sich um die Luftalge Trentepohlia umbrina.

Trentepohlia cf. umbrina im Schlosspark von Donaueschingen, 29.1.2017

Trentepohlia cf. umbrina im Schlosspark von Donaueschingen, 29.1.2017

Düngung aus der Luft

Diese zu den Grünalgen gehörende Luftalge, deren Farbe von dunkelgelb bis rotbraun variieren kann, ist in den letzten Jahren – zusammen mit einigen anderen Arten der Gattung – häufig geworden. In verschiedenen Internetforen melden sich Gartenbesitzer, weil ihnen orangefarbene oder rotbraune Beläge der Borke von Obstbäumen Sorge machen. Für die Bäume hat dieser Bewuchs allerdings keine nachteiligen Folgen. Aber er ist – wie das massenhafte Auftreten der Gelbflechten (Xanthoria) – ein Zeichen dafür, dass Stickstoffverbindungen in der Luft in den letzten 10-15 Jahren immer häufiger geworden sind. Dazu gehören nicht nur gasförmige Verbindungen, wie Stickoxide und Ammoniak sondern auch Feinstaubpartikel (PM = particulate matter) aus Ammoniumnitrat. Für die Zunahme dieser Stoffe in unserer Atmosphäre sind neben der Landwirtschaft vor allem Verbrennungsmotoren von Kraftfahrzeugen verantwortlich – nach einer WHO-Untersuchung von 2003 zu 50 bis 75%. http://www.euro.who.int/__data/assets/pdf_file/0005/112199/E79097.pdf

Während bei den fossilen Brennstoffen Steinkohle, Braunkohle und Schweröl  erhebliche Mengen an Stickstoffverbindungen enthalten sind, die bei dem Verbrennungsvorgang freigesetzt werden – man spricht von Brennstoff NOx -, entstehen die Stickstoffoxide bei Diesel- und Benzinmotoren bei hohen Verbrennungstemperaturen aus N2 und O2 der Luft. Dieser Anteil wird thermisches NOx genannt..

Früher –  mit Höhepunkt in den 1970iger Jahren – schadete vor allem die Belastung mit Schwefelverbindungen (vor allem SO2) den Flechten, Moosen und Luftalgen, die ihre Nährmineralien ungefiltert direkt aus der Luft aufnehmen. Man sprach „Flechtenwüsten“ in den Städten und nutzte Flechten als Zeigerorganismen für Luftschadstoffe. Heute hat sich das Bild  gewandelt: Schwefelverbindungen spielen als Luftschadstoffe kaum noch eine Rolle, weil in die  Fabrikschlote entsprechende Filter eingebaut wurden. Dafür haben Stickstoffverbindungen sehr stark zugenommen. Diese Stickstoffbelastung ist nicht nur die Ursache einer flächendeckenden Eutrophierung, die sich nachteilig auf die pflanzliche Biodiversität auswirkt, Stickoxide reizen und schädigen auch die Atmungsorgane. Im Sommersmog sind sie verantwortlich für die Ozonbildung. Außerdem ist insbesondere das Lachgas N2O ein hochwirksames Treibhausgas, das zudem die Ozonschicht der Stratosphäre angreift.

Für eine Reihe von Flechten- , Moos- und Luftalgenarten allerdings, die diese Verbindungen über ihre Oberfläche direkt aus der Luft aufnehmen können, bedeutet diese erhöhte  Konzentration von Stickstoffverbindungen in der Luft eine zusätzliche Düngung.

Xanthoria parietina am Syrischen Hibuskus

Xanthoria parietina am Syrischen Hibuskus

Die Häufigkeit der Gelbflechte (Xanthoria spp., v.a. X. parientina) an Baumstämmen, Ästen und Zweigen hat flächendeckend enorm zugenommen. Fast in jedem Garten findet man die Flechte an Ästen und Stämmen von Sträuchern und Hecken. Auch die Helm-Schwielenflechte (Physcia adscendens) ist an vielen Bäumen und Sträuchern sehr häufig geworden. Ebenso profitieren bestimmte Mauermoose, z. B. das Kissenmoos (Grimmia pulvinata), von der Luftdüngung.

Mauer mit Kissenmoos Grimmia pulvinata

Mauer mit Kissenmoos Grimmia pulvinata

Kissenmoos Grimmia pulvinata

Kissenmoos Grimmia pulvinata (alle Fotos W. Probst)

)

Feinstaub aus Ammoniak

Wie man von typischen Xanthoria-Standorten – wie Misthaufeneinfassungen und Vogelfelsen – weiß, wird die Flechte nicht nur von Stickoxiden sondern vor allem auch durch Ammoniak bzw. Ammonium begünstigt. Nun konnte einmal nachgewiesen werden, das aus Katalysatoren von Benzinmotoren Ammoniak freigesetzt wird (Frahm 2008). Zum Anderen dürfte auch die Ammoniakfreisetzung von Dieselmotoren mit SCR-Katalysatoren (Selektive katalytische Reduktion) eine Rolle spielen. Die strengeren Richtlinien Stickstoffoxidabgabe durch Dieselmotoren haben bewirkt, das die Hersteller diese SCR-Katalysatoren entwickelten, bei denen durch Ammoniakzugabe in den Abgasstrom die Stickoxide zu N2 reduziert werden sollen. Die Ammoniakzugabe erfolgt über wässrige, 32,5-prozentige Harnstofflösung (Firmenbezeichnung „AdBlue“), die in einem Extratank mitgeführt wird. Sie wird dosiert in den Abgasstrom eingespritzt. Im titanbeschichteten Katalysator reduziert der Ammoniak ab einer Abgastemperatur von 170°C Stickstoffoxide zu Stickstoff (N2) und Wasser, außerdem entsteht als Oxidationsprodukt des Harnstoffs Kohlenstoffdioxid. Dabei müssen auf 100 l Dieselkraftstoff etwa 5 l AdBlue zugesetzt werden.

Man kann davon ausgehen, dass bei diesem Verfahren beträchtliche Restmengen an  NH3, eventuell auch Lachgas (N2O), freigesetzt werden, die nicht zur Reduktion von Stickoxiden zu N2 genutzt wurden. Zusammen mit Wasserdampf und Ozon kann sich aus diesem Ammoniak ammoniumhaltiger Feinstaub (NH4NO3 und  – in Gegenwart von SO2 – auch (NH4)2SO4) bilden. Ammoniumnitrat ist fest und schmilzt erst bei 169,6°C. Es bilden sich kleinste Partikel, die als sogenannter „sekundärer Feinstaub“ bezeichnet werden. Dieser NH3-Ausstoß von LKW- und PKW-Motoren erfolgt zu großen Teilen an den Autobahnen und damit in Deutschland auch in vielen Bereichen der freien Landschaft.

NO  +  O3  →  NO2  +  O2

2NO2  +  H2O  →  HNO3  + HNO2

HNO3  + NH3  →  NH4 NO3

Die wichtigste Ammoniakquelle ist die Landwirtschaft. Nach Angaben des Umwelt-Bundesamts stammen um die 95% der Emissionen insbesondere aus der Tierhaltung und werden vor allem über die Gülledüngung freigesetzt. (http://www.umweltbundesamt.de/daten/luftbelastung/luftschadstoff-emissionen-in-deutschland/ammoniak-emissionen). Auch wenn ammoniakhaltige Gase aus der intensiven Landwirtschaft mit Stickoxiden aus Verbrennungsmotoren zusammentreffen, bildet sich Ammoniumnitrat.

Ammoniumnitrat ist Hauptbestandteil vieler Mineraldünger. Neben dem Düngereffekt geht von dem Salz aber auch eine osmotische Wirkung aus, die dazu führt, dass nur salzresistente  bzw. austrocknungsresistente Algen, Flechten und Moose von dieser Düngung aus der Luft nicht geschädigt werden (Frahm 2008).

Gesundheitsschäden

Für uns Menschen sind diese Verbindungen, insbesondere NO2, Reizgase für die Atmungsorgane. Zudem ist bodennahes NO2 verantwortlich für die sommerliche Ozonbildung:

Sonnenlicht

NO2  +  O2  →  NO  +  O3

Bei fehlender Lichtenergie ist diese Reaktion reversibel:

NO  +  O3  →  NO2  +  O2

Deshalb gehen die Ozonwerte in Städten nachts wieder zurück. Vertriftetes NO fern von Emissionszentren wird durch den Luftsauerstoff  zu NO2 oxidiert und wirkt dann weiter Ozon bildend. Als Folge sind die Ozonwerte oft außerhalb der Städte noch höher.

N2O (Lachgas), das z. B. beim SCN-Verfahren entsteht, ist ein sehr stark wirkendes Treibhausgas, das nach einem Report des IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) die 300fache Treibhausgaswirkung von CO2 haben soll. http://www.ipcc.ch/pdf/assessment-report/ar4/wg1/ar4-wg1-ts.pdf. Außerdem wird es durch UV-Licht in NO umgewandelt und führt dann in höheren Atmosphäreschichten zum nächtlichen O3-Abbau.

Zur gesundheitsschädlichen Wirkung von Feinstaub schreibt das Bundesumweltministerium: „PM10 kann beim Menschen in die Nasenhöhle, PM2,5 bis in die Bronchien und Lungenbläschen und ultrafeine Partikel bis in das Lungengewebe und sogar in den Blutkreislauf eindringen. Je nach Größe und  Eindringtiefe der Teilchen sind die gesundheitlichen Wirkungen von Feinstaub verschieden. Sie reichen von Schleimhautreizungen und lokalen Entzündungen in der Luftröhre und den Bronchien oder den Lungenalveolen bis zu verstärkter Plaquebildung in den Blutgefäßen, einer erhöhten Thromboseneigung oder Veränderungen der Regulierungsfunktion des vegetativen Nervensystems (Herzfrequenzvariabilität). PM10 kann beim Menschen in die Nasenhöhle, PM2,5 bis in die Bronchien und Lungenbläschen und ultrafeine Partikel bis in das Lungengewebe und sogar in den Blutkreislauf eindringen. Je nach Größe und  Eindringtiefe der Teilchen sind die  bis zu verstärkter Plaquebildung in den Blutgefäßen, einer erhöhten Thromboseneigung oder Veränderungen der Regulierungsfunktion des vegetativen Nervensystems (Herzfrequenzvariabilität).“ http://www.umweltbundesamt.de/themen/luft/luftschadstoffe/feinstaub

Dabei bezieht sich PM2,5 bzw. PM10 auf die Größe der Partikel von durchschnittlich 2,5 bzw. 10 μm.

Moose und Flechten gegen Feinstaub

Die vergoldeten Schaukelpfosten, das von Gelbflechten überzogene Gartengesträuch und die Kissenmoospelzchen auf der Gartenmauer sind also Zeiger für düngende Stickstoffverbindungen in der Luft. Diese Luftinhaltsstoffe sind gesundheitsschädlich. Die Wachstumsförderung von Algen, Flechten und Moosen könnte aber auch eine Möglichkeit für die Verminderung der Feinstaubelastung aufzeigen. Insbesondere Moose scheinen dafür besonders geeignet. Mit ihrer großen Oberfläche, die zudem etwas negativ aufgeladen ist, werden Ammonium haltige Feinstaubpartikel und Ammoniumionen (NH4+) aufgefangen. Über die Blättchen werden diese Stickstoffverbindungen vom Moos aufgenommen und verstoffwechselt. Im Labor wurden diese Zusammenhänge von Frahm und Mitarbeitern an der Universität Bonn gründlich erforscht

(http://www.iug-umwelt-gesundheit.de/pdf/0801_13_6_SP_Moos.pdf)

In der baden-württembergischen Landeshauptstadt Stuttgart hat man besonders mit Feinstaub zu kämpfen. An dem Feinstaub-Hotspot der Stadt, dem „Neckartor“ wurde im November 2016 mit dem Errichten der ersten Mooswand gegen Feinstaub begonnen. Bis Ende März 2017 soll sie auf einer Länge von 100m stehen. Mit dieser Einrichtung soll nicht nur die allgemeine Wirkung getestet werden, man möchte auch herausfinden, welche Moosarten besonders geeignet sind.

http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.mit-moss-gegen-den-feinstaub-erste-testwand-in-stuttgart-steht.25a11043-4f6e-4a27-8844-2f4ff14725ee.html

 

Jeder Gartenbesitzer hat die Möglichkeit, in seinem Garten etwas gegen Stickoxide, Ammoniak und Feinstaub zu unternehmen, indem er Moose, Fechten und Algen nicht bekämpft sondern fördert. Ein vermooster Rasen ist kein Anlass zur Sorge, im Gegenteil., er kann der Grundstein für einen ganz besonderen Gartenabschnitt, einen „Moosgarten“ sein. Ein sehr guter Ratgeber für die Anlage von Moosgärten ist das Büchlein von dem leider 2014 verstorbenen Bryologen und Ökologen Jan-Peter Frahm.

Kranzmoos-Rasen (Rhytidiadelphus squarrosus), ist immer grün und muss nicht gemäht werden

Kranzmoos-Rasen (Rhytidiadelphus squarrosus), ist immer grün und muss nicht gemäht werden

Weitere Quellen

Barnekow, D. (2011): Gelbes Geäst. Unterricht Biologie 364, S. 39-43

Ellenberg, H. (1987): Fülle – Schwund -Schutz: Was will der Naturschutz eigentlich? Verh. d. Ges. f. Ökologie XVI, Göttingen, S.449-460

Frahm, J.-P. (2008): Nitrophile Flechten und Moose nehmen zu – Überdüngung und Versalzung durch Katalysatoren? Biuz 2/2008 (38): S.94-101

Frahm, J.-P. (3.A. 2011): Mit Moosen begrünen – Gärten, Dächer, Mauern, Terrarien, Aquarien, Straßenränder – eine Anleitung zur Kultur. Jena: Weißdorn-Verlag

Gams, H. (1969): Makroskopische Süßwasser- und Luftalgen. Kleine Kryptogamenflora Bd. Ia, Stuttgart: G.Fischer

Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz Baden-Württemberg: relevante Luftschadstoffe. http://www4.lubw.baden-wuerttemberg.de/servlet/is/20243/

Schenk, G. (1997): Moss gardening including Lichens, Liverworts and other miniatures. Portland (Oregon): Timber Press